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STRÖMUNGEN/025: Der Auferstehungsglaube aus Sicht der analytischen Philosophie (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 12/2010

In letzter Sekunde
Der Auferstehungsglaube aus Sicht der gegenwärtigen analytischen Philosophie

Von Thomas Schärtl


Metaphysische Fragen sind in der Analytischen Philosophie und Religionsphilosophie derzeit höchst virulent. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Auferstehungsvorstellungen, die ein neues Licht auf einen zentralen Aspekt des christlichen Glaubens werfen.


Drei Bücher markieren im Jahr 2010 einen Umstand, den die theologische Zunft in Deutschland mit etwas Erstaunen, vielleicht aber auch mit ein wenig Neugier betrachten wird: Philosophinnen und Philosophen, die vornehmlich dem Lager der Analytischen Philosophie zuzurechnen sind, beschäftigen sich mit einer Frage, die bisher immer noch in die christliche oder muslimische Dogmatik gehörte - aber nicht in den Kernbereichen der Philosophie vermutet worden war.

Dabei bilden die von Godehard Brüntrup, Matthias Rugel und Maria Schwarz (Auferstehung des Leibes - Unsterblichkeit der Seele, Stuttgart 2010) einerseits und von Georg Gasser (Personal Identity and Resurrection. How Do We Survive Our Death? Farnham-Aldershot 2010) andererseits herausgegebenen Bücher einen repräsentativen Einblick in eine spannende Debatte, die in der Analytischen Religionsphilosophie schon vor etwa dreißig Jahren begonnen hatte. Allen Beiträgen geht es mit dem Begriff der Auferstehung um ein metaphysisches Paradeproblem: die Frage nach den Bedingungen der personalen Identität durch die Zeit.

Das dritte Buch, das sich unter dem Stichwort "Surviving Death" (Princeton 2010) mit dem Thema befasst, stammt von Mark Johnston - einem US-amerikanischen Philosophen, der als Kontrapunkt für eine nicht-rationale, nicht-realistische Interpretation religiöser Aussagen eintritt und an die Stelle der religiösen Jenseitshoffnung, für die er allenfalls einen winzigen Spalt offen lässt, ein Weiterleben des Individuums im Strom der Menschheitsgeschichte annimmt. Bevor Theologinnen und Theologen hier jedoch mit den Augen rollen und Johnstons Vorschlag als "frommen Atheismus" abtun, sollte sie die Tatsache nervös machen, dass Johnston von menschlicher Individualität als "agapischer Existenz" spricht. Individualität und personale Identität werden von ihm nicht mehr im Selbstbewusstsein oder in anderen Instanzen verankert, sondern in der Weise, wie sehr und wie tief Menschen andere Menschen lieben. Nur so könne ein Mensch den Tod überleben und trotz des Todes (zumindest in der Zeit) weiterexistieren.

Was Johnston auf der einen und die von Brüntrup und Gasser vorgestellten Autoren auf der anderen Seite verbindet, ist die Überzeugung, dass die Frage nach der Auferstehung der Toten eine Spezialfrage der Fragen nach der personalen Identität durch die Zeit ist. Diese Diskussion prägt die Analytische Metaphysik seit fast vierzig Jahren. Und unter dem Stichwort der Diskussion um die Auferstehung lassen sich erstaunliche Veränderungen beobachten: Stand am Anfang John Lockes so genanntes psychologisches Kriterium der personalen Identität im Vordergrund, finden sich jetzt Verschiebungen hin zu einem klaren materialistischen Kriterium oder aber zu einer neuen Sicht auf Personen, die recht unbefangen, aber mit vollem Ernst von der Notwendigkeit der Ersten-Person-Perspektive sprechen.


