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HEINRICH BÖLL STIFTUNG/459: Iran-Report Nr. 4 - April 2020


Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung - Nr. 4 - April 2020
Eine Zusammenfassung aktueller Ereignisse im Iran

von Bahman Nirumand


Iran steht an einem Scheideweg. Nach dem Austritt der USA und der Wiedereinführung von Wirtschaftssanktionen droht das Atomabkommen zu scheitern. Der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung, die Öffnung nach außen und vor allem auch die Liberalisierung der theokratischen Staatsordnung sind in weite Ferne gerückt. Über den Kurs des Landes, auch über die Rolle Irans in der Region, ist sich die Staatsführung nicht einig. Wie der Machtkampf, der schon seit geraumer Zeit zwischen Konservativen und Reformern tobt, ausgehen wird, ist ungewiss. Der Iran-Report wertet Nachrichten verschiedener Quellen aus. Auch um die von den Mächtigen in Iran verfügten Behinderungen und Einschränkungen der journalistischen Arbeit auszugleichen. Der Iran-Report produziert keine Schlagzeilen, sondern er erhellt die Meldungen, das Nichtgesagte dahinter.


INNENPOLITIK

• Chamenei übernimmt die Rolle des Parlaments
• Chameneis und Rohanis Rede zum neuen Jahr
• Chronologie der Ausbreitung der Pandemie in Iran
• IS begrüßt die Ausbreitung des Corona-Virus in Iran
• Virus bereitete sich unaufhaltsam aus
• Freitagsgebete abgesagt
• Falahatsadeh: Corona ist bioterroristischer Angriff
• Rohani übernimmt Leitung des Krisenstabs
• Gesundheitsministerium gesteht, zu spät gehandelt zu haben
• Besuch der Pilgerstätten verboten
• Es kann Millionen Tote geben
• Städte sollen unter Quarantäne gestellt werden
• Team der Ärzte ohne Grenzen unerwünscht
• Massenflucht der Afghanen aus Iran
• Gefangene wegen Corona-Virus entlassen
• AI: 23 Kinder und Jugendliche bei den Protesten im November getötet
• Keine Neujahrsrede des Revolutionsführers


CHAMENEI ÜBERNIMMT DIE ROLLE DES PARLAMENTS

Während die Abgeordneten im islamischen Parlament wegen des Coronavirus nach Hause geschickt wurden, hat Revolutionsführer Ali Chamenei den von der Regierung vorgelegten Haushaltsplan bewilligt und an den Wächterrat weitergeleitet. Chamenei hat in den Jahrzehnten seiner Herrschaft bereits mehrmals Entscheidungen jenseits der Gesetze und der Verfassung getroffen. Solche Entscheidungen und Erlasse werden als "Hokm-e Welayati" oder "Hokm-e Hokumati" bezeichnet, was, einfach übersetzt, "Befehl von oben" bedeutet. Das betrifft vor allem jene Fälle, bei denen sich der Revolutionsführer durch Entscheidungen, Befehle oder Anordnungen in Angelegenheiten des Parlaments, der Regierung oder der Justiz einmischt.

Gegner solcher Einmischungen halten das Vorgehen für einen Verstoß gegen die Verfassung. Demgegenüber meinen die Ja-Sager, dass derartige Einmischungen zu den Befugnissen des Revolutionsführers gehörten. Sie seien in jenen Fällen notwendig, in denen der Staat in eine Krise gerät oder die zuständigen Instanzen aus irgendeinem Grund nicht in der Lage seien, Entscheidungen zu treffen.

Doch Chamenei hat sich nicht nur in den genannten Fällen eingemischt, sondern auch dann, wenn ihm die Entscheidung einer der drei Gewalten politisch nicht gefiel. Das war zum Beispiel in der sechsten Legislaturperiode des Parlaments der Fall. Damals hatten die Reformer die absolute Mehrheit. Auch die Regierung unter Präsident Mohammad Chatami gehörte der Reformfraktion an. Doch als die Regierung dem Parlament einen Entwurf zur Reform der Pressegesetze vorlegte, schickte Chamenei ein Schreiben an den damaligen Parlamentspräsidenten Mehrdi Karrubi, in dem er befahl, den Antrag aus der Tagesordnung herauszunehmen. Er betonte, dass das bestehende Gesetz keine Änderungen bedürfe. Als einige Abgeordnete gegen diese Einmischung protestierten, erklärte Chamenei, der Antrag sei nicht "legitim und nicht im Interesse des Staates." Diese Abgeordneten wurden bei den darauffolgenden Parlamentswahlen vom Wächterrat als "ungeeignet" eingestuft und konnten nicht wiedergewählt werden. Eine Reform der Pressegesetze, auf die die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Medien gehofft hatten, fand nie mehr statt.

Eine andere folgenreiche Intervention des Revolutionsführers fand im November 2019 im Zusammenhang mit der Erhöhung des Benzinpreises statt. Die Entscheidung, den Benzinpreis zu erhöhen, wurde durch ein Gremium gefällt, in dem die Chefs der drei Gewalten vertreten sind. Als einige Abgeordnete im Parlament gegen diese Entscheidung protestierten und eine Debatte darüber beantragten, wurde der Antrag auf Befehl Chameneis zurückgenommen. Bekanntlich führte die Preiserhöhung zu landesweiten Protesten, bei denen über tausend Menschen getötet, mehrere tausend verletzt und ebenso viele in Haft genommen wurden.

Die Übernahme der Entscheidung über den Haushalt, die zu den Grundrechten des Parlaments gehört, deutet darauf hin, dass das Parlament noch mehr als bisher marginalisiert werden soll. Der Abgeordnete Mahmud Sadeghi sagte, mit der Übernahme wurde "der letzte Nagel in den Sarg des Parlaments eingeschlagen." Er hoffe, er werde mit dieser Äußerung nicht als Gegner der "Welayat-e Faghie" (Absolute Herrschaft der Geistlichkeit) bezeichnet werden. Der Vorgang sei illegal, er verstoße gegen die Verfassung. Sadeghi gehört zu jenen Abgeordneten, deren Kandidatur für das neue Parlament vom Wächterrat als "ungeeignet" abgelehnt worden war.


CHAMENEIS UND ROHANIS REDE ZUM NEUEN JAHR

Revolutionsführer Ali Chamenei und Präsident Hassan Rohani haben in ihrer Neujahrsbotschaft (20. März) den "Aufschwung der Produktivität" des Landes gelobt. "Nach den Berichten, die mir vorliegen, hat es im vergangenen Jahr einen produktiven Aufschwung gegeben," sagte Chamenei. "Die Produktivität hat sich bewegt, es hat einen Aufschwung gegeben, der aber im täglichen Leben der Menschen nicht spürbar war," sagte Chamenei.

Auch Rohani sagte, alle Wirtschaftsdaten der vergangenen neun Monaten seien positiv gewesen, die Inflation sei soweit wie möglich gebändigt worden und die Zulassungen zu neuen Produktionsstätten hätten mehr als erwartet zugenommen.

Sowohl Chamenei als auch Rohani erwähnten in ihrer Botschaft die Überschwemmungen, den Anschlag auf General Ghassen Soleimani und den Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine als wichtigste Ereignisse des vergangenen Jahres. Über die landesweiten Proteste im November, die sich gegen die drastische Erhöhung der Benzinpreise richteten, verloren sie kein Wort. Bei diesen Protesten gab es zahlreiche Opfer. Die tatsächliche Zahl der Toten, Verletzten und Inhaftierten ist auch nach fast sechs Monaten immer noch nicht bekannt.

"Es war ein schweres Jahr und die Probleme der Menschen waren nicht gering," sagte Chamenei." Doch zugleich sei der Stolz der Nation wie nie zuvor zum Vorschein gekommen. Die Teilnahme von Abermillionen in verschiedenen Städten an den Trauerfeiern für General Soleimani sei einmalig gewesen. Zum Corona-Virus sagte er, der unermüdliche Einsatz von Ärzten, Helferinnen und Helfern, freiwilligen Studenten, und Basidsch-Milizen sei bewundernswert. Die Sanktionen hätten zwar Schaden angerichtet, sie hätten aber auch gute Seiten. Sie hätten dazu geführt, dass alle Möglichkeiten des eigenen Landes eingesetzt worden seien, um den Eigenbedarf zu decken. Diese willkommene Entwicklung werde fortgesetzt. Das neue Jahr bezeichnete Chamenei als das Jahr des "sprunghaften Aufschwungs."

Seit dem Ausbruch des Corona-Virus empfängt Chamenei keine Besuche mehr. Bei seinem letzten Treffen mit "Lobpreisern des Propheten" durften diese nicht wie üblich die Hand des Revolutionsführers küssen. Einer der Anwesenden sagte den Presseberichten zufolge: "Man hat uns nicht erlaubt, die Hand des Revolutionsführers zu küssen. Warum? Weil er uns missachtet hat? Nein. Das Leben des Führers zu schützen ist unsere Pflicht." Bemerkenswert war, dass die Staatsführung bis dahin nicht zugeben wollte, dass das Land von dem Corona-Virus bedroht wird.

Ähnlich wie Chamenei sprach auch Rohani von einer positiven Entwicklung. "Sie (die Amerikaner) dachten, sie könnten unser Land mit Sanktionen in eine tiefe Krise stürzen. Doch die Entwicklung unserer Wirtschaft war im vergangenen Jahr positiv. Heute, das heißt am ersten Tag des neuen Jahres, sind unsere strategischen Reserven besser als in den Vorjahren. Gerade in diesem schweren Jahr haben wir mit der Umsetzung der seit Jahrzehnten größten Wirtschaftsprojekte begonnen. (...) Wir hatten letztes Jahr zwei große Herausforderungen, die wir im neuen Jahr beide besiegen werden, US-Sanktionen und Corona-Pandemie."

Das Corona-Virus sei ein "unerwünschter Gast" gewesen, den "wir bald hinaustreiben werden," sagte der Präsident. Natürlich hätten die Sanktionen den Ölexport stark beeinträchtigt, aber "wir werden durch Widerstand und der Stärkung der einheimischen Wirtschaft das Problem bezwingen." Rohani forderte die Bevölkerung auf, zum Neujahr auf die sonst üblichen Besuche von Familien und Verwandten ebenso zu verzichten wie auf Reisen.

Auch US-Außenminister Mike Pompeo sendete eine Grußbotschaft zum Neujahrsfest an das iranische Volk. Mit Blick auf den Corona-Virus schrieb er, es sei zu bedauern, dass das Norus-Fest nicht so gefeiert werden könne wie traditionell üblich. Die hohe Zahl der Opfer in Iran mache sehr traurig. "Wir freue uns über jeden, der die Krankheit übersteht. Wir hoffen mit allen Menschen in Iran und anderen Teilen der Welt, dass die Ausbreitung des Virus rasch beendet wird." Der Minister wiederholte das Angebot der USA, Iran bei der Bewältigung der Krankheit zu helfen. Iran hatte bereits das Angebot abgelehnt.


CHRONOLOGIE DER AUSBREITUNG DER PANDEMIE IN IRAN

Am 19. Februar gab die Regierung in Teheran erstmals bekannt, dass das Corona-Virus Iran erreicht habe. Zu diesem Zeitpunkt waren aber bereits zwei Menschen infolge der Lungenkrankheit gestorben. Selbst dann versuchte das Regime die Gefahr als harmlos darzustellen. Noch am 25. Februar, als die Zahl der Toten und Infizierten bereits beängstigend angestiegen war, erklärte Präsident Hassan Rohani, der Spuk werde in wenigen Tagen vorbei sein.

Für die unverzeihlich späte Bekanntgabe gab es zwei Gründe: den Jahrestag der Gründung der Islamischen Republik am 11. Februar und die Parlamentswahlen am 21. Februar. Mit Recht befürchtete die Staatsführung, dass die Menschen angesichts der Gefahr den Feierlichkeiten und den Wahlen fernbleiben würden. Denn in den Monaten davor hatte sich einiges ereignet, was die Unzufriedenheit in der Bevölkerung erheblich gesteigert und das Vertrauen in den Staat bei der überwiegenden Mehrheit des Volkes völlig zerstört hatte.

Da waren zunächst die landesweiten Proteste im November, dann folgte der Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine, den die Staatsführung zunächst zu vertuschen versuchte und schließlich wurden Tausende von Bewerben für die Parlamentswahl zurückgewiesen, womit das Ergebnis der Wahl, ein überwältigender Sieg der Konservativen und Hardliner, vorweggenommen wurde.

