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PROFIL/015: Olympe de Gouges - Aufklären anders (ROSA)


ROSA:35 - Die Zeitschrift für Geschlechterforschung - September 2007

Olympe de Gouges - Aufklären anders

Von Nicola Condoleo


"Es werde Licht!" wird so mancher Pfaffe geschrieen haben - so sei es! Und die Aufklärung beginnt - aber anders: Olympe de Gouges, Frauenrechtlerin der ersten Stunde brachte während der Französischen Revolution mit ihrer "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" Licht ins Dunkel männlicher Halbherzigkeit.


Was ist Aufklärung? Die berühmte Antwort Kants: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit."

Marie Gouze alias Olympe de Gouges müsste demnach als ein glänzendes Beispiel einer aufgeklärten Person gelten - aber an ihr öffnet sich die Widersprüchlichkeit so vieler Aufklärer des 18. Jahrhunderts:(1) Hatte sie einerseits als Frau den Mut sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, machte sie sich andererseits unmöglich - es wurde offenbar, dass der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, Ausgang aus der fremdverschuldeten Unterdrückung bedeutete. Den Mann, den Prototypen des Menschen, damit in seinem Selbstverständnis in Frage zu stellen - und das tat Olympe bereits, indem sie literarisch und politisch aktiv wurde - das war schon etwas Ungeheuerliches...


Hommes sweet Hommes

Dass ein Mensch vor allem ein Mann ist und Olympe de Gouges diesen Doppelsinn 1791 scharfsinnig mit der "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" entlarvte, bedeutete den Status der Frau als Unperson aufzuheben, sie erst als Frau im Recht geltend zu machen. Damit stellte sie des Pudels Kern der rechtlichen Person bloss - den Mann. Aber ihre "Déclaration" blieb bereits damals natürlicherweise ungehört (allzu unerhört), vielleicht auch, weil sie sie ausgerechnet der Königin Marie Antoinette widmete. Dennoch zeichnet dieser Text ihr gesamtes politisches Engagement während der Französischen Revolution aus, scheute sie doch zu keiner Zeit die Konfrontation, um nicht als eine der wenigen die Rechte der Frau geltend zu machen. Der visionäre Charakter dieser Schrift wird nur umso deutlicher, wenn die Frauen 1795 in Frankreich, zwei Jahre nach dem Tod von de Gouges, wieder gänzlich aus der Politik ausgeschlossen wurden. Dass Gleichberechtigung selbstverständlich sein sollte, war damals nicht einmal ein Lippenbekenntnis (sicherlich nicht in der Nationalversammlung - vielleicht wenigstens im Boudoir).


"Mann, bist du fähig, gerecht zu sein?"

In der Einleitung zu "Les droits de la femme" fragte Olympe de Gouges die Männer kühn: "Sag an, wer hat dir die selbstherrliche Macht verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken?" Sie fragte damit nicht nur rhetorisch nach dem Grund von politischer Benachteiligung, sondern notwendigerweise auch nach der Natur der Geschlechter und ihrer Identität: Worin unterscheiden sich Frauen gegenüber Männern? Gibt es einen Unterschied? Welche Rolle spielt das für die rechtliche Anerkennung? "Befürchtet ihr [Frauen; nc] ..., dass diese Männer in der gleichen Weise zu euch sprächen: 'Frauen, was habt ihr mit uns gemein?' 'Alles', müsstet ihr da entgegnen." Die Betonung liegt vor allem auf der Forderung nach Gleichberechtigung. Wenn die Frauen alles mit den Männern gemeinsam haben sollen, so rückt in ihrer Version der Frauenrechte gerade auch die gesellschaftliche Benachteiligung in den Vordergrund; sie geht damit über eine bloss rechtliche Gleichbehandlung hinaus. Sie hat aber - klar besehen - mit ihrer Forderung nichts anderes getan als den eigenen Anspruch der Aufklärung konsequent weiter zu denken, den gepredigten Universalismus der deklarierten Menschenrechte allen Menschen zuzusprechen; zugleich aber schaffte sie es, damit die Bedürfnisse der Frau zu betonen, die völlige Nivellierung der Unterschiede zu verweigern. Wenn sie jenseits des universalistischen Anspruchs der Menschen- und Bürgerrechte die Anliegen der Frauen zum Ausdruck brachte, dachte sie bereits durch den absoluten Anspruch der Aufklärung hindurch, über ihn hinweg, programmatisch zu einer Anerkennung der Frau hin, die mehr als blosse Gleichberechtigung bedeutete - zum Beispiel im Artikel XI, wenn es heisst: "Die freie Gedanken- und Meinungsäusserung ist eines der kostbarsten Rechte der Frau, gewährleistet diese Freiheit doch auch die gesetzliche Vaterschaft. Jede Bürgerin kann demnach ohne Einschränkung sagen: 'Ich bin die Mutter eines Kindes, das von Euch stammt', ohne dass ein barbarisches Vorurteil sie dazu zwänge, die wahren Umstände geheimzuhalten." Dieser Artikel unterscheidet sich wesentlich von jenem der "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte", da Olympe de Gouges einen Passus hinzufügte, der die Mutterschaft in ihr Recht hob, der die Frau und Mutter von der väterlichen Willkür befreien sollte, wenn dieser ein Kind nicht anerkennen wollte. Im angehängten Entwurf eines "Gesellschaftsvertrages zwischen Mann und Frau" exemplifiziert sie dies sarkastisch am wohlhabenden und kinderlosen Epikureer nochmals, wenn sie schreibt, dass es ihm recht angenehm sein müsse, ohne Konsequenzen die Familie seines armen Nachbarn zu vergrössern. Erst wenn die Frau die Möglichkeit habe, ihn zur Anerkennung seiner Kinder zu zwingen, würden gesellschaftliche Bande enger und - natürlich - die Sitten sich verbessern.

