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GUTE-NACHT/3306: Der einsame Pantoffel hat einen Plan (SB)


Gute Nacht Geschichten vom einsamen Pantoffel


"Bello komm, verkriech dich nicht hinter dem Ofen. Wir gehen spazieren", fordert Oma Erna ihren Mops auf. Doch Bello hat wohl von gestern noch die platte Nase voll. Spazierengehen ist was Feines, Einkaufsbummel dagegen nicht. Nicht mal ausreichend schnuppern durfte er. Ständig zog Oma Erna an der Leine, weil sie noch hierhin und dorthin wollte. Oma Erna weiß wohl, was Bello plagt. Deshalb verspricht sie ihm: "Wir gehen nur spazieren und Entenfüttern." Bei dem Wort Enten horcht Bello auf. Zum einen mag er die kleinen Flattermänner ärgern, zum anderen bekommt er immer etwas von Omas getrocknetem Brot ab. Zuhause dagegen nie.

Bello wedelt mit seinem Stummelschwänzchen und läuft zur Wohnungstür. Neben der Garderobe hält er inne und schnuppert. "Was ist?", fragt Oma und schaut sich um. Da fällt ihr Blick ins Regal und zwar auf die gleiche Stelle, die gestern auch dem Schuhverkäufer ins Auge stach.

"Oh!", kommt es zwischen Oma Ernas Lippen hervor. Gestern noch dachte sie, den zweiten roten Pantoffel nie mehr aufzufinden und ließ deshalb den zerfetzten roten Pantoffel schweren Herzens im Schuhhaus zurück, und heute findet sie nun den lange Vermißten. "Was das wohl bedeutet?", fragt sich Oma Erna und hat sogleich eine Idee.

"Wir werden wohl doch einen kleinen Abstecher in die Stadt unternehmen", sagt sie zu Bello. Bellos Blick fällt auf Omas Hand, die den roten Pantoffel aus dem Regal geholt hat. Bello knurrt. "Na? Willst du mich allein Entenfüttern lassen und lieber hier zuhause bleiben?" Schon ist Bello ganz still und legt sich zu Oma Ernas Füßen nieder. Sobald aber Oma ihre Jacke anzieht, steht Bello schon wieder auf seinen vier Pfoten und zeigt, daß er mit will.

Oma steckt den Pantoffel in ihre Tasche, leint Bello an und dann geht es los. "Okay, zuerst gehen wir Enten füttern. Danach besuchen wir noch einmal den Schuhladen. Hoffentlich ist der linke Pantoffel noch dort."

Der Weg dauert zehn Minuten, dann sind die drei am Teich im Park angelangt. Oma läßt sich auf die Bank fallen. Sie ist doch etwas erschöpft von der Strecke. Nach einer kleinen Verschnaufpause nimmt Oma den Pantoffel aus der Tasche heraus, denn darunter befindet sich das getrocknete Brot, das schon seit gestern darauf wartet, verfüttert zu werden. Bello sieht den Pantoffel neben Oma auf der Bank und bellt. "Ach Bello, der Pantoffel beißt doch nicht! Er bekommt auch kein einziges Stückchen Brot ab." Als Bello das Brot entdeckt, ist der Pantoffel abgemeldet. "Hier Bello, aber das andere bekommen die Enten. Wo bleiben sie bloß." Schon kommt die ganze Bande angewatschelt. Oma läßt Bello lieber an der Leine, damit er nichts anstellen kann und wirft den Enten die Bröckchen weit entgegen.

Nachdem auch der letzte Krümel weggeworfen ist, lehnt sich Oma auf der Bank zurück und atmet tief durch. Dann spricht sie mit Bello, doch sie schaut ihn nicht an. Es scheint, als rede sie mit sich selber. Ein vorüberziehender Passant blickt Oma Erna an und schüttelt den Kopf. Nachdem er an ihrer Bank vorbei ist, tippt er sich sogar gegen die Stirn, als wollte er sagen: "Verrückte Alte!"