Vor diesem Hintergrund entschied sich die Staatsführung, die Bevölkerung erst nach den Parlamentswahlen über den Einzug des Corona-Virus zu informieren - eine Entscheidung, die fatale Folgen hat. Die Krankheit hatte sich längst über das ganze Land verbreitet, zugleich allerdings auch die sich zuspitzenden politischen Probleme unter Quarantäne gestellt.

Aber auch als die Regierung den Ernst der Lage zu begreifen schien, versäumte sie die unbedingt erforderlichen Schritte zu vollziehen. Der rege Flugverkehr zwischen Iran und China wurde trotz der immer lauter werdenden Kritik aus der Bevölkerung nicht eingestellt. Die rund 600 chinesischen Studierenden, die sich aus China kommend in der Pilgerstadt Ghom aufhielten, wurden nicht isoliert. Vermutlich hatten sie das Virus mitgebracht, denn die Stadt Ghom wurde zum Epizentrum der Seuche.

Obwohl die Zahl der Toten und Infizierten täglich rapide anstieg, ließen es die radikalen geistlichen Instanzen nicht zu, dass Mausoleum in Ghom, das täglich von zehntausenden Gläubigen besucht wird, zu schließen. Auch Freitagsgebete, Moscheebesuche und andere religiöse Rituale wurden zunächst nicht verboten.

Immer wieder versuchte das Regime, die Krankheit als harmlos darzustellen. Revolutionsführer Ali Chamenei bezeichnete die Krankheit am 3. März als ein "Missgeschick, das nicht so groß ist. (...) Ich will das Problem nicht kleinreden, aber wir sollten auch nicht übertreiben," sagte er. "Es wird nicht lange dauern, dann wird es verschwinden."

Präsident Rohani hatte sich noch Ende Februar gegen die Schließung von Kindergärten, Schulen und Universitäten ausgesprochen und angekündigt, bis zum 10. März "wird alles vorbei sein." Der Corona-Virus-Beauftragte der Regierung, Iradsch Harirtschi, rief die Bevölkerung dazu auf, wegen der Krankheit nicht in Panik zu verfallen. "Die Situation ist fast stabil in unserem Land," sagte er am 24. Februar auf einer Pressekonferenz. Am nächsten Tag wurde bekannt, dass er selbst auf Sars-CoV-2 positiv getestet wurde. Er sei mit dem Corona-Virus infiziert und habe sich selbst zu Hause unter Quarantäne gestellt, teilte er per Video mit.

Bis dahin (25. Februar) waren offiziellen Angaben zufolge 15 Tote und 95 Infizierte registriert worden. Der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Kianusch Dschahanpur, versprach, das Ministerium werde das Virus bezwingen. Das könne bis zum Neujahrsfest (20. März) dauern, schlimmsten Falls bis Ende April.

Die Angaben der Regierung wurden von der Bevölkerung stark in Zweifel gezogen. Selbst manche Politiker äußerten die Meinung, die Bevölkerung werde nicht korrekt informiert. Der Hardliner und entschiedener Gegner der Regierung, Ahmad Amirabadi Farahani, erklärte am 25. Februar, es gebe allein in der Stadt Ghom 50 Todesfälle. Als die Regierung ihm widersprach, twitterte er: "Was sagen Sie zu den zahlreichen Toten, die auf dem Friedhof von Ghom beerdigt wurden? Ärzte in Krankenhäusern schreiben 'Atemprobleme' als Todesursache. Aber Sie wissen, dass diese Toten, aus dem Kreis jener stammten, die wegen Corona unter Quarantäne stehen."

Auch US-Außenminister Mike Pompeo warf Iran die Vertuschung von realen Daten vor. "Alle Nationen, einschließlich Iran, sollten die Wahrheit über das Corona-Virus sagen und mit internationalen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten," sagte er. Sein Land sei "tief besorgt," Iran könnte "wichtige Details und Angaben über das Ausmaß der Krankheit vertuscht haben".


IS BEGRÜßT DIE AUSBREITUNG DES CORONA-VIRUS IN IRAN

Der Islamische Staat (IS) hat die Ausbreitung des Corona-Virus in Iran, insbesondere in den schiitischen Pilgerstädten, begrüßt und den Kampf der iranischen Regierung dagegen lächerlich gemacht. In der Wochenzeitung "Al Naba," die als offizielles Organ des IS gilt, machte sich der Leitartikler darüber lustig, dass gerade die Stadt Ghom, die aus Sicht der Schiiten als heilig gilt, zum Epizentrum der Seuche geworden ist. Die Erwägung, den Besuch des Mausoleums für Gläubig einzuschränken, sei heuchlerisch. Es zeige, dass "die Schiiten sich nur dann an Gott wenden, wenn sie ihn brauchen."


VIRUS BEREITETE SICH UNAUFHALTSAM AUS

Am 1. März meldete das Gesundheitsministerium, die Zahl der Toten sei auf 54 gestiegen, die der Infizierten liege bei 385. Am schwersten sei die Hauptstadt Teheran betroffen, sagte Dschahanpur. Ausländer, die sich in Iran aufhielten, auch Journalisten, versuchten auf Empfehlung ihrer Botschaften das Land zu verlassen. Die Revolutionsgarden wurden zur Unterstützung des Gesundheitsministeriums im Kampf gegen das Virus eingesetzt. Obwohl gewöhnlich in den Wochen vor dem Neujahrsfest (20. März) in den Städten, besonders in den Einkaufsstraßen, reger Betrieb herrscht, waren die Straßen in diesen Tagen wenig belebt. Kindergärten, Schulen und Universitäten und viele Geschäfte blieben geschlossen. Es fehlte an Desinfektionsmittel. Der Preis für Alkohol stieg drastisch. Am 2. März erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 100.000 Geräte für den Corona-Test und Schutzanzüge und Masken für 100.000 Personen nach Iran geschickt zu haben. Zudem traf am selben Tag ein Expertenteam der Organisation in Teheran ein. Gholamali Dschafarsadeh Imanabadi, Abgeordneter aus Rascht im Norden Irans, forderte am 3. März die Sperrung der Städte, in denen das Corona-Virus besonders weit verbreitet ist. "Ich verstehe nicht, warum der Präsident dagegen ist, bestimmte Städte unter Quarantäne zu stellen," sagte er im Interview mit "Emtedad News." "Das ist ein Fehler. Anstatt auf Experten und Ärzte zu hören, wird behauptet, die Feinde Irans wollten unsere Städte isolieren. Die meisten Ärzte und Experten halten die Isolierung für dringend notwendig. Wir haben um diese Maßnahme gebeten, doch der Nationale Sicherheitsrat und andere Instanzen sind dagegen. (...) Ich möchte inständig darum bitten, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen. Ich sage ganz offen, die bisher veröffentlichten Zahlen, entsprechen nicht den Tatsachen. Man kann doch die Gräber nicht verstecken." Er habe sich von einigen Friedhöfen die Zahl der Beigesetzten geben lassen. Diese seien weit höher als offiziell angegeben.

Am 2. März teile das Pariser Außenministerium mit, dass Frankreich, Deutschland und Großbritannien beschlossen hätten, Iran im Kampf gegen das Corona-Virus zu unterstützen. Hilfsgüter im Wert von fast fünf Millionen Euro sollen über WHO und andere UN-Agenturen an Iran weitergeleitet werden.

Am 3. März erklärte Chamenei, die Verantwortlichen hätten vom ersten Tag an die Bevölkerung völlig korrekt über die Folgen der Lungenkrankheit informiert. Im Gegensatz dazu, hätten manche Staaten, in denen die Krankheit weiter verbreitet sei als in Iran, die Wahrheit vertuscht. Am gleichen Tag sagte Präsident Rohani im staatlichen Fernsehen, es sei eine Verschwörung der Feinde der Islamischen Republik im Gange, "sie verbreiten Ängste, um den Staat lahmzulegen."


FREITAGSGEBETE ABGESAGT

Endlich beschloss der Krisenstab am 4. März, die Freitagsgebete in allen Provinzstätten abzusagen. Präsident Rohani sagte nach einer Kabinettssitzung, das Virus sei inzwischen in allen 31 Provinzen des Landes angekommen. Je weiter die Krankheit fortschritt, desto weniger schien die Regierung aus der Sicht der Bevölkerung glaubwürdig. Selbst Parlamentsvizepräsident Masud Peseschkian sagte, die Angaben der Regierung seien nicht "realistisch." "Wir haben nicht alle Kranken getestet," sagte er in einem Interview mit "Ensaf News." Die Kapazität der Krankenhäuser sei längst ausgeschöpft. "Die Lage wird von Tag zu Tag kritischer. Die Wirtschaft wird zusammenbrechen. Es sei denn, wir greifen hart durch, es ist nicht mehr zu spaßen." Peseschkian war unter Präsident Mohammad Chatami Gesundheitsminister. "Es wäre klug gewesen, wenn man 15 Tage lang alles gesperrt und harte Maßnahme getroffen hätte. (...) Das haben sie leider nicht getan. Die Folge ist, dass die Krankheit sich nun in allen Provinzen ausgebreitet hat. Mit dieser Seuchenkrankheit ist nicht zu spaßen. Wenn ich an der Stelle des Gesundheitsministeriums gewesen wäre, hätte ich die Stadt Ghom völlig isoliert und niemanden herausgelassen."

Indes kündigte die Regierung am 5. März eine Begrenzung des Reisverkehrs zwischen den großen Städten an. Zudem forderte Gesundheitsminister Said Namaki die Bevölkerung auf, möglichst nicht mit Geldscheinen zu zahlen. Beim Tanken sollten die Insassen nicht aussteigen und das Tanken den Mitarbeitern der Tankstelle überlassen.


FALAHATSADEH: CORONA IST BIOTERRORISTISCHER ANGRIFF

Heschmattollah Falahatsadeh, Mitglied des Ausschusses für Nationale Sicherheit und Außenpolitik, erklärte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Isna, "die Verbreitung des Corona-Virus in China und Iran ist ein bioterroristischer Angriff." Zu dem Hilfsangebot von US-Präsident Trump sagte er, "Trump und Pompeo lügen, denn Corona ist kein normales Virus, sondern ein bioterroristisches, das in China und Iran verbreitet wurde. Das darf man nicht übersehen." Falahatsadeh schlug vor, ein Verteidigungssystem dagegen aufzubauen, denn "von heute an bis zum Jahr 2030 werden wir mit solchen Angriffen konfrontiert sein. Also müssen wir dagegen ein ähnliches Programm aufbauen wie unser Raketenprogramm."

In den iranischen Krankenhäusern herrschen derweil chaotische Zustände. Die Schutzmaßnahmen des Personals sind nicht ausreichend. Eine 24-jährige Krankenschwester war gestorben, weil sie sich bei einem Patienten angesteckt hatte. Über ihren Tod herrschte im ganzen Land eine tiefe Trauer. Um die Stimmung bei dem Personal hoch zu halten, legten Ärzte und Pflegepersonal immer wieder eine kurze Pause ein, in der sie in voller Schutzmontur zu traditioneller oder moderner Musik tanzten. Die Videos hiervon wurden auf Twitter und Instagram verbreitet und innerhalb weniger Tage hunderttausendfach angeklickt.


ROHANI ÜBERNIMMT LEITUNG DES KRISENSTABS

Auf Empfehlung des Revolutionsführers Ali Chamenei übernahm Präsident Rohani am 11. März die Leitung des Krisenstabs. Laut des Vizepräsidenten des Parlaments, Masud Peseschkian, hatte Chamenei in einem Antwortschreiben an den Parlamentspräsidenten Ali Laridschani empfohlen, Rohani solle die Leitung des Krisenstabs übernehmen. Laridschani selbst gab bekannt, dass das Parlament einen Ausschuss zur Unterstützung des Krisenstabs gebildet habe. Es sei im Nationalen Sicherheitsrat beschlossen worden, zur Unterstützung des Krisenstabs, Arbeitsgruppen zu bilden, um dem Stab die nötige Stärke und Rückendeckung zu verleihen. Alle Organe des Staates seien verpflichtet, die Beschlüsse des Stabs zu befolgen und umzusetzen, so Laridschani. Auch die Streitkräfte sollen von nun an stärker im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus eingebunden werden. Mit der Errichtung von mobilen Krankenhäusern in einigen Provinzen soll die Versorgung der Infizierten besser gewährleistet werden. Auch Hotels und überdachte Sporthallen, sollen, wenn nötig, zur Behandlung von Kranken benutzt werden.

