Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → MEINUNGEN

DILJA/099: Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens - Teil 16 (SB)


Das "Massaker von Srebrenica" - nachgelieferte Letztbegründung für die gewaltsame Zerschlagung Jugoslawiens und Präzedenzfall der humanitär bemäntelten Kriegführung westlicher Hegemonialmächte


Teil 16: Sommer und Herbst 1995 - Der dreijährige Stellvertreterkrieg in Bosnien-Herzegowina wird unter Instrumentalisierung der "Massaker von Srebrenica" in seine letzte Phase übergeführt

Am 6. Juli 1995, etwa eine Woche vor der Einnahme durch oder vielmehr der faktischen Übergabe der ostbosnischen muslimischen Enklave Srebrenica an die bosnischen Serben, gab es vertrauliche Gespräche zwischen dem Oberkommandierenden der im ehemaligen Jugoslawien stationierten UN-Truppen, General Bernard Janvier, und dem Oberbefehlshaber der bosnischen Serben, General Ratko Mladic. Die Protokolle über diese und weitere diplomatische Aktivitäten hochrangiger westlicher Militärs werden jedoch von den Vereinten Nationen für 30 bzw. 50 Jahre auf Druck der USA unter Verschluß gehalten. Dies läßt Rückschlüsse zu für die politische Brisanz, die westliche Offizielle diesen vor den "Massakern von Srebrenica" geführten Gesprächen beimessen. Der französische UN-General Janvier könnte dabei eine Schlüsselrolle eingenommen haben, war er es doch, der keine zwei Monate zuvor am 24. Mai 1995 in einer geschlossenen Sitzung des Weltsicherheitsrates dafür plädiert hatte, Srebrenica den Serben zu überlassen, weil der Aufwand zur Aufrechterhaltung dieser muslimischen Enklave auf Dauer einfach zu hoch sei. Welche Absichten mag Janvier, der die Einnahme Srebrenicas durch seine Weigerung, die von UN-PROFOR-Kommandant Thom Karremans zuvor sogar fünfmal erhobene Forderung nach Luftunterstützung weiterzuleiten, begünstigte, damit verfolgt haben?

Zu diesem Zeitpunkt muß auf westlicher Seite bereits belastendes Material gegen General Mladic verfügbar gewesen sein. Am 25. Juli 1995 wurden er und auch Radovan Karadzic, der Präsident der bosnischen Serben, vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagt. Diese Anklageerhebung fand zwar kurze Zeit nach "Srebrenica" statt, hatte jedoch noch nicht die im Anschluß an die Einnahme der Stadt von serbischen Truppenteilen begangenen Tötungshandlungen, sondern frühere Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Inhalt. Der Zeitpunkt der Anklageerhebung dürfte dennoch mit "Srebrenica" in einem unmittelbaren Zusammenhang gestanden haben. Mit diesem Schritt nämlich wurden Mladic und Karadzic von allen weiteren politischen Gesprächen oder etwaigen ernsthaften Verhandlungen über eine Beilegung des mutmaßlichen Bürgerkrieges in Bosnien-Herzegowina ausgeschlossen.

Mit Sicherheit hätten sich nach drei Kriegsjahren auch gegen die führenden Militärs und Politiker der übrigen beiden Kriegsparteien Beweise und Vorwürfe finden und in Stellung bringen lassen - allein, an ihrer politischen Diskreditierung bestand auf seiten der westlichen Strategen, die in der NATO, bei den Vereinten Nationen oder im Rahmen der EU und der USA an den Fäden dieses Krieges zogen, nicht das geringste Interesse. Am 18. November 1995 - zu dieser Zeit wurde unter dem Druck des Krieges die vom Westen beabsichtigte Teilung Bosnien-Herzegowinas durch den Vertrag von Dayton besiegelt, was das Ende des sogenannten Bosnischen Bürgerkrieges markierte -, wurde die Anklage gegen Mladic und Karadzic noch um die Vorwürfe wegen der Massaker von Srebrenica erweitert.

