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DILJA/084: Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens - Teil 1 (SB)


Das "Massaker von Srebrenica" - nachgelieferte Letztbegründung für die gewaltsame Zerschlagung Jugoslawiens und Präzedenzfall der humanitär bemäntelten Kriegführung westlicher Hegemonialmächte


Teil 1: Cui bono - Welches Interesse hätte die westliche Staatenwelt nach 1989/90 an der Zerschlagung des letzten und einzigen sozialistischen und blockfreien Vielvölkerstaates, der Bundesrepublik Jugoslawien, haben können?

Nach dem Zusammenbruch bzw. der Selbstauflösung der Sowjetunion in den Jahren 1989/90 - wobei die Frage, bis zu welchem Grad dies das Ergebnis westlicher Zermürbungs- und Destabilisierungsbemühungen und -intrigen gewesen sein könnte, noch nicht abschließend geklärt wurde - schien sich die politische Landschaft auf der gesamten Erde grundlegend geändert zu haben. Die Zeit der Blockkonfrontation mit ihren heißen und kalten Kriegen schien der Vergangenheit anzugehören, und so glaubten nicht wenige Zeitgenossen, irgendwie hoffnungsfroh in die Zukunft schauen zu können. Da sich für die ohnehin der kapitalistischen Seite zugeschlagenen Einflußsphären nichts wesentliches geändert hat, dürfte eine solche Aufbruchstimmung vorrangig in all jenen Staaten und Regionen anzutreffen gewesen sein, die ohne die Sowjetunion und das militärische Gegenstück zur NATO, das Bündnis der Warschauer-Pakt-Staaten, nun in bester demokratischer Manier eine Standortbestimmung vornehmen und sich für eines der beiden gesellschaftlichen Systeme - Sozialismus oder Kapitalismus - hätten entscheiden können.

Die Realität sah beileibe anders aus, wie schon am politischen Schicksal des deutschen Bruderstaates DDR alsbald abzulesen war, dessen Bevölkerung mitnichten vor die Wahl einer solchen Selbstbestimmung gestellt wurde. Ihr Slogan der Wendejahre "Wir sind das Volk" wurde umgedichtet in ein "Wir sind ein Volk", wie um daraus den nie ermittelten und als selbstverständlich postulierten Willen der Bürger der DDR abzuleiten, der alten Bundesrepublik angegliedert zu werden. Daß der real existierende Sozialismus der Sowjet-Ära auf keiner großen Resonanz bei den Menschen in der UdSSR selbst oder den Ländern ihres Einflußbereiches beruhte, verstand sich in jenen Jahren nahezu von selbst.

Doch keineswegs dürfen real existierende Unzufriedenheiten angesichts mannigfaltiger Probleme und Mangellagen, wie sie im übrigen keineswegs nur auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhanges anzutreffen gewesen sein dürften, zu der Annahme verleiten, die dortigen Bevölkerungen hätten nicht - wie in der DDR in den ersten Monaten nach dem Fall der Mauer - gewillt sein können, einen Neuanfang unter sozialistischen Vorzeichen zu wagen. Meinungsumfragen in der DDR hatten in dieser Zeit ergeben, daß sich zwar viele Menschen vom Honecker-System und den ihnen auferlegten Restriktionen befreien wollten, der Idee einer sozialistischen Gesellschaftsentwicklung aber dennoch klar den Vorzug vor den Versprechungen des kapitalistischen Weststaates gegeben hätten, wenn man sie denn in einem Referendum gefragt hätte.

