Schattenblick → INFOPOOL → GEISTESWISSENSCHAFTEN → MEINUNGEN


STANDPUNKT/019: "Wende"-Zeiten in der DDR - 1. Teil (Gerhard Feldbauer)


"Wende"-Zeiten in der DDR

Gregor Gysi griff 1989/90 die Liquidierung der italienischen PCI als Modell für seine PDS auf
Hans Modrow orientierte sich an ihr als Regierungschef - 1. Teil

Von Gerhard Feldbauer, 19. November 2019


In diesen Wochen werden regierungsoffizielle Stellen und ihre Medien ihre Sicht auf die Ereignisse vor 30 Jahren, die zum Anschluss der DDR an die BRD, auch "friedliche Revolution", die zur vorgeblichen "Wiedervereinigung" führte, genannt, in bekannter Weise darlegen. Ich melde mich als Zeitzeuge zu Wort, dem seine Erlebnisse in Italien von 1973 bis 1979 [1] ermöglichten, früher oder überhaupt, als das manchem Teilnehmer oder auch nur Beobachter möglich war, zu erkennen, wohin das Handeln maßgeblicher Akteure in und außerhalb der DDR führen musste. [2] Aus meiner journalistischen wie auch der folgenden diplomatischen Arbeit hatte ich Einblick in ihr Wirken in der DDR und war auch mit nicht wenigen persönlich bekannt.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1986-0421-049 / Rainer Mittelstädt / CC-BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

Berlin, 21. April 1986 - Michail Gorbatschow, Präsident der Sowjetunion (l.), und Erich Honecker, Staatsratsvorsitzender der DDR (r.)
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1986-0421-049 / Rainer Mittelstädt / CC-BY-SA 3.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Was 1989/90 und danach in der DDR und der SED vor sich ging, setze ich als hinreichend bekannt voraus. Mit dem Unterschied, dass sich der damals in der DDR bzw. der SED einsetzende Prozess in der IKP in einem Zeitraum von etwa drei Jahrzehnten vollzogen hatte, während die Weichen dafür nun in Berlin in Monaten gestellt wurden. Die inhaltlichen Aussagen übertrafen dabei bei weitem die Zugeständnisse, die die IKP unter Generalsekretär Enrico Berlinguer einst gemacht hatte.


Das opportunistische Drama in Italien

Doch zunächst ein Blick zurück auf Italien. Dort hatten wir ein Drama opportunistischen Wirkens erlebt. Die im Ergebnis des Übergangs der Zweiten Internationale auf die Positionen des Imperialismus in der Arbeiterbewegung entstandene Strömung des Opportunismus wirkte während und nach dem Ersten Weltkrieg in den sozialdemokratisch-sozialistischen Parteien. Er wandelte sie in bürgerlich-reformistische um, die einen revolutionären Kurs der Linken, vor allem der Kommunisten entgegenwirkten und eine entscheidende Basis des Machterhalts der imperialistischen Großbourgeoisie wurden.

Der Ausgang des Zweiten Weltkrieges - das Entstehen sozialistischer Staaten in Osteuropa und das Erstarken der Arbeiterbewegung in Westeuropa wie auch das Anwachsen der nationalen Befreiungsbewegungen in Ländern der "Dritten Welt" - schwächte die Positionen des Imperialismus. Im Ergebnis seiner Gegenoffensive gelang es dem Opportunismus jedoch dann, auch in die kommunistischen Parteien einzudringen. Das betraf mit dem XX. Parteitag 1956 unter Chruschtschow beginnend und mit Gorbatschow 1989/90 endend auch die kommunistischen Parteien an der Macht. Als eine wesentliche Ursache für das Eindringen des Opportunismus in die kommunistischen Parteien sah Kurt Gossweiler [3], dass die Antihitlerkoalition "in Teilen der Bewegung Illusionen über den Imperialismus genährt hatte; nur der deutsche, italienische und japanische Imperialismus seien 'böse' Imperialismen, die imperialistischen Bundesgenossen dagegen repräsentierten einen 'guten' Imperialismus, von dem keine Gefahr für den Sozialismus mehr ausginge." [4]

Das konnte etwas verabsolutiert erscheinen, wurde aber u. a. durch die Entwicklung in der KPdSU und in Italien durch die Haltung der IKP zur NATO [5] nachhaltig bestätigt. So dadurch, dass sich seit Anfang der 70er Jahre in einigen KPn der westlichen Länder (vor allem Spaniens, Frankreichs und der "Linkspartei Kommunisten" Schwedens) der sogenannte Eurokommunismus verbreitete. Diese reformistische Ideologie gab grundlegende kommunistische Positionen auf. Während Spaniens PCE unter dem späteren Sozialdemokraten Santiago Carrillo kaum über Deklarationen hinauskam und der PCF Georges Marchais auf Distanz ging, wurde die IKP unter Berlinguer zu seinem Protagonisten.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-B0121-0010-064 / Junge, Peter Heinz / CC-BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

Santiago Carrillo, Generalsekretär der KP Spaniens, bei seiner Rede auf dem VI. Parteitag der SED am 21.1.1963 in Berlin
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-B0121-0010-064 / Junge, Peter Heinz / CC-BY-SA 3.0
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

Um der faschistischen Gefahr - der von der faschistischen Partei Movimento Sociale Italiana (MSI) im Zusammenwirken mit CIA, NATO und den eigenen Geheimdiensten unter der Losung einer "chilenischen Lösung für Italien" - Einhalt zu gebieten, wollte Berlinguer zu einer Zusammenarbeit mit der großbürgerlichen Democrazia Cristiana (DC) auf Regierungsebene kommen. Auf diese nicht von vornherein abzulehnende Bündniskonzeption nahm jedoch die reformistische Strömung den entscheidenden Einfluss, was zur Aufgabe grundlegender kommunistischer Positionen führte. [6]

