Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → MEINUNGEN

DILJA/056: OSZE, scharfes Schwert kalter Krieger - Tod eines Forschers (SB)


OSZE - scharfes Schwert kalter Krieger (Teil 3)


Der Tod eines NATO-kritischen OSZE-Forschers wirft Fragen auf

Das Murren innerhalb der OSZE ob der unsäglichen und jeden Eigenanspruch, als moralisch integrer Friedensstifter im europäischen Rahmen in Erscheinung zu treten, ad absurdum führenden Rolle beim NATO-Krieg von 1999 gegen die Bundesrepublik Jugoslawien fand weder ein nennenswertes mediales Echo, noch führte es zu einer deutlichen Zäsur. Um den Schandfleck, einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg durch aktive Spionagedienste im Kosovo den Weg geebnet und ihn durch inszenierte Rechtfertigungskonstrukte unterstützt zu haben, zu tilgen, hätte innerhalb der Organisation ein großes Reinemachen stattfinden müssen. Dies dergestalt, daß all jene Akteure, die offen oder verdeckt der Instrumentalisierung zu Zwecken, die den von der OSZE behaupteten diametral entgegenstehen, das Wort reden und die Hand reichen, hätten entfernt werden müssen.

Davon kann nicht die Rede sein, zumal ohnehin fraglich ist, ob die in der Hoch-Zeit des Kalten Krieges aus der Taufe gehobene, angeblich auf die friedliche Koexistenz politisch konträrer Staaten und Staatenbünde ausgerichtete Organisation nicht von Beginn an als ziviles und gleichwohl scharfes Schwert im Kalten Krieg geschmiedet worden war. Diejenigen europäischen Mitglieder der Kosovo-Überwachungsmission (Kosovo Verification Mission - KVM), die deren Inanspruchnahme zu kriegsvorbereitenden und -scheinlegitimierenden Operationen intern kritisierten oder auch öffentlich anprangerten, konnten mitnichten einen Umschwung herbeiführen. Die von ihnen laut gewordene Kritik kommt dem sprichwörtlichen Feigenblatt gleich sowie dem Versuch, vom Renommee der OSZE zu retten, was zu retten ist, indem in der Öffentlichkeit der Eindruck erzeugt wird, daß es in dieser Organisation noch immer aufrechte Kämpfer für zivile Konfliktverhütung, "Frieden" und den Schutz der Menschenrechte gäbe.

Ein interner Kritiker wie der durchaus couragierte CDU- Bundestagsabgeordnete und damalige Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Willi Wimmer, personifiziert so etwas wie das gute Gewissen der Organisation, die nicht nur unbeschadet, sondern im Kern unverändert aus einer Krise, die ungeachtet ihrer äußerst dubiosen Rolle im Vorfeld des Jugoslawienkrieges gar nicht eintrat, hervorgegangen ist. Innerhalb der OSZE standen sich somit zwei Lager gegenüber, die nicht nur anläßlich der tatsächlichen Aktivitäten der Kosovo- Mission in einem partiellen Disput miteinander standen. Der Spalt reichte weiter, obgleich im Kern Einigkeit darüber bestand, daß unter dem propagierten Ideal einer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich eine kapitalistische zu verstehen wäre, die nun mit tatkräftiger Unterstützung der OSZE in die ehemaligen Staaten des Sowjetsystems sowie des früheren Jugoslawiens zu exportieren sei.

"Wandel durch Annäherung" - dieses Motto aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, unter das auch das Selbstverständnis der KSZE und späteren OSZE zu fassen ist, verrät mehr als deutlich, daß von einer friedlichen Koexistenz konträrer politischer Systeme nie die Rede sein konnte, denn das hätte auf beiden Seiten die Bereitschaft, die im Kalten Krieg als feindlich und bedrohlich definierte Gegenseite in ihrer vermeintlichen oder auch tatsächlichen Andersartigkeit voll und ganz zu akzeptieren, vorausgesetzt. Das Wort "Wandel" jedoch belegt die Absicht, die andere Seite der eigenen einzuverleiben - und das, so weit dies eben möglich ist, mit nicht-militärischen Mitteln schon allein deshalb, um die mit jedem Waffengang unweigerlich verbundenen Verluste auf der eigenen Seite an Menschen, Material und politischer Glaubwürdigkeit möglichst gering zu halten.

