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GUTE-NACHT/3621: Regenwetter (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

Regenwetter

Tropf. Tropf. Es regnet. Enna hockt mit ihrer Stoffmaus auf der Küchenbank vor dem Fenster und schaut hinaus. Wenn es nicht so kalt wäre, würde sie mit Mausohr durch den Regen laufen und die Tropfen mit dem Mund auffangen. Aber Mausohr mag keine Kälte und naß wird sie auch nicht so gern.

Plötzlich entdeckt Enna ihre Oma Lucie auf dem Hof, die in Gummistiefeln durch die Pfützen watet wie ein Storch auf den Feldern. Dabei beugt sie sich vorn über als ob sie etwas suche. Was kann sie bloß verloren haben?

Da, jetzt scheint sie es gefunden zu haben, denn sie greift in das Wasser. Doch noch immer sucht sie weiter. Vor Neugier hält es Enna nicht mehr aus. Sie setzt Mausohr auf die Fensterbank und flüstert ihr ins Ohr: "Bleib schön hier. Ich bin gleich wieder zurück. Du kannst mir ja durch die Fensterscheibe zuschauen."

Schnell in die Gummistiefel gestiegen und eine Jacke übergeworfen. Schon ist Enna ebenfalls auf dem Hof. "Was suchst du, Oma Lucie?", fragt sie, als sie dicht hinter ihrer Oma auftaucht. Die schreckt hoch. "Kind, du kannst einen auch erschrecken", stöhnt sie.

"Oma, was suchst du?", fragt Enna ungeduldig. Da öffnet Oma Lucie die geschlossene Hand. Ein Igitt schluckt Lucie gerade noch hinunter. "Wieso fischt ihre Oma Regenwürmer aus Pfützen?", überlegt sie. Aber da erhält sie auch schon ungefragt eine Antwort: "Schau mal, wenn es regnet laufen die Gänge der Regenwürmer voll, und so versuchen die Armen nach oben zu kommen. Ich weiß nicht, ob Regenwürmer in ihren mit Wasser vollgelaufenen Gängen oder in den Pfützen, in denen sie auftauchen, wirklich ertrinken. Aber wenn du dir diesen Kleinen hier anschaust, sieht er nicht gerade gesund aus. Sie werden so weißlich, wenn sie lange im Wasser liegen. Jetzt wo ich ihn herausgefischt habe, beginnt er wieder zu zappeln und sich zu winden. Vorher lag er wie tot im Wasser. Komm wir bringen ihn in das Blumenbett, wo nicht so viel Wasser steht."

Nachdem Oma Lucie den Regenwurm auf einem Fleckchen Moos abgelegt hat, fragt Enna: "Willst du noch mehr Regenwürmer retten?" - "Ich hab schon alle Pfützen abgesucht. Da sind keine mehr. Laß uns zurück ins Haus gehen. Langsam wird mir wirklich kalt und du hast auch nicht gerade deine dickste Jacke übergezogen."

Wieder im Haus kocht Oma Lucie Kakao für alle. Der schokoladige Geruch lockt Opa aus der Stube und die beiden Uromas aus ihren Zimmern. Enna berichtet sofort von dem geretteten Regenwurm, der sich jetzt auf einem Moosbett ausruhen kann.

Sogleich wird am Tisch darüber diskutiert, ob Regenwürmer nun ertrinken können oder nicht. Nach langem hin und her holt Opa einen Gartenratgeber aus dem Bücherschrank. Aber auch dieser kann die Frage nicht eindeutig klären.

Neben mehreren Fotos der Erdfamilie und einigen Erklärungen zu ihrem Leben befindet sich auch eine Liste, die viele verschiedene Namen für den Regenwurm bereit hält. So wird der kleine Kerl in Norwegen Meitemark genannt, in Dänemark Regnorm, in Rußland Cheru und in Frankreich Ver de Terre. Am besten gefällt Enna aber sein japanischer Name. Mimizu wird er dort genannt.


Als Enna und Mausohr an diesem Abend zu Bett gehen, fragen sich die beiden, ob Mimizu wohl noch immer auf seinem Moosbett liegt oder ob er sich bereits wieder in die Tiefen der kalten Erde begeben hat. "Gut, daß wir beide keine Erdwürmer sind", meint Enna und wünscht Mausohr eine:

"Gute Nacht."


zum 31. Januar 2013