Metaphysik des Selbst

Johnston dagegen steht für den nie verschwundenen, latenten Skeptizismus angesichts eines tragenden Kriteriums für personale Identität. Er votiert für eine Sicht, die schon Derek Parfit vertreten hatte: nämlich dass es nicht darauf ankomme, dass "ich" überlebe (zumal niemand sagen könne, was dieses "Ich" sei), sondern dass es darauf ankomme, dass etwas von mir überlebt. Während Parfit seine Sicht in einer allegorisierenden Mischung aus Buddhismus und Wittgenstein illustriert, reichert Johnston seine Perspektive mit hinduistischen Motiven an. Am Ende gehe es beim Interesse um "mich selbst" um das, was ich (in der Dimension der Liebe und Hingabe) von mir selbst bei anderen hinterlassen könne.

Der Umriss solcher Debatten zeigt, wie lebendig metaphysische Fragen in der Analytischen Philosophie und Religionsphilosophie sind. Einen Vergleich mit dem 12. und 13. Jahrhundert braucht die Gegenwart nicht mehr zu scheuen, auch wenn immer noch im Namen des von Jürgen Habermas einst ausgerufenen "nachmetaphysischen Zeitalters" selbst in der Theologie Denkverbote erteilt werden.

Metaphysik - wie sie sich unter den Bedingungen der Analytischen Philosophie neu formiert hat - ist aber gerade kein Ewigkeitswissen, das auf eine totalitäre Einheit aus ist, die heutzutage unter dem Primat der Sprache und der Praxis ortlos geworden sei. Vielmehr bestehen metaphysische Theorien aus Hypothesen, die die Frage danach, was wirklich ist und was es gibt, auf der Basis einer Vermittlung zwischen wissenschaftlichem Wissen hier und Alltagsintuitionen da zu beantworten suchen. Wenn die resultierenden Theorien am Ende miteinander in einen Wettstreit treten, dann ist das in der gegenwärtigen Metaphysik gewünscht und beabsichtigt. Dass sich aber solche Fragen wie: "Was ist wirklich?", "Was gibt es eigentlich?", "Was sind Personen?", "Was sind Substanzen und ihre Eigenschaften?" nur durch nüchterne begrifflich-argumentative Analysen beantworten lassen (und nicht dadurch, dass man dem Sein lauscht, das sich wenigen Eingeweihten dichterisch zuschickt), steht für Analytische Philosophen fest.


Im Tod eine Art Spaltung?

Versucht man die Landschaft der begrifflichen Modellbildungen, die die Frage, wie wir uns Auferstehung denken können, etwas zu kartographieren, so wird man sieben verschiedene Spielarten in der Literatur antreffen können.

Die erste, gleichwohl am meisten umstrittene Auffassung ist die so genannte Replica-Theorie; sie wurde unter anderem von John Hick ins Spiel gebracht. Um diesen Ansatz zu verstehen, hilft ein Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, Franz Beckenbauer würde aus dieser aktualen Welt W1 verschwinden und in einer anderen Welt W2 wieder auftauchen. Die auftauchende Person hätte zudem alle Charakteristika, die wir von Franz Beckenbauer kennen. Würden wir nicht sagen wollen, der auftauchende Franz Beckenbauer ist mit dem verschwundenen Beckenbauer identisch - auch dann, wenn wir erfahren würden, dass Gott selbst für W2 eine exakte Kopie von Franz Beckenbauer aus W1 angefertigt hat, weil ein direkter Transport von W1 nach W2 unmöglich gewesen wäre?

Dieses Gedankenexperiment deckt sich mit einigen Überlegungen der so genannten Ganztodtheorie, nach der der Mensch im Tod sozusagen vollkommen zugrunde geht, so dass nichts (und niemand außer Gott selbst) diesen Tod überlebt, und nach der am Ende der Tage der im Tod untergegangene Mensch von Gott neu erschaffen würde. Mit dem Gedankenexperiment zeigt das Beispiel auch die ontologischen Schwierigkeiten, die in der Replica-Theorie und in der Ganztodtheorie offenkundig liegen: Was auch immer Franz Beckenbauer in W2 sein mag; er ist nur eine Kopie.

