Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

NEUZEIT/178: Deutschlands Weg zur Demokratie (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 1-3/2009

"Die beste aller schlechten Regierungsformen"
Lang und holprig: Deutschlands Weg zur Demokratie

Von Manfred Görtemaker


Das Jahr 2009 ist ein besonderes Jahr. Zwei Ereignisse feiern ein Jubiläum: die Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und damit die Gründung der Bundesrepublik Deutschland sowie die friedliche Revolution in der DDR 1989. Beides führte zu einer Demokratisierung der politischen Ordnung hier wie dort. Doch Deutschlands Weg hin zur Demokratie begann eigentlich schon viel früher, wenn auch zunächst erfolglos. Erste demokratische Bestrebungen gab es im 18. Jahrhundert. Noch bis 1945 sollte ein eindeutiges Bekenntnis zu den Prinzipien der freiheitlichen Demokratie fehlen. Das hat sich längst geändert. Deutschland ist heute eine gefestigte Demokratie.


*


Gemeinsam ist der Gründung der Bundesrepublik 1949 sowie der friedlichen Revolution 1989, die letztlich zur Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 führte, das Bekenntnis zu den Prinzipien einer freiheitlichen, pluralistischen Demokratie. Dieses Bekenntnis war in Deutschland bis 1945 keineswegs selbstverständlich. Zwar gab es schon früh demokratische Bestrebungen, die bis zur Aufklärung des 18. Jahrhunderts zurückreichen, zu der Immanuel Kant 1784 erklärte, sie sei "der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit". Forderungen nach einer konstitutionellen Ordnung, ja einer demokratischen Republik, die in Berlin vor allem von dem Verleger und Schriftsteller Friedrich Nicolai erhoben wurden, fanden jedoch lange Zeit nur wenige Fürsprecher. Die preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, das Wartburgfest von 1817 und das Hambacher Fest von 1832 sowie der Vormärz und die Revolution von 1848 blieben isolierte Ereignisse, die letztlich nicht zu einer grundlegenden Demokratisierung Deutschlands führten, die der Entwicklung in Westeuropa, Großbritannien und den USA vergleichbar gewesen wäre.

Der deutsche "Sonderweg" wurde noch verstärkt durch die konservative Reichsgründung unter Otto von Bismarck, dessen Erfolg nicht zuletzt auf der Spaltung der liberalen Bewegung in einen nationalkonservativen und einen linksliberalen, fortschrittlichen Flügel beruhte. Die von Bismarck konstruierte Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 und die Reichsverfassung von 1871 schufen eine politische Ordnung, die nur formal ein Parlament vorsah, in Wirklichkeit aber die absolute Macht des Monarchen nicht in Frage stellte.

Die Spaltung der liberalen Bewegung sollte sich auch im weiteren Verlauf der deutschen Geschichte als verhängnisvoll erweisen. So ging die Weimarer Republik, die 1919 nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg entstand, bereits 14 Jahre später wieder unter, weil es nicht genügend Anhänger gab, die bereit waren, die Demokratie auch in Krisenzeiten zu unterstützen. Ein starker "Führer" und ein klarer Kurs waren für viele Deutsche offenbar attraktiver als eine vermeintlich unvollkommene Demokratie, in der eine unübersichtliche Meinungsvielfalt herrschte und die von scheinbar heillos zerstrittenen Politikern regiert wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich eine pluralistische Demokratie nur im Westen durchsetzen, während in der Sowjetischen Besatzungszone in Ostdeutschland unter Führung der SED eine Diktatur nach sowjetischem Vorbild errichtet wurde, die vom Ersten Sekretär der SED, Walter Ulbricht, mit den Worten charakterisiert wurde: "Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben." Freiheitliche Grundrechte, das Prinzip der Gewaltenteilung und ein Parteienpluralismus, der Machtmissbrauch verhinderte, gab es damit nur im Westen. Auch wenn Bundeskanzler Konrad Adenauer oft vorgeworfen wurde, dass er sein Amt allzu autoritär ausübe, trug seine "Kanzlerdemokratie" doch wesentlich dazu bei, die Demokratie in der Bundesrepublik zu festigen. Adenauer gelang damit, was in der Weimarer Republik nie gelungen war: die Menschen zur Demokratie zu bekehren. Spätestens mit dem "Machtwechsel" von 1969 und der Kanzlerschaft Willy Brandts bestand die Bundesrepublik dann auch ihre demokratische Reifeprüfung, die einen friedlichen Wechsel der Machtausübung zwischen konkurrierenden Parteien und Eliten voraussetzt. Die Entstehung alternativer Bewegungen ließ nun sogar eine basisdemokratische Entwicklung im Sinne einer "grass roots democracy" erkennen.

Einen wichtigen Beitrag zur Festigung des demokratischen Bewusstseins leistete ebenfalls die Soziale Marktwirtschaft, die bewies, dass Demokratie und ökonomischer Erfolg sich nicht ausschließen müssen. Dieser ökonomische Erfolg war es auch, der in den 1980er Jahren die weit weniger leistungsfähigen kommunistischen Systeme in die Defensive drängte und der Demokratie westlicher Prägung in ganz Europa zur Durchsetzung verhalf.

Das neue Europa nach 1989 besitzt nun erstmals seit dem 18. Jahrhundert die Chance, seine Zukunft in Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung gemeinsam zu gestalten. Das bedeutet nicht, dass der Weg in diese Zukunft bereits geebnet ist. Winston Churchill hat einmal gesagt, Demokratie sei "die beste aller schlechten Regierungsformen". Er meinte damit die Schwierigkeiten, die das Regieren in Demokratien mit sich bringt. Wo Meinungsunterschiede zugelassen und offen ausgetragen werden, sind Spannungen und Konflikte unvermeidlich; wer in langen, kontroversen Diskussionen nach Lösungen sucht, ist fast immer gezwungen, Kompromisse zu schließen, die nie allen und oft niemandem gefallen. Dies ist jedoch das Wesen der Demokratie, an das manche sich noch gewöhnen müssen. Hinzu kommen die unterschiedlichen politischen Traditionen in Europa, die nicht immer auf demokratischen Erfahrungen basieren.

Der Weg zur Demokratie ist deshalb keine Einbahnstraße; Rückschläge sind möglich. Die Erinnerung an 1949 und 1989 bietet jedoch Anlass zur Zuversicht, dass der eingeschlagene Weg auch weiterhin erfolgreich verlaufen wird.


Manfred Görtemaker ist Professor für Neuere Geschichte an der Uni Potsdam.


*


Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 1-3/2009, Seite 16-17
Herausgeber:
Referat für Presse-, Öffentlichkeits- und Kulturarbeit (PÖK)
im Auftrag des Rektors der Universität Potsdam
Redaktion: Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam
Tel.: 0331/977-1675, -1474, -1496
Fax: 0331/977-1130
E-Mail: presse@uni-potsdam.de
Online-Ausgabe: www.uni-potsdam.de/portal


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2009