Mehr noch als der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic, der die bosnischen Serben bereits seit 1994 zur Annahme des Teilungsplans gedrängt und insofern für die NATO-Staaten durchaus nützlich war, wurden im letzten Kriegsjahr Karadzic und Mladic dämonisiert. Dies hatte, zumal die von kroatischer und muslimischer Seite in diesem Krieg begangenen Verbrechen bei der sogenannten internationalen Gemeinschaft keinerlei Reaktionen hervorriefen, in erster und letzter Linie politische Gründe. Die bosnischen Serben - unter ihnen hatten Karadzic und Mladic als Präsident bzw. Oberbefehlshaber fraglos den größten Einfluß - waren mit der Zerschlagung Bosnien-Herzegowinas in zwei Entitäten nicht einverstanden. Ihre Motive wurden als "nationalistisch" diskreditiert. Über diesen Vorwurf ließe sich lange streiten. Paradoxerweise wurde er von einer internationalen Staaten- oder vielmehr Interessengruppe erhoben, die nichts anderes als die Zersplitterung und damit Zerschlagung des sozialistischen Vielvölkerstaates Jugoslawien betrieb und zu diesem Zweck die "nationale" Karte längst gezogen hatte.

Der Haß zwischen den bosnischen Serben auf der einen und den kroatischen und muslimischen Bewohnern Bosnien-Herzegowinas auf der anderen Seite war durch die Volksgruppenpolitik des Westens und geheimdienstliche Aktivitäten eigens eingefädelt, sein Auflodern unterstützt und bis über die Kriegsschwelle hinweg angeheizt worden. Die damit längerfristig beabsichtigte Zerschlagung Jugoslawiens wäre durch militärische oder sonstige Angriffe von außen, gegen die sich die unterschiedlichen Völker mit vereinten Kräften zur Wehr gesetzt hätten, wohl nicht gelungen; zudem wären die Aggressoren unweigerlich auch als solche zu erkennen gewesen. Die tatsächlich eingeschlagene und mit besonderer Beteiligung der damaligen deutschen Bundesregierung durchgeführte Strategie hat sich demgegenüber als erfolgreich erwiesen. Nach drei Jahren Bürgerkrieg, dem bereits einhunderttausend Menschen, unter ihnen Angehörige aller jugoslawischen Volksgruppen, zum Opfer gefallen sein sollten, war der politische Druck, endlich das mörderische Kriegstreiben zu beenden, so groß, daß ein Frieden à la NATO durchgesetzt werden konnte.

So jedenfalls ließe sich die in der westlichen Öffentlichkeit erzeugte Stimmung beschreiben. Der vermeintliche Bürgerkrieg wurde dargestellt, so als ob tatsächlich wie aus dem Nichts heraus Serben über Muslime, Kroaten über Serben, Muslime über Serben, Serben über Kroaten hergefallen wären, so als wäre der nationalistisch kanalisierte Haß tatsächlich so etwas wie eine menschliche Grundeigenschaft. Jugoslawien, die "letzte Bastion des Kommunismus" in Europa, sollte - und wurde - auf diesem indirekten Weg zu Fall gebracht, indem so getan wurde, als wäre die Idee eines Vielvölkerstaates unter sozialistischen Vorzeichen ein widernatürlicher Akt gegen elementare Grundwesensarten des Menschen. Im Sommer 1995, als Bilder und Schlagzeilen vom "Massaker von Srebrenica" die Medien und damit auch die Gefühle des Medienpublikums beherrschten, hätte jede Stimme, die sich dem scheinbar zwingend vernünftigen Rats- und vermeintlichen Friedensschluß, nämlich nun endlich dafür Sorge zu tragen, daß die verfeindeten und in einen selbstzerfleischenden Krieg gegeneinander verstrickten Volksgruppen Bosnien-Herzegowinas in unumkehrbarer Weise räumlich auseinandergebracht werden, einen schweren Stand gehabt.

Es muß bezweifelt werden, daß der jugoslawische Präsident Milosevic, der später in dem gegen ihn geführten Verfahren vor dem Internationalen Gerichthofs in Den Haag die Ankläger und NATO-Repräsentanten in höchste Verlegenheit brachte, weil er den gegen ihn aufgefahrenen Zeugen der Anklage Äußerungen entlockte, die der vorherrschenden Kriegs- und Massaker-These abträglich waren, aus freien Stücken dem Dayton-Abkommen zugestimmt und dies auch von Karadzic und Mladic verlangt hatte. Plausibel wäre vielmehr die Annahme, daß Milosevic von seiten der NATO-Staaten, die "nach Srebrenica" aktiv, das heißt durch Bombenangriffe auf serbische Stellungen, in das Kriegsgeschehen eingegriffen hatten, eine noch verheerendere Intervention der NATO angedroht worden sein könnte, während man ihm zugleich in Aussicht gestellt haben könnte, durch die Annahme des Dayton-Vertrages die weitere und endgültige Zerschlagung (Rest-) Jugoslawiens abwenden zu können.