Die Fissions-Theorie ist die interessanteste, viel versprechendste Theorie. Sie geht in ihren Grundzügen davon aus, dass es im Augenblick des Todes sozusagen eine Art Spaltung gibt, so dass zwei Entitäten vor uns stehen: eine Entität, die als Leichnam ins Grab sinkt, und eine andere Entität, die in einer echten Kontinuität mit der Prämortem-Person steht und den Postmortem-Zustand dieser Person repräsentiert. Die Fissions-Theorie hat allerdings noch einige Zusatzfragen zu stemmen: Wieso ist die neu entstandene Entität, die der Leichnam ist, nicht mit der Prämortem-Person identisch? Und wie können wir uns diesen Vorgang der metaphysischen Spaltung denken?

Um derartig heiklen Fragen zu entgehen, hatte der US-amerikanische Philosoph Peter van Inwagen vor einigen Jahrzehnten schon die, von anderen so etikettierte "Body-Snatch-Theorie" ins Spiel gebracht. Van Inwagen ist konsequenter Materialist - und trotzdem Christ. Er hält beides für vereinbar. Da das Kriterium diachroner personaler Identität aus seiner Sicht nur von körperlicher Kontinuität erfüllt werden könne, lässt sich Auferstehung in seinem Konzept nur so denken, dass Gott im Augenblick des Todes den menschlichen Körper auf unsichtbare Weise in Sicherheit bringt und - für alle menschlichen Beteiligten unmerklich - durch einen Leichnam ersetzt. Dieser "Hütchenzauber" werde von Gott auf unsichtbare und unmerkliche Weise durchgeführt, um unseren Glauben herauszufordern und die Glaubensleistung zu aktivieren.

Van Inwagens Theorie hat den unstrittigen Vorteil, dass sie von rivalisierenden Theorien nicht widerlegbar ist. Die Kritik an der Body-Snatch-Theorie muss daher von anderswoher kommen: aus dem Gottesbegriff selbst. Wenn auf der Basis eines soliden Gottesbegriffes gilt, dass Gott zwar allmächtig ist, aber kein Interesse daran hat, uns mit irgendwelchen Tricks hinters Licht zu führen, wird Van Inwagens Lösungsversuch am Ende doch recht unplausibel.

Eine weitreichende Alternative findet sich in Lynne Rudder Bakers Ontologie der Konstitution: So wie die Statue des David von Michelangelo nicht mit dem Marmor, aus dem sie besteht, identisch ist, so sind menschliche Personen nicht mit den biologischen Körpern, die sie haben, identisch. Sie werden durch die biologischen Körper, die zur Gattung Säugetier gehören, konstituiert, sobald eine komplexe Biologie vorliegt, die die Entwicklung von Selbstbewusstsein und die Entwicklung einer Ersten-Person-Perspektive erlauben. Personen aber können den Untergang ihrer Körper buchstäblich überleben. Die so genannte Constitution-View liefert für die hier anzustrengenden Überlegungen die ausgesprochen wertvolle Unterscheidung von Konstitution und Identität; was Identität verbürge, ist, so Baker, eine sich durchhaltende Erste-Person-Perspektive, nicht jedoch die Kontinuität des biologischen Körpers.

Für die Auferstehungsthematik bleibt allerdings zu klären, wie wir uns das Überleben des Todes zu denken haben. Ist es nicht so, dass Personen durch eine Entität x konstituiert sein müssen, die im Falle der irdischen Existenz nun einmal ein biologischer Körper ist? Heißt Auferstehung dann nicht zunächst, dass eine Entität x durch eine neue Entität y ersetzt werden muss? Es wäre durchaus nützlich, die Einsichten der Constitution-View mit der Fissions-Theorie zu verbinden.


Zweierlei Anfang?