Der Spalt innerhalb der OSZE vor und nach dem Jugoslawienkrieg wuchs sich keineswegs zu einem Riß aus, und auffallend schnell wurde es auch wieder auffallend still um die Kosovo-Mission. An der Aufklärung der OSZE-Machenschaften hatte Jugoslawien ein ureigenes Interesse, hatte jedoch als ein Staat, der kurz vor der endgültigen Zerschlagung durch äußere und von außen unterstützte Kräfte stand, nicht die Möglichkeit, sich solcher Umtriebe wirksam zu erwehren. Und innerhalb der OSZE, in der ohnehin die NATO-Staaten eine dominierende Position innehatten, auch wenn formal gesehen alle Mitglieder gleichberechtigt sind und ungeachtet ihrer Größe über je eine Stimme verfügen, blieben nur sehr wenige Akteure übrig, die sich nicht davon abhalten ließen, den NATO-Krieg gegen Jugoslawien öffentlich zu kritisieren.

Die Kluft in der OSZE bestand in den 90er Jahren zwischen jenen, die sich 1999 durchsetzen konnten und die militärische Zerschlagung Jugoslawiens aktiv unterstützten und jenen, die dies zutiefst ablehnten und statt dessen auf die althergebrachten Methoden setzten, sich dem Feind "friedlich" anzunähern, um ihn dann möglichst kampf- und widerstandslos ins eigene Lager hinüberziehen zu können. Die "Falken" in der OSZE, nicht von ungefähr identisch mit den bis heute am aktivsten kriegführenden Staaten USA und Britannien, dominierten die OSZE so sehr, daß der vermeintliche Konsens zwischen den ehemaligen Blockkontrahenten USA und Rußland nicht einmal mehr dem bloßen Anschein nach aufrechterhalten werden konnte. Mehrfach konnte sich die OSZE in den zurückliegenden Jahren auf ihren Jahrestagungen nicht mehr auf ein gemeinsames Kommuniqué einigen. Stein des Anstoßes war und ist die in erster Linie von Rußland und einigen der asiatischen Mitgliedern vorgebrachte Kritik an der Einseitigkeit, mit der die OSZE in ihren osteuropäischen und asiatischen Mitgliedsländern nach Wahlbetrug und Menschenrechtsverletzungen sucht, nicht jedoch in den westlichen.

Anläßlich des 30jährigen Bestehens der KSZE/OSZE ergriffen vor eineinhalb Jahren Wissenschaftler des am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik angesiedelten Zentrums für OSZE-Forschung das Wort. Bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, die im Sommer 2005 in Washington stattfand, forderten sie eine Rückbesinnung auf die originären Aufgaben und Funktionen der Organisation, deren Position sie im Verhältnis zu NATO und EU gestärkt sehen wollten, indem sie darauf insistierten, daß diese auf ihre Unterstützung nicht verzichten könnten. Damit pochten die OSZE-Forscher auf eine Rolle, die eigentlich gar nicht in ihr Konzept friedfertiger Interessenabgleichungen paßt. Indem sie offen erklären, daß die EU, die die wirtschaftliche Vereinnahmung des ehemaligen Ostblocks betreibt und die NATO, die auf militärischem Wege Rußland, aber auch China einzukreisen längst im Begriff steht, auf die OSZE als zivilen Vorposten und Türöffner nicht werden verzichten können, erklären sie diese zu einem noch immer nützlichen Schwert neuer und alter Kalter Krieger.

Die Wissenschaftler des Zentrums für OSZE-Forschung beanstandeten damit lediglich, daß die OSZE ihrer Meinung nach einen zu geringen Stellenwert in der westlichen Phalanx einnimmt bzw. von NATO und EU nicht (genug) als ein auf seine Weise äußerst effizienter Mitstreiter gewürdigt wird. Einen solchen Standpunkt hätte der frühere Leiter des Zentrums, Prof. Dr. Dieter S. Lutz, möglicherweise nicht einnehmen wollen. Lutz hatte sich schon 1998 mit seiner im übrigen sehr fundierten Kritik am Jugoslawienkrieg, den die NATO-Staaten für Lutz und andere erkennbar heraufzuziehen im Begriff standen, unbeliebt gemacht. Und mehr noch - er ließ es sich nicht nehmen, den Bundestagsabgeordneten anläßlich des zweiten Jahrestages des Beginns des Jugoslawienkrieges die Leviten zu lesen. Gemeinsam mit Reinhard Mutz, ebenfalls Friedensforscher am Hamburger Institut für Friedens- und Konfliktforschung, richtete Lutz 2001 einen Offenen Brief an die Bundestagsfraktionen, in dem diesen auf zwölf Seiten akribisch und dezidiert dargelegt wurde, inwiefern ihre Beteiligung an dem "rechtswidrigen Angriffskrieg" einen gleich dreifachen Rechtsbruch - nämlich eine Verletzung der UN- und NATO-Verträge sowie des Grundgesetzes - darstellt.