Diese These ist keineswegs so abwegig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen könnte. Allerdings hatte Milosevic keine Befehlsgewalt über Karadzic und Mladic, und so mußten diese über den Umweg des Kriegsverbrechertribunals ausgeschaltet werden, damit sie, insbesondere Karadzic als politischer Repräsentant der bosnischen Serben, aus den Dayton-Verhandlungen ausgeschlossen werden konnten. Eine solche Absicht ist den Äußerungen westlicher Akteure, die sich zum Teil in dankenswerter Offenheit über die Hintergründe dieser Vorgänge geäußert haben, durchaus zu entnehmen. So hatte beispielsweise der UN-Beamte Cedric Thorneberry, der gewiß kein Freund der Serben war, erstaunenswerte Erklärungen dazu abgegeben, wie der sogenannte Bürgerkrieg in Bosnien eingefädelt worden war [1]:

Gegen das Jahr 1993 entwickelte sich ein Konsens - speziell in den Vereinigten Staaten aber auch in einigen westeuropäischen Ländern und hervorstechend in Teilen der internationalen liberalen Medien -, dass die Serben die einzigen Schurken waren, in ganz Jugoslawien, und dass die Opfer überwiegend oder sogar ausschließlich Kroaten und Moslems waren. Diese Ansicht entsprach nicht den Wahrnehmungen verschiedener aufeinander folgender hochrangiger UN-Beamter, die mit den täglichen Ereignissen in der ganzen Region in Berührung waren. So warnte mich denn auch eine freundliche Seele im UN-Hauptquartier in New York, die das Ohr an der diplomatischen Gerüchteküche hatte, geh in Deckung - das abgekartete Spiel ist im Gang.

Alija Izetbegovic, muslimischer Präsident Bosnien-Herzegowinas, räumte 2003 kurz vor seinem Tod gegenüber dem früheren US-Unterhändler Richard Holbrooke sowie dem damaligen "Ärzte ohne Grenzen"-Funktionär und heutigen Außenminister Frankreichs, Bernard Kouchner, ein, er habe mit der Behauptung, die Serben betrieben Vernichtungslager, gelogen. "Ich dachte, meine Enthüllungen würden die Bombardements beschleunigen", soll Izetbegovic gegenüber seinen früheren Verhandlungspartnern erklärt haben. Als Fanal sollte sich im Sommer die Massaker-Legende von Srebrenica erweisen, so als sei mit diesen Todesfällen, die in ihrem Ausmaß keineswegs eine Qualität aufwiesen, die die These von der serbischen Alleinschuld hätte plausibel machen können, ein Schalter umgelegt worden, der de facto den "Feuer frei"-Befehl der NATO gegen serbische Stellungen nach sich zog.

Der US-Unterhändler für die Bosnienkriege, Richard Holbrooke, sorgte in der Kriegseuphorie jener Tage selbst für eine Demaskierung des Westens. Allein, es gab zu diesem Zeitpunkt keine mit nennenswerten Kompetenzen ausgewiesene internationale Institution, die dem sich weiterhin abzeichnenden abgekarteten Spiel Einhalt hätte gebieten können oder auch nur wollen. Gegenüber der BBC hatte Holbrooke, nachdem die letzten maßgeblichen Gegner des Dayton-Abkommens, Karadzic und Mladic, termingerecht am 30. Juli 1995 durch die Ankündigung einer Anklageerhebung zu Kriegsverbrechern erklärt und damit als Verhandlungspartner unmöglich gemacht worden waren, daß ihm bewußt sei, daß das Kriegsverbrechertribunal ein "sehr wertvolles Instrument" sei. Und weiter erklärte Holbrooke [1]:

Wir benutzten es, um die beiden meistgesuchten Kriegsverbrecher in Europa aus dem Dayton-Prozess herauszuhalten, und wir benutzten es, um alles zu rechtfertigen, was folgte.