Langer Vorrede kurzer Sinn: Um zu verstehen, warum und wieso die Bundesrepublik Jugoslawien, ein Vielvölkerstaat auf dem Balkan und somit inmitten Europas, der als Gründungsmitglied der Blockfreienbewegung keiner der beiden Supermächte angehörte oder unterworfen war, unter tatkräftigster Mithilfe des Westens von der Landkarte verschwand, müssen die politische Realität und Positionierung des einstigen Tito-Staates skizziert werden. Die Bundesrepublik Jugoslawien praktizierte einen von Moskau unabhängigen Sozialismus, der sich durchaus sehen lassen konnte und als greifbares und vor allen Dingen auch praktikables Beispiel eine Vorbildfunktion hätte einnehmen können für die vielen, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion angeblich "frei" gewordenen Länder Osteuropas und Zentralasiens. Jugoslawien lag inmitten der kapitalistischen Staatenwelt Europas, mit der es regen Handel betrieb und der gegenüber es keinerlei Berührungsängste hegte. Jugoslawische Staatsbürger unterlagen keinerlei Reisebeschränkungen, wie es sie etwa in der DDR gegeben hat mit der Folge, daß die Unzufriedenheit der Menschen mit ihrem Staat von westlicher Seite aus gezielt geschürt werden konnte.

Die Geschichte der Zerschlagung der Bundesrepublik Jugoslawien, in der die Bosnienkriege von 1992 bis 1995 sowie der NATO-Angriffskrieg von 1999 die, wenn man so will, maßgeblichen militärischen Meilensteine darstellten, kann weder geschrieben noch verstanden werden, ohne deren klammheimliche, wenn auch gar nicht so stille Akteure in der sogenannten internationalen Gemeinschaft - zu erwähnen sind hier die USA und die EU-Kernstaaten, mit ihnen selbstverständlich die NATO und als verlängerter Arm ihrer Interessendurchsetzung auch die Vereinten Nationen - zu benennen sowie ihre Absichten und Maßnahmen zu analysieren.

Dies alles soll in dieser Serie vor dem Hintergrund der zugegebenermaßen parteilichen Bewertung, daß die Zerschlagung des bis in die 1990er Jahre hinein sehr wohl funktionsfähigen sozialistischen Vielvölkerstaates Jugoslawien ganz oben auf der Agenda des Westens stand und daß zudem mit dem im Zuge dieses Prozederes erfolgten Bruch des seit dem Zweiten Weltkrieg noch geltenden Tabus militärischer Interventionen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden sollten, vollzogen werden. Die sich selbst als Weltgemeinschaft titulierenden westlichen Frontstaaten wußten und wissen schließlich sehr genau, daß angesichts sich weltweit zuspitzender Mangellagen die Durchsetzung und Absicherung der von ihnen repräsentierten Privilegienordnung militärische Interventionen und auch regelrechte Kriege unverzichtbar machen würde.

Der insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, dem Nachfolgestaat des Hitlerschen Unrechts- und Aggressorstaates, nahezu als Staatsgründungsmythos manifestierte Wertekanon einer besseren, weil antifaschistischen und antimilitaristischen Gesellschaft, hatte seine ideologisch-propagandistische Pflicht und Schuldigkeit in der Zeit des sogenannten Kalten Krieges getan. Im Kampf um die "Hirne und Herzen" der von den jeweiligen Systemen kontrollierten Menschen war er nach dem Zweiten Weltkrieg unverzichtbar geworden, um der Roten Armee, die sich mit gutem Grund als Befreierin vom Hitler-Faschismus feiern lassen konnte, und damit auch der realsozialistischen Staatenwelt, eine nicht minder tragfähig erscheinende Moral entgegenzusetzen.

Nach der sogenannten Wende von 1989/90, als der kapitalistische Westen glaubte, die Systemkonfrontation für sich entschieden zu haben, konnte getrost zur Tagesordnung übergegangen werden. Da ein offenes Bekenntnis dazu, nun wieder mit Waffengewalt die Interessen des Kapitals in Deutschland wie in aller Welt durchzusetzen und im Zuge solcher und weiterer Notwendigkeiten auch den Abbau bürgerlicher Freiheiten zu forcieren, keiner Bundesregierung gut zu Gesicht gestanden hätte, mußten hier wie anderswo "gleitende Übergänge" geschaffen werden.

