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NEUZEIT/215: Patrice Lumumba - Liquidierung eines Hoffnungsträgers (Alexander Bahar)


Liquidierung eines Hoffnungsträgers

Von Alexander Bahar, Januar 2011


Vor 50 Jahren starb der vielleicht radikalste und aufrichtigste Kämpfer für die Befreiung Afrikas von kolonialer Fremdherrschaft: Patrice Lumumba. Der erste frei gewählte Premierminister des Kongo wurde gemeinsam mit zwei Mitstreitern brutal ermordet. Auftragsgeber des Mordes waren die Regierungen in Brüssel und Washington.


23. Januar 1961. Belgische Polizisten sind auf dem Weg in die kongolesische Savanne. Sie haben einen scheußlichen Befehl auszuführen. Sie sollen die sterblichen Überreste des kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba und seiner Mitkämpfer exhumieren. Lumumba, Informationsminister Maurice Mpolo, und Joseph Okito, der Vizepräsident des Senats, waren erst wenige Tagen zuvor gefoltert und von Soldaten des sezessionistischen Katanga unter belgischem Kommando erschossen worden. Die Männer haben sich Tücher vor Mund und Nase gebunden und versuchen mit reichlich Whisky ihre Sinne zu betäuben. Nachdem sie die Leichen ausgegraben haben, sägen und hacken sie sie in Stücke, lösen die Teile mit Schwefelsäure auf und verbrennen schließlich die Überreste.

Mit dieser gespenstischen Szene beginnt der Film Lumumba aus dem Jahr 2001, mit dem der Regisseur Raoul Peck das Verbrechen und seine Hintergründe rekonstruiert hat. Nicht einmal ein Leichnam sollte den Anhängern der kongolesischen Unabhängigkeitsbewegung gelassen, jede physische Spur der Existenz ihres charismatischen Führers sollte ausgelöscht und das feige und ungeheuerliche Verbrechen vertuscht werden. Um das Aufkommen eines neuen Lumumba zu verhindern, mussten seine Ideen und sein Kampf gegen die koloniale Dominanz aus der kollektiven Erinnerung der Kongolesen verschwinden. Pecks Film und vor allem den hartnäckigen und unermüdlichen Recherchen des flämischen Historikers Ludo de Witte ist es zu verdanken, dass den Mördern und ihren Auftraggebern zumindest Letzteres nicht gelungen ist. In seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch De Moord Op Lumumba(1) präsentierte de Witte die Ergebnisse seiner langjährigen Recherchen. Im gleichen Jahr führten der Journalist und Dokumentarfilmer Thomas Giefer und seine Mitarbeiter für die TV-Dokumentation Mord im Kolonialstil Interviews mit mehreren ehemaligen Mitarbeitern und Offizieren der CIA und des belgischen Geheimdienstes. Darin gaben diese erstmals vor laufender Kamera zu, persönlich an der Tötung Lumumbas und seiner Begleiter so wie an der Beseitigung der sterblichen Überreste beteiligt gewesen zu sein. Das offizielle Belgien konnte nicht mehr länger den Kopf in den Sand stecken.

Der Druck auf Brüssel wuchs, nachdem François Lumumba, der Sohn von Patrice, Anklage in Belgien erhoben hatte, um die Umstände der Tötung seines Vaters genauer aufzuklären. 41 Jahre nach der Tat entschloss sich die belgische Regierung daher, eine Allparteienkommission einzuberufen, die den Mord an Patrice Lumumba untersuchen sollte. Im November 2001 gab die Kommission das Ergebnis ihrer Untersuchungen bekannt. In ihrem Schlussbericht musste sie einräumen, dass Belgien in die Ermordung des kongolesischen Führers verwickelt war und die damalige belgische Regierung Lumumbas Feinde im Kongo logistisch, finanziell und militärisch unterstützt hat. Einen Großteil der Schuld an dem Verbrechen lastet die Kommission dem belgischen König Baudouin I. (1930-1993) an. Dieser habe von den Plänen zur Tötung Lumumbas gewusst und unter Umgehung der eigentlich zuständigen politischen Instanzen seine eigene postkoloniale Politik betrieben. Ein nicht nur reichlich spätes, sondern auch mageres Schuldeingeständnis gemessen an den Ergebnissen früherer Untersuchungen, wonach die Ermordung des kongolesischen Premiers unmittelbar von den Regierungen Belgiens und der USA angeordnet worden war. Exekutiert hatten das Verbrechen der US-Auslandsgeheimdienst CIA sowie einheimische Handlanger, die von Brüssel und Washington bezahlt und "beraten" wurden. Ein Sonderausschuss des US-Senats unter Vorsitz des demokratischen Senators Frank Church veröffentlichte in den Jahren 1975 und 1976 Dokumente(2), die belegen, dass US-Präsident Dwight D. Eisenhower bereits im August 1960 der CIA den Befehl erteilt hatte, Lumumba zu "eliminieren", drei Monate nachdem der Kongo seine formale Unabhängigkeit von Belgien erhalten hatte. Nach dem Ende der Mobutu-Diktatur wollte Brüssel mit dieser Untersuchung offenbar vor allem den Weg frei machen, um sein Engagement in seiner ehemaligen Kolonie zu intensivieren und die Handelsposition des Landes gegenüber den USA, Belgiens wichtigstem wirtschaftlichem Konkurrenten in dieser Region, auszuweiten.

