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MEMORIAL/125: Italiens Eintritt in den Ersten Weltkrieg (Gerhard Feldbauer)


Italiens Eintritt in den Ersten Weltkrieg

Wechsel zur Entente, die die größeren Brocken an territorialen Eroberungen versprach

Von Gerhard Feldbauer, 20. Mai 2015


Als Mitglied des Dreibundes Deutschlandllsterreich-Ungarn lehnte Italien 1914 einen Kriegseintritt mit der Begründung ab, es handele sich um keinen Verteidigungsfall. In Wahrheit ging es dem italienischen Imperialismus darum, sich im beginnenden Kampf um die Neuaufteilung der Welt auf die Seite zu schlagen, die ihm den größten Anteil an territorialen Gewinnen versprach. Rom wollte die Brennergrenze, Gebiete im Trentino, um Triest und an der Dalmatischen Küste.

Auf Druck aus Berlin wollte Österreich Italien Trient überlassen, keinesfalls jedoch Triest Den Ausschlag für das italienische Kapital gaben schließlich die größeren Brocken, welche die Entente zusagte. Am 26. April 1915 unterzeichnete Rom den Geheimvertrag mit der Entente, der ihm umfangreiche Gebietsansprüche - darunter das österreichische Südtirol - zusagte. Am 24. Mai trat Italien mit der Kriegserklärung gegen Österreich in den Ersten Weltkrieg ein.


Kriegstreiber Mussolini

Tonangebend für den Kriegseintritt waren die reaktionärsten Kreise des italienischen Imperialismus und ihr Stoßtrupp, die schon im Januar 1915 von Benito Mussolini gegründete Organisation Fasci d'Azione Rivoluzionario (revolutionäre Aktionsbünde), eine demagogisch bezeichnete Vorläuferorganisation der faschistischen Bewegung, deren Mitglieder sich als Faschisten (Fascisti) bezeichneten. Vor der Parlamentsabstimmung über den Kriegseintritt hetzte die von Mussolini gegründete Zeitung der Fasci "Pòpolo d'Italia", die Abgeordneten, die noch nicht zum Kriegseintritt entschlossen seien - das waren vor allem die Sozialisten - "sollten vor ein Kriegsgericht gestellt werden". Für "das Heil Italiens" seien, wenn notwendig, "einige Dutzend Abgeordnete zu erschießen", andere "ins Zuchthaus zu stecken". Das "Pòpolo d'Italia" war ein von führenden Kreisen der Rüstungsindustrie (Ettore Conti, Elektroindustrie; Guido Donegani, Chemie; Giovanni Agnelli, Fahrzeugbau, Rüstung; Alberto Pirelli, Reifen und Gummi) finanziertes Kampfblatt, das in offenem Chauvinismus deren Kriegsinteressen vertrat. Dieselben Konzerne gehörten nach Kriegsende zu den Förderern der faschistischen Bewegung, die Mussolinis Weltkrieg auf Rom finanzierten.


Rüstungsprofite stiegen ins Unermessliche

Während sich die reichen Oberschichten am Krieg mästeten, stürzte dieser die arbeitenden Schichten in immer tieferes Elend. Die Lebenshaltungskosten stiegen von 1913 bis 1918 auf 264,1 Prozent. Die Reallöhne sanken in der gleichen Zeit in der Industrie auf 64,6 Prozent, und das bei einer täglich auf bis zu 16 Stunden ausgedehnten Arbeitszeit. Die Profite der Rüstungsindustrie mit Ansaldo und Fiat an der Spitze stiegen dagegen ins Unermessliche.

Am Ende des Krieges befand sich Italien auf der Siegerseite. Der Preis für die Kriegsbeute waren 680.000 Tote, zirka eine Million Verwundete, eine halbe Million Invaliden und Kriegskosten von 148 Mrd. Lire die dem Volk aufgebürdet wurden. Die Kriegsfolgen und die einsetzende Wirtschaftskrise mit maßlosen Teuerungen und über einer halben Million Arbeitslosen lösten machtvolle Arbeiterkämpfe aus. Im Herbst 1920 besetzten die Arbeiter alle großen Industriebetriebe in Norditalien, wählten Fabrikräte, die die Leitung der Produktion übernahmen, die sie trotz Sabotage des technischen Personals zu 70 Prozent aufrechterhielten. Angesichts der drohenden Gefahr einer Regierung der Linken brachten die führenden Kreise des Großkapitals zur Rettung ihrer Herrschaft im Oktober 1922 Mussolini als faschistischen Diktator an die Macht.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2015

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