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NEUZEIT/218: Im Osten standen Bodenreform und Kollektivierung in einem Zusammenhang (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 335 - Juli/August 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Im Osten standen Bodenreform und Kollektivierung in einem Zusammenhang
Zum Beitrag von Onno Poppinga in der Unabhängigen Bauernstimme 06/2010, S. 18-19

Von Michael Beleites


Onno Poppinga hat Recht. Für Bodenreformen gab es gute Gründe. Schließlich waren Bodenreformen oft auch ein Mittel, um vorher unterdrückter bäuerlicher Landwirtschaft neue Chancen zu geben. Vielleicht wird es ja auch künftig mal eine Bodenreform geben, um für eine Revitalisierung bäuerlicher Landwirtschaft in Ostdeutschland die Voraussetzungen zu schaffen.

Aber im Blick auf die kommunistische Geschichte, deren Bestandteil auch die ostdeutsche Geschichte von 1945 bis 1989 ist, gab es wahrlich keine guten Gründe für die Willkürakte, die dort als "Bodenreform" bezeichnet wurden. Denn sie dienten von Vornherein der Zerschlagung des gesamten Bauernstandes. Bei allen Parallelen, die die Agrarstruktur der Nachkriegszeit in West und Ost aufwies: Man kommt zu völlig falschen Erkenntnissen, wenn man die Entwicklungen in Ostdeutschland analysiert, ohne dabei die Ziele der kommunistischen Machthaber offenzulegen. Und die kommunistische Klassen-Ideologie war von Anfang an darauf aus, den Bauernstand auszurotten. Es ging darum, die gesamte Landbevölkerung zu proletarisieren und aus den freien Bauern abhängige Landarbeiter zu machen.

Hierzu ein Beispiel aus Sachsen. Der in der Nachkriegszeit für die Umsetzung der Bodenreform zuständige Ministerialrat im Landwirtschaftsministerium, Wilhelm Grothaus, hatte den sächsischen Innenminister Kurt Fischer gefragt: "Wie soll denn in diesen kleinen Gehöften ein Bauer überhaupt existieren können?" Fischer habe geantwortet: "Das sollen ja auch keine Bauerngehöfte werden, das sollen Landarbeiterwohnungen werden. Wenn die ganze Enteignung - die kommt in der nächsten Zeit - durchgeführt ist, dann brauchen wir keine Neubauerngehöfte, dann müssen wir Landarbeiterwohnungen haben. Das werden alles Landarbeiterwohnungen." Auf den Einwand von Grothaus, dass die Neubauern das Land doch als vererbbares Eigentum erhalten hätten, habe Fischer reagiert: "Ist gar nicht beabsichtigt. Das ist nur für den Augenblick, um die übrigen Parteien dafür zu interessieren, um zunächst die Flüchtlinge unterzubringen". Für Grothaus, der nach seiner Flucht in die Bundesrepublik 1966 vom WDR interviewt wurde, stand damit fest: "diese ganze Bodenreform war aufgelegter Schwindel, vom ersten Tag an."

Jens Schöne zeigt in seinem Buch "Das sozialistische Dorf. Bodenreform und Kollektivierung in der Sowjetzone und DDR" von 2008 sehr anschaulich, dass Bodenreform und Kollektivierung zusammengehörten und zwei Teile eines Plans waren. Dieser Plan sah nichts anderes vor, als die komplette Liquidierung der selbstständigen Bauern als Klasse. Nach der Ideologie von Marx galten die Bauern als eine zu bekämpfende Klasse, weil sie im Gegensatz zum Proletariat Besitzer ihrer "Produktionsmittel" und oft auch des von ihnen bewirtschafteten Bodens waren. Die Leninsche Strategie zur Umsetzung der marxistischen Klassenideologie bestand aus einem Zweischritt: zuerst Enteignung und Vertreibung der Groß- und Mittelbauern zugunsten von Kleinbauern und dann die Kollektivierung, d. h. die faktische Enteignung des gesamten Bauernstandes mit dem Ziel seiner Proletarisierung und der hierfür erforderlichen Konzentration und Industrialisierung der gesamten Landwirtschaft.