Inzwischen hat ein anderer Sohn Lumumbas, Guy, in Brüssel eine Klage gegen zwölf Belgier angekündigt, die 1961 in die Ermordung seines Vaters verwickelt gewesen sein sollen.(3) Die Klage richtet sich nach Angaben eines Anwalts von Lumumba gegen "Polizisten, Militärangehörige und Funktionäre". Sie laute unter anderem auf "Kriegsverbrechen".


Tradition kolonialer Unterdrückung

Patrice Lumumba wurde am 2. Juli 1925 unter dem Namen Tasumbu Tawosa in der südlichen Diamanten-Provinz Kasai als Sohn eines Bauern geboren. Die schlimmsten Auswüchse der belgischen Fremdherrschaft waren inzwischen längst Geschichte. Unter dem Terrorregime König Leopold II., der den Kongo zu seinem Privatbesitz gemacht und das riesige rohstoffreiche Gebiet ohne Rücksicht auf Verluste ausgebeutet hatte, war die Bevölkerungszahl des Kongo zwischen 1891 bis 1911 infolge von Gewalt, Zwangsarbeit und Hunger von über 20 auf 8,5 Millionen Menschen gefallen. Immer noch ist der Kongo eine Goldgrube für die Belgier, das wichtigste Exportgut ist nun nicht mehr Elfenbein oder Kautschuk, sondern Kupfer - gefördert in der mit Abstand ressourcenreichsten Provinz Katanga durch die belgische Bergbaugesellschaft "Union Minière". Der kleine Tasumbu Tawosa geht zunächst den Weg aller "Évolués", wie man die hauchdünne Schicht der kongolesischen, europäisch geprägten Intelligenz nennt; einige Jahre lang besucht er protestantische und katholische Missionsschulen. Staatliche Schulen existieren damals nicht, wie es für die einheimische Bevölkerung überhaupt an Bildungseinrichtungen mangelt. Schon früh ist Lumumba selbstbewusst - und ein begeisterter Leser, schreibt sein Biograf Leo Zeilig(4). Vermutlich mit 17 Jahren verlässt er seine Heimatprovinz, um sich in der Hauptstadt Léopoldville (heute Kinshasa) niederzulassen. Während Lumumba bei der Post und später bei einer Brauerei arbeitet, bildet er sich systematisch weiter. Er liest viel, belegt Abendkurse in Französisch und beginnt bald, für Zeitungen zu schreiben.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem allein 15.000 Kongolesen an der Seite weißer Soldaten gedient hatten, um danach doch wieder Menschen zweiter Klasse zu werden, waren die Kolonialmächte fest entschlossen, ihre afrikanischen Besitzungen zu behalten, ja nach Möglichkeit noch zu erweitern, um ihre kolonialen Verluste in Asien zu kompensieren. Die Geschäfte im Kongo florieren. Doch die Rufe nach Unabhängigkeit werden immer lauter. Wie in den anderen afrikanischen Kolonien gründen auch die Kongolesen Verbände und Parteien. Die Évolués werden zur treibenden Kraft der Unabhängigkeitsbewegung. Als Vorbild gilt vielen, darunter auch Lumumba, Ghana, das 1957 als erstes schwarzafrikanisches Land seine Unabhängigkeit erlangt. Präsident ist Kwame Nkrumah, der in den USA studiert hat und von einem vereinten Großafrika träumt. Im Dezember 1958 lädt Nkrumah zur panafrikanischen Konferenz in Ghanas Hauptstadt Accra, an der auch der charismatische Lumumba teilnimmt, der sich zunehmend als schärfster Kritiker des Kolonialsystems profiliert.

Ein Protestbrief Lumumbas an den belgischen Generalgouverneur mit der Forderung nach größerer Freiheit für die Kongolesen wird zum Gründungsdokument der "Kongolesischen Nationalbewegung" ("Mouvement National Congolais", abgekürzt MNC), die sich am 10. Oktober 1958 konstituiert hat "und bald den linksextremen und fortschrittlichsten Flügel der schwarzen Unabhängigkeitsbewegung bildete".(5) Das Gros der politischen Parteien des Kongo hingegen ist stark von ethnischem Partikularismus geprägt, der parteipolitische Zwist enorm. Bis auf die Forderung nach Unabhängigkeit verfügen sie über keine präzisen und kohärenten Programme im Hinblick auf die nachkoloniale Zukunft des riesigen Landes. Im Wesentlichen stehen sich zwei Blöcke gegenüber: jene Gruppierungen, die einem föderalistischen Kongo das Wort reden, sowie die Kräfte, die mehr oder weniger an einem zentral regierten Staat festhalten. Patrice Lumumbas MNC ist die einzige Partei, die konsequent für eine Zentralregierung und die Vereinigung des Kongo über ethnische und regionale Grenzen hinweg eintritt. Lumumba weiß, dass der Tribalismus für die kongolesische Unabhängigkeit die größte Gefahr darstellt. Die belgische Kolonialverwaltung hatte sich stets der traditionellen Stammeseinflüsse bedient, um das Land leichter beherrschen zu können; fiel indes die Klammer der weißen Herrschaft weg, so würde der Staat möglicherweise in einen Haufen rivalisierender Stämme zerbrechen. Lumumba zog daher den Schluss, nur ein straffer Einheitsstaat und eine starke Zentralregierung könnten die künftige Kongo-Republik zusammenhalten. Zu den wichtigsten Programmpunkten der MNC gehörte daher der unbarmherzige Kampf gegen die Stammestraditionen und den regionalen Separatismus und Provinzialismus. Schon bald wird Patrice Emergy Lumumba zum "überlebensgroßen Symbol des kongolesischen Einheitsstaates."(6)


