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KALENDERGESCHICHTEN/070: 10-2016   Der Herzenswunsch - eine neue Familie ... (SB)


Ein niedliches Hundebaby tapst auf wackeligen Beinen nach vorn, im Hintergrund seine drei Geschwister - Buntstiftzeichnung: © 2016 by Schattenblick

Was bisher geschah ?

Kati hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass ihre Eltern ihr keinen Hund schenken wollten und stattdessen beschlossen, alle Hundebabys wegzugeben. Nach langem Zögern kam es zwischen Hauke und Kati zum Ende der Ferien zu einer Aussprache, nach der beide wirklich erleichtert waren. Die Schule fing wieder an und nahm einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit in Anspruch. Unterdessen wurde die Berhardinerhündin dick und rund.

Wieder zuhause angekommen, hatte Haukes Mutter einen Entschluss gefasst. Ein wenig scheute sie sich, ihren Mann Jörgen anzurufen. Ihr letztes Gespräch hatte wie so oft in einem hässlichen Streit geendet, keiner wollte einlenken, keiner war bereit, dem anderen zuzuhören. So konnte es nicht weitergehen, aber leider war sie sich auch nicht klar darüber, wie es und ob es überhaupt noch einmal dazu kommen könnte, dass sie sich wieder vertragen würden.

Nachdem sie sich einen Tee gekocht und sich aufs Sofa gesetzt hatte, sortierte sie ihre Gedanken und wählte schließlich die Nummer von Jörgen. Schon nach dem zweiten Klingeln nahm er ab: "Hallo Marlen, warum rufst du an - ist etwas passiert - geht 's dem Jungen gut?" - "Ja, ja, oder auch nein. Wir müssen unbedingt miteinander sprechen, so in aller Ruhe."

"Meinst du, dass das Sinn macht? Unsere Begegnung neulich war nicht gerade das, was ich nun wiederholen möchte. Mir reicht 's fürs erste." - "Jörgen, das kann ich verstehen, mir geht es nicht anders. Aber diesmal geht es nicht um uns, sondern um Hauke", beschwor sie ihren Mann. - "Gut, was schlägst du vor?", lenkte er nach kurzem Zögern ein. "Morgen, würde dir das passen, morgen nach der Arbeit, im Café "Sahnestückchen" vielleicht?" - "Ja, gut", antwortete Jörgen, "so gegen 18 Uhr. Aber sag' doch mal was los ist. Muss ich mir Sorgen machen?" - "Nein, wir müssen nur eine Lösung für ein Problem finden. Ich möchte das nicht am Telefon besprechen", erkärte Marlen. "Nun gut, dann bis Morgen. Tschüss", gab er nach und legte auf.

Von all dem ahnte Hauke natürlich nichts. Seine Gedanken verteilten sich auf die Schule, auf Kati und seine Oma. Ab und zu erwischte er sich dabei, dass er doch recht ungeduldig auf die Geburt der Hundebabys wartete. An diesem Nachmittag schnitt er dicke, reife Fliederbeerdolden von den Zweigen, wobei ihm der Duft der reifen Beeren in die Nase stieg. Er freute sich schon auf den Saft, den seine Oma daraus kochte. Um besser an die höher hängenden Beeren zu gelangen, hatte er sich einen Hocker aus der Küche geholt und wäre beinahe herunter gefallen, weil das laute Rufen von Kati ihn so erschreckt hatte. Schon von weitem brüllte sie völlig außer Atem: "Hauke, Hauke, komm schnell. Barin ... Barin", japste sie, "sie bekommt ihre Babys."

Hauke ließ alles stehen und liegen - die Schüssel mit den Beeren auf dem Hocker, die Schere landete im Gras. Er rannte zur Haustür und rief lauthals in den Flur: "Oma, Oma, ich bin bei Kati, Barin bekommt Junge!" - "Lass mich trotzdem nicht allein mit dem Abendessen", hörte er sie noch und antwortete schon im Laufen: "Ich bin rechtzeitig zurück, Oma, versprochen!"

Schnurstracks liefen sie auf den alten Entenstall zu, in dem ein Lager für die Bernhardinerhündin bereitet worden war. "Dürfen wir zusehen?", wollte Hauke wissen. "Ja, ja, sicher, und jetzt müssen wir ganz leise sein", flüsterte Kati und hielt ihn am Ärmel fest. "Psst", machte sie und so schlichen sie hinein. Der Innenraum war von rotem Wärmelicht schwach erleuchtet. Katis Vater hockte neben seiner Barin und streichelte sie. Als er die beiden Kinder bemerkte, drehte er sich um: "Stellt euch leise hinter mich, dann könnt ihr die Kleinen sehen."

"Papa, wie viele sind es, ich sehe vier", flüsterte Kati. "Ja, genau. Sieht nicht so aus, als ob es noch mehr werden." Nun beugte sich auch Hauke vor und als er die kleinen Fellbündel dort liegen sah, mit geschlossenen Augen und so winzig, fand er sie überhaupt nicht niedlich. Sie glichen so gar nicht den vielen Fotos in Zeitschriften oder Büchern über Hundebabys. Barin leckte eines nach dem anderen ab und ihre ganze Aufmerksamkeit galt jetzt ihren Jungen. "Lasst uns nun gehen, ist wohl besser, wenn sie eine Zeit für sich hat", forderte der Vater Kati und Hauke auf, "ich sehe später noch mal nach ihr und stelle ihr frisches Wasser und Futter hin."

