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GUTE-NACHT/2862: Der Geist in Pantoffeln und das Zimmer des Erhängten (SB)


Gute Nacht Geschichten


Der Tag verflog so schnell, daß es doch schon wieder gegen Abend ist, als Paddy mit ihrer Großmutter die selbstgemalten Geisterbilder im Flur abnimmt, um sie im Zimmer des Erhängten anzubringen. Mit diesem Zimmer hat es eine besondere Bewandtnis, aber davon später mehr. Jedenfalls sieht es in dem Zimmer bereits ohne die Geisterbilder wie in einem Museum aus. Paddy findet es toll, ein eigenes Museumszimmer hier in dem alten Bauernhaus zu haben. Eigentlich wäre das Bauernhaus selber museumsreif. Doch der Vorbesitzer hat vieles von dem alten Innenleben des Hauses herausreißen lassen. So ist das Haus für fremde Besucher weniger interessant.

Die Idee mit dem Museum war von Mutter erkoren worden. Schließlich steht das Bauernhaus unter Denkmalschutz. Das hat Mutter wohl auf die Idee gebracht. Heute nun wollen Paddy und Großmutter das erste Zimmer des Museums einrichten. Eigentlich wäre es ihnen lieber, sie hätten es am hellen Tag erledigen können. Doch es soll eine Überraschung für Mutter werden. Nie geht sie in das abgelegene Zimmer im ältesten Teil des Hauses. Um die Renovierung dort will sie sich erst später kümmern. So sind Paddy und Großmutter schon seit längerem auf die Idee gekommen, Mutter zum Geburtstag ein Museumszimmer zu schenken.

Endlich ist Mutter zu ihrer Freundin Ella gefahren. Erst morgen will sie wiederkommen. "Ist das auch wirklich in Ordnung? Kommt ihr zwei alleine klar?", fragte Mutter. "Klar doch", hatte sich Großmutter entrüstet, "außerdem hast du ja dein Handy dabei, oder?" Mutter nickte und fuhr dann los.

Nun ist es also schon dunkel geworden. "Schalten wir lieber im ganzen Flur die Lichter an", schlägt Paddy vor. Weil Großmutter Paddy so seltsam anschaut, fügt Paddy schnell hinzu: "Falls uns eine Stecknadel herunterfällt, finden wir sie schneller." Der Flur ist jetzt hell erleuchtet. Die Bewohner im Dorf werden sich wundern, denn nur selten sind in dem abgelegenen Bauernhaus alle Fenster beleuchtet. Hell strahlt heute abend das alte Haus zum Dorf hinüber. Die Dorfbewohner können meinen, ein Fest würde gefeiert.

Die Bilder sind nun alle abgenommen. Paddy hat darauf geachtet, daß der gemalte freundliche Geist in Pantoffeln ganz zu oberst zum Liegen kam. Sie möchte schließlich nicht schon beim Hinaufgehen zum Zimmer des Erhängten schlotternde Knie haben. In den vergangenen Wochen haben Großmutter und Paddy bereits das Zimmer leergeräumt, gekehrt und geputzt. Nur die Fenster haben sie in Ruhe gelassen. Sie wollten nicht, daß Mutter auf ihre Aktion aufmerksam würde. Einige alte Möbel hatten Großmutter und Paddy auch schon in das Zimmer hineingeräumt. Alles fand bisher stets am Tag statt, aber nur wenn Mutter unterwegs war.

Langsam steigen Großmutter und Paddy die knarrenden Holzstufen hinauf. Der Flur in diesem Teil ist noch im alten Zustand. Das Fachwerk ist ungeputzt und überall bröckelt der Lehm. Oben, die Treppe rauf, ist der Flur weniger beleuchtet. Denn hier gibt es nur eine kleine Funzel. "Geh bloß ganz nah an der Wand entlang", sagt Großmutter zu Paddy, "ich muß wirklich darauf bestehen, daß hier ein Treppengeländer angebracht wird."