Unvorbereitete Entlassung in die Unabhängigkeit

Wie viele andere Kolonialmächte in Afrika wurde auch Belgien völlig überrascht von der Forderung nach Selbständigkeit, die sich in den fünfziger Jahren über den ganzen Kontinent verbreitete und in Léopoldville im Januar 1959 zu großen, von der Eliteeinheit Force Publique blutig unterdrückten Massendemonstrationen führte. Bis dahin hat man in Brüssel noch angenommen, die Unabhängigkeit werde wohl irgendwann fällig sein, aber erst in einigen Jahrzehnten. Bis zum Spätsommer des Jahres schlug die belgische Kolonialverwaltung rigoros auch alle separatistischen Bestrebungen in den Kongo-Provinzen nieder, sowohl die der schwarzen Führer Katangas im Süden, als auch die des Separatisten "König" Kasavubu, der an der Mündung des Kongostroms einen unabhängigen Staat errichten wollte. Infolge der andauernden Unruhen wird der belgischen Regierung jedoch immer deutlicher bewusst, dass sie die Kolonie nicht halten kann. Seit dem Sommer 1959 ist Brüssel entschlossen, sich aus dem Kongogebiet zurückzuziehen, freilich auf eine Art, die das gewaltige ökonomische Imperium belgischer Staatskonzerne und Riesenfirmen unangetastet ließ. Die kolossalen westlichen Investitionen in die Mineralressourcen des riesigen Landes (Uran, Kupfer, Gold, Zinn, Kobalt, Diamanten, Mangan, Zink) legen es nahe, das Land über seine formale Unabhängigkeit hinaus unter Kontrolle zu halten. "An der Brüsseler Börse tauchte eine verführerische Parole auf: 'Wir gehen, um zu bleiben'", schrieb der Spiegel(7) 1960. Das belgische Industrie- und Rohstoffimperium war allerdings nur zu sichern, wenn es gelang, die lokalen Machthaber des Kongogebiets für Belgien zu gewinnen. Die Brüsseler Kapitalisten erkannten richtig, dass eine afrikanische Zentralregierung die Macht der belgischen Monopole nicht unbeschnitten lassen würde. Die Provinzen dagegen wären wohl kaum bereit sein, ihre Einnahmen aus belgischen Unternehmen nach Léopoldville abzuführen. Brüssel forderte deshalb, die künftige Kongo-Republik müsse möglichst föderalistisch gegliedert sein, d.h. den örtlichen Potentaten weitgehende Kompetenzen zugestehen. Der Einzige, der aus Sicht Brüssels diese Pläne, die auf den Egoismus der Provinzen bauten, durchkreuzen konnten, war Patrice Emergy Lumumba. Mit allen Kräften sollte die belgische Kolonialverwaltung in der Folge versuchen, den Aufstieg dieses Mannes zu verhindern.

Auf einer Afrikareise im März 1959 demonstrierte Kongo-Minister Maurice Van Hemelrijck, den belgischen Strategiewandel. Er holte persönlich den Separatisten-Führer Kasavubu und dessen Unterführer, die nach Revolten im Januar verhaftet worden waren, aus dem Gefängnis und schickte sie nach Belgien, wo sie auf Staatskosten Studienfahrten unternehmen durften. Ganz anders ergeht es Patrice Lumumba. Am 30. Oktober 1959 wird er als gefährlicher Aufrührer verhaftet. Im Gefängnis schlagen ihn die weißen Wärter und beschimpften ihn als "Affen".

Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Auffassungen nahmen die kongolesischen politischen Parteien am belgisch-kongolesischen "Runden Tisch", der im Januar 1960 in Brüssel zur Entlassung des Kongo in die Unabhängigkeit zusammentritt, eine einheitliche Haltung gegenüber der Kolonialmacht ein. Sie verständigen sich darauf, dass die Unabhängigkeit in den durch die Berliner Kongo-Konferenz (1884-1885) gezogenen Grenzen vollzogen werden sollte. Die Bildung einer Zweiten Kammer (Senat), besetzt mit jeweils gleich vielen Vertretern der sechs Provinzen, und die paritätische Besetzung der Zentralregierung durch die Vertreter der Provinzen stellten für die Föderalisten eine ausreichende Garantie für die erfolgversprechende Durchsetzung ihrer Interessen dar. Die Einheitsfront konnte außerdem die Teilnahme Lumumbas am "Runden Tisch" durchsetzen und das Unabhängigkeitsdatum auf den 30. Juni 1960 festsetzen. Aus dem Gefängnis geholt, gelang es ihm, die Belgier auf eine Lösung des Kongo-Problems festzulegen, die im Grunde den Intentionen Brüssels widersprach. Im belgisch-kongolesischen Freundschaftsvertrag vom Februar 1960, der Gründungsurkunde des unabhängigen Kongo-Staates, bekannte sich Brüssel zum Prinzip des Einheitsstaates.

Nichtsdestotrotz setzten die belgischen Kolonialbehörden alles daran, die Wahl Lumumbas zum ersten Ministerpräsidenten der Kongo-Republik zu hintertreiben. Während der Parlamentswahlen im Juni, an denen sich 120 - zumeist auf regionaler oder ethnischer Grundlage neu formierte Parteien beteiligten - bevorzugten sie einseitig Lumumbas Gegner - unter ihnen vor allem Kasavubu. Dennoch kann sich der von Lumumba geführte Flügel der Kongolesischen Nationalbewegung (MNC/Lumumba(8)) als stärkste Kraft durchsetzen und schließlich eine aus 21 Ministern bestehende Regierung der nationalen Einheit bilden. Vereinbarungsgemäß wählt das Parlament dann den Führer der ABAKO (Allianz der Bakongo), Kasavubu zum ersten Staatspräsidenten.


