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TIERE/082: Tiergenie und Lebenskunst - rabenklug (SB)


Bemerkenswerte Fähigkeiten und Fertigkeiten der Tiere

Teil 1: Rabenvögel



Bevor wir uns mit den besonderen Fähigkeiten von Raben befassen, wäre anfangs etwas ganz allgemein zu überlegen: Warum wundert sich der Mensch über die Intelligenz der Tiere? Es gibt unzählige Beispiele, die die verschiedenen Tiere als wahre Baumeister, als hervorragende Jäger oder als Werkzeugbenutzer und sogar als Hersteller derselben zeigen.

Tiere verfügen über weit weniger Gehirn, über keine technischen Kommunikationsmöglichkeiten, keine Schrift, keine Bücher, besitzen keine Archive und keinen Brockhaus, in dem sie nachschlagen könnten und Google ist ihnen schon gar nicht zugänglich. Aber sie bauen optimal klimatisierte Turmbauten, leben in Nutznieß-Verhältnissen mit anderen Tieren, erschaffen gesponnene Kunstwerke aus feinsten Fäden, flechten Nester aus Stöckchen und Gräsern, bauen mit Lehm und sind in der Lage, sich neue Futterquellen zu erobern, wenn sie den Menschen in die Städte folgen. Dabei sind sie durchaus erfinderisch. Sie 'klauen' in gut organisierten Gruppen Essbares aus Läden oder stürzen sich auf die zurückgelassenen Teller in Restaurants. Sie lernen. Für die Tiere selbst ist dies kein Anlass zum Wundern, vielmehr eine Frage des Überlebens.

An mehreren Beispielen zeigen wir die wirklich bemerkenswerten Fähigkeiten verschiedener Tiere. Der erste Teil ist den Raben und Krähen gewidmet. Sie bilden zusammen die Gattung CORVUS in der Familie der Rabenvögel (CORVIDAE).

Ein Kolkrabe, der größte unter den Rabenvögeln, sitzt auf einem Ast - Zeichnung: © 2014 by Schattenblick

Zeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der Rabe wird von den Menschen schon lange bewundert, geachtet, verehrt oder in jüngeren Zeiten auch gefürchtet. Ihm wurden viele verschiedene Eigenschaften nachgesagt.

In einer bekannten altnordischen Legende über den Gott Odin tauchen Raben als seine Begleiter auf. Der einäugige Gott war stets umgeben von zwei Wölfen und zwei Raben. Die beiden Vögel hießen Hugin und Munin. Um über die Geschehnisse auf der Welt Bescheid zu wissen, sandte Odin jeden Morgen die beiden Raben aus. Sie flogen übers Land und berichteten ihm später, was sich überall ereignet hatte. So war der Gott über alles im Bilde. Der Name Hugin bedeutet so viel wie "Gedanke" oder "Denken" und Munin steht für "das Gedächtnis", "die Erinnerung". Odin selbst wird "Rabengott" (Hrafnagud) genannt. Vielleicht wusste er, dass Raben ziemlich kluge Leute sind und nahm deshalb ihre Dienste in Anspruch.

In einer anderen Überlieferung ist der Rabe der Begleiter des keltischen Sonnen- bzw. Lichtgottes Lugh (Lugos). Er ist ebenso der Schutzgott der Magier, Krieger und Dichter. Auch dieser Gott wird von einem Raben begleitet. In anderen Kulturen wird der Rabe als Orakeltier angesehen. Erscheint einem der Rabe im Traum, so kann das als Weissagung aufgefasst werden.

Wieder andere sprachen dem Raben Weisheit zu. In indianischen Kulturen gilt der Rabe als schöpferischer Geist, einige sehen in ihm sogar den Schöpfer der Welt.