Von Hud Hudson und neuerdings auch von Timothy O'Connor wurde die Theorie der Mehrfachexistenz als begriffliches Modell, um Auferstehung zu denken, in die Debatte eingeführt. In diesem Modell sei es denkbar, das eine Entität e zu den Zeitintervallen t1 bis t99 und dann wieder t1000 bis tunendlich existiere. Das zentrale Argument ist eigentlich ein negatives: Das philosophische Dogma, das besagte, dass keine Entität zweimal zu existieren anfangen könne, sei in sich nicht wirklich begründbar: Warum soll es also nicht Entitäten geben, die zu unterschiedlichen Zeitintervallen existieren und für die man eine Phase der echten und vollkommenen Nicht-Existenz annehmen dürfe? Aus vierdimensionalistischer Perspektive wäre eine solche Entität eine, zu der zeitliche Teile gehören, die zwischen t1 und t99 und dann wieder ab t1000 bis unendlich sequenziell aufeinander folgen, die aber nicht immer notwendig unmittelbar aufeinander folgen müssen. Für die Integrität von Identität sei vielmehr ausschlaggebend, dass zwischen t99 und t1000 eine kausal irgendwie hochwirksame Verbindung herrsche, so dass man t1000 als korrekte Fortsetzung von t99 denken könne.

Obwohl diese Theorie per se nicht widerlegbar ist, hat sie ihren Preis in einer etwas extravaganten Ontologie, die (leicht kontra-intuitiv) mehrfach auftretende Individuen denken muss und mit all jenen theologischen Theorien zu kämpfen hat, die (aus welchen Gründen auch immer) einen Zwischenzustand fordern. Und sie läuft gleichzeitig auf die Identitätsproblematik zu, die sich wie gegenüber der Replica-Theorie so formulieren ließe: Wie kann ich ausschließen, dass die zu t1000 auftauchende Entität nicht einfach eine Kopie der zu t99 verschwundenen Entität ist? Im Rahmen der Auferstehungsdiskussion ist die Situation insofern noch etwas dramatischer, als ja zu t100 eine Entität existiert, die prima facie den Identitätsanspruch für sich reklamieren könnte: der Leichnam.

Ein ähnliches Bild wie in der Constitution-View ergibt sich in der von Martine Nida-Rümelin vertretenen Theorie der letztlich unbestimmbaren Individuation von Personen. Die Denkbarkeit der Auferstehung verdankt sich hier sozusagen einem Negativbescheid: Da wir nicht mit Sicherheit sagen können, was diese Person P zu eben dieser Person P macht, können wir legitimer Weise auch nicht sagen, dass P mit dem Versagen biologischer Eigenschaften ihres Körpers wirklich ebenfalls untergeht. Personen als vollkommene Individuen mit einer Ersten-Person-Perspektive sind hier sozusagen ein ontologisches "Mysterium".

Auch wenn dieses Mysterium für die Frage des Überlebens von Personen eine Schneise schlägt, gibt es in dieser Theorie eine durchaus unwillkommene Konsequenz, die sich nicht wirklich eindämmen lässt: Wenn wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob eine Person aufhört zu sein, wenn der biologische Körper stirbt, können wir auch nicht sagen, ob sie anfängt zu sein, wenn ein bestimmtes biologisches Lebewesen gezeugt oder geboren wird. Wenn Personen als ontologische Mysterien ihren Tod überdauern können, dann könnten sie auch schon vor Zeugung und Geburt existiert haben.

Der letzte Ansatz auf der Liste ergibt sich ebenfalls aus einem Negativbescheid: Trenton Merricks hat in verschiedenen Veröffentlichungen zu zeigen versucht, dass es keine Kriterien gibt, um eindeutig die Identität einer diachron existierenden Person zu bestimmen. Weil das so sei, könne Gott eigentlich relativ frei über unsere personale Identität verfügen; was und wie auch immer Gott die Auferstehung bewerkstellige, unsere Ehrfurcht vor Gott gebiete es, das Produkt der Auferstehung als mit uns selbst identisch anzuerkennen, da wir im Grunde ja ab ovo nicht genau sagen können, worin personale Identität durch die Zeit eigentlich bestehe. Merricks mischt hier philosophische und theologische Spielzüge. Er übersieht allerdings, dass der Negativbescheid eigentlich der Ansicht Derek Parfits zuarbeitet, nach der der Begriff personaler Identität durch die Zeit sowieso ein philosophischer Unbegriff sei.