Die Frage, ob die Bürgerkriege in Bosnien-Herzegowina, die genaugenommen gar keine waren, nicht ebenso hätten verhindert werden können wie der Überfall der NATO auf Jugoslawien von 1999, kann nicht plausibel beantwortet werden, solange ihr Postulat, nämlich der abgrundtiefe Haß zwischen den verschiedenen, in dem jugoslawischen Zentralstaat zusammenlebenden Völker nicht mit aller zu Gebote stehenden Vorsicht in Frage gestellt wird. Die vorherrschende Geschichtsschreibung will bis heute glauben machen, daß ein solcher, angeblich ethnisch begründeter Haß zu den fürchterlichen Gewalttaten und verbrecherischen Kriegen auf dem Gebiet Jugoslawiens geführt habe. Dieser Haß ist schwerlich zu bestreiten, davon zeugen die Kriegshandlungen, die nach jüngsten Schätzungen allein in den Bosnienkriegen zu einhunderttausend Toten auf allen beteiligten Seiten geführt haben. Doch waren Haß und angeblich völkisch begründete Tötungsabsichten tatsächlich monokausal? Noch dazu in einem Staat, in dem bereits seit Jahrzehnten Menschen unterschiedlichster Volkszugehörigkeiten in verschiedenen Republiken friedlich zusammengelebt hatten, die keineswegs "ethnisch" durchsortiert waren?

Das klingt nicht nur nicht plausibel, das ist es auch nicht, wie sich bei genauerem Nachfassen im Verlauf der hier begonnenen Serie zum Thema "Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens" erweisen wird. Bis auf den heutigen Tag werden die "Massaker von Srebrenica", worunter von bosnischen Serben an der muslimischen Bevölkerung der ostbosnischen Stadt Srebrenica begangene Verbrechen verstanden werden, als Letztbegründung für humanitär bemäntelte Militärinterventionen herangeführt. Dabei liegen längst umfangreiche Belege dafür vor, daß von allen an den Bosnienkriegen beteiligten Parteien Kriegsverbrechen begangen wurden, weshalb schon die Tatsache, daß die serbische Seite nahezu ausschließlich an den Pranger des noch dazu von den Siegern des Jugoslawienkrieges installierten Den Haager Tribunals gestellt wurden, ein eindeutiges Indiz dafür ist, daß in diesem vermeintlichen Bürgerkrieg vor, während und nach den eigentlichen Kriegsjahren zwischen 1992 und 1995 die Fäden mit der Absicht gezogen wurden, das sozialistische Jugoslawien und damit auch das den Zentralstaat verteidigende Serbien zu diskreditieren und zu beschuldigen und letzten Endes politisch zu übernehmen oder eben zu zerschlagen.

Nach der erfolgreich durchgeführten Zerschlagung Jugoslawiens feierte die westliche Welt ganz ungeniert den Fall der "letzten kommunistischen Bastion in Europa". Wenn, wie behauptet, ethnische Konflikte die Spannungen zwischen den Teilrepubliken Jugoslawiens entfacht und zu den Bosnienkriegen und den in ihnen verübten Verbrechen geführt haben sollen, warum ist dann nach vollendeter Zerschlagung von einer "kommunistischen Bastion" die Rede? Wohl nicht von ungefähr gemahnt diese Begriffswahl an einen militärischen Bedeutungszusammenhang, an einen Fels in der Brandung, der dem antikommunistischen Feldzug im Wege zu stehen scheint. Wenn die westliche Welt ein blockfreies Land inmitten Europas als "kommunistische Bastion" bezeichnet, läßt dies den Rückschluß zu, daß sie sich ungeachtet des behaupteten Endes des Kalten Krieges in den Jahren 1989/90 noch immer auf einem antikommunistischen Vormarsch befindet.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise im Kaukasus, in deren Folge die angeblich längst verheilten Narben aus der Zeit des Kalten Krieges zwischen den NATO-Staaten und Rußland wieder aufgebrochen sind und die Gefahr eines womöglich drohenden Dritten Weltkrieges nicht mehr von der Hand zu weisen ist, bekommt die Geschichte der Zerschlagung Jugoslawiens noch einmal einen ganz spezifischen Stellenwert. Das Vorgehen der NATO-Staaten in dem blutigsten Krieg, der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf europäischem Boden stattgefunden hat, könnte wertvollen Aufschluß liefern für ein tieferes Verständnis und eine realistische Einschätzung der aktuellen Lage und Kriegsgefahr.