Wenn er glaubte, Oma Erna hätte davon nichts mitbekommen, so hatte dieser Spaziergänger sich getäuscht. Oma hat alles mitbekommen und ärgert sich. "Ich weiß noch genau, daß zwei und zwei vier ist und daß zwei mal zwei auch vier ist. Beides sind unterschiedliche Aufgaben und doch kommt das Gleiche heraus. Was ist also daran so schlimm, ob ich mit einem anderen oder mit mir selber spreche. Ich höre mir wenigstens zu", ruft Oma dem Spaziergänger nach." Zu Bello meint sie: "Dem haben wir es aber gegeben."

Aber Bello ist an dem Spaziergänger gar nicht interessiert. Er kann sich nicht entscheiden, ob er lieber hinter den Enten herjagen oder nach dem roten Pantoffel schnappen soll. Da er im Grunde aber an keines von beiden heran kommt, denn Oma hält die Leine fest in der Hand und hat außerdem auch ein Auge auf den roten Pantoffel, knurrt Bello diesen aus einer kurzen Entfernung an.

"Vielleicht sollte ich ihn dir mal hinhalten, damit du an ihm schnuppern kannst?", überlegt Oma Erna laut. Bello gibt nur noch lautere Geräusche von sich. Dem Pantoffel wird Angst und Bange und außerdem friert er. Bei dem kalten Winterwetter ist es für einen Hausschuh nicht gerade erfreulich im Freien zu sein.

Oma Erna läßt Bello Platz machen. Etwas zögernd setzt er sich nieder. Nun nimmt Oma den zitternden Pantoffel in die Hand und hält ihn vorsichtig Bello vor die Nase. Bello ist verblüfft, sonst hatte Oma die Pantoffeln vor ihm immer versteckt, bis auf das eine Mal, das er auch gleich ausnutzte und zubiß. Diesmal wagt er es jedoch nicht. Verwirrt legt er den Kopf neben Oma auf die Bank. Genau hierhin legt Oma nun auch den Pantoffel und sagt zu Bello: "Schön aufpassen!"

Es wird dunkel. Oma packt nun die leere Brottüte und den roten Pantoffel, der keinen Schaden erlitten hat, wieder in ihre Einkaufstasche zurück. "Komm Bello, wir werden den Gang ins Schuhgeschäft doch auf morgen verschieben. Ich glaube, so weit schaffe ich es jetzt nicht mehr und es ist auch schon ganz schön kalt."

Gemeinsam trotten die drei wieder nach Hause. Oma überlegt, ob es überhaupt noch Sinn macht, nach dem kaputten linken Pantoffel zu fragen. Bestimmt hatte der Schuhverkäufer diesen bereits fortgeworfen. Bello indess fragt sich, warum er eben nicht gleich zugebissen hatte, wo doch das Rot des Pantoffels ihn stark dazu aufforderte wie das rote Tuch einen Stier, und auch der rote Pantoffel ist verwirrt. Wie konnte ein so gefährliches Tier, so viel behagliche Wärme abgeben? Hatte der Pantoffel doch gerade zwischen Oma Erna und Bellos Schnauze liegend, diese verspürt.


*


Am nächsten Tag ist an einen Spaziergang in die Stadt nicht zu denken. Oma Erna hat Fieber und liegt mit einer heißen Wärmflasche unter einer Decke auf dem Sofa in der Stube. "Du hast gut reden", schimpft Oma den leeren Sessel an, "hab du mal Fieber, dann läufst auch du nicht freiwillig durch die kalte Stadt, noch dazu bei diesem Wind." Aus ihrer Kräuterteetasse nimmt Oma Erna einen Schluck. Dann beruhigt sie Mops Bello, der sich zu ihren Füßen niedergelegt hat: "Ist ja alles in Ordnung. Manchmal muß ich nur mal meine Meinung loswerden." Oma Erna stellt die Tasse wieder auf den Tisch und zieht sich die Decke bis an die Ohren. "Oh, ist mir kalt!", schlottert sie. Bello schaut besorgt drein. Er findet es gar nicht in Ordnung, wenn etwas mit seinem Frauchen nicht stimmt. Das merkt er sofort. Doch was kann er tun? Wie kann er Oma Erna helfen? Betroffen läßt er den Kopf wieder auf seine Pfoten sinken. "Sei nicht betrübt, das wird schon wieder und dann tollen wir morgen um so mehr herum! Nur heute ist mir einfach zu kalt."