Eine folgenschwere Rede

Am 30. Juni 1960 wurden die Unabhängigkeitsfeiern in Anwesenheit von König Baudouin I. (1930-1993) von Belgien in Léopoldville hochoffiziell begangen. Mit leutseliger Geste gedachte der Monarch den Kongo in die Freiheit zu entlassen; er pries die "Errungenschaften" und die "zivilisatorischen Verdienste" der Kolonialherrschaft. Und an die Vertreter der neuen Regierung gerichtet: "Jetzt liegt es bei Ihnen, meine Herren, sich unseres Vertrauens würdig zu erweisen". Dazu konnte Patrice Lumumba nicht schweigen. In einer vom Protokoll nicht vorgesehenen, flammenden Rede widersprach er vor den versammelten Honoratioren aus dem In- und Ausland der königlichen Geschichtsauffassung und prangerte in einer Replik die Unterdrückung, Missachtung und Ausbeutung durch die belgische Kolonialverwaltung an. An König Baudouin gewandt, brandmarkte er die achtzig Jahre "erniedrigender Sklaverei, die uns mit Gewalt auferlegt wurde. [...] Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt und mussten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht gestattete, den Hunger zu vertreiben, uns zu kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder unsere Kinder als geliebte Wesen großzuziehen. [...] Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren. [...] Wir haben erlebt, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen, dass das Recht mit dem Stärkeren ist. [...] Wir werden die Massaker nicht vergessen, in denen so viele umgekommen sind, und ebensowenig die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten". Nach dem Diskurs wollte König Baudouin den Kongo sofort verlassen, doch seine Minister rieten ihm, aus Höflichkeit zum Abschlussdiner zu bleiben, wo Lumumba dann versuchte, den Monarchen mit einer Lobrede über die belgischen Verdienste außerhalb der Kolonien zu trösten.

Lumumbas Auftritt hatte die Weltöffentlichkeit aufhorchen lassen. Den Herrschenden in den westlichen Hauptstädten mussten von den Reden dieses Antiimperialisten die Ohren klingeln, machte er doch unumwunden klar, dass die politische Unabhängigkeit allein nicht ausreiche, um Afrika von seiner kolonialen Vergangenheit zu befreien; der Kontinent dürfe auch keine wirtschaftliche Kolonie Europas mehr sein. Lumumbas offene und aufrichtige Forderung nach ökonomischer Unabhängigkeit, sozialer Gerechtigkeit und politischer Selbstbestimmung und seine Feindschaft gegenüber einer auf ethnischen Spaltungen basierenden Ordnung besiegelten sein Schicksal. Belgische, britische und US-Unternehmen hatten mittlerweile riesige Summen im Kongo investiert. Lumumba, dessen Stimme weit über die Landesgrenzen hinaus auszustrahlen begann, war eine in den Augen des Westens allzu unbequeme und charismatische Figur. Seine Botschaft, so fürchteten die westlichen Regierungen, könnte ansteckend sein. Außerdem war der Premier nicht käuflich.


Ein machtloser Premierminister

Als Belgien den Kongo in die Unabhängigkeit entließt, setzte sofort ein chaotischer Kampf um die Verteilung der Früchte ein. Das riesige Territorium war notorisch unterentwickelt. Im ganzen Land gab es weniger als 30 Afrikaner mit Hochschulabschluss - bei einer Bevölkerung von über 14 Millionen. Weder einheimische Offiziere noch Ingenieure, Agronomen oder Ärzte standen bereit. Auch sonstige Schritte zur Förderung eines vom eigenen Volk regierten Kongo hatte die Kolonialregierung kaum unternommen: So waren von etwa 5.000 leitenden Angestellten im öffentlichen Dienst nur ganze drei Afrikaner. Konsequent hatten die Belgier dem Kongo Hochschulen und Universitäten versagt, jedes politische Leben unterdrückt und damit die Kongolesen bewusst von allen Formen westlicher Zivilisation abgeschnitten. Bereits auf der panafrikanischen Konferenz in Accra 1958 hatten die Häupter des afrikanischen Nationalismus, Nkrumah und Sekou Touré, Lumumba davor gewarnt, die Schwierigkeiten der nationalen Unabhängigkeit zu unterschätzen; der Kongo sei für die Selbstverwaltung noch nicht reif. Tatsächlich fehlten dem Kongogebiet alle Voraussetzungen, die etwa den Erfolg des ghanesischen Vorbilds ermöglicht hatten: eine zentralistische Einheitspartei sowie ein machtpolitischer Unterbau durch Gewerkschaften und Genossenschaften.

Aufgrund des Fehlens all dieser Voraussetzungen baute der Premier ganz auf die Kontrolle über die Elitetruppe Force publique, um die bereits kurz nach dem Start der kongolesischen Unabhängigkeit ein erbitterter Kampf zwischen Belgiern und Lumumba einsetzte. Belgien hatte sich auf das Wagnis der kongolesischen Unabhängigkeit nicht zuletzt deshalb eingelassen, weil es der Verlässlichkeit der kolonialen, von belgischen Offizieren kommandierten Streitmacht mit ihren 25.000 schwarzen Söldnern vertraute. Noch während des Léopoldviller Aufstands der Anhänger Kasavubus im Januar 1959 hatte sich die Truppe bewährt, den Aufstand brutal niedergeschlagen und dabei 200 Afrikaner getötet. Aber auch Lumumba glaubte, sich des Elitekorps als eines dringend benötigten Machtmittels bedienen zu können, was sich als verhängnisvoller Irrtum erwies.

