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ZWEITER WELTKRIEG/020: 8. September 1943 - Achsenmacht gibt auf (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 6. September 2008

Achsenmacht gibt auf

Nach dem Sturz Mussolinis trat vor 65 Jahren zwischen
Italien und den Alliierten ein Waffenstillstand in Kraft

Von Gerhard Feldbauer


Am 8. September 1943 um 16.30 Uhr wurde über Radio »New York« der zwischen Italien und den USA geschlossene Waffenstillstand bekanntgegeben. Unmittelbar danach begann die Hitlerwehrmacht mit der Okkupation Nord- und Mittelitaliens.

Nach dem Sturz Mussolinis am 25./26. Juli 1943 (siehe junge Welt vom 19./20.7.2008) hatte der neue Regierungschef, Marschall Pietro Badoglio, zunächst erklärt, daß »der Krieg fortgesetzt« werde. Daß geschah jedoch nur, um die Deutschen zu beruhigen. Während der italienische Generalstabschef, General Mario Roatta, dem deutschen Befehlshaber in Italien, Feldmarschall Erwin Rommel, noch am 15. August der »Treue Italiens zu Deutschland« versicherte, befand sich der mit den Waffenstillstandsverhandlungen beauftragte General Giuseppe Castellano bereits auf dem Weg nach Lissabon, wo er am 19. August in der britischen Botschaft mit US-General Walter Bedell Smith zusammentraf. Dieser übergab ihm im Auftrag des anglo-amerikanischen Oberkommandierenden im Mittelmeerraum, General Dwight D. Eisenhower, einen bereits ausgearbeiteten Text des Abkommens. Als Bedingung war darin die »italienische Zusammenarbeit mit den Alliierten im Kampf gegen die Deutschen« festgelegt.

Nach geheimen Verhandlungen wurde der Waffenstillstand am 3. September in Casibile auf Sizilien unterzeichnet, zunächst aber nicht publik gemacht. Die Bekanntgabe am 8. September erfolgte gegen den Einspruch von General Castellano, der gebeten hatte, damit noch einige Tage zu warten, um die italienische Armee besser auf die Situation vorbereiten zu können.


Aufbau einer Abwehrfront

Mit dem Waffenstillstand brach Italien mit der faschistischen Achse. Ihm folgte am 13. Oktober die Kriegserklärung an Hitlerdeutschland, mit der das Land auf die Seite der Antihitlerkoalition übertrat. Es war ein Vorgang, der im angloamerikanischen Einflußbereich ohnegleichen in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges blieb. Die Hauptkräfte des italienischen Imperialismus schieden aus dem Krieg aus. Das waren im militärischen Bereich 3,5 Millionen Soldaten. Damit wurde das Kräfteverhältnis im Mittelmeerraum erheblich zugunsten der Antihitlerkoalition verändert und den angloamerikanischen Verbänden, die in der Nacht zum 9. September bei Salerno und Taranto landeten, die Möglichkeit eines raschen Vorrückens eröffnet.

Der deutsche Generalstab hatte den italienischen Beteuerungen nicht geglaubt und nach dem Sturz Mussolinis unverzüglich mit der Vorbereitung der Besetzung begonnen. 30 Heeresdivisionen wurden eingesetzt, die italienischen Truppen zu entwaffnen. Zunächst gab es, wie Goebbels in seinem Tagebuch festhielt, die Absicht, Norditalien dem »großdeutschen Reich« einzuverleiben und die Reichsgrenze bis nach Venetien vorzuschieben. Hitler »begnügte« sich dann mit der Okkupation, um dem im Oktober unter Mussolini als Repùbblica Sociale Italiano (RSI) installierten Marionettenregime den Anschein einer Fortexistenz des Bündnisses zu geben. Am 12. September gelang es einem Kommandounternehmen unter Sturmbannführer Otto Skorzeny, den gefangengehaltenen Mussolini vom Gran Sasso zu holen und nach Deutschland zu bringen.

Noch am 9. September konstituierte sich ein Nationales Befreiungskomitee der antifaschistischen Parteien, das zum bewaffneten Widerstand gegen die Hitlerokkupanten und ihre italienischen Vasallen aufrief. Danach entstanden erste Partisaneneinheiten. Starken Widerhall fand der Appell unter Soldaten und Offizieren der Streitkräfte, was die Hitlerwehrmacht völlig überraschte, denn die Italiener galten als »keine echten Soldaten« (Hitler) und »kein Kriegsvolk« (Rommel). Etwa 200000 Mann, darunter Teile einer Armee und über zehn Divisionen, leisteten ihrer Entwaffnung in Italien sowie auf dem Balkan und auf Korsika zum Teil über zwei Monate erbitterten Widerstand.

