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GUTE-NACHT/3213: Die weiße Blume (SB)


Gute Nacht Geschichten

Siggi liegt im Bett und kann nicht einschlafen. Warum schicken ihn seine Eltern bloß immer so früh schlafen? Gut, daß er sich wenigstens noch seine Bilderbücher ansehen darf. Manche seiner Freunde dürfen nicht einmal das. Um acht Uhr müssen sie schon im Bett liegen - egal, ob es draußen hell oder dunkel ist.

An diesem Abend interessieren Siggi seine Bücher nicht. Er starrt einfach bloß auf die Wand. Dort hängt ein Bild und das schon so lange er sich erinnern kann. Es ist mit blauen, gelben, weißen und orangenen Farben gemalt. Irgendeiner seiner Onkel soll das Bild gefertigt haben.

Eigentlich zeigt das Bild nur eine Landschaft. Im Vordergrund drei Baumgruppen, dann ein Weg, der in ein Dorf führt und noch etwas weiter hinten das Meer. Zuerst erscheint das Bild ruhig. Doch wenn Sigi länger darauf schaut, fangen die Bäume an, sich zu bewegen und auch die Luft im Himmel flimmert, vielleicht von der Sonne, die am Horizont auf oder unter geht. Das läßt sich schwer sagen.

Schon oft hat Siggi das Bild betrachtet. Aber erst in der letzten Zeit hat er den kleinen Mann entdeckt, der da mitten im Bild vor der mittleren Baumgruppe sitzt. Sigi kann nicht erkennen, worauf der kleine Mann Platz genommen hat. Er hat die Ellbogen auf die Knie gestützt und seinen Kopf auf seine Hände. Sein Blick geht zur linken Bildseite hin. Er sieht sehr nachdenklich aus, oder als ob er etwas betrachtet.

Siggi versucht herauszufinden, was der kleine Mann denn anschaut. Da entdeckt er die weiße Blume. Sie reicht dem kleinen Mann bis ein Stück über die Knie hinweg. Plötzlich fällt Siggi die Geschichte von "Sesam öffne dich!" ein.


Ein Mann fand einst eine weiße Blume und pflückte sie. Genau in diesem Moment öffnete sich der Berg und gab den Weg zu einer Höhle frei, die voller Gold, Schmuck und Edelsteinen sowie Perlen und Geschmeide war. Der Mann war überwältigt und trat ein. Schnell faßte er sich wieder und stopfte sich die Taschen mit all den schönen Dingen voll. Plötzlich schien sich die Höhle wieder zu schließen und so schlüpfte der Mann gerade noch im rechten Moment wieder hinaus ins Freie. Hinter ihm schlug Stein auf Stein und der Eingang der Höhle war nicht mehr sichtbar. Jetzt sah sich der Mann an, was er mitgenommen hatte.

Wie erstaunt war er, als das Geschmeide in seinen Händen ihm wie Sand durch die Finger zur Erde fiel. Auch das Gold in seinen Taschen war bloß noch Staub. Da erst bemerkte der Mann, daß er das schönste, daß er jemals gesehen, vergessen hatte - die weiße Blume.


9. Juni 2010

Gute Nacht