In Wirklichkeit war die Disziplin der schwarzen Legionäre schon längst nicht mehr intakt. Die kongolesischen Soldaten wünschten befördert zu werden, sie wollten einen höheren Sold und verlangten, alle Spuren der Diskriminierung in der Force publique sollten verschwinden. Lumumba hoffte noch, durch eine allgemeine Rang- und Solderhöhung die Unruhestifter besänftigen zu können, als auch schon Nachrichten aus allen Landesteilen von Meutereien und Aufständen kündeten. Vielerorts hatten Einheiten der Force publique Häuser angezündet und Weiße überfallen. Die 105.000 weißen Siedler, Ingenieure und Verwaltungsbeamten, ohnehin über die neue Kolonialpolitik Brüssels beunruhigt und empört, verloren die Nerven und begannen in Heerscharen das Land zu verlassen. Kaum war die Meuterei ausgebrochen, da begannen sich die einzelnen Provinzen des Landes von der Zentralregierung in Léopoldville abzuwenden.

Katanga, die für die Republik lebenswichtige reiche Uran- und Kupferprovinz im Südosten des Reiches, die Schatzkammer Belgisch-Kongos, machte den Anfang. Hier bauten belgische Staatskonzerne Kupfer, Uran und andere Metalle ab: wichtige Rohstoffe für die Rüstungsindustrie und für die Produktion von Atomwaffen. Für die USA Grund genug, der Provinz eine strategisch wichtige Bedeutung in der Blockkonfrontation einzuräumen. Beherrschende Macht in Katanga war das "Comite special du Katanga" (CSK), das die Konzessionen an belgische Firmen vergab, vor allem aber an die mächtige Bergwerkgesellschaft "Union Miniere du Haut-Katanga". Die umsichtige Politik der staatskapitalistischen belgischen Unternehmen in Katanga, die ihre Herrschaft durch ein ausgefeiltes Sozialsystem gegen den afrikanischen Nationalismus abgeschirmt hatten, erleichterte es den Belgiern, in der Provinz eine separatistische Abwehrfront gegen Lumumba aufzubauen. In dem 40-jährigen Häuptlingsenkel, Millionenerben und mehrfachen Bankrotteur Moise Kapenda Tshombe, Anführer der sezessionistischen Eingeborenen-Partei Conakat, erstand den belgischen Kapitalisten ein Bundesgenosse, der entschlossen war, die Provinz, die allein 66 Prozent des kongolesischen Nationaleinkommens aufbrachte, von der Kongo-Republik abzuspalten. Während Lumumba in Tshombe einen "ferngelenkten Herold der Spaltung" sah, dessen föderalistische Politik "verschleierter Separatismus" sei, konterte Tshombe: "Die Bürger Katangas zahlen zwei Drittel der kongolesischen Steuern. Es ist nur gerecht, dass andere nicht frei über diesen Kuchen verfügen".

Hatten die Belgier Tshombes früheren Versuchen, die Provinz als selbständigen Staat zu etablieren, stets gewaltsam Einhalt geboten, gaben sie dem Häuptlingsenkel nun freie Fahrt für die selbstgewählte Unabhängigkeit. In Lumubas Gegenspieler sah Brüssel den Garanten für die westlichen Interessen. Schon zuvor hatte die belgische Regierung heimlich Gelder und Waffen an regionale sezessionistische Gruppen im Kongo geliefert, die Lumumba und seine Anhänger gewaltsam bekämpften. Ermuntert von den belgischen und britischen "Union Miniere"-Aktionären, beeilte sich Tshombe, seine Politik des "verschleierten Separatismus" in die Tat umzusetzen. Ohne sein Parlament zu fragen, rief Tshombe am 11. Juli 1959 die "Unabhängige Republik Katanga" aus, um sogleich belgische Truppen ins Land zu holen, die in wenigen Tagen die Ordnung wiederherstellten. Diese "Aggression" (so Lumumba) untermauerten die Belgier durch entsprechende diplomatische Intrigen gegen den Premier, indem sie Mitglieder der Regierung drängten, Lumumba "an der Spitze der Armee oder an der Spitze des Landes" abzulösen.

Mit dem Abfall Katangas war geschehen, was Patrice Lumumba immer befürchtet hatte: die von Brüssel forcierte Abspaltung einer Provinz vom Kongostaat. Dass ausgerechnet die reichste Provinz sich von der Republik losgelöst hatte, verschaffte Tshombe eine Stellung, gegen die der machtlose Lumumba kaum aufkommen konnte. Nur wenige Tage später konnte der Separatisten-Chef behaupten, dass sich weitere Provinzen von der Zentralgewalt lostrennen und mit Katanga zu einer Föderation vereinigen wollten. Belgiens Ministerpräsident Eyskens schickte bereits seinen stellvertretenden Kabinettschef zu Verhandlungen mit Katanga. Tshombe setzte sofort nach, unterstützt von Brüssel forderte er das Ausland auf, die Unabhängigkeit Katangas anzuerkennen, berief die Politiker und Abgeordneten der Provinz aus den Zentralbehörden in Léopoldville ab und verhaftete jeden kongolesischen Politiker, der Katangas Boden betrat - selbst Lumumbas Außenminister Bomboko, als der versuchte, zwischen Lumumba und Tshombe zu vermitteln.