An Deutlichkeit lassen diese Worte wenig zu wünschen übrig. Es "folgte", was mit der unter Inkaufnahme tausender muslimischer Toter bei der Inszenierung der Massaker von Srebrenica sowie der generellen Dämonisierung ausschließlich der serbischen Kriegspartei beabsichtigt worden war - die kriegsentscheidende Luftunterstützung des Westens gegen die bosnischen Serben. Es liegt auf der Hand, daß unter dieser Prämisse die Serben früher oder später zur Kapitulation gezwungen sein würden. Die US-Militärs hatten schon in jenen Jahren die Angewohnheit, ihren Kriegs- und Militäreinsätzen - "Operation" genannt, so als handele es sich um (militär-) chirurgische Eingriffe mit per definitionem nicht in Frage zu stellendem Nutzen - wohlfeile Namen zu geben. Die Bombardierungen serbischer Stellungen im August 1995, die unter Führung der USA gegen "Ziele" der bosnischen Serben in Vogosca und bei Gorazde durchgeführt wurden, firmierten unter dem Titel "Deliberate Force" (in etwa: absichtliche Gewalt) und waren seit längerem geplant und vorbereitet worden.

David Binder, ein Reporter der New York Times, gab an, ein US-amerikanischer Offizier habe ihm gegenüber erklärt: "Wir sind zur moslemischen Luftwaffe geworden." Dies ist natürlich eine Verdrehung der Tatsachen, geboren aus der (Luft-) Überlegenheit des US-Militärs, das sich in solchen Darstellungen gefallen mag und auch kann, weil es keine bohrenden Fragen danach zu befürchten hat, ob nicht die kroatische und/oder die bosnisch-muslimische Bürgerkriegsarmeen längst so etwas wie Fußsoldaten der NATO geworden sind in einem Krieg, in dem der Westen seine überaus aktive Rolle bis zum Sommer 1995 hinter der Fassade eines neutralen, angesichts der vielen Toten überaus besorgten und doch irgendwie hilflosen Vermittlers zu verbergen imstande gewesen war. Im Herbst 1995 stellte der frühere stellvertretende NATO-Kommandeur Charles Boyd in dem Magazin zur US-Außenpolitik "Foreign Affairs" fest, daß "über 90 Prozent der Serben von Westslawonien von ethnischen Säuberungen betroffen waren, als kroatische Truppen im Mai die UN-Schutzzone überrannten" [1].

Diese direkt vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton autorisierte und mit amerikanischer Unterstützung durchgeführte "Operation" der kroatischen Armee mit dem Titel "Flash" (zu deutsch: Mündungsfeuer") hatte einen Monat vor den "Massakern von Srebrenica" stattgefunden, ohne daß es ein auch nur annähernd vergleichbares mediales und internationales Echo auf die Tötung serbischer Zivilisten in einer UN-"Schutz"-Zone gegeben hatte. Unter den schweren Angriffen der kroatischen Armee, die Panzer, Artillerie und Kampfflugzeuge gegen die Schutzzone einsetzte, sollen viele Serben bei dem Versuch gestorben sein, in Richtung Süden aus der Zone zu fliehen. Der kroatische Verteidigungsminister Gojko Susak schätzte die Zahl der bei dieser Operation getöteten Serben auf 450. Sie könnte allerdings auch noch wesentlich höher gewesen sein. Nach Angaben der serbisch-orthodoxen Kirche wurden mehrere tausend serbische Zivilisten in diesem "Mündungsfeuer" getötet.

Die "Operation Storm" (Sturm) stellte dann, wenige Wochen nach Srebrenica, so etwa wie einen letzten Sturmlauf auf überwiegend von Serben bewohnte Gebiete dar. Wiederum gingen die kroatischen Streitkräfte mit direkter Unterstützung der USA gegen die in der Krajina lebenden Serben vor und betrieben eine gewaltsame ethnische Säuberung größten Stils. Rund 200.000 Serben wurden in der Krajina aus ihren Häusern vertrieben und dazu gezwungen, das Gebiet zu verlassen. Ältere Menschen, die nicht in der Lage waren zu fliehen, sollen systematisch in ihren Häusern getötet worden sein. Weitere rund einhunderttausend bosnische Serben wurden durch die kroatische Armee, ebenfalls mit direkter Unterstützung der USA, in Westbosnien aus ihren Gebieten vertrieben. In diesem Fall rühmte sich der US-Unterhändler Richard Holbrooke in seinem Buch "To End The War" sogar der Ratschläge, die er den kroatischen Streitkräften bei ihren Angriffen auf serbische Städte in Westbosnien erteilt habe.