Gegen Parfit und damit mittelbar auch gegen Merricks ließe sich einwenden, dass wir aus der Ersten-Person-Perspektive heraus durchaus daran interessiert sind, dass wir selbst den Tod überleben und dass nicht nur etwas von uns oder eine Kopie von uns oder eine irgendwie "substanzlose" Verlängerung unseres Daseins den Tod überdauert. Im Interesse an uns selbst, in der Selbstsorge und dem Wunsch nach Selbsterhaltung, um mit Dieter Henrich und Klaus Müller zu sprechen, macht sich die Identitätsfrage bemerkbar, von der wir uns nicht dispensieren können. Wenn uns Negativbescheide den Glauben an philosophische Mysterien aufzwingen, kommt uns dies eher verdächtig als hilfreich vor.

Die bisher gestreiften Modellierungen des Auferstehungsgedankens versuchen einer im Großen und Ganzen naturalistisch-materialistischen Weltsicht gerecht zu werden. Aber warum sollte man nicht eigentlich Dualist sein, der neben der Substanz des biologischen Körpers auch von einer Seelensubstanz oder einem immateriellen Selbst des Menschen ausgeht? Der Dualismus hat in jüngerer Zeit respektable Anhänger gefunden: Alvin Plantinga geht davon aus, dass man den Glaubensartikel der Auferstehung ohne Dualismus nicht haben kann. Er trifft sich darin mit dem gegenwärtigen Papst, der noch als Präfekt der Glaubenskongregation die Unsterblichkeit der Seele als eine logische Implikation des Glaubens an Auferstehung verstanden hat. Richard Swinburne, der große britische Religionsphilosoph, wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass sich die Rätsel um die Fragen der personalen Identität durch die Zeit nur dann beantworten lassen, wenn man sich zum Seele-Leib-Dualismus bekennt. Auch Dean Zimmerman, ein US-amerikanischer metaphysischer Vordenker, hat sich als Dualist geoutet; und im deutschsprachigen Raum hat der Analytische Philosoph Uwe Meixner eine sehr subtile Verteidigung des Substanzendualismus vorgetragen, nach der das Selbst und der biologische Körper zwar eine Schicksalsgemeinschaft bilden, aber im Grunde doch getrennt voneinander existieren könnten.

Allerdings gibt es eine eschatologische Problematik, die uns vor Augen führen kann, dass der Substanzendualismus in der Frage der Auferstehung genauso viele Fragen aufwirft wie er zu beantworten versucht. Nehmen wir einmal an, das Bild das Substanzendualismus wäre korrekt: Im Tod trennen sich Seelensubstanz und Körpersubstanz, wobei die Seelensubstanz oder das Selbst der Identitätsträger der in Rede stehenden Person ist. Dann können wir zwar einerseits erleichtert sagen, dass der biologische Körper nicht für die Identität zwischen Prämortem- und Postmortem-Zustand aufzukommen hat. Aber wir stehen erneut vor dem Rätsel, warum wir den Körper nach dem Tod überhaupt je wieder brauchen sollten und was Gott dazu veranlassen mag, uns am jüngsten Tag unseren Körper zurückzugeben. Wäre der nicht ein unnötiger Luxusartikel oder Ballast?

Aporien des Dualismus

Die Mittelalterexpertin Marilyn McCord Adams hat bei Johannes Duns Scotus und William Ockham ähnliche Fragen aufgespürt: Wenn die Seele die Identität zwischen Prämortem- und Postmortemzustand der Person garantiere - und daran bestehe für Scotus und Ockham kein Zweifel - dann bleibe es ein recht dunkles Glaubensgeheimnis, warum Gott so an der Wiederbelebung der biologischen Körper interessiert sei; denn für das Gegebensein personaler Identität tragen diese Körper ja nichts bei.

