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WISSENSDURST/059: Schaden oder Schaden ... (SB)


Ben und Stefan - Buntstiftzeichnung: © by Schattenblick

Grafik: © by Schattenblick


Stefan und Ben schlendern nach der Schule durch den Stadtpark, um zu Ben zu gehen. Dort wollen sie gemeinsam ihre Chemiehausaufgaben bewältigen. Aber es gibt immer wieder Dinge, die sie viel mehr interessieren.

Ben: "Ich hab gestern mit ein paar Leuten in der Fußgängerzone gesprochen, ich glaube sie gehörten zu Fridays for Future oder Letzte Generation, ich habe nicht so drauf geachtet. Wie ich sie verstanden habe, denken sie, dass die alternativen Energiequellen die Lösung für die Versorgungsprobleme und die Klimarettung sind. Sie sind sogar für die Nutzung von E-Autos und überhaupt für alles was fährt, sich bewegt und mit Batterie beziehungsweise Akku betrieben werden kann."

Stefan: "Oje, gut dass ich nicht dabei war, du weißt, dass ich beim Thema Elektromobilität an die Decke gehen könnte, aber erzähl mal weiter."

Ben: "Sie sind mit ihren Argumenten was die Energieversorgung angeht auf ähnlichem Kurs wie die Bundesregierung in Richtung der Förderung alternativer Energiequellen, wie Windkraft, Photovoltaik, Biokraftwerke und vorrangig die Wasserstofftechnologie. Doch um den entsprechenden Ausbau zu ermöglichen, wird weiterhin fossile Energie, vorzugsweise Gas, benötigt. Dieses Gas soll in Form von verflüssigtem Gas (LNG=Liquefied Natural Gas) per Schiff aus anderen Ländern zu uns nach Deutschland gebracht werden."

Stefan: "Also weißt du Ben, was mir bei dem verflüssigten Erdgas sofort einfällt?"

Ben: "Ich denke schon, denn manchmal ist der Chemieunterricht doch zu etwas zu gebrauchen. Gas hat ein großes Volumen und wenn das zusammengepresst (komprimiert) wird, damit es aus dem gasförmigen in den flüssigen Aggregatzustand wechselt, dann erfordert das einen hohen Druck ?"

Stefan: "Genau, und der wird mit Kompressoren erzeugt und mit Strom betrieben. Aber Ben, ich denke wir sollten uns einmal um die LNG-Schiffe und die LNG-Terminals kümmern. Ich habe zufällig mit meiner Mutter einen Bericht über die 'Höegh Esperanza' im Fernsehen gesehen."

Ben: "Wer oder was ist das?"

Stefan: "Das ist das erste LNG-Schiff, das Deutschland gechartert hat und das dann in Wilhelmshaven an dem neuen LNG-Terminal anlegen soll, um das Gas abzuliefern."

Ben: "Das hört sich erst mal ganz einfach und normal an, aber wie ich dich kenne, gibt es da einen Haken."

Stefan: "Genau. Dieses Schiff wurde von Australien geliefert, weil es dort aus Umweltschutzgründen nicht zugelassen wurde. Es gibt nämlich ein Problem mit der Reinigung der Rohrleitungen. Sie werden mit Chlor und Meerwasser durchgespült, das danach wieder ins Meer geleitet wird."

Ben: "Und warum wird das gemacht?"

Stefan: "Bei Chlor handelt es sich um ein sogenanntes Biozid, also einen Stoff, der lebende Organismen wie beispielsweise Seepocken und Muscheln vernichtet. Die setzen sich nämlich gern an den Rohren ab."

Ben: "Halt mal kurz, an welchen Rohren?"

Stefan: "Entschuldige, das ist natürlich etwas zu kurz erklärt. Also die LNG-Schiffe, wie auch die Höegh Esperanza, transportieren das Erdgas in verflüssigter Form in großen Tanks auf ihrem Deck. Damit es flüssig wird und bleibt, muss es eine konstante Temperatur von -162 °C behalten. Doch wenn es bei dem LNG-Terminal angekommen ist, muss das verflüssigte Gas wieder in den gasförmigen Zustand zurückgeführt werden. Das nennt man Regasifizierung. Um das zu erreichen, werden die Mengen verflüssigten Gases in einer speziellen Rohr- und Lamellenanordnung mit Nordseewasser erwärmt. Dieses Wasser ist mit Chlor angereichert, damit sich in dem Rohrsystem (den Regasifizierungsanlagen) eben keine Organismen festsetzen können. Danach wird dieses Wasser, das nicht nur Chlor enthält, sondern auch noch 7°C kälter ist als zuvor, wieder in die Nordsee gespült."

Ben: "Das hört sich gar nicht gut an, das Chlor wirkt doch dann auch auf Fische, Algen, Seetang, Krabben und Krebse."

Stefan: "Ganz genau. Außerdem werden neben dem Chlor auch noch weitere chemische Stoffe verwendet, unter anderem auch Bromverbindungen. Brom gilt als ein Nervengift. Ich denke, selbst wenn es sich nur um geringe Mengen handeln sollte, erhöht sich die Konzentration ja mit jeder weiteren Anlieferung von verflüssigtem Gas und dem folgenden Regasifizerungsverfahren. Ich bin sicher, dass das die Lebewesen im Meer schädigen wird."

Ben: "Und letztlich doch auch uns, wenn wir die Fische aus dem Meer essen, oder? Aber wie kann das angehen? Dieses Schiff dürfte doch auch bei uns überhaupt nicht zugelassen werden! Schließlich ist das Wattenmeer ein Naturschutzgebiet und sogar ein Weltkulturerbe, das mit dem giftigen Abwasser verschmutzt wird."

Stefan: "Das habe ich erst auch nicht verstanden, aber später in der Dokumentation kam dann die Erklärung. Die Bundesregierung hat ein LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) erlassen, sozusagen als Ausnahmeregelung für die schnelle Errichtung der LNG-Terminals. Das bedeutet, dass die eigentlich notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung wegfällt."

Ben: "Das heißt im Klartext, es können die größten Umweltverschmutzungen einfach durch dieses neue Gesetz zugelassen werden? Es gibt keine Beschränkungen?"

Stefan: "Jedenfalls habe ich das so verstanden. Ben, ich könnte vor Wut platzen, ich habe doch tatsächlich einmal geglaubt, dass die Grünen sich um Umweltbelange kümmern würden."

Ben: "Tja, was soll man dazu sagen ??"

Stefan: "Zum Glück gibt es viele Umweltorganisationen, so auch die Deutsche Umwelthilfe, die darauf aufmerksam machen und dagegen vorgehen wollen."

Ben: "Komm Stefan, lass uns nun von den unerfreulichen Informationen zu den unangenehmen Dingen des Schulalltags wechseln und uns an die Chemie-Aufgaben machen!"


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/LNG-Terminal-Umwelthilfe-fordert-Verzicht-auf-Chlor,lng406.html

https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/LNG-Terminal-in-Wilhelmshaven-Gefahr-fuer-das-Wattenmeer,lng380.html

https://www.stern.de/politik/deutschland/lng-terminalschiffin-wilhelmshaven-droht-ein-chemieunfall--32855370.html

https://www.fluessiggas1.de/lng-regasifizierungsanlage-lng-in-gas-umwandeln/


8. Dezember 2022

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 178 vom 24. Dezember 2022


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