Unter der sehr wohl begründbaren Annahme, daß sich die westlichen Frontstaaten mit der Selbstauflösung der Sowjetunion sowie des Warschauer Paktes keineswegs zufriedengaben, sondern die - und sei es militärisch ausgetragene - Auseinandersetzung so lange fortführen werden, bis sie das russische Riesenreich (und auch China) faktisch unter ihre Kontrolle gebracht haben, steht die Kaukausus-Krise in einem beängstigenden Kontext. Allem Anschein nach soll sie von Seiten der NATO-Staaten zu einem kriegsauslösenden und -rechtfertigenden, wenn nicht gar -erzwingenden Moment aufgebaut werden. Die Zeichen stehen auf Eskalation und lassen eine langfristig angelegte Strategie vermuten, in der jede denkbare Aktion und Reaktion Rußlands in immer nur eine Richtung verwendet wird.

Sollte sich all dies, wie in Ansätzen längst erkennbar, in zunehmendem Maße realisieren, bekäme die Zerschlagung Jugoslawiens über die bereits genannten Zielsetzungen ihrer eigentlichen Drahtzieher - nämlich ein sozialistisches Erfolgsmodell zu zerschlagen, noch bevor die "befreiten" Staaten des ehemaligen Sowjetsystems in dessen Fußstapfen treten konnten sowie das Recht der NATO-Staaten auf eine selbstmandatierte Kriegführung völlig losgelöst von den Vereinten Nationen faktisch durchzusetzen - hinaus eine weitere Nutzanwendung in Sachen Kriegführung.

Wer bereit ist, das scheinbar Undenkbare, nämlich die Absicht der NATO-Staaten, Rußland - und sei es durch einen großen Krieg - in die Knie zu zwingen, in Erwägung zu ziehen, könnte in der vom Westen so intensiv betriebenen Zerschlagung Jugoslawiens auch diesbezüglich einen militärstrategischen Nutzen erkennen. Wie auch immer es um das Innenverhältnis zwischen der Bundesrepublik Jugoslawien und der russischen Führung bestellt gewesen sein mag, kann doch angenommen werden, daß die jugoslawische Regierung eine gegen Moskau gerichtete militärische Aggression auch als einen gegen sich gerichteten Akt aufgefaßt und sich mit Rußland solidarisiert hätte. Unweigerlich ruft ein solches Szenario Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg wach, dessen Ablauf und Endergebnis ohne den erbitterten Partisanenkampf, den die jugoslawischen Verbände Titos den deutschen Besatzern geliefert hatten, gänzlich anders hätte ausgehen können.

Mittlerweile ist es ein offenes Geheimnis, daß die Angriffspläne Hitlerdeutschlands gegen die Sowjetunion durch die Probleme, die das im April 1941 bombardierte und von der Wehrmacht eingenommene Jugoslawien dem deutschen Aggressor bereitete, in vermutlich kriegsentscheidender Weise hinausgezögert wurden. Hätte der Angriff auf die Sowjetunion bereits, wie ursprünglich geplant, im Sommer 1941 begonnen und somit womöglich vor Einbruch des russischen Winters abgeschlossen werden können, hätte die Rote Armee, die Hitlerdeutschland letztlich maßgeblich zu Fall brachte, womöglich geschlagen werden können.

Ein solches Hindernis bei der militärischen Durchsetzung der damit verfolgten Kriegsziele könnte in dem Fall einer "bewaffneten militärischen Auseinandersetzung" mit Rußland und China, von der inzwischen sogar in einer vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegebenen Studie hochrangiger Strategen aus Bundeswehr und Bundesministerien ausgegangen wird, nicht noch einmal auftreten. Der Vielvölkerstaat Jugoslawien existiert nicht mehr, und nicht eine einzige der ehemaligen Republiken und nun unabhängigen Nachfolgestaaten Jugoslawiens wäre heute noch willens, das Erbe Titos hochzuhalten und sich einem militärischen Angriff aus der waffenstarrenden Festung NATO entgegenzustellen.

(Fortsetzung folgt)

27. August 2008