Draußen auf dem Hofplatz blieb Kati plötzlich stehen, ihr Vater setzte seinen Weg ins Haus fort. "Hey, Hauke du siehst ja ganz betrübt aus, freust du dich nicht?", wollte Kati wissen. "Oh doch, aber die sehen irgendwie gar nicht wie Hunde aus, irgendwie wie dicke Maden", beklagte er sich. Die haben gar keine Augen ..." - "Sag, mal, was hast du denn gedacht? Jetzt mal ehrlich, die machen ihre Augen erst später auf, so nach 10, 12 Tagen ungefähr. Und eigentlich liegen sie jetzt fast nur rum, aneinander gekuschelt, dicht bei der Mutter, also praktisch haben die nichts anderes zu tun, als Milch zu trinken und zu schlafen. Aber warte mal ab, wenn die dann ihre ersten Geh- und Stehversuche unternehmen, oder sich bemühen, auf ihren vier Pfoten zu laufen, dann sind sie wohl eher so, wie du das erwartest hast."

"Tja, hab' darüber nicht nachgedacht", gestand er. "Vielleicht ist es sogar besser so und ich sehe sie mir überhaupt gar nicht mehr an. Dann habe ich ein schlechtes Bild von ihnen und bin nicht traurig, wenn sie weggeben werden." - "Mensch, du bist echt bescheuert. Kannst du dich nicht einfach freuen, einfach so darüber, dass sie auf die Welt gekommen sind und die Zeit, die du sie aufwachsen sehen kannst, genießen? Wann erlebt man so was schon so ganz von Anfang an?"

"Du verstehst das nicht, Kati", gab Hauke mit einem Kloß im Hals zurück. "Oh, doch, ich verstehe sehr gut. Du nimmst dich ganz schön wichtig mit deiner Traurigkeit. Langsam nervt das. Du bekommst doch irgendwann einen Hund, dafür wirst du schon sorgen, selbst wenn es noch ein paar Jahre dauert. Also, hör' doch endlich mal auf mit dem Trübsal blasen", schimpfte sie mit ihm. Das war zu viel für Hauke. Giftig funkelte er sie an: "Ich muss jetzt nach Hause!" - "Hauke!", rief sie, aber er drehte sich um und rannte los.

Völlig aus der Puste polterte er in die Küche und ließ sich auf einen Küchenstuhl plumpsen. Seine Oma sah ihn verwundert an und tat dies auf ihre ganz bestimmte Oma-Blick-Weise, die ihm bedeutete, er möge doch sein Herz ausschütten. Ärgerlicherweise schossen ihm die Tränen in die Augen und er schluchzte: "Die Hundebabys sind da und sehen total blöd aus, gar nicht wie Hunde und überhaupt?"

"Na, weißt du Hauke, du warst nach deiner Geburt auch keine Schönheit, eher glipschig, leicht gräulich und verknüllt!", behauptete seine Oma. Total erstaunt blickte er auf und als er in ihr verschmitzt lächelndes Gesicht sah, musste er anfangen zu lachen. Es war ein befreiendes Lachen, in das seine Oma einstimmte. "Oma, ich hab' mich dann auch noch mit Kati gestritten. Sie sagt ich nehme mich zu wichtig mit meiner Traurigkeit. Und da bin ich wütend geworden und weggelaufen ..."

"Nun, da hat sie wohl ins Schwarze getroffen ..." - "Was soll das denn heißen?", begehrte er auf. "Nun, dass weißt du wohl selbst am besten, denn da ist was Wahres dran. Überleg' mal einen Moment!" Schweigend aßen sie zu Abend und beim Abtischen meinte Hauke: "Ich werde Kati noch anrufen ..." "Ja, mach das", ermunterte sie ihren Enkel.

Kati wollte gar keine Entschuldigung hören, sondern schlug vor, dass sie am nächsten Tag nach der Schule wieder zu den Hunden gehen, um zu sehen, wie schnell - oder wie langsam - sie wachsen. Hauke war dann doch froh darüber und so besuchten sie Barin und ihre Jungen jeden Tag. Und tatsächlich, als die Kleinen die Augen öffneten, wurden sie immer munterer und unternehmungslustiger. Doch zog das Augenöffnen auch noch etwas anderes nach sich. Eines Tages, als sie wieder nach den Hundebabys sahen, tapste einer von ihnen tollpatschig und auf wackeligen Beinchen auf Hauke zu, der sich ins Stroh gesetzt hatte - und sah ihn ganz direkt mit seinen Kugelaugen an. "Oh, na, Kleiner, du bist aber ganz schön mutig. Oder bist du nur neugierig?", sprach er ihn an. Der kleine Hund reckte die Nase vor und Hauke hielt ihm vorsichtig seine Hand hin." Doch weiter geschah nichts, der kleine Kerl drehte sich um, kullerte dabei auf die Seite und blieb erst mal so liegen. "Pass auf Hauke, verguck dich bloß nicht in einen", mahnte Kati. "Zu spät! Ist schon passiert, da bin ich machtlos", behauptete er.