Auf der Grundlage der "Spielregeln der bürgerlichen Demokratie" und ihrer Integration in deren Parteiensystem proklamierte die IKP einen eigenen "Weg zum Sozialismus" [7], erkannte die kapitalistische Marktwirtschaft an und forderte lediglich eine "demokratische Transformation" des bürgerlichen Staatsmodells. Sie erklärte, nicht nur die Bündnisverpflichtungen Italiens zu respektieren, sondern verstieg sich zu dem absurden Bekenntnis, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus. Der Historische Kompromiss wurde mit dem von der CIA und der NATO-Truppe Stay behind (die in Italien Gladio hieß) inszenierten Mord an Aldo Moro zum Scheitern gebracht. [8]

Nach dem Tod Berlinguers am 11. Juni 1984 [9] und unter dem Einfluss des Perestroika- und Glasnost-Kurses Gorbatschows konnten die Opportunisten in der IKP die Führung der Partei dann an sich reißen. Bereits auf dem Kongress 1986 schlug Berlinguers Nachfolger Alessandro Natta den Sozialisten vor, sich mit den Kommunisten zu einer neuen linken Partei zu vereinigen. Der korrupte ISP-Chef Craxi, der seine Partei 1992 in den Untergang trieb, lehnte jedoch ab.

Achille Occhetto, seit Mai 1988 Generalsekretär, forcierte den sozialdemokratischen Kurs und kündigte den für März 1989 einberufenen Kongress als "Parteitag der Wende" an. Dessen Leitfigur war dann Gorbatschow, auf den sich Occhetto bereits in seiner Eröffnungsrede zehnmal als Hoffnungsträger berief. Die auf Video übermittelte Rede des KPdSU-Generalsekretärs wurde von der sozialdemokratischen Strömung, welche die Mehrheit der Delegierten stellte, stürmisch gefeiert. In seinen Beschlüssen kündigte der Kongress einen "riformismo forte" (starken Reformismus) an.

Um für das Kapital dennoch regierungsfähig zu werden [10], schritten die Opportunisten schließlich im Herbst 1989 zur Umwandlung der IKP in eine sozialdemokratische Linkspartei. In Wahrheit handelte es sich, wie Domenico Losurdo [11] einschätzte, um die Liquidierung der IKP. [12] Giorgio Napolitano, der führende Vertreter der Opportunisten, gab unumwunden zu, es gehe mit der Umwandlung darum, einer "Regierungsübernahme den Weg zu ebnen". [13]

Am 31. Januar 1991 trat in Rimini der 20. Parteitag der IKP zusammen. Zehn Tage nach ihrem 70. Jahrestag beschloss der Kongress, der am 3. Februar zu Ende ging, mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit ihre Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei (Partito Democratico della Sinistra - PdS). Mit der Beseitigung der von Antonio Gramsci 1922 im Widerstand gegen die faschistische Diktatur Mussolinis mit begründeten Partei wurde nicht nur die führende Kraft der Arbeiterklasse, sondern - wie die Entwicklung bis in die Gegenwart zeigt - auch die entscheidende Basis des Kampfes, die bis dahin den Vormarsch der Faschisten gezügelt hatte, beseitigt. [14]


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1019-011 / Franke, Klaus / CC-BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

19. Oktober 1990 - Gregor Gysi, Vorsitzender der PDS, während der polizeilichen Durchsuchung des Hauses des Parteivorstands in Berlin
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1019-011 / Franke, Klaus / CC-BY-SA 3.0
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]


Der Sturm aufs "Große Haus"

Das erste gravierende Ereignis war, dass Gregor Gysi, der seit Oktober 1989 die Ablösung der SED-Führung ins Auge gefaßt hatte, an der Spitze einer Gruppe von "Reformern" am 3. Dezember 1989 das Politbüro absetzte und selbst die Parteiführung übernahm. Das später gern "Sturm aufs große Haus" genannte Vorgehen war quasi ein Parteiputsch, denn immerhin war die Führung auf dem letzten Parteitag gewählt worden. Bei der Fraktion, die hinter Gregor Gysi stand, handelte es sich um eine Gruppe von leitenden Mitarbeitern des ideologischen Führungszentrums der SED, ihrer Akademie für Gesellschaftswissenschaften, mit Prof. Rolf Reißig (er wurde im Februar 1990 ihr Direktor) an der Spitze. [15] Diese Gruppe hatte 1987 zur Zusammenarbeit mit der SPD das Positionspapier "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" ausgearbeitet.

Gregor Gysi war uns kein Unbekannter. Er war der Sohn von Klaus Gysi, von 1973 bis 1979 erster Botschafter der DDR nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen in Italien, mit dem wir während unserer Arbeit in Rom gute Beziehungen unterhielten. [16] Sein Sohn Gregor war promovierter Jurist und wurde 1988 Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte und verteidigte als Anwalt bekannte Dissidenten der DDR wie Robert Havemann und Rudolf Bahro, aber auch Bärbel Bohley. [17] So wurde Gregor Gysi - auch von mir - zunächst durchaus als ein Mann gesehen, der der SED und der DDR einen Ausweg aus der schweren Krise aufzeigen und ihr darüber hinweghelfen könnte.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1216-014 / Senft, Gabriele / CC-BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Rudolf Bahro, wiedereingebürgerter Philosoph, als Gast auf dem außerordentlichen SED-Parteitag am 16. Dezember 1989
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1216-014 / Senft, Gabriele / CC-BY-SA 3.0
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]


