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GUTE-NACHT/2938: Frau Löwenzahn erinnert sich an Wolkenflausch (SB)


Gute Nacht Geschichten


"Gute Nacht!", wünschte Mutter Löwenzahn ihren Kindern. Sie lagen im Körbchen dicht beieinander gedrängt und kuschelten. Aber schlafen wollten sie noch nicht. Sie wünschten sich, eine Gute-Nacht-Geschichte zu hören. Für das kleinste Löwenzahnkind stand bereits fest, wovon die Geschichte handeln würde. Mutter Löwenzahn hatte es schließlich seit zwei Tagen versprochen. Auf Mutters großer und einziger Reise stieß diese an eine große Wolke. Wie dieses Treffen vor sich ging, davon handelt die Gute-Nacht-Geschichte für die Löwenzahnkinder.

Raute

"Ja, ich flog so dahin auf meiner ersten und einzigen Reise. Dabei hielten meine Schwester und ich uns an den Händen. Auch wenn wir zu Beginn etwas ängstlich waren, bereitete uns das Fliegen nach einer Weile sehr viel Spaß. Deshalb ließen wir uns an einer Hand los. Wir wollten nebeneinander fliegen, um die Welt noch besser sehen zu können. Doch da geschah es, der Wind stieß uns kräftig an und trieb uns weit auseinander. 'Wo fliegst du hin?', schrie ich meiner Schwester hinterher. Sie war ja die Ältere von uns beiden. Sie mußte doch wissen, was hier los war und wohin sie flog. Aber sie hörte mich nicht. Der Wind hatte uns entzweit. Ich war sehr traurig. Mich trieb es in eine andere Richtung. Jetzt konnte ich meine Schwester nicht einmal mehr sehen. Deshalb wurde mein Herz so schwer und ich begann zu weinen. Die Tränen fielen zu Boden und ich wurde leichter und leichter. Mit jedem Tränentropfen, der mir entwich, stieg ich höher und höher in den Himmel hinauf, bis ich meinen Kopf an einer Wolke stieß. Ich hatte die ganze Zeit zu Boden geschaut. Daß ich mir gleich den Kopf stoßen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Deshalb tat es mir auch besonders weh. Dieser Stoß versetzte meine Trauer in Wut. 'Wer stößt mich da so an den Kopf?', fragte ich empört. 'Hallo!', vernahm ich eine freundliche Stimme. Ich konnte niemand sehen, nur eine weiße Wand über mir. 'Wo stecken Sie denn? Sie Hallo-Sager!', wollte ich wissen. Da lachte die Stimme und gab mir den Rat, ein bißchen nach vorn und dann nach oben zu fliegen. So würde ich ihm, dem Hallo-Sager, genau ins Gesicht blicken. Das tat ich, auch wenn mir das Steuern in die vorgegebene Richtung schwer fiel. Bislang hatte ich mich ja nur treiben oder vom Wind davonpusten lassen.

Langsam schwebte ich zurück. Als ich über mir den Himmel sehen konnte, versuchte ich nach oben zu steigen. Das war gar nicht so leicht. Ich trieb sogar noch etwas nach hinten weg. Doch da begegnete ich einem leichten Aufwind, und dieser nahm mich mit in die Höhe. Jetzt konnte ich dem Hallo-Sager geradewegs ins Gesicht blicken. 'Aha, Sie haben mir eben im Weg gestanden', ich war noch immer böse. Mein Kopf dröhnte schließlich auch noch von dem Zusammenstoß. 'Nicht so grantig, junge Dame. Gestatten, mein Name ist nicht Hallo-Sager, sondern ganz einfach Wolkenflausch.' Das hörte sich gut an. So schön weich. 'Sie sollten lieber Wolkenbrett heißen, das würde besser zu ihnen passen', sagte ich und rieb mir noch einmal meinen Kopf.

Wolkenflausch war untröstlich: 'Sie sollten mal meine obere Seite kennenlernen. Wenn Sie sich dort hinflauschen, dann stellen Sie sicher fest, daß ich meinen Namen zu recht trage. Wollen Sie mich nicht ein Stückchen begleiten?', fragte die Wolke. Bei mir dachte ich, es sei doch gut, nicht ganz so einsam hier oben im Himmel herumzufliegen. Vielleicht konnte mir die Wolke auch helfen, meine Schwester wiederzufinden. Also sagte ich: 'Entschuldigen Sie bitte, aber ich bin noch neu hier in diesen Regionen. Es würde mich freuen, Sie ein Stück zu begleiten. Doch wie komme ich auf ihre obere Seite. Ich würde mich gern von ihrer flauschigen Art überraschen lassen.' Die Wolke antwortete nicht, sie lächelte nur. Dann faßte sie mich mit ihren Wolkenarmen und legte mich oben auf ihren flauschigen Körper. Das war so gemütlich, daß ich all meinen Kummer und meine Sorgen für einen Augenblick vergaß. Dieser Augenblick reichte aus, um ins Land der Träume zu reisen."

Raute

Dorthin waren inzwischen auch die meisten der Löwenzahnkinder gelangt.

Erstveröffentlichung im Jahr 2000

21. Mai 2009

Gute Nacht