Olympe de Gouges selbst wurde von ihrem angeblich adligen Vater nie anerkannt, wenn sie auch nicht unehelich geboren wurde. Auch ihre Wahl, nach dem Tod ihres aufgezwungenen Mannes nicht mehr zu heiraten, erklärt dabei ihre Sensibilisierung für die Anliegen alleinstehender Frauen, unehelicher Kinder und der damit verbundenen Entrechtung und Not.


"Femme, réveille-toi!"

Ganz im Geiste des "Sapere aude!" oder "Wage zu wissen!", das Kant 1784 als Wahlspruch der Aufklärung verkündete, richtete sich de Gouges in der Postambule ihrer "Déclaration" vor allem auch an die Frauen. Leider fand sie zu ihrer Zeit nur wenige Mitstreiterinnen (geschweige denn Mitstreiter), quasi keine ausserdem, die sich wie sie der Literatur und der schriftlichen Agitation widmete. Aber ihr eigenes Erwachen, ihr selbstbewusstes politisches Engagement, blieb nicht ohne Konsequenzen. Sie hatte sich trotz Warnungen von verschiedenen Seiten in ihren Pamphleten immer wieder gegen Robespierre gewendet. Als Führer der Jakobiner gestaltete er während der Jahre 1793 bis zu seinem Tod 1794 entscheidend die Wendung der Revolution zur Repression - als Regisseur des 'Terreur' war er verantwortlich für die massenhafte Guillotinierung angeblicher KonterrevolutionärInnen.

Eine wenn auch polemische, so doch scharfsinnige und weitsichtige Schrift gab Olympe de Gouges 1792 unter dem Titel "Prognose Maximilien Robespierres betreffend" heraus. Unter dem Pseudonym Polyme, "... einem Tier ohne Gleichen; nicht Mann nicht Frau", einem Anagramm von Olympe, sagte sie bereits die Vernichtung der Revolution und ihrer Werte voraus, sollte Robespierre an der Macht bleiben ("jedes deiner Haare steht für ein Verbrechen"). Nicht nur ihre kassandrische Voraussage zeichnet diesen Text aus, vor allem auch ihre Selbstbezeichnung als amphibisches Tier zeigt, dass sie sich ihrer Stellung als Frau in einer von Männern beherrschten Szenerie sehr bewusst war - sie nahm männliche Attribute an und begann deren Machtbereich aufzulösen. In der späteren "Entgegnung auf die Rechtfertigung Maximilien Robespierres"(2) gibt sie sich zu erkennen: "Ich bin es Maximilien, die die Prognose geschrieben hat; ich, Olympe de Gouges, mehr Mann als Frau." Zugleich aber besiegelte sie mit diesen und den folgenden Schriften ihr eigenes Schicksal.

Im Artikel X ihrer Deklaration formulierte sie eine ihrer berühmtesten Forderungen: "Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen, gleichermassen muss ihr das Recht zugestanden werden, eine Rednertribüne zu besteigen." Nur das erste wurde ihr zugestanden - 45-jährig wurde sie enthauptet - und dennoch klingt ihre Stimme nach: "Ma voix se fera entendre du fond de mon sépulcre."(3)


Nicola Conoleo studiert Philosophie, Theaterwissenschaft und Germanistik in Zürich und Bern.
nicola_condoleo@bluewin.ch

Anmerkungen

(1) Kant wird in seiner Rechtslehre von 1197 deutlich: siehe z.B. § 26 und 47.

(2) Die Rechtfertigung betrifft die Vorwürfe der gegnerischen Girondisten, er hege Absichten zur Alleinherrschaft.

(3) "Meine Stimme wird sich aus der Tiefe meines Grabes Gehör verschaffen."


Literatur

Gouges, Olympe de, Ecrits Politiques 1788 - 1791 u. 1792 - 1793, Paris 1993.

Gouges, Olympe de, Schriften: Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, hrsg. v. Monika Dillier et al., Frankfurt am Main 1989.

Kant, Immanuel, "Beantwortung der Frage: 'Was ist Aufklärung?'", in: Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, hrsg. v. Ehrhard Bahr, Stuttgart 1996.


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Quelle:
ROSA:35 - Zeitschrift für Geschlechterforschung
Ausgabe September 2007, S. 7 - 9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2009