Warum Gregor Gysi nach Rom eilte

Berechtigte Zweifel daran kamen auf, als Gregor Gysi nach einem Besuch bei Noch-KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow im Januar 1990 nach Rom eilte, um bei Achille Occhetto, dem letzten IKP-Generalsekretär, Erfahrungen bei der vor sich gehenden Liquidierung der IKP durch ihre unter der Losung der "Heimkehr zur Sozialdemokratie" erfolgende Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei PDS zu studieren. [18] Er scheute sich auch nicht, mit ISP-Chef Bettino Craxi zusammenzutreffen, der schon zu dieser Zeit der Korruption verdächtigt wurde. [19] Der Hintergrund konnte nur sein, dass sich Gregor Gysi - wie dann auch bekannt wurde - mit dem Gedanken trug, auch hier das IKP-Modell aufzugreifen und der SPD den Beitritt seiner PDS [20] anzutragen.

Aber während die CDU der BRD wie auch die Liberalen ohne Bedenken ihre ostdeutschen Schwesterparteien vereinnahmten, fehlte der SPD zu solch einem Schritt der strategische Weitblick, mehr wohl noch der Mut. Aber Craxi, der bereits 1986 das Angebot Alessandro Nattas, des ersten Nachfolgers Berlinguers im Amt des Generalsekretärs, zur Vereinigung der IKP mit der ISP zu einer neuen Linken Partei abgelehnt hatte, war auch diesmal nicht bereit. So konnte Gregor Gysi diesbezüglich nicht mit einem entsprechenden Signal aus Rom nach Berlin zurückkehren. Er versuchte dennoch, die DKP im Vorfeld des "Vereinigungsprozesses" auszuschalten. Sie sollte sich auflösen und ihre Mitglieder einzeln in die PDS eintreten.


Parteigänger in der DKP

In der DKP arbeitete das Leitungsmitglied Wolfgang Gehrcke auf eine Auflösung der Partei hin. Er bewirkte, dass etwa 10.000 ihrer zu dieser Zeit rund 30.000 Mitglieder die Partei verließen, von denen jedoch die wenigsten sich bei der PDS einfanden. Zum Lohn dafür erhielt Gehrcke einen Listenplatz der PDS zur Kandidatur für ein Mandat des Bundestages. Von 1998 bis 2002 und von 2005 bis 2017 war er Bundestagsabgeordneter von PDS/Die Linke. [21]

Er wurde ein zuverlässiger Parteigänger der opportunistischen Politik Gysis. 1999 griff er die Idee Gregor Gysis zur Annäherung an die SPD auf, die unter Gerhard Schröder [22] in der Regierung gerade die Interessen des Kapitals vertrat. In einem Pamphlet "Was ist neu an der 'Neuen Linken'", das das "ND" am 9./10. Januar ganzseitig veröffentlichte, bescheinigte er dem Kabinett "strategische Unterschiede" gegenüber dem vorherigen unter Kohl und plädierte für die Übernahme des wirtschaftlichen Konzepts der SPD vom "Umbau der Verfügungsverhältnisse", um dann festzumachen, dass der PDS "bei der Profilierung dieser Richtung" eine wesentliche Aufgabe zukomme, was der Ausprägung der Partei zu einer "Neuen Linken" diene. Die Katze aus dem Sack ließ Gehrcke dann, als er das Schrödersche Konzept des "besseren Fitmachens für die Globalisierung" unter einer SPD-Regierung übernahm und dazu die als "moderne Sozialpolitik" ausgegebene Forderung nach Fortsetzung des Sozialabbaus unterstützte. "Nur die Erhaltung oder Wiederherstellung alter sozialstaatlicher Regelungen zu fordern, ist keine zeitgemäße Alternative", hieß es. Die PDS müsse "neue eigene Antworten auf veränderte Bedingungen" geben und sich "glaubwürdig in die beginnende Diskussion um die Neulegitimierung des Sozialismus einbringen". Das rechnete Gehrcke dann zu den Bedingungen "ein neues Gleichgewicht zwischen hochleistungsorientierter Exportwirtschaft und den regionalen Wertschöpfungskreisen wiederherzustellen".

Unter Gregor Gysi orientierten sich die "Reformer" an dem auf sozialdemokratische Positionen übergegangenen Gorbatschow, dessen politischer Kurs sich verheerend auf den Ostblock und besonders auf die DDR als ihren bis dahin engsten Verbündeten auswirkte. Zur Haltung Gorbatschows erinnerte ich mich nun der Gespräche mit dem sowjetischen Botschafter in Kinshasa [23], aus denen hervorging, dass Moskau damals unter allen Umständen den Besuch Erich Honeckers 1987 in Bonn verhindern wollte, während Gorbatschow nun Kohl die DDR zum Verkauf anbot.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0907-017 / Oberst, Klaus / CC-BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

7. September 1987 - Erich Honecker, Staatsratsvorsitzender der DDR, zu Besuch in Bonn, neben ihm Bundeskanzler Helmut Kohl
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0907-017 / Oberst, Klaus / CC-BY-SA 3.0
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

Mit der Auflösung der Parteistrukturen vor allem in den Betrieben wurde die bereits schwer angeschlagene Partei, auf die der Gegner wie gegen das MfS seinen Hauptstoß richtete, nahezu völlig ihrer Aktionsfähigkeit beraubt. Es setzte der Prozess der Umwandlung der SED, später PDS, in eine Linkspartei sozialdemokratischer Orientierung ein.