Um dieser dualistischen Problematik zu entgehen, wird von analytischen Thomisten wie Eleonore Stump oder Robert Pasnau eine andere Sichtweise bemüht. Auch Thomas von Aquin spricht ja von einer anima separata, die den Tod überlebe. Aber diese anima separata dürfe nicht mit der in Rede stehenden Person verwechselt werden; die anima separata könne daher nur ein Konstitutionselement der Person sein, um deren Überleben es gehe, ein Konstitutionselement neben dem biologischen Körper.

Jedoch: Wenn der biologische Körper neben der Seele ein Konstitutionselement einer Person ist, wer oder was verbürgt dann die Identität der Person? Und welches metaphysische Bild ergibt sich daraus, dass wir nunmehr zwischen Selbst, Seele und Körper unterscheiden müssen und dennoch diese drei Größen miteinander in Beziehung zu setzen haben?

Entscheidende Weichenstellungen

Die Replica-Theorie genauso wie die Annahme einer Mehrfachexistenz beschreiben Tod und Auferstehung als Verschwinden und Wiederauftauchen. Das ist eigentlich nicht ganz korrekt. Selbst wenn wir zu existenziellen Metaphern greifen und den Tod als Zusammenbruch einer Welt, Vernichtung einer einzigartigen Ich-Perspektive oder unwiederbringliche Zerstörung lebender Aktivität betrachten, ist der Tod zunächst so etwas wie das "Herausfallen" aus einer Kategorie: Da verschwindet nicht einfach jemand; da verändert sich vielmehr etwas, weil man dem Leichnam kein Bewusstsein oder andere psychische Eigenschaften mehr zusprechen oder die Integrität einer lebendigen Struktur zugestehen kann. Der Tod ist primär eine Transformation, die mit dem Feststellen von Defiziten zu tun hat.

Darüber hinaus leiden alle Auferstehungsmodelle, die sich unter Hinweis auf die Auferstehung des Körpers auf die Idee einer Wiederzusammenfügung von Teilen stützen, an einem großen Problem. Mark Johnston nannte es das Problem der Perimortem-Duplikate: Es könnte doch sein, dass alle Teile, aus denen mein Körper bestanden hat, durch einen grandiosen Zufall sich wieder zu einem menschlichen Körper zusammenfügen, auch wenn ich zu dieser Zeit noch lebe und existiere. Hätte ich dann nicht einen (ontologischen) Doppelgänger, von dem ich viel sagen kann - aber eben nur nicht, dass er mit mir identisch ist? Kann dann die Wiederzusammenfügung von Teilen überhaupt jemals Identität verbürgen?

Wenn unter den viel versprechenden Auferstehungsmodellen das Fissionsmodell nicht in die skizzierten Fallen der Restitutionstheorie laufen soll, muss es auf eine andere Grundlage gestellt werden. Eine adäquate Ontologie lebendiger Wesen kann dafür bereits einen Aufhänger liefern, insofern Lebewesen eher sehr anpassungsfähigen und Teile absorbierenden Strukturen als starren Kompositionen von Teilen ähneln. Es scheint also angeraten, die Blickrichtung zu verändern: entweder wie Godehard Brüntrup in die Richtung der "vierdimensionalistischen" Ereignisverfugungen, die das Leben von Personen bilden, oder aber in die Richtung von Strukturen, die das um Aktivität und um eine Ich-Perspektive zentrierte vielschichtige Leben einer Person ausmachen.

Vor diesem Hintergrund wäre Auferstehung dann zunächst einmal das Überleben jener komplexen Struktur, die unser Personsein vornehmlich ausmacht (das verflochtene Konglomerat psychischer Ereignisse und Eigenschaften), nicht aber der Sprung von einem Welt-Behältnis ins nächste. Die dafür vorzunehmende Modifikation des Fissionsmodells ließe sich als Weichenstellungsmodell (Track-Switch) von Auferstehung verstehen. Dieses Modell lässt sich an den unzähligen Westernsequenzen illustrieren, bei denen ein Zug dem Abgrund zurast, wobei in letzter Sekunde durch das Umstellen einer Weiche Teile des Zuges auf ein Nebengleis geleitet werden und so der ultimativen Zerstörung entgehen. Der Leichnam wäre also der in den Abgrund rasende Zugteil, während die überlebende Struktur, die in vor allem psychologischer Kontinuität mit dem Prämortem-Zustand der überlebenden Person steht, auf einem anderen metaphysischen Gleis gerettet wird.

