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MEMORIAL/214: Die strategische Bedeutung des bewaffneten Aufstands in Italien im April 1945 (Gerhard Feldbauer)


Der bewaffnete Aufstand im April 1945 in Italien

Seine strategische Bedeutung

Von Gerhard Feldbauer, 21. April 2020


Auch in Italien waren im April 1945 die Tage der Besatzung der Hitlerwehrmacht und des italienischen Faschismus gezählt. Am 18. des Monats riefen die Turiner Arbeiter zum Generalstreik auf, dem sich nahezu alle noch von der Wehrmacht besetzten Städte Norditaliens anschlossen. Mit dem Generalstreik begann in Mailand, Turin, Genua, Bologna, Brescia, Padua, Udine, Venedig und zahlreichen weiteren Städten der bewaffnete Aufstand, und diese Städte wurden noch vor dem Eintreffen der alliierten Truppen befreit. Mit dem Aufstand ging es nicht nur darum, wie Pietro Secchia, der Verantwortliche für Militärfragen in der IKP-Leitung, ausführte, "die breiten Volksmassen für den Aufstand zu mobilisieren", sondern auch "die Strategie der Wehrmacht zur Zerstörung aller Betriebe und der Infrastruktur" zu verhindern. [1]

Mit dem Aufstand widersetzte sich das Nationale Befreiungskomitee für Norditalien (CLNAI) einer Forderung des alliierten Befehlshabers, US-General Mark Clark, der am 10. April angeordnet hatte, ohne seine ausdrückliche Genehmigung keinerlei Initiativen eines bewaffneten Aufstandes zu unternehmen. Zu diesem Zeitpunkt setzte die Partisanenarmee zum Angriff auf Mailand an, während die alliierten Truppen sich noch auf der Linie der deutschen Verteidigung, der sogenannten Gotenlinie zwischen Pisa und Rimini, befanden. General Clark wollte verhindern, dass die Partisanen vor dem Eintreffen der Alliierten die noch von der Wehrmacht besetzten Städte Norditaliens einnahmen. Außerdem sollten die im März begonnenen Gespräche des Leiters des OSS, Allen Dulles, mit deutschen Unterhändlern unter Leitung von SS-Obergruppenführer Karl Wolff über eine separate Kapitulation der Wehrmachtsverbände in Norditalien nicht gestört werden.

Das Oberkommando der Wehrmacht beabsichtigte in diesem Fall, die in Italien stehenden deutschen Verbände gegen die in Österreich vorrückende Rote Armee einzusetzen. Obwohl der bewaffnete Aufstand bereits mit dem Generalstreik begann, veröffentlichte die IKP den Aufruf dazu erst am 25. April, um einem Einspruch des Alliierten Kommandos vorzubeugen.

Zu Beginn des Aufstandes standen weit über eine halbe Million Partisanen unter Waffen. 256.000 Mann zählte die Partisanenarmee, von denen die IKP mit ihren Garibaldi-Brigaden 155.000 Kämpfer stellte und mit 42.000 von insgesamt 70.000 Gefallenen am Ende des Krieges auch die meisten Opfer brachte. Weitere 206.000 Partisanen waren in den örtlichen Gruppi di Azione Patriotica (GAP) organisiert. Ihnen schlossen sich während des Aufstandes Zehntausende weitere Kämpfer an. Am 25. April stießen 30.000 Partisanen zur Befreiung Mailands vor. In der Stadt hatte sich Mussolini mit den italienischen Schwarzhemden, unterstützt von starken Kräften der Wehrmacht und SS-Truppenteilen, verschanzt. Er drohte, die Stadt zum "Stalingrad Italiens" zu machen.

Während noch schwere Kämpfe tobten, tagte in der Industriemetropole die Vollversammlung des CLNAI, rief den Ausnahmezustand aus und übernahm die zivilen und militärischen Machtbefugnisse, richtete Kriegsgerichte ein und erließ Dekrete über die Organisation der Justiz und der Verwaltung. In einem Ultimatum forderte es alle italienischen Faschisten auf, bedingungslos zu kapitulieren. Die rechtliche Grundlage für das Handeln des CLNAI war das am 7. Dezember 1944 von dem britischen General Maitland Wilson als Vertreter der Alliierten und einer Abordnung des CLN unterzeichnete "Römische Protokoll", in dem das CLNAI als Organ der Regierung der nationalen Einheit anerkannt wurde. [2] Dementsprechend bildeten die Dekrete des CLNAI auch die gesetzliche Grundlage für die Urteile zur Erschießung von insgesamt 1.732 Faschisten, die der Aufforderung, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben, nicht nachkamen. Darunter fiel auch das Urteil gegen Mussolinis und seine Vollstreckung am 28. April 1945.

