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MELDUNG/246: Historiker der Universität Leipzig analysieren Gewalt in Lateinamerika (idw)


Universität Leipzig - 19.12.2014

Historiker der Universität Leipzig analysieren Gewalt in Lateinamerika



Nach seinem Geschichtsstudium hat Prof. Dr. Michael Riekenberg vier Jahre als Postdoktorand in Guatemala gelebt und in dieser Zeit des Bürgerkrieges in dem Land Gewalt unmittelbar erfahren. Damals reifte bei ihm der Entschluss, sich auch wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen. Seitdem forscht er zum Thema Gewalt in Lateinamerika im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Als Professor für Vergleichende Geschichtswissenschaft und Ibero-amerikanische Geschichte der Universität Leipzig arbeitet er seit knapp drei Jahren gemeinsam mit der Doktorandin Agustina Violeta Carrizo de Reimann an einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt zur Bedeutung politischer Gewalt in Lateinamerika im 19. Jahrhundert. Gerade hat die DFG den Verlängerungsantrag dafür bewilligt.

"Heute gibt es in Deutschland eine klare Unterscheidung zwischen politischer und krimineller Gewalt. Das ist in Lateinamerika schwieriger zu trennen. Erst recht war das im 19. Jahrhundert der Fall, da es kein staatliches Gewaltmonopol gab", erklärt Riekenberg. Damals seien verschiedene politische Gruppierungen wie Milizen, Banden, bewaffnete Landarbeiter oder die Indiobevölkerung gewaltsam gegeneinander vorgegangen. Auch Dörfer führten Kleinkriege gegeneinander. Die Unabhängigkeitsbewegung ist Riekenberg zufolge übergegangen in eine Zeit ständiger innerer Kriege. "Damals hat sich eine neue politische Sprache in der Gewalt durchgesetzt", sagt der Historiker. Begriffe wie "Revolution" oder "Staatsbürger" waren es, die die politische Gewalt in Lateinamerika prägten und diese legitimierten. "Ein Schwerpunkt des Projektes ist die Frage, was Gewalt eigentlich politisch macht", betont Riekenberg. Diese Frage ist auch für das Verständnis von Gewalt in Lateinamerika heute, denken wir an Mexiko, von großer Bedeutung.

Die Argentinierin Agustina Violeta Carrizo de Reimann vergleicht im Rahmen des DFG-Projektes die politische Gewalt im 19. Jahrhundert in Argentinien und Mexiko. Dazu forscht sie in den Nationalarchiven von Buenos Aires und Mexiko-Stadt sowie auf der Halbinsel Yucatan unter anderem in historischen Quellen wie Militärgerichtsprotokollen. "Man kann daraus ablesen, mit welchen Worten sie Gewalt definiert haben und kann sie einordnen", erläutert die junge Wissenschaftlerin, die zu diesem Thema promovieren möchte. In Mexiko, wo Milizsoldaten im 19. Jahrhundert oft zum Schutz vor Bestrafung in die Kirchen geflüchtet sind, habe die Religion eine stärkere Rolle gespielt als in Argentinien. "Die Milizen waren immer halbstaatlich. Der Staat war unter den Gewaltakteuren kein überlegener", sagt Carrizo de Reimann.

Prof. Dr. Riekenberg hat kürzlich unter anderem zu diesem Thema im Campus Verlag das Buch "Staatsferne Gewalt. Eine Geschichte Lateinamerikas von 1500 bis 1930" veröffentlicht. Es wird nun auch ins Spanische übersetzt, damit lateinamerikanische Fachkollegen und Studierende seine Forschungsergebnisse nachlesen können.



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution232

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Leipzig, Susann Huster, 19.12.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2014


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