Zu kalt? Das ist das Stichwort. Bello setzt sich wieder auf. War ihm nicht gestern beim Entenfüttern auch kalt? Dann aber hatte er seinen Kopf genau neben Oma und den Pantoffel auf die Bank gelegt. Der Pantoffel sah schön warm aus. Vielleicht würde Oma nicht mehr so frieren, wenn sie diesen Pantoffel anziehen würde? So geht es Bello durch den Kopf. Er springt auf und beginnt zu suchen. Er schnüffelt hier und dann dort und bald hat er eine heiße Spur. Seine Schnüffelnase bringt ihn auf den Flur. Dort liegt noch die Tasche vom gestrigen Entenfüttern. Es riecht nach Brotkrumen und nach einem Schuh. Mit seiner doch recht platten Schnauze kann Bello den Schuh nur aus der Tasche holen, wenn er den ganzen Kopf hineinsteckt. Das macht er nun auch.

Indess von der Innenseite der Tasche her findet ein einzelner roter Pantoffel es gar nicht so gut, wenn ihm die Sicht versperrt wird und ihm dann auch noch sozusagen die Luft zum Atmen genommen wird. Im ersten Moment hat der Pantoffel nur den Schatten über sich bemerkt. Erst beim Näherkommen desselben wird ihm klar, es ist Bello, der da in die Tasche und somit in sein momentanes Versteck eindringt.

"Was will dieser schreckliche Hund nur von mir?", denkt der Pantoffel. Ihm fällt nichts anderes ein, als daß er auch zerfetzt werden soll wie schon sein linker Kumpane zuvor. Schon schnappt Bello nach ihm. Doch Bello beißt nicht fest zu. Der Pantoffel wundert sich. Was hat Bello vor? Wie eine Hundemutter ihren kleinen Welpen trägt, so bringt Bello den Pantoffel zu Oma Erna.

Weil Oma die Augen geschlossen hat, legt Bello den Pantoffel vor dem Sofa ab. Dann macht er einmal: "Wuff!" Und schon nimmt er den Pantoffel wieder ins Maul. Etwas verzögert öffnet Oma Erna die Augen und sieht einen kleinen Hund mit einem riesigen roten Pantoffel im Maul vor sich stehen. "Wuff!", macht Bello gleich noch einmal. "Danke Bello, aber ich möchte jetzt nicht mit dir spielen." Oma legt den Pantoffel auf den Boden. Doch schon nimmt ihn Bello wieder hoch und springt damit aufs Sofa. Hier legt er den Pantoffel direkt auf Omas Bauch.

"Na, was kann so eine alte Frau wie ich mit einem einsamen Pantoffel anfangen? Was willst du mir damit sagen", fragt sie. Doch bald wird ihr klar, daß es viele Möglichkeiten gibt, etwas mit einem Pantoffel anzufangen. "Schade, daß ich deine Sprache nicht verstehe." Bello blickt ganz interessiert, was Oma jetzt mit dem Schuh anstellt. Zuerst spielt sie Kasperletheater damit, dann zieht sie den Schuh wie einen Hut auf den Kopf, doch endlich landet der Pantoffel dort, wo Bello ihn für Oma Erna angedacht hatte, an ihrem Fuß. Jetzt findet auch Oma, daß dies der beste Platz für den Pantoffel ist. Selbst der rote Pantoffel kennt keinen schöneren Platz als hier an Omas Füßen zu sein, nur Opas Füße wären noch die Krönung gewesen.


