Schattenblick →INFOPOOL →KUNST → FAKTEN

BERICHT/141: Situation Kunst - Objekte aus dem Gebiet des heutigen Nigeria (RUBENS)


RUBENS 16. Jahrgang, Nr. 133 vom 1. Mai 2009 Nachrichten Berichte und Meinungen aus der Ruhr-Universität Bochum

Situation Kunst
Ein paar Kratzer abbekommen

Von Agnes Kwoka-Sprenger


Das im September 2006 eröffnete Erweiterungsgebäude von Situation Kunst beherbergt nicht nur bedeutende Werke der Gegenwartskunst. Präsentiert werden auch Objekte aus dem Gebiet des heutigen Nigeria. Die in atmosphärischer Beleuchtung präsentierten Plastiken geben exemplarisch einen Eindruck von der künstlerischen Vielfalt Westafrikas in den vergangenen 2.500 Jahren. RUBENS stellt diesmal den Kopf einer Königin aus Nigeria vor.

Drei der hier versammelten Werke stammen aus der Ife-Kultur, die nach der Stadt Ile-Ife benannt ist. Gegründet wurde die Stadt dem Mythos nach von 16 Untergöttern, die der Schöpfergott Olúdumàrè sandte, um eine Welt zu schaffen und Leben zu stiften. Zunächst schickte Olúdumàrè seinen Sohn Obàtálá. Nachdem dieser sich aber mit Palmwein betrank, nahm sein Bruder Odùduwà die Schöpfungsinstrumente in die Hand und schuf trockene Erde. Ein mitgebrachter Hahn zerkratzte sie und weitete dadurch das Land aus. Rudimente des Mythos erscheinen im Namen Ile-Ife wieder, denn Ile wird mit "Haus/Ort" übersetzt und Ife mit "Zerkratzen".

Das Zerkratzen der Haut spielt in den Ritualen und Traditionen der Ife-Kultur und in anderen Kulturen der Region Westafrika bis heute eine große Rolle. Schmucknarben (Skarifizierungen) symbolisieren beispielsweise die kulturelle Zuordnung oder die Initiation zum heiratsfähigen Alter. So zeigen auch viele der Plastiken, die die Träger der Ife-Kultur bereits im 14. Jahrhundert fertigten, solche ornamentalen Ritzlinien.


Ausschließlich Unikate

Auch das Gesicht der Ife-Königin aus Situation Kunst ist mit symmetrischen, vertikal verlaufenden, fein geritzten Linien überzogen. Die imposante Kopfbedeckung ist aus fünf aufeinander sitzenden Ringen mit einem geflochtenen Mittelstück gefertigt. Ein ornamentiertes Band bildet auf der Stirn den Untergrund für den aufwendig hergestellten Kopfschmuck. Die Verzierungen in Form von vertikalen Linien über den Gesichtern und horizontalen Ringen um den Hals erscheinen bei Plastiken der Ife-Kultur ähnlich, ja nahezu normiert. Im Gegensatz dazu stehen die individuellen Gesichtszüge, die den Figuren einen einmaligen Ausdruck verleihen, so dass man davon ausgehen kann, dass es sich hier um Darstellungen realer Menschen handelt.

Die hier besprochene Kopf-Plastik besteht aus einer Legierung des Buntmetalls Kupfer mit Zink, Zinn und Blei, die als Messing eingestuft werden kann. Die Herstellungstechnik - das sog. Wachsausschmelzverfahren - erfordert handwerkliches Geschick und vor allem ein fundiertes Wissen über die Beschaffenheit von Materialien. Mit dem Verfahren lassen sich nur Unikate herstellen, denn die Gussformen müssen zerstört werden, um die Figuren von ihnen zu lösen. Ein Großteil der Kunst der Ife-Kultur stammt vermutlich aus Werkstätten, die für den königlichen Hof gearbeitet haben. Die individuellen Züge der einzelnen Figuren lassen es naheliegend erscheinen, sie mit den Herrschern, Würdenträgern oder deren Angehörigen zu identifizieren.


Spiegelbild der Gesellschaft

Entscheidend für die Identifikation als Herrscher ist auch die Kopfbedeckung. Die Königin in Situation Kunst ist in dieser Hinsicht auffällig. Sie ist die einzige der hier gezeigten Ife-Figuren, die tatsächlich eine solche "Krone" trägt, was nicht zuletzt der Grund für die Bezeichnung "Königin" ist. Andere Kopf-Plastiken aus der Ife-Kultur haben z. B. Löcher entlang des Haaransatzes, die die Möglichkeit bieten, bei einer vermuteten rituellen Verwendung einen Kopfschmuck aufzusetzen. Häufig finden sich auch Löcher am Hals, die es wahrscheinlich ermöglichten, den Kopf auf einem Körper aus Holz zu befestigen, so dass dieser Teil einer Ganzkörperfigur war.

Die Voraussetzung für die Ausbildung einer Kunstfertigkeit, wie wir sie bei dem hier beschriebenem Kopf sehen, bildet eine organisierte, hierarchische Gesellschaft, die für das 10. bis 15. Jahrhundert in Nigeria allerdings nicht durch schriftliche Quellen, sondern lediglich durch überlieferte Objekte belegt werden kann. Deren Authentizität lässt sich neben stilistischen Zuschreibungen z. B. auch mit modernen naturwissenschaftlichen Verfahren wie Thermolumineszenz oder metallurgischen Analysen nachweisen.


Info: Situation Kunst im Schlosspark Weitmar
Nevelstraße 29 c-d, Bochum
geöffnet Mi+Fr 14-18 h, Sa+So 12-18 h

Zurzeit läuft dort die Ausstellungsreihe "Positionen moderner Fotografie",
in der bis August nacheinander Exponate vier bedeutender Fotografen gezeigt werden:
http://www.situation-kunst.de


*


Quelle:
RUBENS 16. Jahrgang, Nr. 133 vom 1. Mai 2009, S. 4
Herausgeber: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
Tel: 0234/32-23999, -22830, Fax: 0234/32-14136
Internet: www.rub.de/rubens
E-Mail: rubens@presse.rub.de
ISSN 1437-4749


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009