An der internationalen Medienfront war der Krieg zu diesem Zeitpunkt längst unumkehrbar gewonnen. Die im gesamten Bosnienkrieg aufgebaute und systematisch betriebene einseitige Bezichtigung der Serben hatte zu einer scheinbar unhinterfragbaren "Wahrheit", nämlich der serbischen Alleinschuld, geführt mit der Folge, daß jegliche Hinweise, Informationen und Indizien, die diesem Schwarz-Weiß-Schema widersprachen oder mit ihm nicht in Übereinstimmung gebracht werden konnten, unter den Tisch einer Berichterstattung fielen, die längst integraler Bestandteil der westlich dirigierten Kriegführung geworden war. So wurde den bosnischen Serben ganz ungeachtet der Frage, für welche und wieviele Kriegsverbrechen sie verantwortlich zu machen sind, die Absicht unterstellt, an ihren Kriegsgegnern Völkermord verüben zu wollen.

"Srebrenica" galt, lange bevor die kriminologischen und pathologischen Untersuchungen überhaupt abgeschlossen waren, als finaler Beweis für die Völkermordabsicht der Serben, und so fand der Einwand des portugiesischen UN-Offiziers Carlos Martins Branco keinen Widerhall. Bekanntlich liegt die ostbosnische Stadt Srebrenica im Tal des Drina-Flusses. Sie ist aus nur zwei Richtungen, von Süden und von Norden, zu erreichen. Branco stellte deshalb eine Frage, für die es unter Aufrechterhaltung der den Serben unterstellten Völkermordabsicht keine plausible Erklärung gibt [1]:

Wenn es einen vorsätzlich gefassten Plan für einen Völkermord gegeben hätte, hätten die Serben, anstatt nur aus einer Richtung, von Süden nach Norden, anzugreifen, was eine Flucht nach Norden offen ließ, ein Belagerung aufgebaut, um sicher zu gehen, dass niemand entkam.

Nach westlicher Lesart würde man wohl sagen müssen, daß die bosnischen Serben, um ihre Völkermordabsichten vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen, umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um den Bewohnern Srebrenicas zu einem sicheren Geleit in die (muslimische) Stadt Tuzla zu verhelfen. In dem nahe Srebrenicas gelegenen Ort Potocari stellten die bosnischen Serben den aus der Stadt geflohenen muslimischen Zivilisten Busse zum Weitertransport nach Tuzla zur Verfügung. Waren dies Transporte in den Tod? Für einen sehr großen Teil der Flüchtlinge kann und muß diese Frage verneint werden, denn bis zur ersten Augustwoche hatten sich 35.632 Menschen bei der Weltgesundheitsorganisation wie auch der bosnischen Regierung als Überlebende bzw. Vertriebene aus Srebrenica registrieren lassen.

Von der Weltöffentlichkeit nahezu unbemerkt wurde wenige Wochen "nach Srebrencia" eine weitere muslimische Enklave von den bosnischen Serben unter General Mladic eingenommen. Es war dies die Stadt Zepa, in der seit Beginn des Bürgerkrieges 1992 3000 bosnische Muslime lebten und sich gegen die Serben behauptet hatten. Als nach der Einnahme Srebrenica die bosnisch-serbischen Truppen durch die Wälder in Richtung Zepa vorrückten, sahen sich weder die NATO noch die Vereinten Nationen oder die USA dazu veranlaßt, etwas zu dem Schutz der dort eingeschlossenen muslimischen Bevölkerung zu unternehmen. Dabei hätte diese, so sollte man angesichts der "Massaker von Srebrenica" meinen, in höchster Gefahr schweben müssen, nun ebenfalls einer entfesselten serbischen Soldateska zum Opfer zu fallen. Doch niemand kam Zepa zu Hilfe, so als wären weitere, von serbischer Hand verübte Massaker der internationalen Gemeinschaft gerade recht gewesen.