In der Sowjetunion wurden beide Teile dieses Plans mit einer unglaublichen Brutalität umgesetzt und jeweils mit einem systematischen Raub des Erntegutes verbunden. Die erste Welle des sowjetischen Kampfes gegen die Bauern von 1918 bis 1921 führte zu einer Verwüstung der Dörfer und zu einem Zusammenbruch der Bauernhaushalte. An ihrem Ende stand die Hungersnot von 1921/22, deren Opferzahl Alexander Jakowlew in seinem Buch "Ein Jahrhundert der Gewalt in Sowjetrussland" mit fünf Millionen beziffert. Die zweite Welle der Vernichtung des Bauerntums, die eigentliche Zwangskollektivierung, die von 1929 bis 1932 andauerte und mit der Deportation von über zwei Millionen Bauern einherging, mündete in die Hungersnot von 1932/33. Ihr fielen wiederum mehr als fünf Millionen Menschen zum Opfer, so Jakowlew 2004. Auch im kommunistischen China erfolgte die Vernichtung des Bauernstandes in zwei Teilschritten: Der Bodenreform von 1949 bis 1952 fielen ca. zwei Millionen Menschen zum Opfer. Bei der in China 1958 begonnenen Zwangskollektivierung wurden die Dörfer systematisch zerstört und in "Volkskommunen" umgewandelt. Die chinesische Zwangskollektivierung war zentraler Bestandteil der Politik des "großen Sprungs nach vorn" von 1958 bis 1961, die zu einer Katastrophe führte, die Jean-Louis Margolin im "Schwarzbuch des Kommunismus" als die "größte Hungersnot aller Zeiten" bezeichnete. Ihr fielen (je nach Quelle) 20 bis 43 Millionen Menschen zum Opfer.

Bis heute wird kaum zur Kenntnis genommen, dass sowohl in der Sowjetunion als auch in China die mit Abstand größte Opfergruppe des Kommunismus dem Vernichtungsfeldzug gegen die Bauern zuzurechnen ist. "Die Bolschewiki haben zweifellos einen Krieg gegen das Dorf geführt, der zugleich ein Krieg der Stadt gegen das Land war", so der Historiker Manfred Hildermeier. Es ist noch immer kaum fassbar, wieso die kommunistischen Systeme mit einer derartigen Konsequenz eine Beseitigung des Bauernstandes anstrebten - zumal, wenn sie sich, wie im Falle der DDR, zynisch als "Arbeiter- und Bauernmacht" bezeichneten. Auch wenn in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR der Kampf gegen die Bauern nicht mit systematischen Erschießungen und Massendeportationen einherging - Bodenreform und Kollektivierung wurden in Ostdeutschland nach der gleichen Strategie, nach demselben Fahrplan umgesetzt, wie dort. Hier wie dort ging es um die ideologisch begründete Absicht, eine als "Klasse" definierte soziale Gruppe vollständig auszulöschen.

Der Schriftsteller Lew Kopelew schrieb in seinem Buch "Und schuf mir einen Götzen" (1979): "Wir glaubten es bedingungslos. Glaubten daß die Beschleunigung der Kollektivierung notwendig sei [...], daß wir die potentiellen Bourgeois und Kulaken in bewußte Werktätige zu verwandeln hätten, um sie zu befreien vom 'Idiotismus' des dörflichen Lebens, von Unwissenheit und Vorurteilen, um ihnen Kultur und alle Güter des Sozialismus zu bringen. [...] Allein in den Jahren 1932 bis 34 starben zweieinhalb Millionen unterernährter Neugeborener. [...] Meine Beteiligung an dieser verhängnisvollen Getreideablieferungskampagne ist unentschuldbar und unverzeihlich. Von einer solchen Sünde betet man sich durch nichts frei. Nie kann man sie abbüßen. Man kann nur versuchen, ehrlich mit ihr zu leben. Für mich heißt dies: nichts zu vergessen, nichts zu verschweigen und mich zu bemühen, davon soviel Wahrheit wie möglich zu berichten, so genau wie möglich." Doch wie sieht es im Osten Deutschlands aus, wo die Verbrechen vergleichsweise gering waren? Gibt es hier nennenswerte Bestrebungen einer offensiven Aufarbeitung der kommunistischen Agrargeschichte, ein Bemühen der in unterschiedlichster Weise Beteiligten, "soviel Wahrheit wie möglich zu berichten"? Bisher kaum.

Die Industrialisierung der DDR-Landwirtschaft seit Beginn der 1970er Jahre folgte denselben ideologischen Vorgaben wie Bodenreform und Kollektivierung. Sie war die dritte Stufe der kommunistischen Klassenkampf-Politik gegen die Bauern, denn auch sie diente der Proletarisierung der Bauern. Mit der flächendeckenden Zerschlagung der selbstständigen Bauernwirtschaften war die Basis von nahezu allem vernichtet, was die gewachsenen Strukturen im ländlichen Raum - und damit die Identität der Menschen mit ihrer Heimat - geprägt hatte. Mit der Entfremdung der Menschen vom Grund und Boden war schließlich auch die Grundlage für eine nachhaltige und verantwortungsvolle Landbewirtschaftung zerstört, die ja immer auch aus einem erfahrungsgestützten Zusammenspiel mit der Natur besteht.

