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MEMORIAL/163: Italien - Vor 25 Jahren begannen die "Mani Pulite" genannten Korruptionsprozesse (Gerhard Feldbauer)


Vor 25 Jahren begannen unter dem Mailänder Staatsanwalt Antonio Di Pietro die "Mani Pulite" genannten Korruptionsprozesse

Silvio Berlusconi von der faschistischen Putschloge P2 würgte sie ab

von Gerhard Feldbauer, 16. Februar 2017


Am 17. Februar 1992 wurde der Funktionär der Sozialistischen Partei Italiens (ISP), Mario Chiesa, in Mailand verhaftet, als er für seine Partei sieben Millionen Dollar Bestechungsgelder entgegennehmen wollte. Es war der erste öffentliche Akt der Korruptionsermittlungen einer Gruppe der Mailänder Staatsanwaltschaft unter Leitung von Antonio Di Pietro, die ein politisches Erdbeben auslösten, das zum Zusammenbruch des nach 1945 mit der Democrazia Cristiana (DC) an der Spitze im Bündnis mit der PSI begründeten bürgerlichen Parteiensystems führte.

Die Ermittlungen erfassten etwa 6.000 Politiker, darunter ein Drittel der 945 Senatoren und Abgeordneten, ehemalige und im Amt befindliche Minister, in den Abruzzen die gesamte Regionalregierung, unzählige Bürgermeister, Stadt- und Provinzräte. Anfang 1993 saßen 1.356 Staats- und Parteifunktionäre sowie Wirtschaftsmanager in Haft. Die Beschuldigten hatten für die Vergabe von Bau- und Beschaffungsaufträgen oder auch nur für behördliche Genehmigungen von Verkehrsbetrieben, Kliniken oder Bauunternehmen Milliardensummen an Bestechungsgeldern kassiert. Manager der Staatskonzerne führten an ihre Parteiführungen, die ihnen diese Posten verschafft hatten, Tangenten (zukommender Teil, Schmiergelder) ab. Die DC und ISP hatten ihren Parteiapparat fast ausschließlich aus illegalen Einkünften finanziert. Das Turiner Einaudi-Institut errechnete jährlich zehn Milliarden Dollar gezahlte Schmiergelder, etwa das jährliche Haushaltsdefizit. Die römische La Repubblica berichtete am 19. September 1993, dass auf Schweizer Konten gelagerte Bestechungserträge sich umgerechnet auf 30 Milliarden Dollar bezifferten.

In Untersuchungshaft beging über ein Dutzend der Beschuldigten Selbstmord, darunter der Präsident des Feruzzi-Konzerns, Raul Gardini, und der frühere Chef der staatlichen Ente Nazionale Idrocarburi (ENI), Gabriele Cagliari. Beide hatten unter anderem eine 400 Millionen Dollar umfassende Betrugsaffäre eingefädelt. Der Geheimdienst Servicio Informazione e Sicurezza Democratica (SISDE) hatte Dutzende Millionen Dollar an staatlichen Geldern veruntreut. Obwohl die Mani pulite das nicht zum Gegenstand ihrer Anklagen machen konnten, kamen die Verwicklungen des Vatikans ans Licht. So hatte der frühere Präsident der Vatikanbank IOR, Erzbischof Casimir Markincus, zusammen mit Finanzhaien wie dem Mafia-Vertrauten Michele Sindona vom Ferruzzi-Konzern 75 Millionen DM an Schmiergeldern kassiert. Ein Verfahren befasst sich mit dem Bankrott der Ambrosianobank, der das Mitglied der faschistischen Putschloge Propaganda due (P2) Roberto Calvi als Präsident vorstand.

Gegen PSI-Chef Bettino Craxi liefen sechs Ermittlungsverfahren, die 41 Korruptionsfälle betrafen. Die P2, in der er Mitglied des Dreierdirektoriums war, hatte in der Schweiz unter dem Code "Protezione" ein geheimes Nummernkonto für ihn eingerichtet, über das Schmiergeldtransaktionen abwickelt wurden. Craxi selbst hatte auf dieses Konto 600 Millionen Dollar transferiert. Noch vor der Verurteilung zu insgesamt 26 Jahren Gefängnis konnte er nach Tunesien fliehen, das seine Auslieferung verweigert. Es sollte riesige Summen seiner Bestechungsgelder investiert haben. Bevor er im Januar 2000 in dem mondänen Badeort Hammamat verstarb, hatte er gegenüber dem Spiegel (Nr. 52/1999), zur Korruption befragt, bekannt: "Alle haben das getan, alle haben davon gewusst".

Im März 1993 wurde der siebenmalige Premier der DC Giulio Andreotti wegen Komplizenschaft mit der Mafia angeklagt. Während die ISP von der politischen Bühne verschwand, gelang es der im Katholizismus verwurzelten Partei dennoch, sich mit einer Neugründung als Partito Popolare (Volkspartei) über ein völliges Verschwinden hinwegzuretten und bei den Parlamentswahlen 1994 von den 29,7 Prozent 1992 elf Prozent zu retten.

Den Untergang des alten Parteiensystems nutzte Silvio Berlusconi zum Sprung an die Macht. Obwohl er selbst am tiefsten im Korruptionssumpf steckte, konnte er sich zunächst als "Saubermann" präsentieren und 1994 die Parlamentswahlen gewinnen. Erst danach wurde bekannt, dass gegen ihn noch fünf Strafverfahren liefen. Die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarino entlarvten in ihrem Buch "Silvio Berlusconi. Inchiesa sul Signor TV" (Mailand 1994), dass auch er neben Craxi im Dreierdirektorium der P2 saß und die Loge sein Medienimperium finanziert hatte. Als Premier erließ er Dekrete, die die Einstellung noch gegen ihn laufender Verfahren bewirkten bzw. die Urteile in erster und zweiter Instanz kassiert wurden, was dazu führte, dass auch rund 5.000 von Mani pulite eingeleitete Strafverfahren eingestellt wurden.

Di Pietro stieg nicht nur zum Staranwalt auf, sondern in den Augen der Öffentlichkeit geradezu zu einem "Retter der Nation" vor Chaos und Korruption. Vom Führer einer "Revolution der Richter", die das "alte Regime" stürzte, schrieben die Zeitungen. Manche verglichen ihn etwas bescheidener mit dem "guten und mutigen Sheriff, der in der unter die Gangster gefallenen Stadt aufräumte und wieder Ordnung herstellte". 25 Jahre nach dem Beginn des Vorgehens der "Sauberen Hände", hat sich wenig verändert. Die derzeitigen Ermittlungen der römischen Staatsanwaltschaft, die die Stadtverwaltung der Bürgermeisterin der Fünf Sterne-Bewegung, Virginia Raggi, in Rom der Verwicklung in Verbrechen der Mafia wie Korruption in Millionenhöhe, Bestechungsaffären oder Vetternwirtschaft beschuldigen, sind nur einer der zahlreichen Beweise dafür.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2017

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