Diese Gegenwehr erfolgte durchweg auf Initiative der zuständigen Kommandeure, denn der König als Oberbefehlshaber und die Regierung Badoglio flohen am 9. September aus Rom zu den Alliierten in Süditalien und überließen die Armee ohne klare Befehle ihrem Schicksal. Viele italienische Kommandeure rechneten mit der Unterstützung der Angloamerikaner, da Eisenhower General Castellano den Einsatz einer Luftlandedivision bei Rom zugesagt hatte. Im Vertrauen darauf eröffneten im Gebiet der Hauptstadt vier Divisionen die Kampfhandlungen gegen die Hitlerwehrmacht. Ihr Korpskommandeur, General Giacomo Carboni, folgte einem Vorschlag des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Luigi Longo, und ließ Waffen an Freiwillige ausgeben, die zusammen mit der Division Granatieri bereits am 8. September an der Porta San Paolo im Stadtzentrum ins Gefecht zogen. Carboni wartete jedoch vergebens auf die zugesagte Luftlandeoperation. General Eisenhower brach sein Wort, das er bei der Bekanntgabe des Waffenstillstands gegeben hatte: »Alle Italiener, die dazu beitragen, den deutschen Angreifer vom italienischen Boden zu vertreiben, werden die Hilfe der Vereinten Nationen (damals die Alliierten) erhalten.« Angesichts der Übermacht der deutschen Truppen stellten die Italiener bei Rom den Kampf nach vier Tagen ein.


KP-Einfluß verhindern

Mit einer Landung bei Rom hätten sich die Alliierten eine Operationsbasis für ein rasches Vordringen schaffen können. Ihren Truppen, wäre es möglich gewesen, ihre Operationen mit denen der Partisanenarmee Titos zu koordinieren und quer durch die Tschechoslowakei nach Deutschland vorzudringen. Die Alliierten hätten so bedeutend früher als nach der Landung in der Normandie Anfang Juni 1944 deutsches Territorium erreichen können.

Die Haltung der Alliierten bezweckte, daß die Sowjetunion sich in der gewaltigen militärischen Auseinandersetzung mit Deutschland weiter ausbluten, Italien als Mittelmeermacht ausgeschaltet und ein abhängiger Staat werden sollte. Schließlich ging es darum zu verhindern, daß die italienischen Kommunisten und Sozialisten Einfluß auf die Streitkräfte erhielten, so wie später versucht wurde, die Operationen der von ihnen dominierten kampfstarken Partisanenverbände zu behindern und auch regelrecht zu sabotieren.

Die Untätigkeit Eisenhowers ermöglichte der Hitlerwehrmacht, nach der Besetzung nahezu ungestört südlich von Rom durch das Apenninengebirge mit der strategisch bedeutsamen Stellung auf dem 519 Meter hohen Monte Cassino eine Abwehrfront aufzubauen, die dann alliierte Truppen monatelang unter schweren Verlusten zu stürmen versuchten.

Die Hitlerwehrmacht nahm an den Widerstand leistenden Italienern blutige Rache. In Italien wurden 11400 gefangene Soldaten und Offiziere ermordet, auf dem Balkan Tausende umgebracht. Allein auf der griechischen Insel Kephalonia, wo die Italiener sich sieben Tage erbittert der Entwaffnung widersetzten, metzelte die Wehrmacht über 4000 Gefangene nieder. Fast 5000 waren vorher in den Gefechten gefallen.


»Anrecht auf Schonung verloren«.
Rommels blutige Rache an italienischen Soldaten

Zusammen mit Feldmarschall Albert Kesselring, dem Oberbefehlshaber im Mittelmeerraum, organisierte Feldmarschall Erwin Rommel, Befehlshaber der Heeresgruppe B in Italien, die blutigen Massaker. Rommel, der noch heute auf der Traditionsliste der Bundeswehr steht und dessen Namen eine Kaserne in Augustdorf trägt, unterschrieb eine kriegsverbrecherische Weisung, die festlegte, daß »irgendwelche sentimentalen Hemmungen« gegenüber »Badogliohörigen Banden in der Uniform des ehemaligen Waffenkameraden völlig unangebracht sind« und dieses »Gesindel« jedes »Anrecht auf Schonung verloren« hat. Diese Auffassung müsse »beschleunigt Allgemeingut aller deutschen Truppen werden«.

Dafür, wie diese Weisung »Allgemeingut« der deutschen Truppen wurde, stehen als ein Beispiel der Kommandeur der Division Perugia, General Ernesto Chiminello, und 120 seiner Offiziere. Sie wurden alle, nachdem sie den Kampf eingestellt hatten, umgebracht. Nach Augenzeugenberichten enthauptete man zahlreiche Offiziere vor versammelter Truppe. Der vom Körper getrennte Kopf des Generals wurde wie eine »blutige Trophäe« zur Schau gestellt, 60 der ermordeten Offiziere in Säcke eingenäht und im Meer versenkt. Die Erschießung kriegsgefangener Offiziere läßt sich nur als Mord bezeichnen.

Rommels Haltung kann auch dadurch nicht ausgelöscht werden, daß er später mit den Verschwörern des 20. Juli 1944 sympathisierte, ohne sich ihnen anzuschließen, und Hitler ihn deswegen in den Selbstmord trieb.

Aus: Gerhard Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, München 1996


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Quelle:
junge Welt vom 06.09.2008
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2008