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GUTE-NACHT/3004: Hexenturm (SB)


Gute Nacht Geschichten


"Hallo Sandmann! Endlich bin ich vom Einkaufen zurück. Ich wollte dich ja eigentlich mitnehmen, aber nun hast du nicht so lange im Auto warten müssen. Dafür war es auch viel zu heiß. Ja, du freust dich. Das sehe ich an deinem Schwanzwedeln. Aber nicht so doll, du haust ja sonst die Glasscheibe im Schrank kaputt."

Sandmann läßt sich kraulen, wodurch er sich wieder beruhigt.

"Du wartest bestimmt schon auf deinen Spaziergang. Am besten wir nehmen heute den Rundweg durch den Wald. Da warst du noch nicht. Wir gehen den Trimm-Dich-Pfad entlang und dann hinüber zum Hexenturm."

Sandmann folgt gern. Im Wald darf er zwar nicht frei laufen, doch an seiner zehn Meter langen Ausziehleine kann er sich recht frei bewegen. Freudig schnüffelt er die Wege ab und hält sich mal hier ein Weilchen, mal dort ein Weilchen auf. Jan dagegen geht seiner Wege und hält nicht an. So hat Sandmann gut zu tun, Jan immer wieder einzuholen und vielleicht noch ein bißchen vorzulaufen, um für einen neuen langen Schnüffler freie Bahn zu haben, bis die Leine erneut so gespannt ist, daß sie ruckt.

"Komm, Sandmann! Hier ist der Hexenturm. Eine kleine Rast tut uns gut. Ich habe uns ein Fläschchen Wasser mitgebracht! Bitte sehr."

Begierig schleckt Sandmann das kühle Naß und legt sich dann neben Jan, der im Gras sitzt.

"Es wird erzählt, daß hier einst eine böse Frau gelebt haben soll. Sie sah wohl gar nicht böse aus, meinten die Leute. Auch schien sie stets zu allen Bewohnern des Dorfes sehr freundlich zu sein. Aber je länger sie in dem Dorf wohnte, um so mehr bemerkten die Menschen, daß sich etwas in ihrem Ort veränderte. Die ruhige Art der Dorfbewohner wurde von unsinnigem Geplapper und lautem Umtreiben der fremden Frau verändert. Die Dorfbewohner hatten den Ort gegründet, um anders zu leben als in anderen Dörfern oder gar Städten. Das war ihnen auch eine Weile gelungen. Dann aber kam die Fremde in den Ort und alles änderte sich. Lange duldeten die Menschen die schwarzhaarige Frau, die immer wieder versuchte, die Menschen um ihren kleinen Finger zu wickeln, wie sie es mit ihren Locken tat, bis eines Tages zwei Mädchen geboren wurden. In der ganzen Zeit während sie heranwuchsen, sprachen sie mit der Fremden kein einziges Wort. Sie blickten sie nicht einmal an. Es war als sähen sie die Frau überhaupt nicht. In der Gegenwart der beiden Mädchen konnte die Frau, die immer eine Fremde blieb, kein Unheil anrichten. Sie konnte auch bald niemanden mehr in ihren Bann ziehen. Abhängig von Lob und Zustimmung anderer Menschen, konnte es die Frau nicht mehr länger aushalten und verließ das Dorf. In der Nähe gab es einen Turm, der dazu diente, Fremde anzukündigen, seien sie wohlgesinnt und nur auf Handel aus oder kampfeslustig und gekommen, die Dorfbewohner zu berauben. In diesen Turm verzog sich die Frau. Der Wächter, der bislang hier gelebt hatte und die Dorfbewohner stets vorwarnte, war gestorben.
Jetzt versuchte die Fremde über die Macht des Wachens sich wieder in das Vertrauen der Dorfbewohner einzuschleichen und sie für ihre Zwecke zu beeinflussen. Aber da ihr dies nicht gelang, ließ sie all ihre Bosheit walten und kündete freundliche Händler als verschlagene Täuscher an, die die Dorfbewohner gleich wieder aus dem Ort jagten. Räuber und Krieger kündete die neue Wächterin gar nicht an, so daß die Dorfbewohner fast überrumpelt worden wären, wenn nicht die beiden Mädchen stets abwechselnd über ihr Dorf gewacht hätten und so das Unheil abwenden konnten.
Von da an sprach niemand mehr mit der Fremden im Wächterturm. Keiner ging überhaupt noch in dessen Nähe. Die Menschen vergaßen, wozu der Turm einst erbaut worden war und nannten ihn nur noch den Hexenturm. Keiner weiß, wie lange die schwarze Frau dort noch gelebt hat, und keiner hat je herausgefunden, wer sie wirklich war."

Sandmann gähnt.

"Du hast recht! Wir waren lange hier. Laß uns nach Hause gehen, sonst müssen wir womöglich noch in diesem dunklen Turm übernachten."

14. August 2009

Gute Nacht