Alles in allem genoss der Rabe lange Zeit bei den Menschen hohes Ansehen und Respekt. Doch irgendwann hat der Rabe seinen guten Ruf verloren. Dass es mit dem sich ausbreitenden Christentum zusammenhängt und dem Glauben an Gott und Teufel, scheint eine mögliche These zu sein. Denn erst seit dem Glauben an den Teufel wird der Rabe als sein Begleiter angesehen, übrigens auch der Hexen. Manche fürchten sich vor ihm, weil sie annehmen, er sei ein Todesbote. Das mag daran liegen, weil er als Allesfresser auch Aas frisst. Auf den Schlachtfeldern blieben tote Krieger und Soldaten zurück. Kein Wunder, dass man die Raben dort sah. Hier fanden sie reichlich Nahrung. Mit Sicherheit haben aber nicht sie die Soldaten getötet. Doch Menschen bringen Raben gern mit dem Tod in Verbindung.

Das hat nun alles nichts mit dem Tier selbst zu tun, sondern mit den Gedanken und Ideen der Menschen. Unglücklicherweise besteht dieser Aberglaube bis heute in einigen Köpfen weiter. Bemerkenswert bleibt, dass der Rabe schon seit unglaublich langen Zeiten den Menschen stark beeindruckt hat.

Verhaltensforscher sind auf die Rabenvögel aufmerksam geworden. Mit moderner Technik, wie beispielsweise Miniatursendern und bester Aufzeichnungstechnologie von Bild und Ton, wird die Beobachtung der Tiere verbessert.

Rabenvögel gelten als besonders intelligent. Dazu zählen: Kolkraben, Saatkrähen, Aaskrähen, Nebelkrähen, Dohlen und auch die Elstern. Immer wieder versetzt der eine oder andere dieser Vögel die Forscher in Erstaunen. Ihre Fähigkeit zu Lernen ist beeindruckend. Der Rabe kann einzelne Menschen erkennen, sich bestimmte Personen merken und anderen Raben beispielsweise mitteilen, welcher Mensch eine Gefahr bedeutet. Sie benutzen Werkzeuge, die sie sich selbst herstellen. Sie sind auch in der Lage, zum Beispiel einen Stock als Hilfsmittel auszuwählen, um einen Leckerbissen zu angeln. Raben können kombinieren und in mehreren Schritten Probleme lösen, die dann zum Ziel führen.

Um die Fähigkeit der Werkzeugnutzung zu überprüfen, dachten sich Wissenschaftler einen Versuch aus. Sie wollten prüfen, wie Raben mit den darin enthaltenen Hindernissen fertig werden. In diesem speziellen Versuch waren Geradschnabelkrähen[1] die Kandidaten.


Beschreibung des Versuchs:

Auf einem Tisch befindet sich ein Kasten, der an der Vorderseite aus hölzernen Gitterstäben besteht. Dahinter liegt ein längeres Stöckchen, das der Vogel gerade eben nicht mit seinem Schnabel erreichen kann. Etwas entfernt davon wird an einem Band ein kürzeres Stöckchen angebracht - es hängt in einer Schlaufe von einem Ast herab. An der einen Tischecke schließlich befindet sich ein Glaskästchen. Dort drinnen liegt, weit von der Öffnung entfernt, ein Leckerbissen, den die Krähe gern ergattern möchte. Wie stellt sie das an?

Skizze einer Versuchsanordnung - Zeichnung: © 2014 by Schattenblick

Versuchsanordnung
Zeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der Vogel fliegt auf den Tisch, sieht sich um, betrachtet den Leckerbissen, erkennt, dass er ihn nicht erreichen kann, hüpft zu dem Kasten mit den Gitterstäben, versucht das lange Stöckchen herauszuziehen. Aber mit seinem Schnabel kann er es nicht erreichen. Dann fliegt er auf den Ast, schnappt sich aus der Schlaufe das kleinere Stöckchen, hüpft damit zu dem Kasten mit den Gitterstäben zurück. Nun kann er mit dem kleineren Stöcken das größere erreichen, rollt es dicht an die Stäbe heran, lässt den kleineren Stock fallen und ergreift das längere Stöckchen mit seinem Schnabel. Damit begibt er sich zu dem Glaskästchen, stochert mit dem Stöckchen nach dem Leckerbissen und schafft es schließlich ihn zu sich her zu bewegen. Mit einem Haps verschlingt er seine Belohnung. Die Wissenschaftler sind davon begeistert, was die Krähe alles so kann.