Endlich sind die beiden, eine Etage höher angekommen. Großmutter legt die Hand auf die Klinke des neuen Museumszimmers. Doch es ist zu dieser Tageszeit kein freudiges Gefühl, das sie hier überkommt. Irgendwie ist es beiden doch unheimlich, wenn sie an die Geschichte des alten Bauern denken. "Gehst du vor?", fragt Paddy. Großmutter nickt. Langsam drückt sie die Klinke herunter, dann öffnet sie vorsichtig die Tür. Die Tür knarrt, Paddy hält die Luft an. Im Zimmer ist es stockdunkel. Kein Licht dringt durch die Vorhänge, die vor dem Fenster hängen. "Schnell, knips das Licht an", fordert Paddy, die noch immer die Geisterbilder in den Händen trägt. Großmutter tastet, ohne in das Zimmer einzutreten, die Wand entlang und fühlt endlich den Schalter. Sie drückt den Knopf herunter. Doch das Licht geht nicht an. Es bleibt alles finster.

"Verdammt!", flucht Großmutter, "wir waren bisher immer am Tag hier oben. Da haben wir vergessen eine Glühbirne einzudrehen." Paddy fühlt Kälte um ihre Beine. Es ist ihr, als ob ein Windhauch, der sich aus dem dunklen Zimmer geschlichen hat, sie berührt. Paddy zuckt zusammen. Großmutter hat es nicht gesehen. Doch auch ihr geht es nicht anders. Um Paddy nicht von ihrer Angst wissen zu lassen, sagt sie: "Laß uns die Bilder hier vor der Tür auf den Fußboden legen, wir hängen sie morgen im Zimmer auf. Dann bringen wir auch eine Glühbirne mit." Paddy ist einverstanden, sie hat nur einen kleinen Einwand: "Das Bild von dem freundlichen Geist in Pantoffeln nehme ich aber wieder mit, damit er sich nicht ängstigt." Paddy greift nach dem obersten Blatt auf ihrem Stapel. Doch welch Schreck. Von hier grinst sie im Dämmerlicht des Flures ein äußerst unangenehmer Geist genau ins Gesicht. Paddy läßt den Stapel fallen und ist wie erstarrt. Großmutter sammelt die Bilder wieder ein und legt sie entgegen ihrem eigentlichen Vorhaben, sie auf dem Flur zu deponieren, auf den Boden in das dunkle Museumszimmer. Dann schließt sie rasch die Tür.

Als sie nun Paddy ins Gesicht schaut, fragt sie: "Was ist passiert?" - "Der Geist in Pantoffeln ist weg. Aber ich habe ihn doch obenauf gelegt", wundert sich Paddy. "Bestimmt ist er dir auf der Treppe heruntergefallen. Laß uns das Bild suchen gehen." Großmutter und Paddy steigen die alte, geländerlose Treppe schneller hinab, als sie sie hinauf gestiegen sind. Dabei halten sie Ausschau nach dem Geist in Pantoffeln. Doch er ist nirgends zu entdecken.

Plötzlich ertönt ein lautes Klingeln durch den ganzen Flur. Großmutter zuckt zusammen und auch Paddy ist zuerst erschrocken. Dann aber erkennt sie den Ton und sagt: "Das ist nur das Telefon, Oma." Sie hat recht. Schnell sind die beiden beim Telefon angelangt. Paddy nimmt ab und hat am anderen Ende ihre Mutter an der Strippe. "Ist alles in Ordnung", fragt die. Paddy holt tief Luft und antwortet mit einem zögerlichen "Ja". "Wirklich?", fragt Mutter, die den seltsamen Unterton in Paddys Stimme vernommen hat. Jetzt hat Paddy sich wieder gefaßt: "Alles in Ordnung, nur der Geist in Pantoffeln ist verschwunden?" - "Wer ist verschwunden?", wundert sich Mutter. Doch nun ergreift Großmutter den Hörer. "Kannst du nicht einmal ohne uns auskommen", ruft sie in den Hörer hinein und lacht. Ob das ein gutes Ablenkungsmanöver war? Scheint so, denn Mutter wünscht beiden jetzt nur noch eine: "Gute Nacht!"

19. Februar 2009

Gute Nacht