Hans Modrows "Deutschland einig Vaterland"

Fast zeitgleich mit Gregor Gysis Italienreise unterbreitete Regierungschef Hans Modrow (seit November 1989 bis April 1990) nach Gesprächen mit Gorbatschow am 1. Februar 1990 in Moskau sein Konzept "Deutschland einig Vaterland" [24], mit dem faktisch die DDR zur Disposition gestellt wurde. Vor seiner Abreise nach Moskau musste Modrow ein Artikel von Eduard Schewardnadse in der "Iswestija" vom 18. Januar bekannt gewesen sein: "Europa - von der Spaltung zur Einheit". Darin ordnete der sowjetische Außenminister die "deutsche Frage" und die "Reformprozesse in Osteuropa" in den Zusammenhang eines sich einigenden Europa ein. Aus den Berichten über Modrows Gespräche ging mit keinem Wort hervor, ob die darin aufgeworfenen Fragen erörtert wurden, die zur Aufkündigung der mit der DDR abgesprochenen Vertragsgemeinschaft durch Kohl führten. [25]

Aus den Ausführungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau, Gerd König [26], ging hervor, dass er damit wohl der Linie Gorbatschows folgte, die Politbüro-Mitglied Jakowlew so formuliert hatte: "Es wäre gut, wenn Modrow mit einem Programm der Wiedervereinigung auftreten würde". [27] Modrow selbst äußerte dazu später: "Kohl behauptet, er habe den Schlüssel zur Einheit aus Moskaus geholt. Wenn das so sein soll, dann habe ich den Schlüssel gefeilt!" [28]

Hier ist einzublenden, dass sicher folgendes feststeht: Nachdem die DDR von Gorbatschow fallengelassen wurde und damit der wichtigste außen- und militärpolitische Faktor ihrer Existenzsicherung entfiel, war sie nicht mehr zur retten. Doch ihr Anschluss an die BRD hätte nicht in jene kampf- und bedingungslose Kapitulation münden müssen, die von der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maiziére von der ostdeutschen CDU vollzogen wurde, aber bereits unter der Regierung Modrow und der PDS unter Gregor Gysi mit zu verantworten war. [29] Doch Modrow war nicht nur zu dieser Zeit, sondern auch ein Jahr danach nicht in der Lage, den verräterischen Kurs Gorbatschows einzuschätzen. In seinem Buch "Aufbruch und Ende" [30] schwärmte er, dass "ein herzliches persönliches, aber auch ein konstruktives Arbeitsklima" herrschte und Gorbatschow für ihn "ein Mensch, der wirklich in großen Maßstäben denkt, der ein sehr komplexes Denken hat", war und ist (S. 120). Noch 2000 sah er in ihm lediglich "Unaufrichtigkeit", hatte aber inzwischen immerhin erkannt, dass sich darin seine "wachsende Unfähigkeit, die Prozesse im wohlverstandenen Interesse der UdSSR und der DDR zu beherrschen", gezeigt habe. [31]

Wie immer kein Wort, wie er sich da getäuscht hatte. Gerd König war dagegen zu entnehmen, dass Gorbatschow Besorgnis, wie es mit der DDR weitergehe, heuchelte, während in Wirklichkeit der Vereinigungsprozess "bereits im vollen Gange und die Vereinigung faktisch entschieden war" (S. 408).


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1113-054 / Reiche, Hartmut / CC-BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

Hans Modrow, Mitglied des Zentralkomitees der SED, am 13. November 1989 nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des Ministerrates der DDR
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1113-054 / Reiche, Hartmut / CC-BY-SA 3.0
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

Blenden wir hier einige Aspekte der Haltung dieses Opportunisten ein, der nicht nur die DDR an Kohl regelrecht verkaufte, sondern auch seine jahrzehntelangen Kampfgefährten der DDR skrupellos der Siegerjustiz der BRD auslieferte. Das alles war Modrow nun schon länger bekannt oder kam ihm später zur Kenntnis, ohne dass er Korrekturen seiner Einschätzungen vornahm.

Beginnen wir mit Gorbatschows öffentlicher Erklärung: "Das Ziel meines ganzen Lebens war die Vernichtung des Kommunismus, dieser unerträglichen Diktatur gegen die Menschen. (...) Als ich mich persönlich mit dem Westen bekannt gemacht hatte, verstand ich, dass ich von dem gestellten Ziel nicht ablassen durfte. Um dieses zu erreichen, musste ich die ganze Führung der KPdSU und der UdSSR ersetzen, und ebenso die Führung in allen sozialistischen Ländern. (...) Nach dem Jahr 2000 wird eine Epoche des Friedens und der allgemeinen Blüte anbrechen." [32]

Gorbatschow nahm auch für sich in Anspruch, dass er im Herbst 1989, während er sich zum Staatsbesuch in der VR China befand, zu den Konterrevolutionären auf dem Tian'anmen-Platz (Platz am Tor des Himmlischen Friedens) in Peking sprechen und sie zu ihrem Ziel, die chinesische Führung zu stürzen, ermuntern wollte. [33] Die chinesische Führung durchschaute seine Machenschaften und verhinderte das.

Bei einem Besuch an der Grenze zu Westberlin (der "Mauer") hatte er 1986 ins "Gästebuch" geschrieben: "Am Brandenburger Tor kann man sich anschaulich davon überzeugen, wie viel Kraft und wahrer Heldenmut der Schutz des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden vor den Anschlägen des Klassenfeindes erfordert. Die Rechnung der Feinde des Sozialismus wird nicht aufgehen. Unterpfand dessen sind das unerschütterliche Bündnis zwischen der DDR und der UdSSR. ... Ewiges Andenken an die Grenzsoldaten, die ihr Leben für die sozialistische DDR gegeben haben."