Indes machte das Virus auch vor den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern keinen Halt. Der Agentur Irna zufolge starb am 7. März die neu gewählte Parlamentsabgeordnete Fatemeh Rahbar infolge der Lungenkrankheit. Wie der Abgeordnete Abdolresa Mesri im staatlichen Fernsehen bekannt gab, hätten sich bis zum 7. März 23 Mitglieder des Parlaments mit dem Corona-Virus infiziert. Am 1. März berichtete die Nachrichtenagentur Fars, dass auch Vizepräsident Eshagh Dschahangiri an dem Virus erkrankt sei. Dasselbe gelte für Ali Asghar Munesian, Minister für Kulturerbe, Kunsthandwerk und Tourismus und Resa Rahmani, Minister für Industrie und Bergbau. Am 13. März berichteten iranische Medien, dass der außenpolitische Berater Chameneis, Ali Akbar Welayati, wegen Infektionsverdacht unter Quarantäne gestellt worden sei. Welayati war jahrelang Irans Außenminister. Anfang März war bereits ein anderer Berater Chameneis, Mohammad Mirmohammadi, infolge der Lungenkrankheit gestorben. Nach offiziellen Angaben des Gesundheitsministeriums vom 12. März lag die Zahl der Toten bei 439 und die der Erkrankten bei 1.075 Personen.


GESUNDHEITSMINISTERIUM GESTEHT, ZU SPÄT GEHANDELT ZU HABEN

Resa Maleksadeh, Vizegesundheitsminister, gestand am 13. März den Ernst der Lage zu spät begriffen und gehandelt zu haben. "Wir haben zunächst Corona und Influenza miteinander verwechselt und daher zu spät mit Gegenmaßnahmen begonnen," sagte er im staatlichen Fernsehen. Das sei auch der Grund dafür gewesen, dass die Bevölkerung zu spät über die Seuche informiert wurde. Auch die Kritik gegen die Flüge nach China sei von der Regierung nicht ernst genommen worden, "obwohl wir (das Gesundheitsministerium) auf mehreren Kabinettsitzungen die Einstellung der Flüge forderten. Wir konnten nicht durchsetzen, dass die Grenzen geschlossen wurden. Grund waren unsere Wirtschaftsbeziehungen zu China und iranische Studenten, die in China studieren." Einem Bericht der dpa vom 14. März zufolge haben Gerüchte über eine mögliche Ausganssperre in Teheran zum Sturm auf die Supermärkte geführt. Die Folge war, dass bestimmte Waren wie Mineralwasser, Waschpulver und Plastikhandschuhe schnell ausverkauft waren. Doktor Aliresa Sali, Manager des Krisenstabs zum Kampf gegen Corona, sagte am 14. März: "Heute waren in Teheran so viele Menschen auf den Straßen wie noch nie, obwohl wir die Menschen gewarnt hatten. Das ist höchst bedauerlich und äußerst gefährlich." An diesem Tag forderten Lautsprecherwagen der Polizei die Passanten auf, nach Hause zu gehen.

Anlass zu den Gerüchten hatte eine Äußerung des Armeechefs Mohammad Bagheri gegeben, der erklärt hatte, die Streitkräfte würden dafür sorgen, dass sowohl in Teheran und anderen Großstädten als auch die Landstraßen binnen 24 Stunden leer würden. Demgegenüber sagte Regierungssprecher Ali Rabii, das Gerücht, Teheran werde unter Quarantäne gestellt, sei nichts als "eine große Lüge.".

Während über die Strategie der Regierung Unklarheit herrschte und sich in der Bevölkerung Unsicherheit breit machte, erklärte Präsident Rohani am 14. März: "Was ist dagegen einzuwenden, wenn die Medien die Menschen darüber aufklären, dass man auf die bisherigen Maßnahmen der Regierung gegen das Corona-Virus, die trotz maximalen Druck der USA und trotz inhumaner Sanktionen durchgesetzt wurden, stolz sein kann. Das verleiht den Menschen Zuversicht und Vertrauen."


BESUCH DER PILGERSTÄTTEN VERBOTEN

Erst am 16. März gelang es dem Krisenstab, den Zugang zu den heiligsten Stätten des Landes zu sperren. Lange Zeit gab es vehementen Widerstand der konservativen Geistlichkeit gegen die Schließung, vor allem des Imam Resa Mausoleums in Maschad und des Fatima Schreins in Ghom. Beide Stätten werden jährlich von Millionen Schiiten, auch von Pilgern aus dem Ausland, besucht. Der Freitagsprediger von Ghom, Mohammad Saidi, meinte, die Feinde Irans wollten Ghom zu einer unsicheren Stadt machen. "Wir brauchen die Moscheen als Orte, die Kranke körperlich und psychisch gesund machen. Gerade jetzt müssen die Menschen in die Moschee kommen," sagte er. Als Ayatollah Wahid Chorasani, der als religiöse Instanz gilt, gebeten wurde, den Gläubigen zu empfehlen, hygienische und medizinische Vorbeugemaßnahmen zu befolgen, sagte er: "Legt die Hände auf die Brust, sprecht morgens und abends die Sure Hamd aus dem Koran aus, dann wird Gott euch helfen."

Für die populäre religiöse Instanz Ayatollah Haschem Bathaji Golpajegani kam der Rat offenbar zu spät. Der 78-jährige gehörte dem Expertenrat an. Er wurde auf das Corona-Virus positiv getestet, kam ins Krankenhaus, zwei Tage danach war er tot.

Nach der Schließungsankündigung der Moscheen in Ghom und Maschad kam es laut dpa vom 17. März in beiden Städten zu Protestdemonstrationen. Es waren von konservativen Geistlichen aufgehetzten Pilger, die in die Innenhöfe der Imam-Resa-Moschee in Maschad und des Fatima-Maassumeh-Schreins in Ghom stürmten. Ein Geistlicher in Maschad rief: "Wir sind hier, um zu sagen, dass Teheran verdammt falsch damit liegt, das zu machen." Die Demonstrationen wurden von Ordnungskräften aufgelöst. Einige geistliche Instanzen forderten die Gläubigen auf, "Weisheit und Geduld" zu zeigen. Präsident Rohani versicherte ihnen: "Seid gewiss, unsere Seele ist den Heiligen näher als in jeder anderen Zeit."


ES KANN MILLIONEN TOTE GEBEN

Je heftiger sich das Virus ausbreitete und je weiter die Zahl der Toten und Infizierten anstieg, desto eindringlicher wurde die Bevölkerung vor den Folgen gewarnt. Chamenei befahl kurz vor Beginn der Neujahrferien, während denen gewöhnlich Millionen Menschen innerhalb des Landes Urlaub machen, alle unnötigen Reisen zu unterlassen. Die Ärztin Afrus Eslami warnte im staatlichen Fernsehen laut dpa vom 17. März, es könnte "Millionen" Tote geben, sollten die Menschen die von der Regierung empfohlenen Maßnahmen nicht beachten. Selbst wenn sie von jetzt an mit der Regierung zusammenarbeiten und die Maßnahmen befolgten, werde es 120.000 Infizierte und 12.000 Tote geben. Sollte die Zusammenarbeit nur zögerlich sein, müsse man mit 300.000 Infizierten und 110.000 Tote rechnen. Wenn aber keinerlei Kooperation mit der Regierung gebe, werde das Gesundheitssystem zusammenbrechen. "Wenn die medizinischen Einrichtungen nicht ausreichen, wird es vier Millionen Infizierte und 3,5 Millionen Tote geben," sagte die Ärztin. Sie berief sich bei ihren Angaben auf eine Studie der renommierten Teheraner Scharif-Universität für Technologie.

Vize-Gesundheitsminister Aliresa Raisi sagte auf einer Pressekonferenz in Teheran am 18. März: "Jeder weiß inzwischen über die Krankheit Bescheid. Es ist sehr seltsam, dass einige sie nicht ernst nehmen. (...) Wenn die Menschen helfen, können wir die Krankheit kontrollieren, wenn nicht, rechnen wir damit, dass es länger als zwei Monate dauern wird." Am 19. März appellierten fünf ehemalige Gesundheitsminister gemeinsam mit einigen Ärzten in einem offenen Brief an Präsident Rohani, endlich harte Maßnahmen zu ergreifen. Vor allem sollten der Verkehr und die Privatreisen stark eingeschränkt werden, um die Kette der Ansteckung zu durchbrechen. "Der sicherste Weg zur Kontrolle und Eindämmung der Lungenkrankheit und zur Rettung des Landes vor dem Corona-Virus sind Maßnahmen, die den Kontakt zwischen kranken und gesunden Menschen minimieren. Dazu müssen der Verkehr und die Reisen stark eingeschränkt, nicht unbedingt notwenige Gewerbeunternehmen geschlossen und die Städte isoliert werden," schreiben die Autoren.

Als ehemalige Verantwortliche und Spezialärzte "empfehlen wir dringend von heute an für die nächsten 15 Tage alle nicht unbedingt erforderlichen Gewerbe vollständig einzustellen. Ausnahme bilden Supermärkte, Lebendmittelgeschäfte, Apotheken unter strengen hygienischen und medizinischen Auflagen. Alle nicht unbedingt nötigen Reisen müssen verboten werden."

Die Autoren forderten den Präsidenten auf, endlich "einschneidenden Maßnahmen" durchzusetzen. "Wenn Sie unsere Empfehlungen ignorieren, riskieren Sie das Leben von noch mehr Menschen," schreiben sie.

Die Regierung weigert sich nach wie vor, Städte unter Quarantäne zu stellen. Kontrollen der Autobahnen, Schnellstraßen und Wege finden nur sporadisch statt. Das Gesundheitsministerium erklärte, "laut letzten vorliegenden Statistiken, erkranken jede Stunde 50 Menschen, alle zehn Minuten verursacht die Krankheit einen Toten. Daher sollten sich alle überlegen, ob sie die Verwandtenbesuche und Reisepläne nicht besser fallen lassen sollten." Trotz des Appells waren die Basare und Einkaufsstraße voll von Menschen und hundertausende Autos überfüllten die Straßen und Autobahnen. Vize-Gesundheitsminister Aliresa Raisi zeigte sich verärgert darüber, dass die Menschen die Pandemie immer noch nicht ernst nehmen. Am 22. März lag nach Angaben des Gesundheitsministeriums die Zahl der Toten bei 1.685 und die der Infizierten bei 21.628. Insgesamt wurden 7.912 Kranke geheilt. Am 22. März wurden in Teheran alle Geschäfte außer Apotheken und Supermärkte geschlossen.

Indes wächst in der Bevölkerung die Kritik an der Regierung. Die Menschen werfen ihr vor, zu spät und zu inkonsequent zu handeln und über keine durchdachte Strategie zur Bekämpfung des Corona-Virus zu verfügen. Am meisten richtet sich die Kritik dagegen, dass es der Regierung nicht gelungen ist, die Krankenhäuser und die Ärzte ausreichend mit medizinischen Geräten und Medikamenten zu versorgen. In den sozialen Netzwerken veröffentlichen die User Videos, in denen große Mengen von Hygiene-Artikeln und medizinischen Geräten zu sehen sind, die den medizinischen Zentren gespendet wurden. Andererseits zeigen die Videos Krankenhäuser und Arztpraxen, denen es an alledem mangelt. Tatsächlich ist dieser Mangel zu einem echten Problem geworden. Viele Menschen fragen sich, wo all die Spenden aus dem Ausland bleiben. Der Verdacht auf Korruption ist weit verbreitet. Die Menschen haben kein Vertrauen in den Staat, sie versuchen sich gegenseitig zu helfen.

Am 25. März kündigte Rohani harte Maßnahmen an. Reisen sollen untersagt und Parks und Spielplätze geschlossen werden. "Wir müssen die Krankheit unter Kontrolle bekommen," sagte der Präsident. Zu der Krankenversorgung sagte er: "Bis heute herrscht kein Mangel an Ärzten und Pflegepersonal." Regierungssprecher Rabii sagte: "Die neuen Maßnahmen sind hart, viele werden damit unzufrieden sein. Aber sie sind notwendig." Wie hoch die Strafen gegen Missachtung der Maßnahmen sein werden, werde die Justiz bekannt geben.

