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GUTE-NACHT/2633: Ein Pfennig auf Reisen - Beinah vorbei (SB)


Ein Pfennig auf Reisen

Es ist Hugo Egon, der gerade an der Tür geklingelt hat. Schon vom Flur her kann man ihn reden hören: "Ich weiß gar nicht, wo ich sie hingelegt habe. Dabei brauche ich sie jetzt so dringend. Da dachte ich mir, geh doch mal zu Kuno runter. Der leiht dir sicher seine zweite Lupe."

Der kleine Pfennig in seinem Versteck verhält sich ganz still. Er ist hinter die Kaffeetasse gerollt und hat sich dort unter dem Unterteller versteckt. Nicht gerade ein tolles Versteck. Doch einen besseren Platz konnte der kleine Pfennig in der kurzen Zeit, die der Münzsammler fort ist, nicht finden. "So, also Kuno heißt mein Finder", denkt der Pfennig und verhält sich weiterhin ganz still, während die beiden Männer ins Zimmer eintreten.

"Ach, du bist wieder am Putzen", stellt Hugo Egon fest, "ja, so wie ihr Münzsammler die Münzen putzt, so werden die Briefmarken von uns abgelöst und getrocknet. Schade, daß du nicht auch Briefmarken sammelst. Dann hätten wir immer tauschen können."

"Nimm doch Platz", bietet Kuno dem Nachbarn einen Stuhl an. Der setzt sich. Genau vor ihm steht die Kaffeetasse, unter der sich der kleine Pfennig verbirgt. Jetzt heißt es überlegen, was zu tun ist. Dieser Briefmarkensammler ist sicher auch nicht der richtige Mensch, dem der Pfennig Glück bringen kann. Doch Hugo Egon sammelte schon einmal keine Münzen. Da wird er den Pfennig auch nicht wieder in so eine Münztasche sperren. Was ist also zu tun?

Während sich der Pfennig das fragt, stellt Kuno dem Nachbarn eine Höflichkeitsfrage: "Möchtest du einen Kaffee?" Hugo Egon ist sichtlich erfreut. Er nimmt an. Kuno geht in die Küche, um eine weitere Tasse zu holen. Diese Zeit nutzt Hugo Egon und schaut sich die Münzen auf dem Tisch näher an. Im Grunde ärgert es ihn, daß er nicht selbst Münzen sammeln kann. Doch das ist ein viel zu kostspieliges Unterfangen. Briefmarken sind da schon besser. Manche bezeichnen sie sogar als die Münzen der armen Leute. Doch davor verschließt Hugo Egon gänzlich seine Ohren.

Inzwischen ist dem kleinen Pfennig eine Idee gekommen, wie er dem Münzsammler entkommen kann. Derweil sich Hugo Egon über die Münzen auf dem Tisch beugt, rollt der kleine Pfennig an die Tischkante heran. Durch das Vorbeugen wölbt sich des Nachbarn Jackentasche und gibt eine Öffnung frei. Das freut den kleinen Pfennig und er rollt genau dort hinein. Zwar wäre das beinahe noch schief gegangen, weil sich Hugo Egon fast genau in dem Moment zurückbeugte, indem der Pfennig in die Tiefe stürzte. Doch es ist eben nur fast genau in diesem Moment geschehen. Da Kuno jetzt gerade wieder aus der Küche kommt, lehnte sich der Nachbar schnell wieder zurück, damit Kuno seine Neugierde für Münzen nicht bemerkt.

"Pah!" atmet der kleine Pfennig auf, "hoffentlich trinkt der Nachbar jetzt nicht noch zu lange Kaffee und der Münzsammler bemerkt etwa noch, daß ich ihm abhanden gekommen bin."

Es dauert nicht lange, da hat Hugo Egon seinen Kaffee ausgetrunken und will wieder in seine Wohnung zurück. Damit ist der kleine Pfennig einverstanden und auch Kuno hält den Nachbarn nicht auf. Schließlich will er lieber weiter seine Münzen einsortieren, als ein Gespräch mit dem Briefmarkensammler zu führen. Kuno bringt Hugo Egon noch zur Tür und verschließt sie wieder, bevor er sich an dieselbe lehnt und aufatmet. War der Besuch seines Nachbarn heute doch glücklicherweise kürzer ausgefallen als sonst. Woran das wohl lag? Doch Kuno sollt sich nicht zu früh freuen. Schließlich hat der Nachbar das Wichtigste vergessen - die Lupe.

Freude empfindet auch der kleine Pfennig, daß er aus der dunklen Wohnung des Münzsammlers entschwunden ist. Doch hoffentlich hat auch er sich nicht zu früh gefreut.


Erstveröffentlichung am 5. September 2003

20. Mai 2008

Gute Nacht