Einen Gipfelpunkt seiner Heuchelei erreichte dieser Renegat, als er 2004 vor Schülern der Hildegard-Wegscheider Oberschule in Berlin-Wilmersdorf sagte: "Wenn ich mich an die Mauer in Berlin erinnere, spüre ich heute noch Entsetzen über dieses Bauwerk". [34]

Den Gipfel des Verrats an der DDR erklomm Gorbatschow bereits im Juli 1990 bei den letzten Verhandlungen in Archys im Nordkaukasus mit einer Delegation Kohls, bei denen auch die strafrechtliche Verfolgung ehemaliger Führer der DDR zur Sprache kam. Kohl habe Gorbatschow immerhin vorgeschlagen, den Personenkreis zu benennen, gegen den keine strafrechtlichen Verfolgungen eingeleitet werden sollten. [35] Doch der sowjetische Präsident habe erwidert, "die Deutschen würden schon selbst mit diesem Problem fertig". Selbst Kohl und der anwesende Genscher hätten betreten auf den Präsidenten der UdSSR geblickt. [36]

Hätte Gorbatschow Kohl in Archys "eine Liste mit - sagen wir - hundert Namen übergeben, die als 'Persona grata', als 'Unantastbare' gegolten hätten, wäre es der bundesdeutschen Justiz nie möglich gewesen, Verfahren in jenem demonstrierten Schauprozessstil zu inszenieren". [37] Die Auslieferung von Repräsentanten eines mit der UdSSR durch einen Freundschaftsvertrag verbundenen Staates an den Feindstaat war "die Schmierenkomödie eines verantwortungslosen politischen Hasardeurs". [38]

Wie bei Gysi war auch in Modrows "neuem Deutschland" ganz offensichtlich für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) kein Platz vorgesehen. Er verschwendete, wie Ellen Weber in ihrer Rezension des Buches von Modrow vermerkte [39], "keine Gedanken zu den Kampfgefährten der DKP", die Aufbau und Existenz der DDR "mit großen Opfern (ich denke nur an die von Berufsverboten Betroffenen) begleitet haben." Mir selbst fiel in dem Buch auch auf, dass Modrow und seine PDS-Minister in ihrer schwierigen Regierungszeit mit den westdeutschen Kommunisten keinerlei Erfahrungsaustausch suchten, der sie vor manch hoffnungsloser Illusion, die sie über den deutschen Imperialismus hatten, hätte bewahren können.


"Offen wie ein Scheunentor"

Vor Modrows Amtsantritt war die Grenze nach Westberlin geöffnet worden, an der, wie er einräumte, "das Schicksal der DDR - und des Friedens! - wie an einem seidenen Faden" hingen. Diese Maßnahme stand unausweichlich auf der Tagesordnung. Aber wie sie völlig unvorbereitet erfolgte, wurde ein entscheidendes politisches und ökonomisches Faustpfand gegenüber der BRD aus der Hand gegeben. Wie der "International Herald Tribune" am nächsten Tag berichtete, habe "Moskau ruhig zugeschaut". Der Botschafter Washingtons in Bonn Vernon Walters (siehe weiter unten) habe die Grenzöffnung von einem Hubschrauber aus beobachtet. Diese Grenze wurde nun unter Modrow zunächst kaum und dann überhaupt nicht mehr kontrolliert. Damit war die DDR "offen wie ein Scheunentor, und westliche Dienste, vor allem die der BRD und der USA, schalteten und walteten nach Belieben", schätzte Heinz Engelhardt ein. [40]

So wurden zur Volkskammerwahl am 18. März 1990, die als erste freie Wahl gepriesen wurde, von den Parteien der BRD rund 40 Millionen DM "für den Machtwechsel investiert, 100.000 Schallplatten und Kassetten mit drei Reden Kohls verteilt, Wahlkämpfer in Bussen in die DDR gekarrt, Plakate geklebt - zum Beispiel in Erfurt 80.000 allein in einer Nacht durch hessische CDU-Mitglieder." [41] Der Bürgerrechtler Prof. Jens Reich, Mitbegründer des "Neuen Forums", das in der Partei Bündnis 90/Die Grünen" aufging, räumte ein: "Das Bonner Nilpferd ist in einer Massivität gekommen, dass man einfach hilflos war. Im Wahlkampf ist einfach der gesamte Apparatismus des Westens in den Osten gebracht worden. Dem hatten wir nichts entgegenzusetzen. Das waren in die DDR exportierte Westwahlen." [42] Yana Milev resümierte: "Der ganze Wahlkampf bis hin zum Beitritt war völkerrechtswidrig". Während von Bonn die Wahlmanipulierungen im Mai 1989 in der DDR lauthals angeprangert wurden, kam niemand - auch seitens der PDS nicht - auf die Idee, publik zu machen, dass hier ähnlich verfahren wurde.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-036 / Link, Hubert / CC-BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

4. November 1989, Berlin, Alexanderplatz - Jens Reich vom "Neuen Forum" ergreift das Wort
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-036 / Link, Hubert / CC-BY-SA 3.0
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en]