Hilferuf an die UNO

In dieser drohenden Todesstunde der Kongo-Republik suchte Lumumba verzweifelt nach einem Ausweg. Scheinbar mit Erfolg appellierte er an UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, die UNO möge mittels der Entsendung von UN-Truppen "die belgische Aggression" stoppen. Offiziell unterstützte die UNO die Regierung Lumumba. Tatsächlich aber wollte man verhindern, dass Lumumba von dritter Seite Hilfe erhielt, hatte er doch damit gedroht, als ultima ratio um sowjetische Unterstützung zur Befreiung Katangas zu bitten. Dies lieferte Washington den Vorwand, sich mit der alten Kolonialmacht zusammenzutun. Die UNO intervenierte also vor allem, so erklärte der US-Botschafter im Kongo, "um den sowjetischen Bär vom kongolesischen Kaviar fernzuhalten". Das eigentliche Ziel der UN-Mission wurde denn auch schnell deutlich: Überall im Kongo wurden Blauhelme stationiert, nur nicht in Katanga. Doch damit brach die Weltorganisation geschriebenes Recht, nämlich den belgisch-kongolesischen Freundschaftsvertrag, in dem die Einheit und die Unverletzlichkeit der unabhängigen Kongo-Republik verbürgt waren. Lumumba verlangte daher, die UNO dürfe nicht auf halbem Weg stehen bleiben, sie müsse dem Völkerrecht Geltung verschaffen und die belgische Aggression beenden. Scheinbar gibt die UNO Lumumbas Drängen nach. UNO-Soldaten werden in Katanga stationiert, gegenüber den belgischen Aggressoren aber bleiben sie passiv. Brüssels Soldaten werden in der Folge in die Armee Katangas integriert: ein Schachzug, der es Lumumba unmöglich macht, die Kontrolle über die abtrünnige Provinz militärisch wiederzuerlangen. Alle Proteste Lumumbas stoßen ins Leere. Als ein vom amerikanischen und europäischen Kapital Geächteter sind seine Tage gezählt. Die westlichen Medien helfen eilfertig beim Ausmalen dieses Feindbildes. Der deutsche Spiegel nennt ihn "halb Scharlatan, halb Missionar", "ziegenbockbärtigen Neger" und "Einheits-Apostel". Andere Schmähtitel sind "tobsüchtiger Premierminister", "Poltergeist" oder "kraushaariger Messias".


Befehl zur endgültigen Eliminierung

Weniger als zwei Monate nach der Ernennung Patrice Lumumbas zum ersten demokratisch gewählten Premierminister des Kongo gab ein mit verdeckten Operationen befasster Unterausschuss des US-Sicherheitsrats, in dem auch CIA-Chef Allen Dulles saß, grünes Licht für seine Ermordung.(9) Richard Bissell, der damalige Operationsleiter des CIA, sagte später aus: "Der Präsident [Dwight D. Eisenhower] hätte es sehr viel lieber gesehen, wenn man ihn anders hätte behandeln können, ohne ihn umzubringen; aber er betrachtete Lumumba genau wie ich und wie viele andere: als armen Irren ... und er wollte, dass das Problem in Angriff genommen wird."(10) Im August 1960 schickte Dulles, für den Lumuba schlicht ein "tollwütiger Hund" war, ein Telegramm an seinen CIA-Mann in Léopoldville: "Falls Lumumba an der Macht bleibt, wird die Situation im besten Falle in ein Chaos münden und im schlechtesten Falle in der Machtergreifung der Kommunisten im Kongo. Wir haben entschieden, dass seine Entfernung das wichtigstes Ziel ist und oberste Priorität hat bei unseren geheimen Aktionen."(11) Ludo de Witte zitiert in seinem Buch ein weiteres Telegramm, ein Memorandum, das der damalige belgische Minister für afrikanische Angelegenheiten Graf Harold d'Aspremont Lynden im Oktober 1960 an belgische Vertreter im Kongo sandte. "Das Hauptziel, das im Interesse von Kongo, Katanga und Belgien zu verfolgen ist, ist fraglos die endgültige Eliminierung Lumumbas", heißt es darin. Eine unmissverständliche Handlungsanweisung, war doch Lumumba zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr an der Macht und stand unter Hausarrest.

Der ursprüngliche Plan, Lumuba zu vergiften oder durch bezahlte Killer ermorden zu lassen, wurde bald aufgegeben, da es sich als schwierig erwies, nahe genug an den Premier heranzukommen. Statt dessen wählte die CIA einen anderen Weg. Sie unterstützte die Feinde Lumumbas innerhalb der Regierungsfraktionen, im Vertrauen darauf, dass diese die Sache über kurz oder lang erledigen würden. Auf Geheiß Brüssels entließ der kongolesische Staatspräsident von Belgiens Gnaden, Joseph Kasavubu, am 5. September 1960 den Premierminister Lumumba - gegen die Verfassung und unter dem Schutz der UNO. Lumumbas ehemaliger Kampfgefährte, der junge Joseph De'siré Mobutu, damals Stabschef in der Armee und Ex-Unteroffizier der alten kolonialen Force Publique, übernahm das Kommando über die Streitkräfte.

