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KALENDERGESCHICHTEN/044: 08-2014   Der kleine Wolf - Kalinka (SB)



Krawell legt seinen Flügel um die Bärin - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der kleine Wolf

Kalinka

Bockig und verärgert war der kleine Wolf davon gerannt und hatte schließlich vor einem umgefallenen Baumstamm Halt gemacht. Als Rufus ihn erreichte, erzählte Rudi ihm, dass er sein Rudel vermisse. Wäre er bei ihnen, hätte er bestimmt gewusst, wo ein Wolf am liebsten wohnen würde. Der Fuchs tröstete ihn und schlug ihm vor, dass sie alle, der Rabe, der Bär und sie beide, zusammen bleiben und auch gemeinsam ein Zuhause finden würden. Der kleine Wolf war erleichtert und freute sich über sein neues Rudel. Dann rannten sie in Richtung Wiese und Bach zu Krawell und dem Bären.

In der Zwischenzeit war der Bär aufgewacht. Müde sah er sich um. Es dauerte eine Weile, bis er wieder wusste, wo er war. Dicht neben ihm hockte ein ziemlich großer schwarzer Rabe. Das war Krawell, das wusste der Bär. Aber er sagte nichts, denn der Rabe schien ein Nickerchen zu halten. Doch als er sich umdrehte, knackte ein Zweiglein unter seiner Tatze.

"Halt, stehen bleiben, wer da?", rief Krawell lauthals in die Gegend, wobei er gleichzeitig seinen Kopf in alle Richtungen wendete, um nach dem vermeintlichen Eindringling Ausschau zu halten. "Hallo", gab der Bär einen zögerlichen Laut von sich. "Oh, du bist es, hallo. Wie geht 's deiner Pfote?"

Der Bär hob sie vorsichtig an und setzte sie ebenso vorsichtig auf. "Schon viel besser, tut gar nicht mehr so weh."

"Na, trotzdem, lauf lieber noch nicht so viel herum."

Der Bär nickte und sah Krawell mit großen Augen an. Der Rabe überlegte, ob wohl dies ein guter Moment sei, ihm zu sagen, dass seine Mutter gestorben war. Am liebsten hätte er sich davor gedrückt, diese schlimme Nachricht zu überbringen - aber es musste sein. Also hüpfte er etwas näher an den Bären heran.

"Du, Bär, sag mal, wie heißt du eigentlich?"

"Kalinka", flüsterte der Bär und blickte verlegen auf seine Pfote.

"Dann bist du ein Mädchen, eine richtige Bärin?", staunte Krawell und war etwas verunsichert, weil er die ganze Zeit geglaubt hatte, der Bär sei eben ein Bär und keine Bärin.

"Hmmm, ja."

"Ich muss dir leider etwas Schreckliches mitteilen. Deine Mutter lebt nicht mehr." Krawell wollte es ganz einfühlend und sanft herausbringen, doch als er seine eigene Stimme hörte, erschrak er, weil es so grausam und gemein klang.

Kalinka sank zusammen und legte ihren Kopf ins Gras. Krawell wusste, dass sie nun bitterlich weinen würde und so geschah es auch. Er hüpfte noch ein kleines Stückchen dichter an sie heran, breitete seinen Flügel aus und legte ihn ganz zärtlich auf ihre Schultern.

"Kalinka, wenn du willst, kannst du bei uns bleiben." Sie weinte und weinte, bis sie ganz zaghaft den Kopf hob und Krawell in die Augen blickte: "Danke. Kannst du bitte noch ein Lied für mich singen?"

Krawell nickte und summte zunächst leise eine Melodie, dann erhob er seine Stimme, erst ganz leise, dann mutig und kräftig, denn das Lied erzählte von Kalinkas Kummer und Leid, sodann aber von dem Zusammensein mit Rudi, Rufus und ihm selbst und von den vielen Abenteuern, die noch vor ihnen lagen.

Plötzlich wogte das hohe Gras hin und her, wie Wellen auf dem Meer. Hechelnd und ziemlich aus der Puste erreichten Rufus und Rudi den Bach. Als die beiden Krawell und den Bären entdeckten, stoppten sie ihren rasenden Lauf.

"Hallo, wir sind wieder da!", brüllte Rufus, stemmte seine Pfoten ins Ufergras und bremste ab. Rudi tat es ihm gleich, landete allerdings auf seinem Bauch. "Hey, glatte Bauchlandung, was Rudi", tönte der Fuchs und lachte. Rudi rappelte sich auf, legte seinen Kopf schief und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Der Bär sah ganz verheult aus. Als Rufus es ebenfalls bemerkte, ging er gemessenen Schrittes hinüber zum Bären, klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter und meinte: "Hey Kopf hoch, alter Junge, wir halten zusammen. Du gehörst ab jetzt zu uns. Einverstanden?"

Krawell schüttelte den Kopf.

"Wieso schüttelst du den Kopf, will der Bär nicht bei uns bleiben?", wollte nun auch der kleine Wolf wissen.

Bevor Krawell etwas darauf erwidern konnte, meldete sich Kalinka zu Wort: "Danke, ich gehöre gern zu euch, vielen Dank. Ich heiße Kalinka."

"O", nun ja, freut mich, alter Junge", platzte Rufus in die verlegene Stille und dann mussten alle fürchterlich lachen.

Fuchs, Wolf, Rabe und Bärin versammeln sich am Bach Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Abends saßen sie am Bach, schauten den seichten Wellen zu und überlegten mal laut und mal leise, wohin sie gehen wollten, um ein Zuhause für sich zu finden. Endlich konnten sie sich darauf einigen, den Weg in die Berge einzuschlagen. Rudi freute sich, Rufus war etwas enttäuscht, weil er gerne in einer Erdhöhle wohnen wollte. Aber da nun der Bär, also die Bärin, bei ihnen war, ging das ohnehin nicht mehr und so war er auch damit einverstanden, in den Bergen nach einer Unterkunft zu suchen. Als es dunkel wurde, legten sich alle schlafen und es wurde ganz still auf der Wiese. Nur Kalinka sorgte sich noch eine Weile, wie sie es nur schaffen sollte, die Berge mit ihrer kaputten Pfote zu erreichen.

Fortsetzung folgt ...

zum 1. August 2014