*


"Ich habe doch kein Telefon", stöhnt Oma Erna den leeren Sessel in der Stube an, "du hast gut reden, mal schnell im Schuhladen anrufen und nachfragen, ob der zurückgelassene Pantoffel heute noch da ist. Der Verkäufer hat ihn bestimmt fortgeworfen." Oma Erna krault Bello das Fell. Der Mops hat es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht und läßt sich durch Omas Worte nicht aus der Ruhe bringen.

"Du hast doch immer die ganzen Anrufe mit deinem Handtelefon oder wie die Dinger heißen erledigt. Nun, da du nicht mehr bist, haben wir sowas nicht mehr im Haus. Ich habe das kleine Ding unserem Sohn gegeben. Ich hätte eh nicht damit umgehen können." Nach einer kleinen Pause sagt Oma: "Aber vielleicht sollte ich mir wirklich mal Gedanken über ein normales Telefon machen. Es kann ja doch immer mal etwas vorfallen und ich werde auch nicht jünger."

Nach einem Blick auf die Uhr schiebt Oma Bello vom Schoß und steht auf. Sie zieht sich an und nimmt die Einkaufstasche. Dann fällt ihr noch etwas ein und sie stellt die Tasche vor dem Sofa ab. In der Küche schaut sie noch in ihrer Backzutatendose nach, ob sie alle Gewürze für Lebkuchen hat. In der Zwischenzeit ist Bello auf das Sofa gesprungen. Hier liegt noch die Decke, mit der sich Oma gestern, als es ihr nicht so gut ging, zugedeckt hatte. Auch heute ist Oma noch nicht wieder ganz fit, sonst hätte sie sicher die Stube aufgeräumt.

Bello wühlt sich in die Decke hinein. Dabei verrutscht sie und gibt den roten Pantoffel, mit dem Oma Erna sich gestern die Füße wärmte, wieder frei. Aus den Augenwinkeln erkennt Bello das rote Leuchten des Pantoffels. Er hält im Spiel inne. Soll er den Pantoffel packen und zerfetzen? Doch der Mops erinnert sich, wie schön warm dieser rote Pantoffel sein kann. Bello kann sich nicht entscheiden. Aber damit der Pantoffel nicht gleich wieder verlorengeht, legt er sich schnell auf ihn drauf.

Der Pantoffel wird unter Bellos Gewicht plattgedrückt. Das gefällt ihm gar nicht, aber es ist immer noch besser, als von Bellos Zähnen zerfetzt zu werden.

Aus der Küche wird Bello gerufen. Erst zögernd, um seine Beute nicht zu verlassen, folgt Bello dann doch Omas zweiter Aufforderung und läuft in die Küche. Beim Sprung vom Sofa gibt Bello dem Pantoffel unfreiwillig einen kleinen Schubs, daß dieser vom Sofa fällt, geradewegs in Omas Einkaufstasche hinein. Plumps, da wird es dunkel um den Pantoffel.

Beim nochmaligen Blick auf die Uhr hat es Oma jetzt wirklich eilig. "Komm Bello, sonst schaffen wir es nicht mehr vor sechs Uhr." Bello hält ganz still und läßt sich die Leine anlegen. Dann geht es los. Und während zwei der drei Stadtgänger sich beeilen, um noch vor Ladenschluß ihre Einkäufe und den Besuch im Schuhladen zu erledigen, fragt sich der dritte, der keinen Fuß selber vor die Tür setzen braucht, was ihn wohl jetzt schon wieder erwartet. Doch in der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit seinem linken Gegenstück, ist der rechte Pantoffel sehr froh darüber, vom Sofa geschubst worden zu sein. Er nimmt sich vor, wenn sein Kumpane nicht mehr im Laden weilt, sich dann auf die Suche nach ihm zu begeben und keine Rast zu halten, bevor er ihn nicht gefunden hat.

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Advent 2010