In den ersten Tagen des neuen Jahres waren Millionen Reisende unterwegs, obwohl die Regierung die Menschen aufgefordert hatte, zu Hause zu bleiben. Offenbar waren die Ordnungskräfte nicht in der Lage, sich gegen die reislustigen Iranerinnen und Iraner durchzusetzen.


STÄDTE SOLLEN UNTER QUARANTÄNE GESTELLT WERDEN

Die immer lauter werdende Kritik schien gewirkt zu haben. Am 26. März kündigte Hossein Solfaghari, Vize-Innenminister, an, die Städte für Nichtbewohner zu sperren. "Alle Reisende müssen zu ihrem Wohnsitz zurückkehren und alle, die Reisen geplant haben, müsse diese vertagen. Ausgenommen sind Arbeiter und Angestellte, die dringende Dienste zu leisten haben." Für die Bewohner sei eine Ausgangssperre verhängt worden. Am 25. März forderte Gesundheitsminister Said Namaki die vorläufige Schließung des Parlaments. In einem Schreiben an Parlamentspräsident Ali Laridschani notierte er: "Ich bitte Sie, für mindestens zwei Wochen die Sitzungen im Parlament abzusagen." Dies sei eine der Maßnahmen, die das Ministerium zur Reduzierung sozialer Kontakte vorgesehen habe. Die Debatten könnten über Videoschaltungen geführt werden.


TEAM DER ÄRZTE OHNE GRENZEN UNERWÜNSCHT

Ein Team der Organisation Ärzte ohne Grenzen war Mitte März nach Isfahan, in Zentraliran, gereist, um die Stadt, die besonders schwer vom Corona-Virus betroffen ist, bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung zu unterstützen. Das Team von neun Experten sollte dort eine Mini-Klinik mit 50 Betten errichten. Den Angaben der Organisation zufolge waren alle bürokratischen Hürden überwunden und alle Genehmigung seitens iranischer Behörden erteilt worden. Doch wenige Stunden bevor das Team mit den Vorarbeiten beginnen wollte, twitterte Aliresa Wahabsadeh, Berater und Medienbeauftragter im Gesundheitsministerium: "Wir bedanken uns bei MSF, aber derzeit besteht kein Bedarf für eine ausländische Miniklinik." Aus konservativen Kreisen kam der Vorwurf, unter den Ärzten befänden sich welche, die in Iran spionieren wollten.

Gesundheitsminister Said Namaki erklärte vor der Presse in Teheran, die Einreise des Teams und dessen Hilfsangebot seien sowohl vom Innen- als auch von Außenministerium genehmigt worden. Auch die Agentur Isna berichtete, das Projekt sei auch mit Zustimmung des Informationsministeriums eingereist. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen habe 26 Tonnen Material im Wert von 150.000 Euro mitgebracht, um eine Miniklinik zu errichten. Doch wenige Stunden nach dem Eintreffen des Teams starteten Medien und Politiker, die den Revolutionsgarden nahestehen, eine Kampagne gegen MSF. Wieder einmal zeigte sich, welche Folgen die Rivalität zwischen Mächten in Iran haben kann. Gerade in dieser Krisenzeit, in der das Land wirtschaftlich am Abgrund steht und die Behörden bei weitem nicht in der Lage sind, die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, sind die Folgen dieser Rivalität katastrophal. Enttäuscht erklärte das Team, es werde abreisen und die Hilfe anderen Staaten anbieten.

Am 01. April gab es in Iran 74.593 Infizierte und 3.036 Todesfälle, 15.473 Infizierte sind wieder genesen.


MASSENFLUCHT DER AFGHANEN AUS IRAN

Seit Anfang März haben mehr als 70.000 in Iran lebende Afghanen wegen der Corona-Pandemie das Land verlassen. Die meisten sind aus Angst, infiziert zu werden, freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt, etwa zehn Prozent wurde ausgewiesen. Ein weiterer Grund für die Rückkehr ist die wirtschaftliche Lage in Iran. Die harten US-Sanktionen, Korruption und Misswirtschaft haben das Land in eine tiefe Krise gestürzt. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Folgen der sich rasch verbreitenden Lungenkrankheit. Ohnehin herrscht in Iran eine hohe Arbeitslosigkeit, was für die Afghanen die Suche nach Arbeit erheblich erschwert. Selbst wenn sie eine Arbeit finden, können sie weit weniger Geld als früher nach Hause schicken, denn die iranische Währung hat stark an Wert verloren. Die Rückkehr der Massen stellt die afghanischen Behörden vor schier unlösbare Probleme, sowohl gesundheitlich als auch wirtschaftlich. Der Gouverneur der an Iran grenzenden Provinz Herat forderte von der Regierung in Kabul rasches Handeln. "Wenn wir jetzt keine Maßnahmen ergreifen und nicht zusammenarbeiten, werden wir eine noch schlimmere Situation erleben als Iran," sagte er einem Bericht der AFP vom 17. März zufolge.


GEFANGENE WEGEN CORONA-VIRUS ENTLASSEN

Der Sprecher der Justiz, Gholamhossein Esmaili, sagte am 3. März der Presse, um einer Verbreitung des Corona-Virus in den Gefängnissen zu verhindern, seien 58.000 Gefangene beurlaubt worden. Die Maßnahme sei in Absprache mit dem Gesundheitsministerium getroffen worden. Die Zahl wurde später auf 70.000, dann 83.000 und zuletzt 85.000 erhöht.

Über die iranische-britische Gefangene Nazanin Saghari, die sich ebenfalls im Gefängnis befindet und unter dem Vorwurf der Spionage zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, sagte er, sie befinde sich bei "voller Gesundheit." Ob auch sie beurlaubt werde, sagte er nicht.

Zuvor hatte Sagheris Mann berichtet, seine Frau sei krank und die "Kampagne zur Freiheit von Nasanin Saghari" hatte eine Erklärung veröffentlicht, in der es hieß, Saghari leide seit einigen Wochen unter einer Erkältung mit Halsschmerzen und Husten. Sie sei möglicherweise mit dem Corona-Virus infiziert und müsse unbedingt gründlich untersucht werden. Die "Kampagne" forderte die britische Regierung auf, sich dafür einzusetzen. Indes hatte Irans Botschafter in London, Hamid Baidinejad, in einem Tweet geschrieben, möglicherweise werde Sagheri bald freigelassen. Aber wenig später korrigierte er diese Äußerung und schrieb: "Ein politischer Gefangener werde heute oder morgen freigelassen."

Wie derzeit alles in Iran, werden auch die Mitteilungen der Justiz in Zweifel gezogen. "Die Kampagne für Menschenrechte in Iran," veröffentlichte am 8. März einen Bericht, in dem sie vor der Ausbreitung des Corona-Virus in iranischen Gefängnissen warnte. Zahlreiche Angehörige von Gefangenen sowie Anwälte hätten sich an die Organisation gewandt und erklärt, die Justiz und die Sicherheitsorgane nähmen die Krankheit nicht ernst, das Leben der Gefangenen sei in Gefahr, heißt es in dem Bericht.

Roghiyeh Zare Purheydari, deren Mann, Ruin Otufat, der sich aus politischen Gründen seit drei Jahren im Gefängnis befindet, sagte: "Sie (Justiz und Sicherheitsorgane) lügen. Aus welchen Gefängnissen sollen die 58.000 Gefangene entlassen worden sein? Sicherlich nicht aus dem Eviner Gefängnis. Ich gehe jeden Tag dorthin. Mit Ausnahme von zwei oder drei, die beurlaubt wurden, sind alle Gefangenen noch da." Evin ist das berühmt-berüchtigtste Gefängnis in Iran.

"Wir sind sehr besorgt," sagte Purheydari weiter. "Warum verschweigen sie die Wahrheit, warum wird die Öffentlichkeit nicht informiert, warum wurden die Gefangenen nicht von vornherein freigelassen? Sie hätten vom ersten Tag an, statt die Tatsachen zu vertuschen, die Bevölkerung informieren müssen. Wir sind sehr besorgt um unsere Angehörigen. Der Stellvertreter des Gefängnisdirektors sagt, er habe dem Staatsanwalt eine Liste mit den Namen der Gefangenen, die beurlaubt werden sollen, überreicht. Die Entscheidung liege bei ihm. Mein Mann ist nicht unerfahren, aber ohne hygienische Möglichkeiten kann man sich nicht vor dem Virus schützen. Die Gefangenen haben keine Desinfektionsmittel, keine Masken, sie haben nur dünne Latexhandschuhe bekommen, die kein Nutzen haben." Purheydari sagte, ihr Mann habe ihr erzählt, dass bereits fünf Gefangene in dem 4. Trakt des Evin-Gefängnisses mit Corona-Virus infiziert seien. Die Krankheit breite sich im Gefängnis aus. "Wir können nichts tun, wir schreien und schimpfen und kehren nach Hause zurück," sagte Purheydari.

Auch der Anwalt Mohammad Aghassi, der einige Gefangene vertritt, sagte der "Kampagne für Menschenrechte," bisher sei kein einziger aus den Abteilungen, in denen seine Mandanten untergebracht seien, freigelassen worden.

Der Anwalt Mahmud Tarawat sagte, die Justiz und Sicherheitsorgane seien sowohl moralisch als auch juristisch für das Leben der Gefangenen verantwortlich. "Mehr als vom Corona-Virus wird unser Land von Verantwortungslosigkeit und Unfähigkeit bedroht," sagte er. "Wenn wir zu Recht oder Unrecht jeden einsperren, sein Leben, die Auswahl seiner Kleidung, Nahrung, und seine hygienischen Möglichkeiten stark einschränken, sind wir auch moralisch für sein Leben verantwortlich." Die Justiz habe zwar beschlossen, Gefangene zu beurlauben, aber in der Praxis gebe es unterschiedliche Kriterien, die nach Gutdünken der Verantwortlichen unterschiedlich gehandhabt würden. Manche müssten niedrige, mache hohe Kautionen hinterlegen. Andere würden überhaupt nicht freigelassen. Resa Chandan, Ehemann der berühmten Menschenrechtaktivisten Nassrin Sotudeh, sagte der "Kampagne," bei seinem letzten Besuch im Gefängnis habe seine Frau ihm berichtet, es seien lediglich fünf Frauen von 41 Gefangenen aus ihrer Abteilung freigelassen worden. Kurz vor Beginn des neuen Jahres gab Justizsprecher Ismaili bekannt, dass insgesamt 85.000 Gefangene aus den Gefängnissen vorübergehend entlassen worden seien. Darunter seien auch politische Gefangene oder wie er sagte, "wegen sicherheitstechnische Delikte Inhaftierte." Er betonte, dass viele von ihnen durch ihre Fußfesseln unter ständiger Kontrolle stünden.

Auch die iranisch-britische Staatsbürgerin Nazanin Zagheri-Ratcliffe wurde am 17. März für zwei Wochen beurlaubt. Auch sie trage Fußfesseln, ihr sei es verboten worden, sich mehr als 300 Meter vom Haus ihrer Eltern zu entfernen, berichtete ihr Mann Richard Ratcliffe. Der britische Außenminister zeigte sich über die Beurlaubung erleichtert. Er forderte die iranische Justiz auf, auch die anderen Briten mit iranischer Staatsbürgerschaft freizulassen.

Die 41-jährige Zagher-Ratcliffe, eine Mitarbeiterin der Journalisten-Stiftung Thomson Reuters, wurde wegen "Aufruhrstiftung" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Ihre Familie hatte die Befürchtung, sie könnte mit dem Corona-Virus infiziert worden sein. Am 19. März meldete das iranische Staatsfernsehen unter Berufung auf Justizsprecher Esmaili, Revolutionsführer Ali Chamenei habe aus Anlass des neuen Jahres weitere 10.000 Gefangene freigelassen. Begnadigungen zum Jahreswechsel sind in Iran üblich. Die hohe Zahl in diesem Jahr ist wohl auf die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus in den Gefängnissen zurückzuführen. Unter den Entlassenen sind nach Angaben Ismailis auch Gefangene, die "wegen sicherheitstechnischer Delikte" verurteilt worden seien. Die USA forderten am 11. März Iran auf, angesichts der raschen Ausbreitung der Lungenkrankheit sämtliche US-Bürger, die sich in iranischer Haft befinden, unverzüglich freizulassen. Die US-Regierung werde Iran "direkt verantwortlich machen" und entschlossen darauf reagieren, sollten Gefangene an den Folgen der Krankheit sterben, sagte Außenminister Mike Pompeo. Auch Iran zeigte sich besorgt über den Zustand der iranischen Häftlinge in den USA, vor allem "über die sanitären Bedingungen in den amerikanischen Gefängnissen angesichts der chaotischen Situation, die wir derzeit erleben," so Außenamtssprecher Abbas Mussavi.