In den folgenden Tagen überstürzen sich die Ereignisse. Nicht nur in Senat und Parlament erhält der Premier überwältigenden Zuspruch, auch die Bevölkerung protestiert vehement gegen die Absetzung Lumumbas. Der belgische Außenminister schreibt an seine Mitarbeiter: "Die eingesetzten kongolesischen Autoritäten haben die Pflicht, Lumumba unschädlich zu machen."(12) Als sich der Erfolg nicht einstellen will, drängen die Westmächte Armeechef Mobutu zu einem Staatsstreich. Sie haben Mobutu als ihren Mann ausgemacht. "Während Lumumbas Ermordung geplant wurde, erhielt er Gelder vom dortigen CIA-Mann und von westlichen Militärattaches", schreibt Adam Hochschild.(13)


Abgesetzt und verhaftet unter dem Schutz der UNO

Am 14. September 1960 übernimmt das Militär die Macht. Das Parlament wird aufgelöst. Unter dem Vorwand, "Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen, schließt die UNO Radiosender und Flughäfen. Die USA und Belgien stellen eine Million Dollar zur Verfügung, um die Soldaten auf Mobutus Seite zu ziehen. Mit Erfolg: zwei Wochen nach dem Putsch umstellen Soldaten die Residenz Lumumbas, sekundiert von Blauhelmen der UNO. Lumuba ist gefangen. Der Westen ist erleichtert. Doch in einer regnerischen Nacht gelingt dem Premier, in einem Auto versteckt, die Flucht. Die Kongolesen sind begeistert. In New York, Washington und Brüssel ist man entsetzt. Aber schon nach drei Tagen nehmen Mobutus Soldaten Lumumba gefangen. Sie schaffen ihn und seine politischen Gefährten Okito und Mpolo mit dem Flugzeug zurück in die Hauptstadt. Man bringt sie nach Thysville, in eine Elitegarnison Mobutus. Eine Flucht ist unmöglich. Der Westen wähnt seine Interessen gewahrt. Um die Jahreswende 1960/61 jedoch leiten die Lumumba-Anhänger eine militärische Offensive im Osten des Kongo ein. In kurzer Zeit erobern sie die Hälfte des Landes. Außerdem gelingt es ihnen, einen Teil der Elitesoldaten auf ihre Seite zu ziehen. Nach einer Meuterei befiehlt der belgische Minister für afrikanische Angelegenheiten, D'Aspremont Lynden, am 16. Januar 1961 Lumumbas Deportation nach Katanga. Am 17. Januar 1961 werden Maurice Mpolo, Joseph Okito und Patrice Lumumba in einer DC4 der belgischen Fluggesellschaft SABENA von einer belgischen Crew in die Hauptstadt Katangas, Elisabethville, geflogen. Mobutu-Soldaten bewachen die Gefesselten. Augen, Ohren und Münder hat man ihnen zugeklebt. Während des mehrstündigen Fluges werden sie mit Füßen getreten und brutal gefoltert.

Als sie in Katanga eintreffen, sind alle führenden Politiker anwesend: Tschombes "Regierung" und das belgische Schattenkabinett aus belgischen Offizieren und Verwaltungsbeamten. In Anwesenheit der Belgier werden Lumumba und seine Gefährten in eine improvisierte Gefängniszelle gesteckt. Wieder werden die drei von Soldaten gefoltert und von belgischen Offizieren geschlagen. In geheimen Treffen stimmen die Vertreter Belgiens überein, dass sie nicht intervenieren werden. Noch am selben Abend werden Patrice Lumumba, Joseph Okito und Maurice Mpolo gefesselt auf der Ladefläche eines Jeeps in die Savanne gefahren. Drei Exekutionskommandos stehen bereit. Für jeden Gefangenen eines.

Obwohl Tshombe nach dem Mord an Lumumba Premierminister des Kongo wurde, hatte seine Herrschaft nicht lange Bestand. Im Jahre 1965 putschte sich Armeechef Joseph Mobutu mit Unterstützung der USA an die Macht. Mobutu blieb die folgenden 32 Jahre lang Diktator und wurde berühmt für die Korruption und Habgier seines Regimes. Diese "Kleptokratie" wurde zum engsten Verbündeten der USA auf dem Kontinent und diente ihnen als Operationsbasis für ihre Interventionen gegen Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika. Mit US-Militärhilfe konnte Mobutu mehrere Umsturzversuche niederschlagen. Manche seiner politischen Gegner ließ er foltern und ermorden; andere holte er in seine Regierung; wieder andere trieb er ins Exil. In den drei Jahrzehnten seiner Herrschaft gewährten die USA ihm wohl mehr als eine Milliarde Dollar an ziviler und militärischer Hilfe; europäische Länder - allen voran Frankreich - gaben noch mehr. Zum Dank für diese Investitionen bekamen die USA und ihre Verbündeten ein Regime, das sich als zuverlässige Bastion gegen den Kommunismus und als sichere Basis für CIA- und französische Militäroperationen bewährte; seinem Land aber brachte der Mann mit der Leopardenmütze kaum etwas außer 1971 einen Namenswechsel in Zaire. In den staatseigenen Medien wurde Mobutu wahlweise als Führer, Vater der Nation, Großer Steuermann und Messias bezeichnet. Mit Zustimmung des Westens floss der Reichtum des Landes hauptsächlich in die Taschen des "Messias" und der ausländischen Minengesellschaften. Mobutu und seine Umgebung bedienten sich so hemmungslos aus der Staatskasse, dass die Regierung in Kinshasa nicht mehr arbeiten konnte und die Infrastruktur zusehends zerfiel. Die staatlichen Gelder für Schulen und Krankenhäuser schrumpften zu fast nichts zusammen. Mit dem Ende des Kalten Krieges hatte auch das hochverschuldete Regime des Mobutu Sese Seko seinen Nutzen für die USA verloren. Als Mobutu 1997 gestürzt wurde, war er einer der reichsten Männer der Welt; sein persönliches Vermögen wurde auf bis zu vier Milliarden Dollar geschätzt.