Engelhardt wurde im November 1989 von Modrow beauftragt, das in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannte MfS aufzulösen. Unter diesen Bedingungen habe der Ministerpräsident den "Bürgerrechtlern", also der überwiegend antikommunistischen Opposition, bei der Auflösung des MfS obendrein ein entscheidendes Mitspracherecht eingeräumt [43], während er keinerlei Zusammenarbeit "mit ihm und seinen Leuten" gesucht habe. Gegen den für den 15. Januar 1990 angekündigten "Sturm" auf den MfS-Komplex in Berlin-Lichtenberg habe Modrow keinerlei Maßnahmen ergriffen, obwohl das dazu führte, dass das MfS zum ersten Mal "von einem gegnerischen Dienst inspiziert wurde", der sich "ganz gezielt" zur Hauptabteilung II, der Spionageabwehr, begab. Um die Partei zu retten, hätten Krenz, Modrow und andere das MfS "den Medien zum Fraß vorgeworfen". Und unter Gregor Gysi, der seit Dezember 1989 an der Spitze der SED-PDS stand, wollte die Partei von den MfS-Mitarbeitern "nichts mehr wissen". [44]

Es mutet seltsam an, dass Modrow selbst einräumte, dass gegen ihn "zahlreiche Geheimdienste wirkten", und durch die BND-Agenten "dem Bundeskanzleramt ständig Informationen zuflossen." [45] Zu einem selbstkritischen Eingeständnis, dass seine Regierung dem tatenlos zuschaute, konnte er sich dennoch nicht aufraffen.

Als ich Anfang 1990 las, dass die "FAZ" Modrow "Achtung zollt", fiel mir August Bebels Warnung ein, dass man einen Fehler gemacht haben muss, wenn der Klassengegner Lob spendet. Dann reihte sich auch noch Edzard Reuter, der damalige Aufsichtsratsvorsitzende des Daimler-Benz-Konzerns, unter diejenigen ein, die Modrow als "Hoffnungsträger" feierten. Wahrscheinlich war Ausgangspunkt, dass Modrow, als die Krise der DDR im Herbst 1989 mit den Protesten in Dresden (wo Modrow Sekretär der Bezirksleitung der SED war) einen Höhepunkt erreichte, zusammen mit Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer an der Spitze einer Demonstration lief, der die Losung vorangetragen wurde: "Weg mit der SED". Zu seinen "Dialogpartnern", mit denen er "eingetretene Verzerrungen der sozialistischen Gesellschaft" überwinden wollte, gehörte Arnold Vaatz, später Minister der Biedenkopf-Regierung in Sachsen, dessen fanatisch antikommunistische und DDR-feindliche Gesinnung schon zu dieser Zeit hinreichend bekannt war.

Als Modrow die Regierungsgeschäfte übernahm, mussten ihm die Dresdner Ereignisse also hinreichende Erfahrungen vermittelt haben, dass er es nicht nur mit berechtigten und auch nicht berechtigten Forderungen von Oppositionellen zu tun hatte, sondern dass unter ihrem Dach zunehmend offen die Konterrevolution antrat. Vielleicht weckte Modrow auch "Hoffnungen", weil er sich in klarer Distanzierung zur DKP als "Nicht-Kommunist" positionierte. [46] Dazu konnte auch beitragen, dass Modrows Stellvertreterin und Wirtschaftsministerin, Christa Luft, Kohls Konzept der "Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion", das der Wegbereitung des Anschlusses der DDR an die BRD nach Artikel 23 GG diente, "faszinierend" und auch "wünschenswert" fand. [47]

(Fortsetzung folgt)


Fußnoten:

[1] Mit meiner Frau Irene (als Fotoreporterin) war ich vom Mai 1973 bis April 1979 als Korrespondent für den "Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst" (ADN) und das "Neue Deutschland" (ND) in Rom tätig. Dazu erschien gerade mein Buch "Umbruchsjahre in Italien. Als Auslandskorrespondent in Rom 1973 bis 1979".

[2] Die Darlegungen konzentrieren sich dabei auf Gregor Gysi und Hans Modrow als die beiden herausragenden Akteure.

[3] Zunächst bedeutender Faschismus-Forscher der DDR, u. a. mit "Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919-1924" (Berlin/DDR 1984), widmete er sich in den 90er Jahren den opportunistischen Escheinungen des Revisionismus in der kommunistischen Bewegung, den er in Abgrenzung zum klassischen Revisionismus "moderner Revisionismus" nannte.

[4] Gossweiler: Wider den Revisionismus, Berlin 1997, S. 323. Wobei, wenn man von der Haltung der PDS ausging, nun hinzukam, dass die "Reformer" selbst gegenüber dem deutschen Imperialismus solche Illusionen hegten.

[5] Im Rahmen der Vereinbarung mit der Democrazia Cristiana (DC) zur Regierungszusammenarbeit (Historischer Kompromiss) erkannte IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer nicht nur die NATO an, sondern erklärte obendrein, sie eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus ("Corriere della Sera", 15. Juni 1976).

[6] Diese Entwicklung wird hier kurz skizziert, um zu verdeutlichen, an welchem Leitbild sich die Gruppierung um Gregor Gysi in der SED dann orientierte und dass das Eingang auch in den Kurs der Regierung unter Modrow fand.

[7] Gegen einen "eigenen Weg" war nichts einzuwenden. Unter den dann dargelegten Rahmenbedingungen konnte aber von einem wissenschaftlichen Sozialismus im Sinne von Marx und Engels keine Rede mehr sein.

[8] Feldbauer: "Compromesso storico. Der Historische Kompromiss der IKP und die heutige Krise der Linken". Schriftenreihe "Konsequent" der DKP Berlin, Heft 2/2013.

[9] Er erlitt, während er auf einer Kundgebung seiner Partei zu den EU-Wahlen in Padua sprach, am 7. Juni einen Herzinfarkt und verstarb vier Tage später.