AI: 23 KINDER UND JUGENDLICHE BEI DEN PROTESTEN IM NOVEMBER GETÖTET

Einem Bericht der AFP vom 4. März zufolge wurden laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) bei den landesweiten Protesten im November 23 Kinder und Jugendliche getötet, 22 Jungen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren und ein etwa acht bis zwölf Jahre altes Mädchen. Die Angaben stützen sich auf Fotos und Videoaufnahmen, Sterbe- und Bestattungsurkunden, Informationen von Augenzeugen, Hinterbliebenen, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten.

Die Proteste wurden von den Sicherheits- und Ordnungskräften brutal niedergeschlagen. Offizielle Angaben über die Zahl der Toten, Verletzten und Verhafteten gibt es auch nach vier Monaten nicht. Die Beamten in Uniform und Zivil schossen mit scharfer Munition auf unbewaffnete Demonstranten. Nicht einmal unbeteiligte Passanten wurden verschont. Die Agentur Reuters hatte damals über 1.500 Tote berichtet.

Der Nahost-Experte von AI, Philip Luther, forderte eine unabhängige Untersuchung. Laut Amnesty stammten die getöteten Minderjährigen aus 13 Städten in sechs Provinzen. Die Namen der Getöteten seien von Amnesty an Innenminister Abdolresa Rahmani Fasli geschickt, doch er habe nicht darauf reagiert, berichtete Amnesty laut AFP. Die Angehörigen der Kinder wurden unter Androhung von Repressalien gewarnt, sich öffentlich über die Vorgänge zu äußern.


KEINE NEUJAHRSREDE DES REVOLUTIONSFÜHRERS

Die traditionelle Neujahrsrede des Revolutionsführers Ali Chamenei wurde in diesem Jahr wegen der Corona-Krise abgesagt. Sie fand immer am ersten Tag des neuen Jahres (21. März) in der heiligen Pilgerstadt Maschad im Nordosten des Landes statt. Dort befindet sich das Mausoleum von Imam Resa, des achten schiitischen Nachfolgers des Propheten Mohammed. Begründet wurde die Absage mit der Ansteckungsgefahr durch den Corona-Virus.

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KULTUR

• Goldener Bär für Rasoulof
• Erklärung des iranischen Schriftstellerverbands zum internationalen Frauentag


GOLDENER BÄR FÜR RASOULOF

Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof hat bei der diesjährigen Berlinale mit seinem Film "Schaitan wodschud nadarad," wörtlich übersetzt "den Teufel gibt es nicht," den Goldenen Bären gewonnen. Der deutsche Titel lautet: "Es gibt kein Böses." Der Film besteht aus vier Episoden, die durch ein Grundthema miteinander verknüpft sind. Es geht um das Verhalten der Menschen in Extremsituationen, darum, wie Menschen zwischen dem Guten und dem Bösen entscheiden und dafür die jeweiligen Folgen auf sich nehmen. Da ist ein liebevoller, fürsorglicher Familienvater, er kümmert sich um seine Mutter, führt ein ganz normales Leben, geht einkaufen, Pizzaessen, rettet eine Katze. Doch nachts geht er ins Gefängnis, vollstreckt per Knopfdruck Todesurteile. Da ist ein Wehrdienstleistender, der den Befehl erhält, einen Verurteilten zu erschießen. Er gerät in Gewissenskonflikte, will die Schuld nicht auf sich nehmen, gibt einem Kameraden Geld, damit er an seiner Stelle die Erschießung übernimmt. Es ist "ein Film, der Fragen über unsere Verantwortung und Entscheidung stellt," sagte Jurypräsident und Oscar-Preisträger Jeremy Irons, ein "sanfter" und zugleich "verheerender" Film.

"Es gibt kein Böses" ist ein politischer Film gegen die Todesstrafe. Mit der Preisverleihung an Rasoulof "unterstütze die Berlinale die in Iran verfolgten Filmemacher," sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters und "betone die Rolle der Künste in autoritären Regimen." Sie lobte das Führungsduo des Festivals Mariette Rissenbeck und Carlo Chatrian, die den Anspruch der Berlinale "als dezidiert politisches Filmfestival gerade in diesem Jubiläumsjahr eindrucksvoll unter Beweis gestellt" hätten. Sie hätten das Festival "mit Einfühlsamkeit, mit filmästhetischem Sachverstand, mit Organisationsgeschick und mit Leidenschaft" organisiert.

Rasoulof konnte den Preis nicht selbst entgegennehmen, weil ihm die Ausreise aus Iran verboten wurde. An seiner Stelle erschien seine Tochter Baran. Sie lebt in Deutschland. Sie sei glücklich und zugleich traurig, weil "dieser Preis für einen Filmemacher bestimmt ist, der heute nicht hier sein kann," sagte sie.

Die Preisverleihung für den Film "Es gibt kein Böses," fand auch unter Kritikern in Deutschland Zustimmung. Die Jury hätte kaum an diesem Film vorbeigehen können, schrieb die Frankfurter Rundschau. Andreas Fanizadeh schrieb in der taz, der Film sei ein Meisterstück über zivilen Ungehorsam unter einer Diktatur.

In einem Interview von Maryam Mirza mit Rasoulof, das bei "Qantara" erschien, berichtete der Filmemacher über die Probleme bei den Dreharbeiten. Er habe unter "großen psychischen Druck" gestanden, sagte der Regisseur. Zudem habe er auf sein Urteil des Berufungsgerichts gewartet. "Ich bin morgens immer mit der Ungewissheit aufgewacht: Kommt heute wohl die Nachricht des Gerichts?", sagte er.

Zu dem Film sagte Rasoulof: "Es geht gar nicht in erster Linie um die Todesstrafe. Es geht darum, wie wir vor dem Hintergrund von Willkürherrschaft und Tyrannei Verantwortung für unser Handeln übernehmen können. Wie wir es vermeiden können, unmoralische Befehle zu befolgen, obwohl wir alle in einer Machtstruktur aus Unterdrückern und Unterdrückten gefangen sind. (...) Übernehmen wir Verantwortung für unser Handeln? Oder schieben wir sie, um uns vor Gewissensbisse zu schützen, auf die herrschende Macht, die uns zwingt, gewisse Dinge zu tun?" Die Geschichten, die er erzählt habe, beruhten auf seiner eigenen Erfahrung. Zum Beispiel habe er einmal einen Beamten auf der Straße gesehen, der ihn 2009 verhört hätte. Er habe ihn verfolgt "mit vielen, schwer zu fassenden Gefühlen im Bauch, irgendetwas zwischen Wut und Hass." Er habe dann festgestellt, dass der Mann so normal war, wie andere Menschen, "kein Monster und kein Teufel, einfach nur ein Mensch, der unterwegs war, Bananen zu kaufen."

Wenige Tage nach der Verleihung des Goldenen Bären an Rasoulof wurde er von der Justiz in Teheran einbestellt, um seine einjährige Haftstrafe anzutreten. Wie sein Anwalt Nasser Sarafschan der Nachrichtenagentur AFP am 4. März mitteilte, darf der Regisseur zwei Jahre lang keine Filme drehen. Grund des Urteils sei "Propaganda gegen die Staatsordnung der Islamischen Republik". Rasoulof werde der Vorladung nicht folgen, sagte der Anwalt. Er werde Berufung einlegen. Zudem werde er darauf hinweisen, dass der derzeit grassierende Corona-Virus auch das Leben der Gefangenen gefährde. Sonst hätte die Justiz nicht eigenen Angaben zufolge 58.000 Gefangene beurlaubt.

Die Berlinale reagierte auf die Haftanordnung mit "großer Bestürzung." "Es ist erschütternd, dass ein Regisseur so hart für seine künstlerische Arbeit bestraft wird. Wir hoffen, dass die iranischen Behörden das Urteil revidieren," erklärte das Filmfestival laut einem Bericht der dpa vom 9. März. Auch andere Vertreter der Filmbranche schlossen sich dieser Aufforderung an, darunter die Deutsche Filmakademie, das Filmfest Hamburg, die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein und die Europäische Filmakademie.


ERKLÄRUNG DES IRANISCHEN SCHRIFTSTELLERVERBANDS ZUM INTERNATIONALEN FRAUENTAG

In einer am 6. März veröffentlichten Erklärung zum internationalen Frauentag kritisierte der Verband Iranischer Schriftsteller, dass in Iran, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, der Staat versucht, Frauen bei politischen und sozialen Entscheidungen auszugrenzen. "Durch männlich orientierten, ungerechten Gesetzen und Verordnungen, wie Kleidungsvorschriften, Geschlechtertrennung, Verhinderung der Präsenz von Frauen in den Bereichen Kultur, Gesellschaft und Politik wurden Frauen in ein imaginäres Gefängnis gesteckt. Die Islamische Republik hat alle Möglichleiten genutzt, um frauenfeindliche, ungleiche Gesetze durchzusetzen." Junge Frauen, die aus Protest ihr Kopftuch abgenommen hätten, wurden mit Gefängnis bestraft, Mädchen, die in Sportstadien hinein wollten, seien brutal zurückgedrängt worden, was zur Selbstverbrennung einer Frau geführt habe, Mütter, die den Tod ihrer Söhne und Töchter beklagten, die an Protestdemonstrationen teilgenommen hätten, seien ins Gefängnis gesteckt worden und politisch engagierte und andersdenkende Frauen seien mit Gefängnis bestraft worden.

Obwohl die Zahl gebildeter Frauen höher als jemals zuvor sei und Frauen bei der Weitergabe von Bildung in der ersten Reihe stünden, seien sie in öffentlichen Bereichen mit strenger Kontrolle und Zensur konfrontiert. Die Justiz und Sicherheitsorgane versuchten mit aller Kraft, jede Initiative zur Organisierung der Frauen im Keim zu ersticken. Obwohl es den Frauen inzwischen gelungen sei, den Staat in vielen Bereichen zurückzudrängen, würde das Thema Frauen in Iran nach wie vor als sicherheitspolitisch eingestuft und Frauen, die die Unterdrückungsstrukturen in Frage stellten und kritisierten, würden mit Gefängnis, Folter, sexistischen Quälereien, Drohungen und sonstigen offenen und versteckten Unterdrückungsmechanismen bestraft. Denn die Herrschenden hätten die Befürchtung, dass das Bewusstsein über die Rechte der Frauen zu allgemeinen Forderungen nach Veränderungen führen könnte.

Der Verein Iranischer Schriftsteller fordert die Freilassung aller Frauen und Männer, die sich für Freiheit und Gleichberechtigung eingesetzt haben, das Ende der Unterdrückung der Frauen, die Aufhebung jeglicher Zensur der Meinungsäußerung, das Recht zur Bildung von Frauenorganisationen und Akzeptierung der berechtigten Forderungen der Frauen. Diese Forderungen bildeten die Voraussetzung für eine grundsätzliche Entwicklung der Gesellschaft.

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WIRTSCHAFT

• IAEA-Forderung abgelehnt
• Fünf Milliarden Dollar Unterstützung vom IWF angefordert


IAEA-FORDERUNG ABGELEHNT

Iran hat die Forderungen der Internationalen Atombehörde (IAEA), bestimmte Anlagen zu untersuchen, abgelehnt. Zugleich betonte Iran, die Zusammenarbeit mit der Behörde fortsetzen zu wollen. Kazem Gharibabadi, Irans Botschafter bei der Atombehörde, reagierte auf den neuesten Bericht der IAEA, indem er erklärte, Iran sei nicht dazu verpflichtet, den Inspekteuren den Zugang zu Anlagen zu gewähren, deren Besuch mit "erfundenen Informationen von Geheimdiensten" beantragt werde.

In dem IAEA-Bericht hieß es, Iran habe den Inspekteuren den Zugang zu Anlagen verweigert, in denen sich möglicherweise Nuklearmaterial befindet und Aktivitäten im Gange seien, über die Iran die Behörde nicht informiert habe. Behörden-Chef Rafael Grossi sagte am 5. März in Wien der Presse, Iran weigere sich, auf Fragen der IAEA konkrete Antworten zu geben.