Dieses Fissionsmodell zwingt uns freilich die Frage auf, wer wir eigentlich sind - und wie wir uns selbst verstehen wollen. Was wird aus den biologischen Körpern, die wir haben und die im Tod in einen Leichnam "transformiert" werden? Wir sind verleiblichte Erste-Person-Perspektiven, weil wir uns in unserer Existenz als mit Selbstbewusstsein begabte Lebewesen erfahren, die durch die Beziehungen zu anderen Personen strukturiert werden und sich in diesem Beziehungsfeld auch selbst strukturieren. Dass dieses personale Leben biologisch realisiert ist, ist eine Grundbedingung des Lebens in dieser Welt. Aber ist es auch eine notwendige Bedingung (die sozusagen in allen möglichen Welten gilt)? Die Trennung des Begriffes erstpersönlich zentrierter Existenz vom Begriff biologischer Realisierung, ist ein Preis, den das Track-Switch-Modell zu bezahlen hätte.

Ein zusätzlicher Preis besteht darin, das Verhältnis einer Person zu ihrer Biologie neu zu formulieren. Wenn wir in phänomenologischer Hinsicht vom Leib einer Person reden, schreiben wir dieser Person Eigenschaften zu, die eigentlich keine biologischen Eigenschaften sind. So ist das Spüren eines Schmerzes oder eines Kältegefühls, das Gespür für unsere Extremitäten oder die Schwere unseres Leibes etwas, das uns vollkommen transparent ist, das heißt das für unser Selbstbewusstsein durchsichtig ist, während die Stoffwechselvorgänge in unserer Leber uns nur aus einer Dritten-Person-Perspektive zugänglich gemacht werden können. Meine Leiblichkeit ist nun, so kann man etwas verkürzt sagen, das, was mir im Modus des Spürens und einer primären Widerständigkeit als Struktur transparenter Eigenschaften "an mir" zugänglich ist. Meine Körperlichkeit versammelt hingegen all jene physisch-biologischen Eigenschaften, über die ich mich selbst auch erst aus einer Dritten-Person-Perspektive heraus verständigen müsste. Diese beiden Eigenschaftsmengen sind freilich miteinander verklammert: Verleiblichte Personen brauchen in unserer Welt und in den zugehörigen Nachbarwelten ein Gehirn (und anderes mehr). Aber eine eherne, absolut notwendige Bedingung stellt diese, uns bekannte Form der Verklammerung nicht dar.


Thomas Schärtl (geb. 1969), Dr. theol., Dr. phil. habil., ist seit 2009 Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Zuvor war er von 2006 an Assistant Professor of Systematic Theology an der Catholic University of America in Washington DC.


LITERATUR:

Baker, Lynne: Persons and the Metaphysics of Resurrection, in: Religious Studies 43 (2007), 333-348

Brüntrup, Godehard, Matthias Rugel und Maria Schwarz (Hg.): Auferstehung des Leibes - Unsterblichkeit der Seele, Stuttgart 2010

Gasser, Georg (Hg.): Personal Identity and Resurrection. How Do We Survive Our Death? Farnham-Aldershot 2010

Johnston, Mark: Surviving Death, Princeton 2010

Nida-Rümelin, Martine: Der Blick von innen. Zur transtemporalen Identität bewusstseinsfähiger Wesen, Frankfurt 2006

Schärtl, Thomas: Was heißt "Auferstehung des Leibes"? in: Kögerler, Reinhart u. a. (Hg.): "Homo animal materiale". Die materielle Bestimmtheit des Menschen, Linz 2008, 105-149


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
64. Jahrgang, Heft 12, Dezember 2010, S. 626-631
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2011