Da es in der DDR keine Aussicht auf eine Existenz als selbstständiger Landwirt mehr gab, ergriffen die meisten Bauernsöhne und -töchter nichtlandwirtschaftliche Berufe. Nach der Wende von 1989/90 gab es in Ostdeutschland außer den LPG-Funktionären kaum noch jemanden, der in der Lage war, ein landwirtschaftliches Unternehmen selbstständig zu führen. Insoweit ist es zu einfach, wenn man, wie Onno Poppinga, über diese Situation nur schreibt, "wer Land hatte, wollte es nicht" - und dies allein auf die widrigen Bedingungen für Landwirte in der Bundesrepublik zurückführt. Im Wesentlichen lag es an der östlichen Vorgeschichte, dass nur wenige Ostdeutsche den Schritt wagten, als Wiedereinrichter oder Neueinrichter, an die bäuerliche Familientradition wieder anzuknüpfen oder eine neue zu begründen.

Noch schlimmer ist es allerdings, dass bis heute die Wieder- und Neueinrichter in Ostdeutschland allen Grund dazu haben, über eine systematische Benachteiligung gegenüber den LPG-Nachfolgebetrieben zu klagen. Infolge der flächenbezogenen EU-Agrarsubventionen sind Großbetriebe generell bessergestellt. Zudem führen die flächenbezogenen Subventionen in Verbindung mit langfristigen (auch bei Eigenbedarf nicht kündbaren) Pachtverträgen zu einer faktischen Bodensperre. Somit sind neue landwirtschaftliche Unternehmensgründungen seit fast 20 Jahren blockiert. Daher konnte es im Osten seit etwa 1992 auch zu keinem allmählichen Anstieg des Anteils bäuerlicher Landwirtschaft mehr kommen. Bezogen auf die ostdeutsche Situation kann man durchaus von diktaturbedingten Subventionsvorteilen für die LPG-Nachfolgeunternehmen sprechen, die zu einer Zementierung der von den Kommunisten herbeigeführten Agrarstruktur beitragen. Mag es nun an Befangenheiten oder an Desinteresse liegen; das vielstimmige Beschweigen dieses Themas durch die ostdeutsche Regionalpresse und Landespolitik erinnert fatal an die gleichgeschaltete Presselandschaft und die Tabuisierung brisanter Themen in der DDR.

Natürlich darf man auch die ostdeutsche Agrargeschichte nicht isoliert von der Geschichte im Westen betrachten. Es ist eine Tatsache, dass unter der ökonomischen Formel vom "Wachsen oder Weichen" seit den 1960er Jahren auch in der Bundesrepublik ein Trend zu Konzentration und Industrialisierung der Landwirtschaft eingesetzt hat, in dessen Folge mehr als eine Million bäuerliche Betriebe aufgaben und ca. vier Millionen landwirtschaftliche Arbeitsplätze verloren gingen, so Klaus Kemper (2010). Ich halte es aber für fatal, wenn man nun allerorten die westlichen Fehlentwicklungen dafür hernimmt, um die kommunistischen Diktaturverbrechen im Osten zu bagatellisieren und deren Folgen zu rechtfertigen!


Michael Beleites, Sächsischer Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR


Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Vorangegangene Texte zu diesem Thema sind zu finden unter:

www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Wirtschaft:
AGRAR/1423: Keine Chancengleichheit bei der staatlichen Landvergabe in Ostdeutschland (UBS)

www.schattenblick.de -> Infopool -> Geisteswissenschaften -> Geschichte:
NEUZEIT/216: Bodenreform und Zwangskollektivierung in Ostdeutschland (UBS)

www.schattenblick.de -> Infopool -> Geisteswissenschaften -> Geschichte:
NEUZEIT/208: Zwangskollektivierung und bäuerlicher Widerstand in der DDR (UBS)

www.schattenblick.de -> Infopool -> Geisteswissenschaften -> Geschichte:
NEUZEIT/217: Für Bodenreformen gab es gute Gründe (UBS)

www.schattenblick.de -> Infopool -> Europool -> Recht:
MELDUNG/007: Menschenrechtsgerichtshof beackert ostdeutsche Felder (UBS)


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 335 - Juli/August 2010, S. 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2011