Die beiden Friedensforscher schlugen die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission vor um unter Berücksichtigung rechtlicher wie rechtsethischer Fragen klären zu lassen, wieviel "Unrecht ein Rechtsstaat [verträgt]". Desweiteren befürworteten Lutz und Mutz eine öffentliche Anhörung, um dem Vorwurf eines möglichen "Demokratiedefizits oder -versagens" nachzugehen und die Frage, ob der Bundestag in Hinsicht auf die deutsche Beteiligung am Jugoslawienkrieg manipuliert worden sei, zu prüfen. Dieses Engagement gereichte den renommierten Friedensforschern keineswegs zur Ehre, zumindest nicht im politischen Berlin. Peter Struck, damaliger Fraktionschef der SPD, der Lutz im übrigen ebenfalls angehörte, empörte sich über die seiner Meinung nach "schwersten Anschuldigungen", die die Forscher gegen Bundesregierung und Bundestag vorgebracht hätten - "bis hin zu kaum erträglichen Verleumdungen", so Struck.

Gernot Erler, Außen- und Sicherheitsbeauftragter der SPD, ließ an dem Parteigenossen ebenfalls kein gutes Haar. In einem Antwortschreiben behauptete er, die "massiven Vorwürfe" würden auf "einseitiger und tendenziöser Fakteninterpretation" beruhen. Es ist leicht nachvollziehbar, warum Lutz' vorrangig juristische Argumentation sozialdemokratischen Kriegspolitikern kaum erträglich ist, stellt sie doch deren Absichten in für sie unerträglich deutlicher Weise bloß. So hatte Dieter S. Lutz bereits vor dem Jugoslawienkrieg vor den Folgen gewarnt, die dieser haben würde. In der SPD-Zweimonatszeitschrift SPW begründete er in Nr. 4/1998 die absolute Gültigkeit des Verbots von Angriffskriegen und führte zudem aus, daß Hilfsaktionen gegen Völkermord und Vertreibung Gefahr laufen, für gänzlich andere politische Interessen mißbraucht zu werden:

Angriff und Verteidigung sind Siegerdefinitionen. Schafft die NATO im Kosovo erst einmal ein Präjudiz, so wird sich morgen Rußland im Baltikum und übermorgen China in Südostasien oder andernorts darauf berufen können. Wann aber brennt dann wieder die ganze Welt?

Gerade derjenige also, der glaubt, in Extremsituationen, zum Beispiel bei Völkermord, nicht geltendem Recht, sondern seinem Gewissen folgen zu müssen, ist in besonderer Weise aufgefordert, die Ratio von Artikel 26 Absatz 1 GG zu beachten bzw. einzuklagen: Handelt es sich beim jeweiligen Konfliktfall um innere Unruhen und Bürgerkrieg oder kann wirklich von der Gefahr zielgerichteter Ermordung und Vertreibung ganzer Völker gesprochen werden? Dient der als Hilfsaktion verstandene Angriff wirklich und ausschließlich dem angegebenen Zweck oder wird die Situation für andere politische Interessen mißbraucht? Ist alles getan worden, was jenseits kriegerischer Maßnahmen möglich ist? Gibt es wirklich keine zivilen, nicht- kriegerischen Alternativen mehr? Und vor allen Dingen: ist alles getan worden, um einen Beschluß des UN-Sicherheitsrates zu erwirken?

Ist nur eine dieser Fragen nicht mit zweifelsfreier Gewißheit zu bejahen, so darf kein deutscher Politiker einen entsprechenden Einsatzbefehl geben. Er wäre mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht. Die deutschen Soldaten wiederum hätten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, einen entsprechenden Befehl zu verweigern.

Während Lutz von führenden Parteigenossen wegen seiner kritischen Haltung zur Beteiligung der Bundeswehr am Jugoslawienkrieg auf unsachlichste diffamiert wird ("schwerste Anschuldigungen", "kaum erträgliche Verleumdungen" - Struck), ließ dieser sich von seinem Friedensengagment nicht abbringen. Er begründete dies vorrangig legalistisch, was eine struktuelle Schwäche seiner Argumentation beinhaltet, da mit ihr Kriege durchaus zu rechtfertigen und damit auch zu führen wären, sofern ihnen eine ausreichende völker- wie verfassungsrechtliche Basis verschafft werden würde. Doch eben dies machte Lutz' Standpunkt für die damalige Bundesregierung so unerträglich, verlangte er ihr durch seine unwiderlegbare Bezugnahme auf das Grundgesetz eigentlich das offene Bekenntnis ab, mit der Militarisierung Deutschlands wie auch Europas dieses und noch viel mehr im Kern verletzen zu wollen.