Für den Vogel ist das alles wahrscheinlich nur eine umständliche Art an Futter zu gelangen - aber wenn es nicht einfacher geht ... Es bleibt für ihn schlicht eine Frage des Überlebens, ob ihm etwas einfällt, wie er Probleme lösen kann.


In einem anderen Versuch wollen die Wissenschaftler wissen, ob der Rabe Symbole erkennen kann. Sie stellen einen Bildschirm auf, einen TouchScreen. Dort tauchen gleichzeitig zwei Icons auf. Ganz einfache: ein Eimer, ein Telefon, ein Korb, ein Auto oder irgend so etwas in der Art. Die Wissenschaftler legen zwei Icons fest, bei denen es bei Berührung eine Belohnung gibt. Beispielsweise bei einem Korb und einem Auto. Es sind immer die selben. Also, wenn eines der beiden erscheinenden Icons beispielsweise einen Korb darstellt und der Rabe darauf pickt, erhält er eine Belohnung. Nun erscheinen viele verschiedene Icons - jeweils zu zweit - auf dem Schirm. Der Rabe tippt, sobald er die "richtigen" Icons erkennt, auf dieses Bild und erhält eine Belohnung. Er hat sich diese beiden Zeichen ziemlich schnell gemerkt. Um diese Aufgabe zu lösen, brauchte er nicht sehr lange, ungefähr genau so lange, wie ein Kleinkind. Auch deshalb bezeichnen die Forscher den Raben als sehr intelligentes Tier.

Sich Dinge zu merken und Probleme schrittweise zu lösen, sich Werkzeuge zu beschaffen oder selbst welche herzustellen, sind wichtige Fähigkeiten im Überlebenskampf dieser Vögel. Sie können noch viel mehr.

Raben lieben Walnüsse. Um sie zu knacken, lassen sie sie aus der Luft in exakt der richtigen Höhe auf eine Straße oder Steine hinab fallen, damit die Nuss aufplatzt, aber nicht ganz zertrümmert. Dann stürzen sie hinab, ergreifen die Nuss und fliegen davon - je nach Verkehrslage. Es ist sogar beobachtet worden, dass sie mit dem Fallenlassen der Nuss warten, bis die Ampel auf "Rot" steht, damit ausgeschlossen wird, dass ihre Mahlzeit von einem Auto überfahren wird.

Raben krächzen nicht nur. Sie unterhalten sich in einer allgemeinen Rabensprache. Zudem hat aber jede Rabenfamilie noch ihren eigenen Dialekt. Er klingt melodiöser und erinnert überhaupt nicht an einen Rabengesang.

Rabenkinder bleiben bis zu 5 Jahren bei ihren Eltern, also in der Familie. In dieser Zeit wird ihnen alles beigebracht, was sie zum Überleben brauchen. Auch all das, was die Eltern schon hinzu gelernt haben. Raben führen ein sehr inniges Familienleben. Sie spielen gerne. Beim Spielen erproben sie ihre Flugkünste und überhaupt ihre Fertigkeiten. Im Wasser plantschen, sich verfolgen, Essen verstecken oder dem anderen abluchsen, im Abfall der Menschen wühlen und die dabei entdeckten Teile untersuchen - neugierig sind sie mit all dem beschäftigt.

Raben sind einfach tolle Tiere. Vor ewigen Zeiten haben Menschen (und Götter) das wohl erkannt und sind diesem Tier mit Achtung begegnet. Eine solche Achtung sollte nicht nur jenen Tieren zugesprochen werden, die der Mensch für intelligent hält. Sie sollte jedem Lebewesen entgegen gebracht werden. [2]



Fußnoten:

[1] Geradschnabelkrähen gehören zur Familie der Rabenvögel. Sie leben in Neu Kaledonien und Loyality Island, am liebsten im Dschungel.

[2] Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

"Rabenvögel - Gaukler der Lüfte"
Dokumentation, Deutschland, 2009
Film von Heribert Schöller
45 Min.

"Raben - unterschätzte Genies"
Dokumentation, Kanada, 2009
Film von Susan Fleming
55 Min.



4. März 2014