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MEMORIAL/136: Lucia Ottobrini - legendäre Partisanin ist in Rom verstorben (Gerhard Feldbauer)


Eine legendäre Partisanin ist in Rom verstorben

Lucia Ottobrini, Teilnehmerin am Attentat gegen eine SS-Einheit in der Via Rassella in Rom

Von Gerhard Feldbauer, 1.10.2015


Das antifaschistische Italien gedenkt einer Heldin des antifaschistischen Befreiungskampfes: Der am 26. September mit 91 Jahren verstorbenen Lucia Ottobrini, Kapitän (Hauptmann) der Partisanen "Gruppi di Azione Patriotica" (GAP) von Rom. Als am 8. September 1943 die Hitlerwehrmacht nach dem Sturz Mussolinis Nord- und Mittelitalien besetzte, ging Lucia Ottobrini mit ihrem Freund und späteren Ehemann Mario Fiorentini, einem Kommunisten und Juden, zu den Partisanen. Die noch nicht einmal zwanzigjährige bildhübche Frau nahm bereits im Oktober an bewaffneten Aktionen gegen Einheiten der deutschen Okkupanten teil, im November an einem Überfall auf den Kriegsminister der Salo-Republik Mussolinis, Marschall Graziani, der jedoch fehlschlug. Sie wurde Mitglied der römischen GAP-Gruppe, die den Namen des Gründers der PCI, Antonio Gramsci, trug. Diese Gruppen bestanden meist aus Kommunisten, die in den großen Städten blitzartige Feuerüberfälle und Sabotageakte auf Wehrmachtseinheiten und ihre Standorte verübten. Lucia Ottobrini war 1939 mit ihren Eltern aus dem Elsaß nach Italien eingewandert und sprach sehr gut Deutsch. Sie führte Kundschafteraufträge unter den Besatzern aus.

Rom wurde Anfang 1944 nach einer vom Vatikan initiierten Vereinbarung mit der deutschen Besatzungsmacht zur "offenen Stadt" erklärt. Die Wehrmacht hielt sich jedoch nicht an die Verpflichtung, ihre Truppen abzuziehen, worauf die Alliierten am 19. März einen schweren Luftangriff auf die Hauptstadt flogen, der zahlreiche Todesopfer forderte. Daraufhin beschloss der Militärausschuss des Nationalen Befreiungskomitees (CLN), den der Sozialist Sandro Pertini leitete, für den 23. März einen Überfall auf eine deutsche Militärkolonne in der Via Rasella in Rom. Er erfolgte durch die Zündung einer in einem Müllkarren versteckten Sprengladung während eine SS-einheit des Wach-Regiments Bozen die Strasse passierte. 32 SS-Leute wurden getötet, ein weiterer starb an seinen Verletzungen. Der SS-Polizeichef von Rom, Herbert Kappler ließ daraufhin am 24. Und 25. März zur Vergeltung in den Ardeatinischen Höhlen am Rande der Hauptstadt in einem barbarischen Massaker 335 Geiseln erschießen. Das jüngste Mordopfer war 15 Jahre, das älteste, von dessen Familie sieben Mitglieder umgebracht wurden, 74 Jahre. Die Opfer wurden in die Tuffsteinhöhlen hinunter getrieben und dort durch Pistolenschüsse ins Genick umgebracht. Festgelegt war, je zehn Geiseln für einen toten SS-Mann zu exekutieren. Es waren fünf zu viel zusammengetrieben worden, die trotzdem ermordet wurden.

Kappler wurde nach Kriegsende von einem italienischen Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. 1977 floh er mit Hilfe von westdeutschen Komplizen aus der Haft in die Bundesrepublik Deutschland, deren Justiz seine von Italien geforderte Auslieferung verweigerte. Rechte und faschistische Kreise in Italien versuchten nach 1945 die Teilnehmer an der Operation in der Via Rasella als Organisatoren einer illegitimen Aktion anzuklagen. Die Erste Sektion des Appellationsgerichts von Rom wies die Klage in allen Punkten zurück und stellte fest, dass es sich um eine "in voller Rechtmäßigkeit" durchgeführte "Aktion des Krieges handelte". In der Begründung, die sich auf die Kriegserklärung der nach dem Sturz des "Duce" von dem früheren Mussolini-Marschall Pietro Badoglio gebildeten Regierung an Deutschland bezog, hieß es: "Wer, wenn der Krieg erklärt ist, im Interesse der Nation handelt, erfüllt höchste Bürgerpflicht".

Lucia Ottobrini wurde als Partisanin mit der Silbermedaille für militärische Tapferkeit geehrt. Der Nationale Partisanenverband ANPI erklärte in einem Nachruf, "ihr herausragender Beitrag" zum Sieg über den deutschen und italienischen Faschismus werde "für immer im Gedächtnis und in den Herzen der Antifaschisten bewahrt werden".

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2015

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