Bei der Auseinandersetzung geht es um die Anlage Turghuzabad, in der Nähe der Hauptstadt Teheran. Im vergangenen Jahr hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu behauptet, es werde dort Nuklearmaterial gelagert. Der israelische Geheimdienst hatte aus diesem Lager geheime Dokumente entwendet und nach Israel gebracht. Aus diesen, so Netanjahu damals, ginge hervor, dass Iran permanent gegen den Atomvertrag verstoße und sein Atomprogramm weiterentwickele, um Nuklearwaffen herstellen zu können.

Die Inspektoren hatten den Ort besucht und dabei tatsächlich Spuren von angereichertem Uran festgestellt. Doch Iran konnte oder wollte nicht erklären, woher diese Spuren stammten. Daraufhin verlangten die Inspektoren, weitere Untersuchungen an diesem Ort und an zwei anderen Orten durchführen zu können. Iran lehnte mit der Begründung ab, gemäß dem Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, müssten beantragte Inspektionen genau begründet werden. Doch die Atombehörde habe keine juristische und akzeptable Begründung für die Notwendigkeit der Untersuchung der drei Orte vorgelegt. Die Inspektoren beriefen sich auf Angaben, die aus Israel stammten, die aber Teheran nicht akzeptiere. Iran wolle auf keinen Fall den Informationen israelischer Geheimdienste Legitimität verleihen. Auch die IAEA sollte dies nicht tun, denn damit schade sie ihrem eigenen Ansehen.

Gharibabadi erklärte weiter, Teheran sei bereit, über diesen Streitpunkt "ein politisches Gespräch mit der Atombehörde zu führen, um zu einer gemeinsamen Auffassung zu gelangen." Dies sei auch den Vize-Chef der Behörde bei seinem Besuch in Iran mitgeteilt worden, doch statt darauf einzugehen, habe die IAEA einen neuen Bericht herausgegeben.

Zum Schluss seiner Erklärung schrieb Gharibabdi, die Internationale Atombehörde und deren Mitgliedstaaten sollten "mit Bedacht und Vernunft" versuchen, solche Probleme zu lösen und "Bagatellen nicht aufbauschen." Dies könnte das Verhältnis Irans zu der Behörde beeinträchtigen. Er warnte davor, belanglose Probleme zu einem Politikum zu machen.

Auch Alaeddin Brodscherdi, Mitglied des Ausschusses für Nationale Sicherheit und Außenpolitik im islamischen Parlament, sagte laut der Agentur Tasnim, der neue Bericht der IAEA sei durch Lügen des zionistischen Regimes und unter politischem Druck der USA entstanden. Er sei technisch und wissenschaftlich völlig wertlos.

Außenamtssprecher Abbas Mussavi wies die Vorwürfe der Atombehörde am 11. März ebenfalls zurück. "Unsere Zusammenarbeit mit der IAEA hat einen bestimmten Rahmen und wir beantworten nur Fragen, die technisch und rechtlich relevant sind," sagte er. Die Atombehörde sollte neutral urteilen und sich nicht auf abwegige Informationen verlassen. Das würde dem Ansehen der Behörde schaden und deren Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Die Vertragspartner Irans, insbesondere die drei europäischen, sollten sich nicht in etwaige Differenzen zwischen Iran und der IAEA einmischen. Sie sollten auf die Erfüllung ihrer Pflichten achten, die sie mit dem Abkommen eingegangen seien.


FÜNF MILLIARDEN DOLLAR UNTERSTÜTZUNG VOM IWF ANGEFORDERT

Außenministers Mohammad Dschawad Sarif und der Chef der Zentralbank, Abdolresa Hemmati, gaben am 12. März bekannt, dass sie mit Verweis auf die sich rasch verbreitende Lungenkrankheit den Internationalen Währungsfonds (IWF) um fünf Milliarden Dollar Unterstützung gebeten hätten. Es ist das erste Mal nach fünfzig Jahren, dass Iran den IWF um Hilfe ersucht.

Außenminister Mohammad Dschawad Sarif schrieb am 12. März auf Twitter, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa, habe erklärt, der IWF werde Staaten, die vom Corona-Virus heimgesucht wurden, durch finanzielle Soforthilfe unterstützen. Daraufhin habe die (iranische) Zentralbank einen Soforthilfeantrag eingereicht. Der Internationale Währungsfonds und sein Vorstand müssten zu ihrem Wort stehen und verantwortlich handeln.

Zehn Tage zuvor hatte der IWF erklärt, er habe 50 Milliarden Dollar zur Unterstützung der betroffenen Staaten zur Verfügung gestellt. Ein IWF-Sprecher sagte auf die Frage nach dem Antrag Irans: "Wir sind dabei, uns mit den Mitgliedstaaten zu beraten. Einige Staaten, darunter Iran, haben Unterstützung beantragt. Wir bearbeiten diese Anträge und werden in den nächsten Tagen detailliert Stellung nehmen." Der IWF hatte betont, dass die Unterstützung nur Staaten mit geringem und mittlerem Einkommen und einem schwachen medizinischen Versorgungssystem gewährt werde.

Sarif schrieb in einem anderen Tweet unter der Überschrift "eilt": "Die medizinischen Kräfte Irans stehen mutig an der vordersten Front im Kampf gegen das Corona-Virus. Doch ihre Aktivitäten werden durch unserem Land aufgezwungene, weitreichende Einschränkungen verlangsamt. Die Menschen haben wenig Zugang zu medizinischen Geräten und Medikamenten. Die Viren machen zwischen den Menschen keinen Unterschied. Das sollten auch wir nicht tun."

Sarif zählte einiges auf, was dringend gebraucht würde, um die Menschen zu schützen, darunter 160 Millionen Masken und Schutzanzüge und 100 Millionen Einmalhandschuhe. Auch Hemmati schrieb auf Instagram über den Antrag Irans. Er habe in einem Schreiben an Georgiewa geschrieben: "Angesichts des Anteils Irans an dem Internationalen Währungsfonds, bitten wir um eine rasche Finanzhilfe in Höhe von fünf Milliarden Dollar." Er habe die Hoffnung, dass der IWF "mit Verantwortung seine Pflicht rasch erfüllt." Außenminister Sarif hatte sich auch an UNO-Generalsekretär Antonio Guterres gewandt, mit der Aufforderung, die UNO solle sich dafür einsetzen, dass die USA ihre "Kampagne des wirtschaftlichen Terrorismus" beenden und die Sanktionen zurücknehmen. Diese Sanktionen hätten den Export des iranischen Öls erschwert und den Import von medizinischen Geräten und Medikamenten nahezu unmöglich gemacht. Dies bilde für das Land ein großes Hindernis, um die mit Covid-19 infizierten Patienten zu versorgen. Indes hat Russland laut Mitteilung der Gesundheitsbehörde Rospotrebnadsor 500 Test-Kits nach Iran geschickt. Auch andere vom Corona-Virus schwer betroffenen Länder wie Nordkorea seien unterstützt worden, hieß es. Insgesamt seien 800 Kits zur Verfügung gestellt worden, womit 80.000 Tests vorgenommen werden könnten.

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AUSSENPOLITIK

• Laridschani klagt die USA an
• New York Times: Pompeos Plan eines militärischen Angriffs gegen Iran gescheitert
• Neue US-Sanktionen gegen iranische Wissenschaftler
• Hilfsangebot der USA abgelehnt
• Tod eines ehemaligen US-Agenten
• UN-Sonderberichterstatter besorgt über Umgang Irans mit Journalisten
• Unstimmigkeit zwischen Teheran und Kabul
• Saudi-Arabien warf Iran Verantwortungslosigkeit vor
• Strafanzeige gegen Merkel gestellt
• Gefangenenaustausch zwischen Iran und Frankreich


LARIDSCHANI KLAGT DIE USA AN

Noch Parlamentspräsident Ali Laridschani hat den USA in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Interparlamentarischen Union vorgeworfen, gegen die UN-Konventionen und gegen die Satzung der Weltgesundheitsorganisation zu verstoßen. Das Schreiben ging in Kopie an die Parlamentspräsidenten der Mitgliedsländer und bezog sich auf die gegen Iran verhängten Sanktionen. "Die Sanktionen erschweren nicht nur die Bemühungen Irans, die Ausbreitung der Lungenkrankheit Corona zu verhindern, sie bilden auch in der Region und international unbestritten ein Hindernis bei der Bekämpfung des Virus," schreibt Laridschani.

"Wie Sie wissen, hat die Weltgesundheitsorganisation wegen der starken Verbreitung des Corona-Virus für einige Staaten und Regionen den Notstand ausgerufen. Wir sind Zeuge einer noch nie dagewesenen besorgniserregenden Bedrohung. Trotz der Durchführung hygienischer und medizinischer Maßnahmen werden immer mehr Staaten von dem Virus heimgesucht und die Zahl der Opfer nimmt täglich zu. Das Virus bedroht, ungeachtet der Ländergrenzen, die gesamte Menschheit," so Laridschani.

"Die internationale Lage erfordert heute mehr als je zuvor die Zusammenarbeit auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene. Alle technischen und logistischen Möglichkeiten müssen mobilisiert werden, um jenen Staaten zu helfen, in denen das Virus sich verbreitet hat," schrieb Laridschani weiter. Und setzte fort: "Es ist höchst bedauerlich, dass in dieser sensiblen Lage, in der die Islamische Republik in vorderster Front den Kampf gegen Corona-Virus führt, mit dem Ziel, die Zahl der Opfer so niedrig wie möglich zu halten und die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, die Vereinigten Staaten von Amerika direkt oder indirekt versuchen, die Islamische Republik durch Sanktionen zu schwächen. Dieses Vorgehen der USA befindet sich im Widerspruch zu den internationalen Konventionen und gegen die Satzung der Weltgesundheitsorganisation. (...) Wir begrüßen, dass in letzter Zeit Vertreter einiger Staaten und internationaler Organisationen angesichts der brisanten Lage, die sofortige Aufhebung der gegen Iran gerichteten Sanktionen, insbesondere jene gegen medizinische Geräte und Medikamente, gefordert haben. (...) Mit Blick auf die dargestellte Lage, sind wir der Überzeugung, dass die Interparlamentarische Union ihrer Satzung gemäß als eine international anerkannte Institution, die verschiedene Völker vertritt, eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der Seuche spielen kann. Auf dieser Grundlage kann man erwarten, dass die Union mit einer Stimme und ohne Wenn und Aber die rasche Aufhebung aller direkten und indirekten Sanktionen, die sich gegen Iran richten, fordert. Ich bin sicher, dass Sie keinen Versuch unterlassen werden, diese Seuche, die das Leben der Menschen bedroht, zu bewältigen und den unerbittlichen Kampf meines Landes gegen das Corona-Virus zu unterstützen."


NEW YORK TIMES: POMPEOS PLAN EINES MILITÄRISCHEN ANGRIFFS GEGEN IRAN GESCHEITERT

Die New York Times berichtete am 21. März unter Berufung auf einige hochrangige Militärs, die nicht genannt werden wollten, dass US-Außenminister Mike Pompeo sich bemüht habe, Präsident Donald Trump von der Notwendigkeit eines militärischen Angriffs gegen Iran zu überzeugen. Doch letztendlich habe Trump sich mit einigen Angriffen gegen Stützpunkte paramilitärischer irakischer Kräfte, die Iran nahestehen, begnügt. Wie die Zeitung berichtet, wurde Pompeo bei seinem Bemühen von Robert O'Brien, dem nationalen Sicherheitsberater des Präsidenten und Richard Grenell, kommissarischer Direktor der US-Nachrichtendienste und weiterhin Botschafter in Deutschland, unterstützt. Demgegenüber habe Verteidigungsminister John Esper vor den Folgen eines solchen Angriffs und eines möglichen langandauernden Kriegs gewarnt. Trump habe nach langen Diskussionen Esper zugestimmt und lediglich einige Militärschläge gegen die erwähnten Stützpunkte irakischer Kräfte angeordnet.

Dem Bericht zufolge hatte Pompeo damit argumentiert, dass Iran wegen des Corona-Virus mit großen Problemen konfrontiert sei. Daher könne ein schwerer Schlag die iranische Führung dazu zwingen, Verhandlungen mit den USA zuzustimmen. Pompeo und O'Brien seien der Meinung gewesen, Washington müsse auf die Raketenangriffe im Norden Iraks, bei denen zwei Amerikaner ums Leben gekommen waren, entschieden reagieren, schreibt die Zeitung. Doch US-Nachrichtendienste hätten berichtet, dass es keine Indizien gebe, die auf einen Beteiligung Irans an den Raketenangriffen hindeuteten.