Die Partisanenarmee eröffnete zwischen Piemont und Venetien auf einer Breite von über 400 Kilometern ihre letzte Offensive gegen die Wehrmacht, deren Truppen in Stärke von 19 Divisionen zwischen Friaul und Karnien konzentriert waren. Die Garibaldi-Brigaden der IKP kämpften in vorderster Linie. In Genua ergab sich der Ortskommandant der Wehrmacht, General Meinhold, den Garibaldinern und ging mit 9.000 Mann in Gefangenschaft. Die Kapitulationsurkunde unterzeichnete als Vertreter des Befreiungskomitees der Arbeiter und Kommunist Remo Scappini. Am 27. April kapitulierte das X. Panzerkorps der Wehrmacht. Am 30. April nahmen Garibaldiner am Monte Grappa 33.000 deutsche Soldaten gefangen. Insgesamt ergaben sich allein im Veneto 140.000 Soldaten der Wehrmacht den Partisanen. Die Gefangenen wurden nach dem Eintreffen der alliierten Truppen diesen übergeben.

In allen Fällen hatten die Partisanenkommandeure auch hier einer Forderung General Clarks zuwider gehandelt, Wehrmachtsangehörige nicht gefangen zu nehmen, sondern in den Stellungen zu verharren und auf das Eintreffen der alliierten Truppen zu warten. Dabei sollten die deutschen Soldaten sogar ihre Waffen behalten dürfen. Mit dem Aufstand und ihrer letzten Offensive vereitelten die Partisanen die Pläne einer separaten Kapitulation. Am 29. April 1945 musste das Kommando der Wehrmacht in Italien vor dem Alliierten Kommando die bedingungslose Kapitulation unterschreiben, die am 2. Mai in Kraft trat.

Separate Kapitulation vereitelt

Angesichts der sich nun unausweichlich abzeichnenden Niederlage versuchte das faschistische Regime in Berlin zu einer separaten Kapitulation der Wehrmacht vor den anglo-amerikanischen Alliierten zu kommen, um die frei werdenden Truppen im Osten und Südosten gegen die Rote Armee einsetzen zu können. Gute Möglichkeiten dazu sah man in Italien, wo sich noch 25 Divisionen befanden. Am 8. März 1945 traf dazu eine Wehrmachtsabordnung unter Leitung des SS-Polizeichefs in Norditalien, Obergruppenführer Karl Wolff, in Zürich mit Allen Dulles, dem Chef des Office of Strategic Service - OSS (Vorläufer der 1947 gegründeten CIA) zusammen.

Wolff versicherte, "er käme nicht als Vertreter Hitlers oder Himmlers" (des Reichsführers SS). Der "Ausgang der Gespräche wurde von den Alliierten in sehr optimistischer Weise eingeschätzt". Die OSS-Beamten schätzten Wolff als "starken Mann" ein und Dulles habe ihn als eine "ausgeprägte" und "dynamische" Persönlichkeit gesehen.

Gegen die hinter dem Rücken der UdSSR aufgenommenen Verhandlungen protestierte Stalin am 7. April in einer Botschaft an US-Präsident Roosevelt entschieden und stellte klar, dass "bei jeder Verhandlung von Vertretern eines Verbündeten mit den Deutschen über Kapitulationsbedingungen die Teilnahme von Vertretern der anderen Verbündeten gewährleistet sein muss". [3] Mit dem Generalstreik, dem bewaffneten Aufstand und der Offensive der Partisanenarmee verhinderte dass CLN Norditaliens, dass die Wehrmacht die Truppen aus Italien an die Front gegen die Rote Armee in Österreich abziehen konnte.

Quelle: Bradley Smith, Elena Agarosi: Unternehmen Sonnenaufgang, Köln 1981.


Fußnoten:

[1] Secchia: I Communisti e L'Insurrezione, Rom 1973.

[2] Gaetano Grassi: Verso il Governo del Popolo. Atti e Documenti del CLNAI 1943-1946, Mailand 1977.

[3] Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945, Berlin/DDR 1961, S. 390 ff.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2020

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