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KALENDERGESCHICHTEN/077: 05-2017 - Der kleine Dschinn - Hoffnung verfehlt ... (SB)


Der große Fuchs umrundet das riesige Fuchsbay - Buntstiftzeichnung © 2017 by Schattenblick

Waldarbeiter wollten den kleinen Dschinn, als er als Baum im Wald stand, fällen. Der alte Uhu hatte ihm das Leben gerettet, war aber nach all den merkwürdigen Ereignissen lieber davon geflogen, um sich eine neue Baumhöhle zu suchen. Nun war der kleine Dschinn, der in aller Hast die Gestalt eines Uhus angenommen hatte, wieder einmal ganz allein. Am Waldesrand beobachtete er eine kleine Waschbärfamilie und etwas entfernt davon einen prächtigen Fuchs.

"Der sieht aber toll aus", staunte der kleine Dschinn voller Bewunderung, "ja, jetzt bin ich mir ganz sicher, ich werde mich in ein Fuchsbaby verwandeln!" Er blieb noch eine Weile sitzen, um abzuwarten, ob vielleicht noch mehr Füchse auftauchten, große oder kleine. Aber das geschah nicht - leider -, denn immer noch fiel es dem kleinen Dschinn leichter, sich in ein Wesen zu verwandeln, wenn er es vor Augen hatte, aber ein Baby-Fuchs war nirgends zu sehen. Die alten Dschinn bewerkstelligten jede beliebige Gestaltwandlung nur mit ihrer Vorstellungskraft. Aber die kannten sich auf den vielen Welten auch viel besser aus. Also nahm der kleine Dschinn allen Mut zusammen und malte sich in Gedanken aus, wie wohl ein kleines Kind von so einem stattlichen Fuchs aussehen würde. Als seine Verwandlung beendet war, hätte er zu gern das Ergebnis begutachtet und sein Spiegelbild in einem See betrachtet. Doch hier gab es weit und breit keinen. Also wünschte er sich zu dem stolzen Fuchs hin, erschien direkt vor ihm und blickte in ein total verdutztes Gesicht.

"Nanu, wo kommst du denn so plötzlich her?", wollte der große Fuchs wissen. "Ich bin ein Fuchsbaby und möchte gerne bei dir bleiben - geht das?" - "Hmmm, ein Baby? So, so!" Der Fuchs legte seinen Kopf schief und dann umrundete er den kleinen Dschinn. "So, so, ein Baby?", wiederholte er und dann fing er laut zu lachen an.

"Warum machst du dich über mich lustig?", schnaubte der kleine Dschinn ärgerlich. "Du hast recht, du hast tatsächlich Ähnlichkeit mit einem Fuchsbaby, ja, ja, wohl wahr", prustete der Fuchs und schüttelte sich, gickerte und gluckste, "aber, du musst zugeben, dass du ein wenig zu groß geraten bist. Du überragst mich ja um Ohreslänge!"

Der kleine Dschinn blickte an sich hinunter, drehte sich um sich selbst, um irgendwie sein Hinterteil und seinen Schwanz sehen zu können - doch ohne Erfolg. Er sah den Fuchs an, der sich inzwischen wieder beruhigt hatte, stellte sich neben ihn und tatsächlich, er musste erkennen, dass er viel zu groß geraten war. "Oh je, ich sollte wohl noch mehr üben", dachte er bei sich. Zum Fuchs aber sagte er nichts über seinen Verwandlungsfehler. Stattdessen fragte er ihn noch einmal, ob er ihn begleiten dürfte. Diesmal blieb der mächtige Fuchs ernst und antwortete: "Du bist mir ein recht merkwürdiger Geselle. Du kannst dich mir anschließen, ich habe nichts dagegen, aber ich muss dich warnen, ich führe ein sehr gefährliches Leben, ja, ich möchte sagen, ein lebensgefährliches Leben!"

"Oh", staunte der kleine Dschinn und war sich gar nicht mehr so sicher, ob er dem Fuchs wirklich folgen wollte. Doch wieder einmal wurde er überrascht und zwar heftig.

Lautes Bellen, so vielstimmig und so böse, dass ihm Angst und Bange wurde, übertönte die lauschigen Waldgeräusche. Eine ganze Meute rennender Hunde hetzte geradewegs auf sie zu.