Bald, als sie wirklich total niedlich aussahen, wurden sie fotografiert und die Bilder dann ins Netz gestellt. Es dauert wirklich nicht lange, bis sich erste Interessenten meldeten. Katis Vater wollte natürlich genau wissen, wohin seine Hundebabys kommen. Befand er die Leute mit Hundewunsch für geeignet, wollte er den jeweils ausgewählten verschenken. Als der erste Hund vergeben war, setzte bei Hauke das bange Zittern ein. Hoffentlich nimmt niemand den kleinen Kerl, den er am liebsten mochte.

Hauke war gerade mit Kati hinterm Haus, als sie wieder ein fremdes Auto vorfahren hörten. "Ich will 's gar nicht wissen. Ich bleibe hier", entschloss sich Hauke. "Okay, dann bleib ich auch!", stimmte Kati ein. Aber im selben Moment wurde nach ihr gerufen. Verwundert lugte sie um die Hausecke und lief zu ihrem Vater, der sie sogleich fragte: "Kannst du mir sagen, welchen Hund Hauke am liebsten hat?" - "Ja, klar!" - "Gut, dann komm mit!", bestimmte er.

Kati kannte die beiden Leute nicht, die sich einen Hund aussuchen wollten. Ihr Vater bat seine Tochter nun, zu sagen, welcher der drei übrig gebliebenen Hundebabys es sei, den Hauke so gern hat. Kati verstand das nicht und war für einen Moment misstrauisch. Sie überlegte tatsächlich, ob sie auf einen anderen zeigen sollte. Ihr Vater bemerkte ihr Zögern und meinte verschwörerisch: "Das sind Haukes Eltern." Verblüfft sah Kati die beiden an und erkannte nun auch seine Mutter wieder. "Die beiden sind gekommen, um Hauke einen Hund zu schenken. Aber das darfst du ihm nicht verraten!" Sofort zeigte sie auf den kleinen braunen mit den weißen Söckchen: "Der da, den hat er ins Herz geschlossen!"

Als Kati mit der Botschaft zurück zu Hauke kam, dass sein Lieblingshund nun fort sei, musste er sich ganz schön zusammennehmen, um nicht zu weinen. Er hatte es ja die ganze Zeit gewusst, dass es einmal so kommen musste."Komm, lass uns noch die letzten Birnen pflücken, wir schnappen uns die von ganz oben", schlug sie vor, um ihn abzulenken und sich selber auch, damit sie am Ende nicht doch noch was verraten würde. Kaum hatten sie den Birnbaum erreicht und schickten sich an, hochzuklettern, da rief Katis Vater nach Hauke. "Hä, was ist denn jetzt los, ich hab' doch gar nichts ausgefressen", staunte er, rannte aber sogleich los - Kati hinterher.

Auf dem Hofplatz parkte ein Auto, das Hauke irgendwie bekannt vorkam. Dann stiegen seine Eltern aus und er war so überrascht, dass er wie angewurzelt stehen blieb. Dann purzelte ihm ein ungeschicktes "Was wollt ihr denn hier?" über die Lippen. "Na, das nenn' ich mal eine herzliche Begrüßung", miemte sein Vater den Beleidigten. Seine Mutter lachte und endlich konnte Hauke sich wieder bewegen und lief in die offenen Arme seines Vaters und umarmte dann seine Mutter.

"Wir waren auf der Durchreise und wollten dir nur mal 'Guten Tag' sagen, flunkerte sie. Hauke verstand gar nichts mehr. Erstens wunderte er sich darüber, dass beide gemeinsam hier auftauchten und dann auch noch vorgaben, zu zweit zu verreisen. Da stimmte etwas nicht. "Habt ihr euch wieder vertragen?", blickte er seine Eltern hoffnungsvoll an. "Nun, das gerade nicht - noch nicht, jedenfalls", erklärte seine Mutter. "Aber wir arbeiten daran", ergänzte der Vater. Etwas enttäuscht und verlegen dämmte Hauke seine freudigen Erwartungen ein. "Wir wollten dich eigentlich ein Stück mitnehmen, aber sieh selbst, das geht leider nicht, weil sich da jemand auf dem Rücksitz breit gemacht hat. Tut uns leid, aber ...?", dabei zog er die hintere Wagentür auf und ließ seinen Sohn hineinschauen. Der war so erstaunt, dass er mit offenem Mund dastand und ungläubig vom Vater zur Mutter sah. "Sein" kleiner Hund lümmelte sich auf der Rückbank und als er Hauke sah, tapste er auf ihn zu, so dass er ihn auf den Arm nehmen konnte. Und für diesen kleinen Moment war er so glücklich wie noch nie zuvor.

Ende


zum 1. Oktober 2016


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