Die Raketenangriffe auf Stützpunkte der internationalen Anti-IS-Koalition im Norden Iraks hatten am 12. März drei Personen getötet und zwölf weitere verletzt. Einem Bericht des Bündnisses zufolge schlugen 18 Katjuscha-Raketen auf dem Stützpunkt Taschi ein. Bei den Toten handelte es sich um einen US-Bürger, einen US-Soldaten und eine britische Soldatin. In dem Stützpunkt sind auch rund 50 deutsche Soldaten stationiert. Die schiitische Miliz Kataib-Hisbollah, die den Abzug der US-Truppen aus dem Irak fordert, begrüßte den Angriff. Die Dschihad-Operationen seien genau richtig, um die "Schurken und Aggressoren" aus dem Land zu zwingen, erklärte sie. US-Außenminister Pompeo erklärte: "Die für die Angriffe Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden."

Wenige Stunden nach dem Angriff bombardierten Jets der Anti-IS-Koalition das Gebiet um den Grenzort Albu Kamal. Dabei wurden 26 Milizen getötet. Das US-Verteidigungsministerium erklärte am 13. März, die Angriffe hätten sich gegen fünf Waffenlager der Milizen gerichtet. Damit sollte die Miliz empfindlich getroffen und von weiteren Angriffen abgehalten werden, hieß es. In der Erklärung wird betont, dass der Angriff der Milizen bislang der letzte einer Reihe von Angriffen gewesen sei, die insgesamt fünf Tote und Dutzende Verletzte verursacht hätten. Unter ihnen seien auch einige irakische Sicherheitsbeamte gewesen.

Verteidigungsminister Marc Esper hatte am Tag zuvor erklärt, "die Angreifer werden uns nicht entwischen." Präsident Trump habe ihn ermächtige, auf die Angriffe zu reagieren. "Lasst mich klar und deutlich sagen, die Vereinigten Staaten werden Angriffe gegen unser Volk, gegen unsere Interessen und gegen unsere Verbündeten nicht dulden. Wir arbeiten mit unseren Verbündeten zusammen und schließen dabei keine Option aus. Das haben wir in den vergangenen Monaten gezeigt. Niemand kann unsere Basen angreifen und unsere Landleute verletzen oder töten und ungeschoren davonkommen," sagte der Minister.

Auch der britische Verteidigungsminister Ben Aallace warnte in einer Erklärung am 13. März: "All jene, die unseren Koalitionskräfte Schaden zufügen wollen, können mit einer harten Reaktion rechnen. (...) Unsere Kräfte stehen Schulter an Schulter neben irakischen Kräften, um sie in ihrem Kampf gegen unbändige Terroristen zu unterstützen. Wenn wir und unsere Verbündeten angegriffen werden, nehmen wir uns das Recht, uns zu verteidigen."

Am 14. März wurde am helllichten Tag der Stützpunkt Tadschi erneut von Milizen angegriffen. Den Angaben der von den USA geführten Koalition zufolge schlugen mindesten 25 Geschosse auf das Gelände ein. Dabei wurden drei Soldaten der Koalition und zwei irakische Soldaten verletzt.

General Frank McKenzie, Oberbefehlshaber des US-Zentralkommandos, drohte mit Vergeltungsschlägen. Das irakische Militär forderte die USA auf, ohne Absprache mit den zuständigen Instanzen keine Angriffe gegen Milizen zu unternehmen. Andernfalls könnten Angriffe negative Folgen haben und unter anderem dazu führen, dass andere Milizen-Organisationen sich aufgefordert fühlten, den Tod ihrer Landsleute zu rächen oder die Souveränität ihres Landes gegen fremde Militärs zu verteidigen.


NEUE US-SANKTIONEN GEGEN IRANISCHE WISSENSCHAFTLER

Während immer mehr Stimmen, auch unter US-Demokraten, mit Blick auf die Ausbreitung des Corona-Virus die US-Regierung auffordern, die Sanktionen gegen Iran zu mildern, hat die Regierung von Präsident Donald Trump neue Sanktionen gegen das Land verhängt. Das US-Außenministerium veröffentlichte am 18. März eine Erklärung, in der die Namen von fünf iranischen Wissenschaftlern bekannt gegeben wurden, die an dem geheimen Atomprojekt "Amad" beteiligt gewesen sein sollen.

Die USA und Israel werfen Iran vor, in den Jahren vor 2004 an dem Projekt "Amad" zur Herstellung von Nuklearwaffen gearbeitet zu haben. Iran bestreitet dies. US-Außenminister Mike Pompeo hatte bereits am Vortag die neuen Sanktionen gegen die Wissenschaftler bekannt gegeben, ohne deren Namen zu nennen. Er warnte die Wissenschaftler, die im iranischen Atomprogramm aktiv sind, vor finanziellen Folgen und vor Schädigung ihres gesellschaftlichen Rufs.

Washington verhängte zugleich neue Sanktionen gegen ausländische Unternehmen, die mit der petrochemischen Industrie Irans zusammenarbeiten, darunter sind chinesische Unternehmen, Firmen aus Hongkong und südafrikanische Gesellschaften. Der "maximale Druck" der USA gegen die iranische Wirtschaft wird seit dem Ausbruch der Lungenkrankheit, die sich in Iran besonders rasch ausbreitet, von verschiedenen Seiten kritisiert. Die chinesische Regierung forderte die USA auf, die Sanktionen zurückzunehmen. Der US-Senator und Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders sagte, die US-Sanktionen dürften nicht "zu einer menschlichen Katastrophe" in Iran führen. Er forderte die Regierung in Washington auf, die Sanktionen auszusetzen.

Einem Bericht der dpa vom 26. März zufolge verhängte die US-Regierung zudem neue Sanktionen gegen 20 Personen und Organisationen im Irak, die angeblich Irans Revolutionsgarden finanziell unterstützen und die Finanzierung schiitischer Milizen in dem Land ermöglichen. Zudem wird ihnen Geldwäsche, der Verkauf von iranischem Öl an die Führung in Syrien und Waffenschmuggel zur Last gelegt, berichtete die Agentur.


HILFSANGEBOT DER USA ABGELEHNT

Das Teheraner Außenministerium lehnte am 28. Februar das Hilfsangebot der USA ab. Ministeriumssprecher Abbas Mussawi bezeichnete das Angebot als "lächerliches politisch-psychologisches Spiel." Iran habe sein Bedarf an medizinischen Geräten mit Hilfe befreundeter Staaten gedeckt, sagte er. "Ein Land, das mit seinem Wirtschaftsterrorismus auf das iranische Volk Druck ausübt und sogar den Import von medizinischen Geräten und Medikamenten verhindert," könne nicht behaupten, Hilfe leisten zu wollen. Das US-Außenministerium hatte erklärt, die USA seien bereit, das iranische Volk in seinem Kampf gegen das Corona-Virus zu unterstützen. "Die USA stehen an der Seite des iranischen Volkes," hieß es in der Erklärung, die die Unterschrift von Außenminister Mike Pompeo trägt. Das Angebot sei über die Schweizer Botschaft, die die Interessen der USA in Iran vertritt, an die Regierung in Teheran übermittelt worden. Auch US-Präsident Donald Trump hatte bei einem Treffen mit Irlands Ministerpräsident im Weißen Haus erklärt: "Wir haben die besten Ärzte der Welt und habe Iran Hilfe angeboten. Wenn sie es möchten, würden wir uns freuen, ihnen zu helfen."

"Wir verfügen über die besten und mutigsten Ärzte der Welt und haben kein Bedarf an amerikanischen Ärzten," schrieb Mussawi weiter. "Statt sich scheinheilig Sorgen über Iran zu machen und mit einer widerlichen Arroganz uns Hilfe anzubieten, sollte Trump den wirtschaftlichen und medizinischen Terrorismus beenden."

Noch schärfer reagierte Revolutionsführer Ali Chamenei. Gerichtet an die USA sagte er: "Euch wird vorgeworfen, das Virus selbst produziert zu haben. Ich weiß nicht, inwieweit dieser Vorwurf zutrifft." Aber es sei durchaus möglich, dass die USA Medikamente nach Iran schicken würden, die ein dauerhaftes Bestehen des Virus verursachen, statt es zu vernichten, so Chamenei. Sollte das Virus speziell für Iran produziert worden sein, sei es möglich, dass die USA im Rahmen der Hilfeleistungen Spezialisten nach Iran schicken wollten, um vor Ort eine Bewertung der Ergebnisse der Seuchenverbreitung vorzunehmen. "Die Amerikaner haben mehrmals erklärt, dass sie bereit seien, uns medizinisch und personell zu helfen," sagte Chamenei weiter. "Das ist erstaunlich, denn bei euch selbst wird über schrecklichen Mangel an Versorgungsmöglichkeiten geklagt. (...) Niemand vertraut euch. Ihr seid imstande, ein Medikament in unser Land zu bringen, das das Virus am Leben hält und seine Ausrottung verhindert." Chamenei bezeichnete die USA als "grausamsten und bösartigsten Feind" Irans. Die US-Regierung bestehe aus unverschämten und skrupellosen "Lügnern, Manipulatoren und Terroristen."

US-Außenminister Mike Pompeo warf laut AFP vom 23. März Chamenei vor, das eigene Volk fortwährend zu belügen. "Das Regime belügt die iranische Bevölkerung und die Welt weiterhin über die Zahl der Fälle und Todesfälle, die leider viel höher ist, als das Regime zugibt," sagte der Minister. "Irans wichtigste Terror-Fluggesellschaft" Mahan schleppe nach wie vor den "Wuhan-Virus" in das Land ein. Allein im Februar habe es 55 Flüge nach China gegeben. Chamenei "fabriziere unermüdlich Verschwörungstheorien" und stelle die Ideologie über die iranische Bevölkerung. Das Regime in Teheran ignoriere sogar die Warnungen der eigenen Ärzte und Experten. Der Minister warf dem Regime vor, mehr als 16 Milliarden Dollar für "terroristische Aktivitäten im Ausland" ausgegeben zu haben. Zudem habe das Regime mehr als eine Milliarde Dollar Spenden für medizinische Versorgung veruntreut und medizinische Ausrüstungen wie Handschuhe und Masken gehortet, um sie auf dem Schwarzmarkt teuer zu verkaufen.

Indes teilte das US-Außenministerium mit, dass Michael White, der in Iran zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden sei, aus medizinischen Gründen Hafturlaub bekommen habe. Wie Whites Familie am 26. März mitteilte, wurde der frühere Marineoffizier nach seiner vorübergehenden Entlassung in ein Krankenhaus gebracht. Er sei schwer krank, leide an Krebs, sein Immunsystem sei sehr geschwächt, sein Zustand äußerst kritisch. Sie bat die Justiz darum, ihm aus humanitären Gründen die Rückkehr in die Heimat zu gestatten. White war 2018, als er seine Freundin besuchen wollte, festgenommen und später wegen Beleidigung des Revolutionsführers und Weitergabe geheimer Informationen zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden.


TOD EINES EHEMALIGEN US-AGENTEN

Robert Levinson, ein ehemaliger FBI-Agent, der seit Jahren vermisst wird, soll nach Angaben seiner Familie in einem iranischen Gefängnis gestorben sein. Die Familie schieb auf Twitter: "Wir haben neulich von US-Beamten Informationen bekommen, die uns davon überzeugt haben, dass unser Mann und Vater, der ein außergewöhnlicher Mensch war, tot ist." "Wir wissen nicht, wann und wie Levinson, der 2007 in Iran verschwand, gestorben ist. Wir wissen nur, dass sich sein Tod vor dem Ausbruch der Corona-Krise ereignet hat. Unser Leid ist unbeschreiblich. Wir werden den Rest unseres Lebens ohne den außerordentlichsten Menschen, den wir kannten, verbringen müssen - eine neue Realität, die für uns unbegreiflich ist. Wenn es die grausamen und herzlosen Handlungen des iranischen Regimes nicht gegeben hätte, wäre er heute bei uns und würde mit uns leben. Wir haben 12 Jahre gewartet, vor 12 Jahren hatten wir den letzten Kontakt zu ihm. Es ist für uns nicht nachvollziehbar, wie die Verantwortlichen in Iran mit einem Menschen umgegangen sind, wie sie jahrelang die ganze Welt belogen haben. Sie haben einen Menschen geraubt, ihn von sämtlichen Grundrechten ausgeschlossen, ihre Hände sind blutig."

