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MEMORIAL/079: Wie das Pentagon 1943 der Mafia zur Wiedergeburt verhalf (Gerhard Feldbauer)


Wie das Pentagon 1943 der sizilianischen Mafia zur Wiedergeburt verhalf

Ihr Boss Calogero Vizzini wurde Bürgermeister seiner Heimatstadt Villalba

von Gerhard Feldbauer, 24. Juli 2013



Lange bevor US-Präsident Harry Truman im März 1947 mit seiner berüchtigten Doktrin zur "Eindämmung des Kommunismus" die Antihitlerkoalition zerstörte, hatten die USA alles unternommen, in den Ländern, in die ihre Truppen einmarschierten, den Einfluss der Kommunisten zurückzudrängen. Neben Griechenland geschah das vor allem in Italien, wo sie Zehntausende Soldaten der Mussolini-Armee, die auf ihre Seite übertraten, den deutschen Truppen auslieferten, die Operationen der Partisanen der PCI sabotierten und sie selbst bei der Hitlerwehrmacht denunzierten.

Bei der Landung am 9. Juli 1943 auf Sizilien schreckte das US-amerikanische Armee-Kommando nicht davor zurück, zur Zurückdrängung der Kommunisten und Sozialisten sich der sizilianischen Mafia zu bedienen. So wurde deren Boss, Calogero Vizzini, zum Bürgermeister seiner Heimatstadt Villalba ernannt. Er und seine Männer erhielten das Recht, mit Gewehren und Pistolen bewaffnet die öffentliche Ordnung zu sichern. Die Militärregierung stellte den früheren Chef der New Yorker Mafia, Vito Genovese, als Chef-Dolmetscher in Dienst. Er war 1936 nach einer Anklage in den USA wegen mehrfachen Mordes bei der sizilianischen Mafia untergetaucht. Indem die Militärbehörden den Mafiosi staatliche und Polizeibefugnisse übertrugen, verliehen sie ihr für längere Zeit einen Status der Legalität und verhalfen ihr obendrein zu einem antifaschistischen Touch.

Don Vitone nutze seine Stellung zum Aufbau einer Organisation des Drogenhandels nach amerikanischem Vorbild. Calogero Vizzini wurde Verwalter der Güter der Fürstin von Trabia und Butera, Giulia Florio D'Ontes. Als die antifaschistische Einheitsregierung auf Initiative der PCI 1944 ein Dekret zur Inbesitznahme von Ländereien der Latifundistas erließ, bildete die Mafia unter den Augen der US-Militärregierung bewaffnete Banden gegen die Landbesetzer. Bis in die Nachkriegsjahre hinein kam es zu blutigen bewaffneten Zusammenstößen. 1945 schickte der linke Ministerpräsident Ferrucio Parri von der Aktionspartei zum Schutz der landlosen Bauern Truppen nach Sizilien. Mit Hilfe der USA wurde Parri im Dezember 1945 von den Rechten in der Regierung gestürzt.

Unter den Fittichen des Pentagon brachte, wie der Vatikan-Experte Nik Tosches in seinem Buch "Geschäfte mit dem Vatikan" (München 1989) darlegte, ein Michele Sindona seine Schäfchen ins Trockene. Nach der Landung der Amerikaner auf Sizilien verkaufte er Zigaretten und andere Waren aus Beständen der US-Army auf dem schwarzen Markt. 1950 war der damals 33-Jährige bereits Millionär. Binnen weniger Jahre wurde er einer der Großen der internationalen Finanzwelt und begründete sein Mafiakreisen, dem Vatikan und der faschistischen Putschloge P2 dienendes Riesenunternehmen. Es war, wie die Publizisten Paolo Panerai und Maurizio De Luca in ihrem Buch "Der Bankrott: Sindona, die DC, der Vatikan und die anderen Freunde" (Mailand 1977) schrieben, in "Europa und den USA ein Imperium ohnegleichen, mit Tausenden Verzweigungen in allen Wirtschaftsbereichen, von Banken über Finanzgesellschaften, Immobilienunternehmen und Elektronikkonzernen bis zu Textilbetrieben und großen Hotels, darunter das berüchtigte Watergate in Washington. Sindona war Vertrauensmann des Vatikans und Teilhaber großer englischer und amerikanischer Bankiers (so den Hambro von London und der Continental Illinois Bank von Chicago) und Beherrscher der italienischen Börse". Er beriet Richard Nixon in Geschäftsangelegenheiten und unterhielt beste Kontakte zum Weißen Haus, pflegte gute Beziehungen zur CIA und ins Pentagon. In Italien zählten zu seinen engsten Freunden Geheimdienst-General Miceli, der Führer der Mussolininachfolgerpartei MSI, Giorgio Almirante, und P2-Chef Licio Gelli, der ihn in die Loge aufnahm. Von Sindona selbst und über ihn flossen der faschistischen Bewegung und den putschbereiten Generälen stets große Geldbeträge zu. Giulio Andreotti gab als Premier für Sindona im Dezember 1973 im New Yorker Hotel Waldorf Astoria ein prunkvolles Bankett, auf dem er ihn als "Retter der Lira" feierte. Der Club of Rom, der die Repräsentanten der Geschäftswelt aus 25 Ländern vereinte, verlieh Sindona den Titel "Unternehmer 1973" und nannte ihn den hervorragendsten Vertreter des "freien Unternehmertums". USA-Botschafter John Volpe zeichnete ihn noch als "Mann des Jahres 1973" aus, der "einen wesentlichen Beitrag zur Festigung der Freundschaft und der Wirtschafsbeziehungen zwischen Italien und den USA" geleistet habe.

Die Sucht nach immer größeren Profiten und neuen Unternehmen, die Spekulationen mit schwindelerregenden Summen brachten dem Finanzmagnaten 1974 den Zusammenbruch. Sein Sturz wurde im Herbst 1974 mit dem Bankrott von vier Großbanken, die ihm gehörten oder an denen er die maßgeblichen Anteile hielt, darunter die Franklin National Bank von New York, besiegelt.

Sindona floh in die USA, wo er später angeklagt und im Juni 1980 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, anschließend nach Italien ausgeliefert wurde. Hier wurde er u. a. wegen diverser Bilanzfälschungen, des Heroinhandels zwischen Italien und den USA in Höhe von 600 Millionen Dollar jährlich und der Anstiftung zum Mord angeklagt. Hohe Vertreter der Politik (Ministerpräsident Andreotti), der Wirtschaft (Staatsbankpräsident Guido Carli), und des Vatikans (die Kardinäle Caprio und Guerri sowie der damalige Chef der Vatikanbank Erzbischof Marcinkus) versuchten vergebens, ihn zu retten. Sindona hatte gedroht, "klingende Namen" zu nennen, wenn der Prozess gegen ihn nicht eingestellt werde. Alle Beteuerungen danach, er werde schweigen, halfen nichts. Vier Tage nach der Verkündung der lebenslangen Haftstrafe starb er am 22. März 1986 in seiner Zelle an einer Überdosis Zyankali. "Mi hanno avvelenato" (sie haben mich vergiftet") waren seine letzten, von Tosches überlieferten Worte.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2013