Infolge seiner brutalen Ermordung wurde Patrice Emergy Lumumba zum Märtyrer und zu einer Symbolfigur des Kampfs gegen die imperialistische Aggression in Afrika, gegen Fremdherrschaft und (post-)koloniale Ausbeutung. "Seit Lumumba tot ist, hört er auf, eine Person zu sein. Er wird zu ganz Afrika", verkündete Jean Paul Sartre. Selbst der Verräter Mobutu zollte dem ehemaligen charismatischen Führer Tribut. Doch der Verehrung Lumubas haftet ein schaler Beigeschmack an. Sie hat etwa Ikonenhaftes, Unehrliches. Diejenigen, die vorgaben, ihm nachzueifern - von Nyere über Nkrumah zu Kenyatta -, standen korrupten Regimes vor, die den Weg ebneten für Militärdiktaturen und Polizeistaaten im Dienste internationaler Kapitalinteressen. Das Schicksal Lumumbas war beispielhaft für den politischen Prozess im gesamten Afrika südlich der Sahara. Die nationalistischen Eliten, die im Zuge der Entkolonialisierung an die Macht kamen, akzeptierten bereitwillig das ihnen von den Kolonialherren angebotene Erbe und übernahmen die von den europäischen Mächten im Zuge ihrer Eroberung Afrikas geschaffenen staatlichen Institutionen und Grenzen. Die formale staatliche Unabhängigkeit bildete in der Regel nur einen Deckmantel für deren fortgesetzte Dominanz über die ehemaligen Kolonien, während korrupte Cliquen den Staat als Selbstbedienungsladen benutzten - zu Lasten jedes gesellschaftlichen Fortschritts.

Der Kongo steht heute exemplarisch für den antidemokratischen Charakter der nationalen Eliten. Mobutus Nachfolger Laurent Kabila wurde ermordet und durch seinen Sohn Joseph ersetzt, der sich westlichen Kapitalinteressen noch bereitwilliger fügt. Im Verlauf des mehrjährigen Bürgerkriegs, in den auch die Armeen benachbarter Regimes - Ruanda und Uganda auf der einen, Zimbabwe auf der anderen Seite - eingriffen, starben rund vier Millionen Kongolesen, überwiegend Frauen und Kinder - zumeist infolge Hungers und Seuchen. Entgegen ihren Behauptungen, mit ihrem Eingreifen die regionale Sicherheit zu garantieren, hatten die drei Länder die historische Rolle der früheren Kolonialmächte übernommen und sich illegal an den Ressourcen des Landes bereichert.

Demokratische Freiheiten, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Fortschritt sind weitgehend auf der Strecke geblieben. Über diese Tatsache vermögen auch vermeintlich "freie Wahlen" unter dem "Schutz" der UNO nicht hinwegzutäuschen. In einer Zeit, in der die Probleme Afrikas drängender und lastender sind denn je, der ökonomische Ausverkauf und die ökologische Zerstörung des schwarzen Kontinents weitestgehend fortgeschritten, und die Retribalisierung und der ethnische Partikularismus fröhliche Urständ' feiern, könnte eine ehrliche Rückbesinnung auf die Ideen und Leistungen Patrice Lumumbas - als Vorkämpfer der Einheit des Kongo und damit letztlich der arbeitenden Bevölkerung ganz Afrikas - einen dringend benötigten Bewusstseinswandel einleiten.


Anmerkungen:

(1) nach Ludo de Witte, "L'Assassinat de Lumumba",(deutsch: Regierungsauftrag Mord: Der Tod Lumumbas und die Kongo-Krise 2001, Leipzig 2001).

(2) Am 20. November 1957 legte die Church-Kommission ihren entscheidenden Bericht vor: "Alleged Assassination Plots Involving Foreign Leaders: An Interim Report of the Select Committee to Study Governmental Operations With Respect to Intelligence Activities".

(3) "Lumumba-Mord: Sohn kündigt Klage gegen zwölf Belgier an", Der Standard online,
http://derstandard.at/1276413666858/DR-Kongo-Lumumba-Mord-Sohn-kuendigt-Klage-gegen-zwoelf-Belgier-an, 09.01.2011.

(4) "Patrice Lumumba - Africa's Lost Leader" (Life & Times), 2008

(5) "Der heiße Ziegelstein", Der Spiegel, Nr. 32/1960.

(6) Ebenda.

(7) Ebenda.

(8) Noch vor der Unabhängigkeit des Kongo hatte sich die MNC in einen fortschrittlichen Flügel unter Führung von Lumumba und in einen gemäßigten Flügel unter Führung von Kalondji (MNC/Kalondji) gespalten.

(9) Seen Kelly, America's Tyrant: The CIA and Mobutu of Zaire, Washington, D.C., 1993, S. 57-60. Kellys sorgfältige Arbeit basiert auf Interviews und Dokumenten und stützt sich insbesondere auf den entsheidenden Bericht der Church-Kommission.

(10) John Ranelagh, The Agency: The Rise and Decline of the CIA, New York 1986, S. 342; zit. nach Kelly, S. 59.

(11) Zit. nach Ludo de Witte, "L'Assassinat de Lumumba",(deutsch: Regierungsauftrag Mord: Der Tod Lumumbas und die Kongo-Krise 2001, Leipzig 2001).

(12) Zit. nach Ludo de Witte, "L'Assassinat de Lumumba".

(13) Adam Hochschild, Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz, Monika Noll und Rolf Schubert, Klett-Cotta, Stuttgart 2000, S. 424, Anm. 21.


Eine gekürzte Fassung dieses Artikels ist am 17.1.2011 in der Tageszeitung junge Welt erschienen:
http://www.jungewelt.de/2011/01-17/021.php


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Quelle:
© 2011 Dr. Alexander Bahar, Historiker und Publizist
mit freundlicher Genehmigung des Autors
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Internet: www.history-press.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2011