"Lauf!", brüllte der Fuchs ihm zu und rannte auch schon los. Der kleine Dschinn zögerte keine Sekunde und folgte ihm geschwind. Der mächtige Fuchs hastete tiefer und tiefer in den Wald hinein, flitzte um die Bäume herum, sprang über umliegende Stämme, erklomm eine kleine Anhöhe und stürmte auf einen Bach zu.

"Hinein mit dir, rein in den Bach!", rief er dem kleinen Dschinn zu und landete mit einem gewaltigen Satz im Nass, dass es nur so platschte. Flugs folgte der kleine Dschinn und das Wasser spritzte nur so an ihm hoch. Mit wenigen Sprüngen erreichten sie das andere Ufer und setzten ihren Lauf fort, bis sie an eine große Eiche gelangten. Dort machte der Fuchs völlig außer Atem halt. "Boaah, das ist gerade noch mal gut gegangen", japste er, "wir sollten uns nun rasch in meinem Bau verstecken, komm mit, er ist gleich hier hinter der Eiche."

Der kleine Dschinn pustete und hustete immer noch, trabte aber sogleich hinter dem Fuchs her. "Geh du zuerst hinein, ich passe hier draußen auf, dass uns auch wirklich keiner dieser Hunde folgen konnte."

Der Eingang zum Fuchsbau schien ziemlich eng zu sein und in der Tat musste der kleine Dschinn sich durch den schmalen Gang bis in die weite, große Erdhöhle zwängen. Er setzte sich erschöpft auf sein Hinterteil und wartete auf den Fuchs, der alsbald sehr elegant in seiner 'Wohnstube' landete. "Sei herzlich willkommen. Ich schlage vor, wir verschnaufen erst einmal und dann ..."

"Was war denn das, ich meine, was wollten die Hunde von uns? Warum waren sie so böse, wir haben ihnen doch gar nichts getan?", fiel ihm der kleine Dschinn ins Wort. "Das waren Jagdhunde. Ihre Aufgabe ist es, mich zu hetzen und in die Enge zu treiben, damit die Jäger mit töten können." - "Was? Warum? Das ist ja grauenhaft!"

"Tja, ich hab' dir ja gesagt, mein Leben ist sehr gefährlich!", seufzte der Fuchs, aber in seiner Stimme lag gleichwohl kein Bedauern, vielmehr ein wenig Stolz. Als er seinen Gast ansah, bemerkte er dessen Verwirrung. "Also, ich will es dir erklären. Die Menschen haben Spaß daran, auf ihren schnellen Pferden durch Wald und Wiesen zu preschen und ihre Hunde voraus zu schicken, damit sie mir auf die Spur kommen. Die Reiter folgen den Hunden und wenn sie Glück haben, erwischen sie mich. Das ist ihnen aber bisher noch nicht gelungen!"

"Du musst also immer wenn du deine Höhle verlässt, aufpassen, dass sie dich nicht kriegen?" wollte der kleine Dschinn wissen. "Genau so ist es. Aber zum Glück findet nicht jeden Tag eine Fuchsjagd statt", erklärte der Fuchs, und gerade als er das aussprach, trippelten drei kleine Füchse in die Fuchs-Wohnstube. Die waren so winzig, wie der kleine Dschinn es sich niemals vorgestellt hätte. Kein Wunder, dass der große, prächtige Fuchs ihn ausgelacht hatte. Ihm war gar nicht wohl zumute in seiner Haut, denn er bemerkte erst jetzt, da er die Kleinen beobachtete, dass seine Verwandlung reichlich schief gelaufen war. Außerdem schreckte ihn die Aussicht, von Hunden gejagt und vielleicht sogar getötet zu werden.

"Na, mein Freund, du kannst gerne bei mir bleiben und hier wohnen. In meinem Bau gibt es viele Gästehöhlen", lud ihn der Fuchs ein. Etwas kleinlaut lehnte der kleine Dschinn die freundliche Einladung ab. Er musste sich eingestehen, dass er hier in der Gestalt eines Riesenfuchsbabys nicht bleiben mochte - auch weil ihm dieses Leben doch ein wenig zu gefährlich schien. Auf Zureden des Fuchses blieb er aber über Nacht. In der Morgendämmerung wollte er sich dann auf den Weg machen. Wohin? Er wusste es nicht.

Weitere Abenteuer des kleinen Dschinn folgen ...


28. April 2017


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