In dieser Situation entschloß sich die zivile Leitung der Stadt, den Anweisungen ihres Militärkommandanten Avdo Palic, der nach der Einnahme Zepas von der Leibwache General Mladics exekutiert worden sein soll, zu trotzen. Die Stadtvertreter verhandelten auf eigene Faust mit Mladic und wurden von diesem freundlich empfangen. Man verständigte sich schnell und problemlos auf eine Evakuierung der Bewohner nach Tuzla. Als diese planmäßig und ohne Zwischenfälle durchgeführt wurde, soll Mladic in einen mit alten Menschen und Kindern gefüllten Bus gestiegen sein, um den verängstigten Flüchtlingen zu erklären, daß er dafür gesorgt habe, daß sie alle nach Tuzla durchfahren können. "Danke, Herr General", sollen die alten Frauen Zepas ihm geantwortet haben.

Eine solche Schilderung wird wohl jeder Konsument westlicher Medien auf den ersten Blick als verabscheuungswürdigste pro-serbische Propaganda erkennen zu können glauben, ohne sich allerdings auch nur einen Moment lang zu fragen, ob nicht sein vermeintliches Wissen über den in diesem Krieg von den bosnischen Serben begangenen Völkermord das Ergebnis anti-serbischer Propaganda sein könnte. Gegen Mladic wurde zu keinem Zeitpunkt der Vorwurf erhoben, auch in Zepa einen Völkermord an den Muslimen verübt zu haben. Die männlichen Bewohner der Stadt, die im Unterschied zu den in Srebrenica stationierten Militärangehörigen in den Jahren zuvor keine Angriffe auf die umliegenden serbischen Ortschaften verübt hatten, wurden nach der Einnahme Zepas von den serbischen Truppen nicht verfolgt.

Doch all dessen ungeachtet galten Mladic und Karadzic als die Völkermörder, zu denen sie, wie am 30. Juli 1995 angekündigt, durch die Anklage des Internationalen Gerichtshofs für die auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens begangenen Kriegsverbrechen in Den Haag faktisch erklärt wurden, auch wenn bis heute kein rechtskräftiges Urteil gefällt wurde. Antonio Cassesse, Richter am Den Haager Tribunal, hatte dazu seinerzeit erklärt, daß die Anklagen gegen den bosnisch-serbischen General Ratko Mladic sowie den Präsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, ein "wichtiges politisches Ergebnis" seien, weil diese bedeuten, daß beide "nicht an den Friedensverhandlungen werden teilnehmen können". Da fällt ein im Boston Globe veröffentlichter Bericht auch nicht weiter ins Gewicht [1]:

Die Clinton-Regierung verfügt nicht über eine unabhängige Bestätigung von Gräueltaten [in Srebrenica], hat aber keinen Zweifel, dass sie sich ereignet haben.... "Es ist von der Tatsache auszugehen, dass diese Burschen als Kriegsverbrecher angeklagt sind", sagte ein Sprecher des State Department.

Dieser Krieg wurde (und wird) neben dem unmittelbar militärischen Geschehen nicht nur an der medialen, sondern, mit nicht minder schwerwiegenden Folgen, auch an der juristischen Front geführt. So wie sich die maßgeblichen westlichen und internationalen Medien als Bestandteil meinungsmanipulativer Prozesse erwiesen haben, sollte sich das eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufene Jugoslawientribunal als juristischer Appendix des an diesem Krieg direkt beteiligten Westens erweisen, der zur nachträglichen Rechtfertigung seiner Interventionen die Schuld an Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen allein der serbischen und jugoslawischen Seite aufgeschultert sehen wollte. Vor diesem Hintergrund wird es niemanden mehr verwundern können, daß sich das Den Haager Tribunal nur höchst zögerlich bereit fand, gegen Angehörige der bosnisch-muslimischen sowie -kroatischen Armee zu ermitteln, um von Ermittlungen gegen US-Verantwortliche, die an den "Operationen" der kroatischen Armee direkt beteiligt gewesen sein sollen, gar nicht erst zu reden.

Anmerkungen

[1] zitiert aus: Srebrenica und die Politik der Kriegsverbrechen,
eine Analyse von George Bogdanich, vom 17. Juni 2005,
www.free-slobo.de/notes/050617gb.pdf

(Fortsetzung folgt)

24. April 2009