[10] Hier ist vorab festzuhalten, dass dieses Ziel ebenfalls von der PDS/Die Linke übernommen wurde, so mit Beteiligungen an Länder-Regierungen in Berlin (wo Gysi selbst Senator für Wirtschaft wurde), in Mecklenburg-Vorpommern und zuletzt in Thüringen mit Ramelow als Ministerpräident.

[11] Führender kommunistischer Philosoph Italiens, Dekan der Philosophischen Fakultät an der Universität von Urbino, Präsident der Internationalen Gesellschaft Hegel-Marx für dialektisches Denken und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin. Gab zusammen mit dem 2011 verstorbenen Hans Heinz Holz die philosophische Halbjahresschrift "Topos" heraus. Losurdo verstarb 2017.

[12] Interview für jW, 19./20. April 2008.

[13] "Unita", 8. Januar 1990. Siehe auch "Die Niederlage der Linken in Italien und der Renegat Napolitano". Feldbauer in "Konsequent", Heft 1/2015.

[14] 1994 kam mit Silvio Berluconi an der Spitze eine faschistische Allianz aus dessen Partei Forza Italia (FI), der Partei Movimento Sociale Italiano (MSI), einer Wiedergründung der Partei Mussolinis, und der rassistischen Lega Nord an die Macht. Sie war das Werk einer in Italien von der CIA gebildeten faschistischen Putschloge (P2), in der besagter Berlusconi im Dreierdirektorium saß. Der zweite Vize war Sozialistenchef Bettino Craxi, von dem noch die Rede sein wird. Diese Faschistenallianz regierte mit Unterbrechungen bis 2011 zehn Jahre Italien. 2018/19 folgte für 14 Monate eine neue Regierung, zu der die faschistische Lega gehörte, die ein an Mussolini orientiertes Regime errichten wollte.

[15] Reißig wurde später Mitglied des Willy-Brandt-Kreises der SPD.

[16] Siehe Umbruchsjahre, S. 13 ff.

[17] Letztere gehörte zu denen, die ihm Mandantenverrat vorwarfen und ihn als "Stasispitzel" diffamierten. Gregor Gysi hat das immer bestritten und erklärt, er sei von Mitarbeitern des MfS, die, als Vertreter von DDR-Institutionen getarnt, ihm gegenüber aufgetreten seien, abgeschöpft worden. Jedenfalls setzte er zahlreiche Unterlassungsbescheide durch, die verboten, ihn als "Stasispitzel" zu bezeichnen. Ich komme darauf noch zurück.

[18] Aus dem Namen Partito Democratico della Sinistra ergab sich auch noch die Namensgleichheit mit dem deutschen Parteikürzel PDS.

[19] Auch ihn und seine Korruptionspraxis kannten wir aus Italien (siehe "Craxi der Gesegnete und Korrupte", in Umbruchsjahre, S. 62 ff). 1992 begann die Mailänder Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen ihn, die 1994 zu einer lebenslangen Haftstrafe führten.

[20] Die SED führte ab Dezember 1989 den Doppelnamen Sozialistische Einheitspartei Deutschlands - Partei des Demokratischen Sozialismus (SED-PDS). Ab 4. Februar 1990 nannte sie sich nur noch Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Am 16. Juni 2007 fusionierte sie mit der WASG (Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative) zur Partei Die Linke.

[21] Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass er in der Außenpolitik gelegentlich kritische Positionen bezieht.

[22] Das Kabinett Schröder I vom Oktober 1999 bis Oktober 2002.

[23] Der Autor war von 1983 bis 1987 Botschafter der DDR in Zaire, Burundi und Ruanda.

[24] Nachzulesen in "Ich wollte ein Neues Deutschland", Berlin 1998, das Modrow zusammen mit Hans Dieter Schütt, dem früheren Chefredakteur der "jungen Welt" und späteren langjährigem Ressortchef des "ND", schrieb. Ich erwähne hier kurz einige Aspekte der Haltung Modrows. Ich habe das Buch ausführlich in den "Weißenseer Blättern" 1/1999 vorgestellt: Zu Hans Modrows Buch "Ich wollte ein Neues Deutschland".

[25] Siehe Eberhard Czichon/Heinz Marohn: "Das Geschenk. Die DDR im Perestroika-Ausverkauf", PapyRossa, Köln 1999, S. 345.

[26] Auch ihn kannte ich gut. Während meiner Zeit in Kinshasa war er als stellvertretender Minister mein zuständiger Bereichs-Chef, den ich damals natürlich über meine Eindrücke vom sowjetischen Botschafter informiert hatte. Aus einer Begegnung mit ihm in den "Wende"-Tagen erhielt ich so einige Informationen direkt aus "erster Hand".

[27] Gerd König: "Erinnerungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau. Fiasko eines Bruderbundes". Berlin 2010, S. 394.

[28] "Keine Zeit für Illusionen". Karl-Heinz Arnold: Mit Hans Modrow erlebt: das vorletzte Kapitel der DDR-Geschichte. "Wochenpost", Nr. 38/1990.

[29] König, S. 393 ff.

[30] Konkret-Verlag, Hamburg 1991.

[31] "Hans Modrow über verpasste Chancen und das Ende der DDR". "ND" zur Modrow-Initiative "Deutschland einig Vaterland", 1. Februar 2000.