So führte Lutz im Mai 2002 auf einer Festveranstaltung der Bundesstiftung Friedensforschung (DSF), deren Vorsitzender er unter anderem war (zitiert aus der Wochenzeitung Freitag 22/2002), aus, daß es für die Behauptung, Deutschland müsse wieder "normal" werden in dem Sinne, daß es auch wieder Kriege führe, keinerlei Basis im Grundgesetz gibt:

Die höchste Norm der Bundesrepublik Deutschland - sei es mit Blick auf die Politik ihrer Staatsorgane, sei es mit Blick auf die Handlungen eines jeden einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin - aber ist das Grundgesetz. In dieser unserer Verfassung vom 23. Mai 1949 findet sich eine ganze Anzahl bemerkenswerter Normen. Sie formen in ihrer Gesamtheit ein verfassungsrechtliches Friedensgebot, das weltweit wohl als einmalig anzusehen ist.

Seine Regelungen sollten der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Willen des Parlamentarischen Rates in bewußter Abkehr von der kriegerischen Vergangenheit des Deutschen Reiches einen - wie es der Abgeordnete der FDP und spätere Bundespräsident Heuss ausdrückte - `exzeptionellen Charakter' verleihen und einen wertgebundenen demokratischen und friedlichen Staat konstituieren. Ich meine: Wir sollten stolz sein auf diese Normen ebenso wie auf unsere `Normalität' als Ausfluß eben dieser Normen. (...)

Ergo: Deutschland war in diesem Sinne `normal' vor der Wiedervereinigung und ist es in diesem Sinne auch nach der Wiedervereinigung. Die gegenwärtig in Politik, Wissenschaft und Medien immer wieder benutzte Redewendung, Deutschland müsse nunmehr endlich normal werden, entbehrt insofern ihrer Grundlage.

Dieter Lutz war nicht nur DSF-Vorsitzender und seit 1994 Leiter des Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg (IFSH), sondern in dessen Rahmen auch Vorsitzender des Zentrums für OSZE-Forschung (CORE). Es ist kaum vorstellbar, daß er als führender OSZE-Forscher nicht in die internen Auseinandersetzungen innerhalb der OSZE involviert war oder zumindest über intime Kenntnisse verfügte. Die aktive Beteiligung der OSZE am Jugoslawienkrieg, durch die unübersehbar wurde, daß sich diese angeblich dem "Frieden" verpflichtete Organisation als ziviles Anhängsel der NATO instrumentalisieren ließ, um dem Militärbündnis den Weg in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu ebnen - wie in Teil 2 dieser kleinen Reihe dargelegt - wird Dieter Lutz ein Dorn im Auge gewesen sein. Wenngleich es innerhalb der OSZE zunächst etliche Stimmen gegeben haben soll, die sich mit dieser Zurichtung keineswegs einverstanden zeigten, waren es doch nur Lutz und sein IFSH- Kollege Reinhard Mutz, die auch zwei Jahre später mit ihrem Offenen Brief den Finger in die Wunde legten.

Professor Lutz wird seine kritische Stimme allerdings nicht mehr erheben können. Er verstarb im Januar 2003 im Alter von 53 Jahren ohne Vorerkrankung ebenso plötzlich wie überraschend an einem "Herzversagen". Er war kurz vor einem Gesprächstermin bei Struck, dem damaligen Bundesverteidigungsminister, in der Hamburger Vertretung in Berlin, in der er übernachtet hatte, tot aufgefunden worden. Die Bundesregierung verlor mit ihm einen ihrer renommiertesten Kritiker, und es bleibt in Ermangelung konkreter Verdachtsmomente lediglich die Frage zu stellen, ob sein für Freunde und Angehörige so überraschender Tod nicht für die OSZE von großem klammheimlichen Nutzen gewesen sein könnte, weil mit Lutz als Vorsitzendem des Zentrums für OSZE-Forschung eine lautlose und zugespitzte Zurichtung der OSZE zu einer wiedergeschärften Waffe im neuen alten Kalten Krieg schwerlich zu realisieren gewesen wäre.

Erstveröffentlichung am 22. Dezember 2006

21. Januar 2007