Levinson war zuletzt 2007 auf der Insel Kisch im Persischen Golf gesehen worden. Er sei, wie damals AP berichtete, im Auftrag der CIA in Iran gewesen. Die Familie hatte dies nie bestätigt. Laut AP hatte sie 2,5 Millionen Dollar von der CIA bekommen, damit sie schweigt und keine Klage gegen den Geheimdienst erhebt. Die Familie bedankte sich beim FBI, der sich stets um die Freilassung Levinsons bemüht habe. Ferner berichtete die Agentur, sie habe Einsicht in Dokumente erhalten, aus denen hervorgeht, dass Iran mit der UNO über Levinson korrespondiert habe. Daraus sei zu entnehmen, dass es in der iranischen Justiz eine Akte über Levinson gebe, die in Bearbeitung sei. Iran erklärte dazu, die Akte beinhalte Informationen über das Verschwinden von Levinson.

Iran hat Berichte über den Tod Levinsons in einem iranischen Gefängnis zurückgewiesen. "Wir sprechen der Familie Levinson unser Beileid aus, aber der Mann hat vor vielen Jahren Iran verlassen, und das wurde damals auch von dem ehemaligen amerikanischen Außenminister (John Kerry) bestätigt," sagte Außenamtssprecher Abbas Mussawi. FBI-Chef Christopher Wray erklärte am 27. März laut dpa, die Informationen über den Tod Levinsons in einem iranischen Gefängnis seien glaubwürdig. Seine Behörde werde weiterhin "hartnäckig" versuchen herauszufinden, was mit Levinson geschehen sei.


UN-SONDERBERICHTERSTATTER BESORGT ÜBER UMGANG IRANS MIT JOURNALISTEN

Eine Gruppe von UN-Sonderberichterstattern hat sich in einer am 12. März veröffentlichten Erklärung besorgt über den Umgang iranischer Behörden mit iranischen Journalisten, die im Ausland tätig sind, gezeigt. Demnach werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des persischsprachigen Programms des Senders BBC, wie auch von anderen Sendern im Ausland, Repressalien ausgesetzt. Auch deren Angehörige, die in Iran leben, seien davon betroffen.

Die vier UN-Berichterstatter erwähnen in ihrer Erklärung, dass die Betroffenen mit gerichtlichen Verfolgungen bedroht und illegalen Beobachtungen ausgesetzt würden. Es gebe Kontosperrungen, Beschimpfungen und Denunzierungen. Die Erklärung wurde während der Tagung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen in Genf veröffentlicht. Die Repressionen hätten sich seit den Protesten im November verstärkt, hieß es. Besonders Journalistinnen stehen dabei unter Druck. Es werde versucht, sie durch falsche, sexistische Gerüchte und Denunzierungen einzuschüchtern.

Der Erklärung zufolge seien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BBC sogar mit dem Tode bedroht worden. Derlei Aktivitäten des Teheraner Regimes im Ausland seien besorgniserregend, schrieben die Autoren. Sie fordern alle Staaten, insbesondere den britischen Staat auf, derlei Machenschaften mit allem Ernst zu unterbinden. "Wir fordern alle Staaten auf, sofort Schritte zum Schutz iranischer Journalisten und ihrer Angehörigen zu unternehmen," schreiben sie.


UNSTIMMIGKEIT ZWISCHEN TEHERAN UND KABUL

Wie das persischsprachige Programm der BBC unter Berufung auf Diplomaten, die nicht genannt werden wollten, am 18. März berichtete, haben Teheran und Kabul einige Diplomaten der Gegenseite ausgewiesen. Teheran bezeichnete den Vorgang offiziell als "normale Umbesetzung" und Kabul erklärte die Beziehungen zwischen Iran und Afghanistan seien "ganz normal."

Nach Darstellung der Diplomaten habe Teheran als Reaktion auf die Ausweisung einiger iranischer Diplomaten aus Afghanistan, zwei afghanische Diplomaten ausgewiesen. Teherans Außenamtssprecher Abbas Mussawi sagte zu dem BBC-Bericht, eine Umbesetzung der Diplomaten sei eine völlig normale Angelegenheit. Dies sei keine Ausweisung. Iran und Afghanistan hätten eine "traditionell lange Freundschaft," die auf "geschichtliche und kulturelle Gemeinsamkeiten" basiere. Iran schätze die Beziehung zu dem Nachbarstaat als "sehr hoch" ein und sei entschlossen, diese weiter auszubauen. Iran hatte nach den umstrittenen Wahlen in Afghanistan keine Glückwünsche an Mohammad Aschraf Ghani geschickt und der iranische Botschafter hatte an seiner Vereidigung nicht teilgenommen.

Das Außenministerium in Kabul hat bislang zu dem Bericht über die Ausweisung der Diplomaten keine Stellung genommen. Es hieß nur, die Beziehungen zwischen den beiden Staaten seien normal. "Die diplomatischen Vertretungen beider Staaten leisten ohne Unterbrechung ihre Arbeit," sagte der Sprecher des Ministeriums. Das Teheraner Außenministerium hat bislang zu den Präsidentschaftswahlen in Afghanistan nicht Stellung genommen. Aber ein nicht genannter iranischer Diplomat sagte der Agentur Isna, Teheran würde eine gemeinsame Regierungsbildung mit Ghani und Abdullah begrüßen. Beide Politiker beanspruchen den Wahlsieg für sich.

Vor zwei Monaten hatte Irans Botschafter in Kabul, Bahadoe Aminian, im Zusammenhang mit der Tötung von General Ghassem Soleimani und einer möglichen militärischen Auseinandersetzung zwischen Iran und den USA erklärt, Iran werde Afghanistan nicht angreifen, aber über einen möglichen Angriff auf amerikanische Stützpunkte in Afghanistan sei noch keine Entscheidung gefallen. Danach wurde er zur Erläuterung seiner Äußerung vom afghanischen Außenministerium einbestellt. Presseberichten zufolge hatte der Botschafter erklärt, Iran werde die nationale Integrität und Souveränität Afghanistans nicht antasten.


SAUDI-ARABIEN WARF IRAN VERANTWORTUNGSLOSIGKEIT VOR

Die saudische Regierung machte auf ihrer Kabinettssitzung am 11. März Iran für die Ausbereitung des Corona-Virus verantwortlich. Die meisten der 20 mit dem Virus infizierten Personen seien zuvor in Iran gewesen, hieß es. Teheran habe saudischen Bürgerinnen und Bürgern erlaubt, ohne Ein- und Ausreisestempel Iran zu besuchen. Das sei ein "gefährlicher Beschluss," eine Missachtung aller internationalen Bemühungen zur Eindämmung der Pandemie.

Tatsächlich hatte das Teheraner Außenministerium bekannt gegeben, dass mit Ausnahme der Bürger und Bürgerinnen Großbritanniens, Kanadas und der USA Angehörige anderer Staaten ohne Stempel im Pass ein- und ausreisen könnten. Ministeriumssprechen Abbas Mussawi sagte, die Verordnung betreffe nicht bestimmte Staatsbürger und habe auch nichts mit dem Corona-Virus zu tun. Riad sollte die Angelegenheit "nicht politisieren."


STRAFANZEIGE GEGEN MERKEL GESTELLT

Einem Bericht der AFP vom 27. Februar zufolge haben mehrere Abgeordnete der Linken im Deutschen Bundestag gegen die Bundesregierung eine Strafanzeige gestellt. Sie werfen der Kanzlerin Angela Merkel sowie den Ministern Heiko Maas, Annegret Kramp-Karrenbauer, Horst Seehofer und anderen Ministern vor, bei der Tötung des iranischen Generals Ghassem Soleimani durch US-Militärs "Beihilfe zum Mord" geleistet zu haben. "Wir können es nicht länger hinnehmen, dass die Bundesregierung den völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg ermöglicht und unterstützt und damit auch selbst das Völkerrecht bricht," erklärte der Obmann der Verteidigungsausschusses Alexander Neu.

Den Vorwurf begründen die Abgeordneten damit, dass Steuerbefehle für den Drohnenangriff nur über die Satelliten-Relaisstation auf dem U S-Luftwaffenstutzpunkt Ramstein weitergeleitet worden sein könnten. "Dies ist derzeit der einzige Weg, über den Steuersignale für die bei diesem Angriff eingesetzten Reaper-Drohnen aus den USA in den Irak übertragen werden können," sagte Neu. Es sei die Pflicht der Bundesregierung "zu verhindern, dass von deutschem Staatsgebiet Völkerrechtsverletzungen ausgehen," zitiert die Agentur Neu.

Neu verwies auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalens vom März 2019, mit der die Bundesregierung verpflichtet wurde, sicherzustellen, dass der Stützpunkt Ramstein nicht für völkerrechtswidrige Einsätze von US-Drohnen genutzt werde. "Die Bundesregierung hat auf dieses Urteil mit Untätigkeit reagiert und ließ die Nutzung Ramsteins trotz Kenntnis um die völkerrechtliche Brisanz offenbar weiter uneingeschränkt zu," sagte Neu. Auf der Basis dieser Tatsachen, stellte er gemeinsam mit den Linken-Politikern Dieter Dehm, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Zakin Nastic, Karin Vogler, Andreas Wagner und Hubertus Zebbel eine Strafanzeige gegen die Bundesregierung.


GEFANGENENAUSTAUSCH ZWISCHEN IRAN UND FRANKREICH

Wie die Agentur AFP am 11. März berichtete, lehnte der Pariser Kassationshof den Widerspruch eines Iraners gegen seine Auslieferung an die USA ab. Nach Darstellung der USA habe sich der Mann des Verstoßes gegen die Iran-Sanktionen strafbar gemacht. Er soll unter anderem Anti-Drohnen-Systeme über Saudi-Arabien nach Iran geliefert haben. Der Ingenieur Dschawad Ruhollahnedschad befindet sich seit Februar 2019 in französischer Haft. Die Übergabe musste noch vom Premierminister Edouard Philippe mit der Unterzeichnung eines entsprechenden Dekrets gebilligt werden. Doch überraschend tauchte Ruhollahnedschad am 21. März in Teheran auf. Laut Angaben der iranischen Regierung war er im Zuge eines Gefangenenaustauschs freigekommen. Im Gegenzug wurde der französische Soziologe Roland Marchal freigelassen, der sich seit neun Monaten in iranischer Haft befand. Das bestätigte auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am 22. März. Er sei "glücklich" bekannt zu geben, dass Marchal freigelassen worden sei, erklärte er über sein Büro. Er forderte die iranische Justiz auf, nun auch die iranisch-französische Anthropologin Fariba Adelkhah zu entlassen. Sie war im Juni 2019, als sie nach einem Besuch in Iran nach Frankreich zurückfliegen wollte, auf dem Teheraner Flughafen von Revolutionsgarden verhaftet worden. Sie wurde wegen "Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Der zunächst gegen sie erhobene Vorwurf der Spionage, die gewöhnlich mit dem Tode bestraft wird, wurde im Januar fallengelassen.

Der 64-jährige Marchal ist der Lebenspartner von Adelkhah. Er war nach Teheran gekommen, um seine Lebenspartnerin zu besuchen. Ihm wurde Propaganda gegen die Islamische Republik vorgeworfen. Nach seinem Eintreffen in Paris wurde er zunächst in ein Militärkrankenhaus in Saint-Mandé, östlich der Hauptstadt, gebracht. Sein Unterstützungskomitee veröffentlichte eine Mitteilung unter dem Titel "Roland ist zurück."

Die USA reagierten mit scharfer Kritik gegen den Gefangenenaustausch. Sie bedauerten "zutiefst die einseitige Entscheidung" Frankreichs, sagte Morgan Ortagus, Sprecherin des US-Außenministeriums. Frankreich und die USA seien gemeinsam daran interessiert "diejenigen vor Gericht zu stellen, die wegen schwerer Verbrechen angeklagt sind, insbesondere in Fällen, die die nationale Sicherheit betreffen." Es sei höchst bedauerlich, dass Paris mit der Freilassung des in den USA angeklagten Iraners diese internationale Vereinbarung ignoriert und damit verhindert habe, dass "Gerechtigkeit waltet."

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https://themen.boell.de.

Impressum:
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Autor: Bahman Nirumand
Redaktion: Anja Hoffmann
V.i.S.d.P.: Annette Maennel
19. Jahrgang

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Quelle:
Iran-Report Nr. 4/2020 - April 2020 / 19. Jahrgang
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
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Telefon: 030-285 34 - 0, Fax: 030-285 34 - 109
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2020

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