[32] Bericht der "Prawda Rossi" vom 26. Juli 2000 über Gorbatschow vor einem Seminar an der US-amerikanischen Universität in Ankara im Herbst 1999. Wiedergegeben in der "UZ" vom 8. September 2000, zitiert auch in: Justus von Denkmann: Wahrheiten über Gorbatschow, Spotless, Berlin 2005, S. 13. Da sich in Wikipedia nichts über einen Justus von Denkmann findet, dürfte es sich wahrscheinlich um ein Pseudonym des Spotless-Verlegers Klaus Huhn handeln, der ein führender Sportjournalist, u. a. des "ND", sowie Sportfunktionär der DDR war. Sein bekanntestes Pseudonym war Klaus Ullrich. Seit 1954 Organisationsleiter der Internationalen Friedensfahrt, 1967 bis 1969 Präsident des Radsportverbandes der DDR, Gründungsmitglied des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR und bis 1989 Mitglied des Bundesvorstand, 1976 bis 1993 Mitglied des Vorstands des Europäischen Sportjournalistenverbandes (UEPS), zuletzt als Vizepräsident und Generalsekretär. Am 20. Januar 2017 verstorben.

[33] Im Gespräch mit dem "Spiegel", Nr. 29/1999.

[34] Denkmann, S. 14 f.

[35] Schon das hätte Gorbatschow aufzeigen müssen, welches Schicksal Funktionäre der DDR auf allen Ebenen und in allen Bereichen nach dem Anschluss an die BRD erwartete.

[36] Alexander von Plato: Die Vereinigung Deutschlands - ein weltpolitisches Machtspiel. Bush, Kohl, Gorbatschow und die geheimen Moskauer Protokolle. Bonn 2002. Zit. in Denkmann, S. 84 ff. Nachzulesen auch in Czichon/Marohn, S. 396.

[37] Denkmann, S. 86.

[38] Czichon/Mahron, S. 396. Gorbatschow habe später in einem Schreiben an Kanzler Kohl verbal behauptet, "man sei sich einig gewesen, dass ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werden müsse". Hinweise dazu konnten jedoch "weder in den Bonner Protokollen noch in einer Gesprächszusammenfassung der sowjetischen Seite gefunden werden" (Denkmann, S. 87).

[39] Ellen Weber: "Lesenswert", "UZ", 8. Mai 1998.

[40] Heinz Engelhardt mit Peter Böhm: Der letzte Mann. Countdown fürs MfS. Edition Ost, Berlin 2019. Hier ist auch das fundierte zweibändige Werk "Die Sicherheit", Hg. Reinhard Grimmer, Werner Irmler, Willi Opitz, Wolfgang Schwanitz, edition ost, Berlin 2002, 1. Auflage, zu erwähnen, an dem 20 Generäle und Oberste der Abwehr mitgearbeitet haben.

[41] Yana Milev, Soziologin, habilitierte Dozentin an der Universität von St. Gallen, Verfasserin (u. a.) der Zweibändigen Studie "Entkoppelte Gesellschaft, Ostdeutschland 19989/90, Bd. 1 "Anschluss", Bd. 2 "Umbau" (Verlag Peter Lang, Bern/Berlin 1989/90) im Gespräch mit "junge Welt", 13. Juli 2019.

[42] Zit. in: ebd.

[43] "Der Runde Tisch war ein Gremium, das nicht einmal nach bürgerlich-parlamentarischen Regeln geschweige denn von der Verfassung der DDR legitimiert war. Es war reine Machtanmaßung, die Regierung der DDR in scharfer Form aufzufordern, das AfNS unter ziviler Kontrolle aufzulösen. Die Volkspolizei übernahm an diesem Tag die Sicherheit der örtlichen Dienststellen des AfNS u.a. auch, um die weitere Vernichtung von Akten zu verhindern." (Wolfgang Schwanitz, zit. in: Czichon/Marohn, S. 311.)

[44] Mit Engelhardt legte erstmals ein Insider in sachlicher Weise seine Sicht auf die letzten Monate der Arbeit des MfS dar. Der Autor setzt sich mit den Angriffen während der 1989/90 systematisch geschürten "Stasi-Hysterie" auseinander, räumt überzogenes Sicherheitsdenken ein, thematisiert Karrierismus, Arroganz, Überheblichkeit, zeigt aber auch, dass viele politische Ge- und Verbote in der DDR einer auch in der BRD üblichen Praxis entsprachen. Ich habe das Buch in "junge Welt" vom 16. September 2019 rezensiert: "Offen wie 'ein Scheunentor'. Der Klassenfeind war keine Einbildung: Heinz Engelhardt über die letzten Monate des Ministeriums für Staatssicherheit", Edition Ost, Berlin 2019.

[45] Zitate aus seinem angeführten Buch.

[46] In seinem Buch beantwortete er die Frage seines Ko-Autors H. D. Schütt, "Sind sie Kommunist?", mit einem klaren "Nein". Dazu führte er den lächerlichen "Beweis" an, er habe "im Gegensatz zu anderen in der DDR auch nie mit 'kommunistischen Grüßen' unterschrieben. Und zwar deshalb nicht, weil ich nie dieses eingeengte Verständnis von Kommunismus hatte." Fest steht wohl, die Funktionäre der SED fühlten sich zu DDR-Zeiten im Sinne von Marx als Kommunisten, womit das Bekenntnis zum Endziel der sozialistischen Revolution ausgedrückt wurde. Dass eine wahrscheinlich große Mehrheit davon dann nichts mehr wissen wolle, steht auf einem anderen Blatt. Modrow wich bei der Verneinung, Kommunist zu sein, einer klaren Antwort aus, ob dieses weltanschauliche Bekenntnis sich schon auf seine DDR-Zeit bezog. Geäußert wird er sich früher so wohl kaum haben. Wie sonst hätte er es bis ins ZK und an die Spitze einer SED-Bezirksleitung gebracht? Ausführlich siehe Rezension des Buches.

[47] Zit. in: Czichon/Marohn, S. 392.

*

Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang