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GUTE-NACHT/3305: Der einsame Pantoffel erhält einen Hinweis (SB)


Gute Nacht Geschichten vom einsamen Pantoffel


In der hintersten Ecke unter dem Bett ist der einsame Pantoffel noch einsamer als sonst. Oma Erna und Mops Bello sind in der Stadt Weihnachtsgeschenke einkaufen. Was der rechte Pantoffel nicht weiß ist, daß die beiden seinen linken Kumpanen mit dabei haben. Doch der Rechte glaubt, noch immer sei sein Gegenstück verschwunden und kehre niemals mehr zurück. Das stimmt ihn besonders traurig. Hatten die beiden doch immer so viel Spaß miteinander.

Klar hat es auch manchmal Zoff gegeben, jedes Mal wenn der Linke nicht dahin wollte, wohin es den Rechten gerade zog. "Rechts ist tonangebend!", hatte er stets zu seiner Verteidigung gesagt. "Warum sollen immer nur die rechten Schuhe zu bestimmen haben?", fragte daraufhin der Linke. "Das ist eben so", gab der Rechte zur Antwort und wußte selber keine Erklärung warum. Ihm fiel nur ein Vergleich ein. "So ist das schließlich auch bei den Menschen, sagen sie doch wenn einer schlecht gelaunt ist, du bist wohl mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden." Der linke Pantoffel konterte: "Und was soll dann das Sprichwort: Von rechts nach links das bringt 's?" Dazu fiel dem Rechten widerum ein: "Siehst du, der Rechte ist zuerst losgegangen. Er hat die Richtung angegeben, also folge mir, denn sonst heißt es im Sprichwort weiter: Von links nach rechts da pecht 's!"

"Das war gemein", fand der linke Pantoffel und weigerte sich an diesem Tag mit dem rechten spazieren zu gehen. Glücklicherweise fand er einen durchgekauten Kaugummi, in dem er steckenbleiben konnte und so lief an diesem Tag Opa nur mit einem Pantoffel durch die Wohnung. Als Oma Erna dies am Nachmittag auffiel, war der Linke doch froh, daß sie ihn endlich von dem Klebekram unter der Sohle befreite. Gern vertrug er sich wieder mit seinem rechten Partner, denn Einsamkeit war schlimmer als auch mal nachzugeben und Kompromisse zu schließen.

Nunja, bereist am nächsten Tag war alles wieder vergessen und der Streit ging von neuem los. Diesmal fand der rechte Pantoffel, er hätte ein sehr schlagkräftiges Argument gefunden. "Die meisten Menschen sind Rechtshänder. Sie essen mit rechts, sie schreiben mit der rechten Hand und Kinder, die das mit links tun, werden sogar umerzogen." - "Das ist gemein!", schimpfte der linke Pantoffel, "das ist Pantoffel-Diskriminierung, was du mit mir treibst. Ich will das gleiche Stimmrecht wie du. Schließlich bestimmen auch Mann und Frau gemeinsam, was sie machen und die beiden sind doch auch so etwas wie ein linker und ein rechter Schuh."

Der rechte Schuh bat sich hier etwas Bedenkzeit aus, denn darauf fiel ihm erst wirklich nichts ein, bis es wieder Zeit für Wahlen im Lande war. Da bekam der rechte Pantoffel mit, daß Frauen noch gar nicht so lange wählen durften." - "Warum gibt es immer so viel Ungerechtigkeit?", wollte der Linke damals wissen und äußerte den Vorschlag, "von jetzt an können wir uns doch abwechseln, das eine Mal bestimmst du, das nächste Mal bestimme ich." So gingen sie dann auch vor. Nur am Abend, da brauchten sie nicht zu diesem Hilfsmittel zu greifen. Da waren sich beide einig. Sie wollten gemeinsam am Kamin kuscheln. Dort schlichteten sie auch jeden Streit des Tages. Oh, wie vermißte der rechte Pantoffel diese Abende. Kämen sie doch nur wieder. Der Rechte würde dafür sogar alles machen, was der Linke nur wollte.


*


Oma Erna und Mops Bello haben beim letzten Weihnachtseinkauf noch nicht das Richtige gefunden. Deshalb sind sie heute noch einmal losgezogen, um erneut nach roten Pantoffeln für Tochter Annette zu schauen. Auch dieses Mal hat Oma Erna den linken kaputten Pantoffel mitgenommen. Sie hatte ihn nach dem letzten Einkauf in der Tasche belassen. Also weiß der rechte Pantoffel immer noch nicht, daß sein Gegenstück eigentlich schon wieder da ist.

Als die Wohnungstür erneut hinter Oma und Bello ins Schloß fällt, nutzt der Pantoffel die Gelegenheit und die offene Schlafzimmertür für eine Suchaktion. Er läuft durch die Wohnung und schaut in jede Ecke. Doch nirgends ist sein Partner zu entdecken.

Da erinnert sich der Pantoffel, daß sein Kumpane ja von Bello völlig zerfetzt worden war. Einmal hatte auch er selber eine kleine Stelle, die aus der Naht gegangen war. Da hatte Oma ihn gepackt, von Opas Füßen gezogen und ihn mit zu einem Kasten genommen. Der Kasten war groß wie ein Nachtschrank und stand auf vier runden Beinen, die unten schmaler und nach oben hin dicker wurden. Die Spitzen der Beine steckten in goldfarbenen und aus Metall gefertigten Bechern, die darunter noch Untersetzer hatten. Der Pantoffel fand, daß diese Metallfüße wie Schrankschuhe aussahen. Alsbald klappte Oma Erna den Deckel des Kastens auf und holte etwas kleines Spitzes, das an einem Faden hing, daraus hervor. Mit diesem fast nicht zu sehenden etwas pikste Oma durch den Pantoffel hindurch, der einen mächtigen Schreck bekam. Wie konnte so ein kleines, unscheinbares Ding, das fast gar nicht zu sehen war, einen so attackieren?

"Bestimmt hat Oma meinen Kumpanen auch zu diesem Kasten getragen, um ihn dort wieder zusammen zu flicken", denkt der rechte Pantoffel und sucht den Nähkasten auf. Dort angekommen stellt sich der Pantoffel auf den kleinen Absatz, um besser sehen zu können. Aber er kann keinen zweiten roten Pantoffel entdecken. Deshalb tritt der Pantoffel einmal gegen den Kasten und ruft, aber eine Antwort kommt nicht. "Wo mag der Linke nur sein?", fragt sich der Rechte. Jetzt sucht er im Flur. Gerade als er das Schuhregal in der Garderobe inspiziert, dreht sich der Schlüssel in der Wohnungstür herum. Mit einem Sprung ist der Pantoffel hops di dops im Regal auf einem völlig verstaubten Männerschuh gelandet. Der Staub wirbelt auf und der Pantoffel beginnt fast zu husten. Kann sich aber gerade noch zurückhalten, um nicht auf sich aufmerksam zu machen.

Die Tür geht leiser auf, als wenn Oma Erna hereinkäme und außerdem ist kein Hundegebell zu hören. Bello bellt stets vor der Tür. Der Pantoffel wundert sich: "Ist das vielleicht ein Einbrecher?", fragt er leise. "Dummes Ding!", entgegnet ihm der Herrenschuh, auf dessen Rücken er sich gerade plaziert hat, "seit wann haben denn Einbrecher Schlüssel?" - "Vielleicht hat er ja einen Dingsda oder wie es heißt." Der Herrenschuh lacht auf, als wolle er sich über den Pantoffel lustig machen. "Du meinst wohl einen Dietrich?", sagt er dann. "Ja, genau den meine ich." Weiter kommen die beiden nicht, denn die Tür öffnet sich. An dem unteren Teil, den der Pantoffel von dem ganzen Menschen nur zu sehen bekommt, erkennt er, daß Tochter Annette mal wieder im Hause ist. "Was will sie schon wieder?", fragt er sich und überlegt, ob sie vielleicht den Linken wieder vorbeibringen will.

Hinter Annette betritt nun noch jemand die Wohnung. Es ist ein Unbekannter. Der Pantoffel hat ihn hier noch niemals zuvor gesehen. "Kommen sie schnell! Wir haben nicht viel Zeit", sagt Annette und der Fremde tritt ein. Die beiden gehen durch alle Räume. Heimlich - ohne sich auch nur von den anderen Schuhen im Regal zu verabschieden - schleicht der Pantoffel hinter den beiden her. Er hört wie Annette sagt: "Schauen sie nur, wie es hier aussieht. So eine große Wohnung ist doch für eine 80jährige nicht zu unterhalten." Die Runde führt die beiden ins Badezimmer. Dort sucht Annette in dem Wäschekorb nach etwas, kann es aber anscheinend nicht finden. Während der Fremde sich nun allein auf das stille Örtchen zurückzieht, wartet Annette ungeduldig im Flur und führt Selbstgespräche. "Wo hat meine Mutter nur diesen zerfetzten Pantoffel hingetan? Ich hatte ihn doch im Wäschekorb deponiert. Jetzt wo ich ihn dem Mann vom Altersheim zeigen will, ist er nicht aufzufinden."

Als der Fremde auf den Flur tritt, beschließen die beiden den Rückzug. Sie haben alles gesehen und wollen sich nicht von der Dame des Hauses überraschen lassen. Plötzlich knallt die Stubentür ins Schloß. Annette erschrickt. Schnell schaut sie nach, ob jemand in der Stube ist. Doch keiner ist dort. "Fast wie von Geisterhand", denkt Annette und verläßt um so schneller die Wohnung ihrer Mutter. Der Pantoffel kann es nicht fassen: "So eine Gemeinheit! Unsere Oma soll ins Altersheim?" Über das heimliche Eindringen von Tochter Annette ist der Pantoffel sehr erbost. Was ihn aber erfreut, ist die Neuigkeit, daß sie den anderen roten Pantoffel bereits vor Tagen wieder zurückgebracht hat. "Jetzt brauche ich ihn nur noch zu finden", denkt der rechte Pantoffel.


*


Es ist schon spät am Abend und draußen bereits dunkel. Oma Erna und Mops Bello sind vom Einkaufen noch immer nicht zurück. Deshalb ist es in der Wohnung auch noch ganz dunkel. Nur der Laden gegenüber wirft sein buntes Reklamelicht ins Zimmer. Über dem Leuchtschild mit der Aufschrift "Tante Emma" strahlt ein großer Stern. Erst im letzten Jahr hat sich der Ladenbesitzer diese Weihnachtsdekoration geleistet. Jetzt aber soll der Stern bereits in diesem Jahr zum letzten Mal leuchten. Denn mit Beginn des nächsten Jahres wird der fast ein halbes Jahrhundert alte Tante-Emma-Laden schließen. Oma Erna findet das sehr traurig und hat auch schon einige Male davon Opa erzählt. Sie weiß, daß auch Opa das gar nicht in Ordnung finden würde, wenn er noch lebte.

Der rote Pantoffel, dessen Farbe jetzt im dunklen Zimmer gar nicht in Erscheinung tritt, blickt auf den Stern. Solch schöne Sterne, nur etwas kleiner, schmückte auch immer Omas und Opas Weihnachtsbaum. Ob Oma Erna auch in diesem Jahr einen so schönen Baum aufstellen wird? Der Pantoffel ist sich sicher, daß sie es bestimmt versucht, schließlich hat Oma Gäste eingeladen und kauft Geschenke ein.

"Wo bleibt Oma überhaupt", denkt der Pantoffel und weiß, daß er sich besser wieder versteckt, damit er nicht mit Bello zusammentrifft. Doch immer unter dem Bett im Schlafzimmer zu hocken, darauf hat er keine Lust. Leider ist es in der guten Stube auch zu gefährlich für ihn. Deshalb entscheidet sich der Pantoffel für einen versteckten Platz im Flur. Da kommt nur das Regal in der Garderobe in Frage. Hier springt der Pantoffel in das für ihn gerade noch zu erreichende Fach. Hierher wird Bello nicht kommen. Von hieraus hat der Pantoffel außerdem einen guten Überblick über die Wohnung. Bis Oma und Bello endlich eintreffen, grübelt der rechte Pantoffel noch darüber nach, wo sich der linke wohl versteckt hält. Die beiden Eindringlinge vorhin, Annette und dieser fremde Mann, hatten ihn dazu veranlaßt, überall in der ganzen Wohnung noch einmal nach seinem Gegenstück zu suchen. Annette hatte gesagt, daß sie ihn wieder hierher gebracht hat. Aber da er sich nicht rührt, selbst nachdem Bello fort ist, scheint es klar, der linke Pantoffel hat die Wohnung bereits erneut verlassen. Aber auf welchem Weg? Es kann nur mit Oma Ernas Hilfe geschehen sein. Bei diesen Überlegungen fällt dem Pantoffel auch wieder ein, welches Geschenk Oma Erna ihrer Tochter Annette zu Weihnachten machen will. Annette soll die gleichen roten Pantoffeln wie ihr Vater besessen hatte erhalten. Also ist klar, Oma hat den linken Pantoffel an sich genommen. Wahrscheinlich hat sie ihn als Muster mitgenommen. "Ob sie wirklich ein so schönes Paar wie wir es sind, naja waren, noch einmal findet?", das fragt sich der rechte Pantoffel allen Ernstes. "Nunja, wir werden sehen, Hauptsache mein Linker kommt zurück und ich kann endlich mit ihm über alles reden!", denkt der Rechte. Plötzlich fällt ihm etwas Schreckliches ein. Oma Erna weiß ja nicht, daß der rechte Pantoffel auch noch im Hause ist. Sie hat ihn seit dem Tag nicht mehr gesehen, seit Bello den Linken zerfetzt hat. Was, wenn Oma den kaputten Pantoffel im Schuhladen zurückläßt, weil sie für einen kaputten Pantoffel gar keine Verwendung mehr hat?

Das Warten wird dem rechten Pantoffel unerträglich. "Wann kommen Oma und Bello wieder nach Hause?", fragt er sich. Endlich, der Pantoffel hat wohl ein bißchen geschlafen, treten Oma und Bello vollbepackt wieder zur Tür herein. Ein Mann ist bei ihnen und trägt die meisten Pakete. "Wo darf ich abladen?", fragt der Mann und Oma zeigt ihm den Tisch im Schlafzimmer. Dort legt der Mann alles vorsichtig hin. "Vielen Dank", sagt Oma Erna und bietet dem Mann noch etwas zu trinken an. "Ein Glas Wasser bitte", wünscht dieser. Oma weist den Weg zur Küche. Die Schlafzimmertür zieht sie sorgsam hinter sich zu. "Verdammt", flucht der rechte Pantoffel, "jetzt kann ich gar nicht nachsehen, ob der Linke wieder da ist!" Also bleibt der Pantoffel in seinem neu eroberten Versteck.

In der Küche unterhalten sich Oma und der fremde Mann. Oma bedankt sich noch einmal: "Es war sehr nett von ihnen, mich nach Hause zu bringen. Mit meinen vielen Päckchen hätte ich wohl noch Stunden zu Fuß nach Hause gebraucht." - "Das ist doch selbstverständlich, sie als meine Kundin ein Stück des Weges mitzunehmen. Ich hatte ja schließlich schon Feierabend und den gleichen Weg wie sie." Plötzlich spitzt der Pantoffel die Ohren, denn der sich als Verkäufer herausstellende Fremde sagt etwas, daß einen Hinweis auf den Verbleib des linken Pantoffels ergibt. "Ich denke, es war schon richtig, nicht auch noch den kaputten Schuh wieder mitzunehmen. Es macht doch keinen Sinn, immer alles alte und dazu noch defekte aufzubewahren." Empört holt der Pantoffel Luft, als wolle er vor Zorn gleich zerplatzen.

Indess verabschiedet sich der Verkäufer, wünscht noch einen schönen Abend und geht zur Wohnungstür. Als er an der Garderobe vorbeikommt, fällt sein Blick geradewegs in das Fach, in dem der rechte rote Pantoffel liegt. Ein Schuhverkäufer hat eben einen guten Blick für alle seine Kinder.



Advent 2010

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