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BERICHT/142: Im Spannungsfeld zwischen Kunst und Wissenschaft (mundo - Universität Dortmund)


mundo - Das Magazin der Universität Dortmund Nr. 10/09

Im Spannungsfeld zwischen Kunst und Wissenschaft

Bettina van Haaren über Forschung in der Bildenden Kunst


Das Atelier ist seit über 25 Jahren ihr Forschungsort - hier ordnet und verdichtet Bettina van Haaren ihre Welt auf großformatigen Leinwänden. Ein ausgestopfter Pferdekopf kommt dabei genauso zur Anwendung wie Gegenstände des täglichen Lebens oder Zeichnungen, die sie von ihren Reisen mitbringt. Die gebürtige Krefelderin hat Bildende Kunst an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz studiert. Seit dem Jahr 2000 ist sie Professorin für Zeichnung und Druckgraphik an der TU Dortmund. Die erfolgreiche Künstlerin kann auf über 60 Einzelausstellungen und über 100 Beteiligungen an Ausstellungen zurückschauen. Die Erfahrungen, die sie im Laufe ihrer Entwicklung gemacht hat, bestimmen ganz wesentlich ihre Lehre. Regelmäßig organisiert sie Kunstschauen, mit ihren Studierenden, die von Publikationen begleitet werden. Im Jahr 2008 beteiligte sie sich an der Veranstaltung »Neubewerten von Vorhandenem«, die Lehrende aus den Bereichen Musik, Kunst, Raumplanung, Maschinenbau, Physik und Wirtschaftswissenschaft in einem Kaleidoskop der Forschung zusammenführte. Auch in diesem Jahr wird Bettina van Haaren wieder mit Wissenschaftlern zusammenkommen, um ihr Fach zu repräsentieren und den besonderen Forschungsbegriff der Bildenden Kunst zu kommunizieren. Über Meinungen, Urteile und Vorurteile rund um das Spannungsfeld zwischen Kunst und Wissenschaft äußert sich Bettina van Haaren.


mundo: Forschen Künstlerinnen und Künstler auch?

van Haaren: Ja! Denn auch in der Kunst geht es entschieden um Erkenntnisinteresse. Ich persönlich empfinde es als ein Privileg, ganz unabhängig vom Markt zu arbeiten. Forschung ist bei mir prozesshaft und suchend. Ich folge eigenen Zielen in völliger Zweckfreiheit. Forschung heißt für mich, jedes Mal eine Form zu finden für das Neue, das noch nicht Dagewesene. Oft wirkt diese Direktheit und Unverstelltheit der Inhalte provokativ. Das endgültige Ergebnis ist dann eine Möglichkeitsform, eine Wahrheit, vorgetragen mit Präzision und hoher Intensität. Diese subjektive Weltsicht kann man natürlich nicht "überprüfen", sie hat aber eine innere, stringente Logik.

mundo: In den klassischen Wissenschaften ist der Ansatz, Forschung objektiv zu prüfen, enorm wichtig. Wenn sich Ihre Kunst nicht in dieser Form messen lässt, welche Kriterien gibt es dann?

van Haaren: Die Parameter einer künstlerischen Forschung sind andere als die einer wissenschaftlichen. Erfolg ist festzumachen an Publikationen, Ausstellungen in renommierten Museen, Kunstvereinen und Städtischen Galerien, Preisen und Stipendien. Genauso wichtig ist es, gute Autoren zu gewinnen, die über das Werk schreiben, so dass eine Bibliographie entsteht. So liegen bei mir inzwischen 14 Einzelkataloge vor. Daneben ist es ein Kriterium, in öffentlichen Sammlungen vertreten zu sein. Einige meiner Drucke hat gerade die »Staatliche Graphische Sammlung« in München angekauft. Auch etwa das »Ostwallmuseum« in Dortmund, das »Kunstmuseum« in Düsseldorf, das »Saarlandmuseum« in Saarbrücken oder das »Gutenbergmuseum« in Mainz besitzen Arbeiten. Die treibende Kraft bei der Arbeit ist jedoch nicht die äußere Anerkennung. Die Suche nach dem gültigen Ergebnis, sie bestimmt das tägliche Tun.

mundo: Glauben Sie, dass Ihr Werk auch ohne diesen Hintergrund anerkannt und verstanden wird?

van Haaren: Ich erfahre eine Menge Respekt, vor allem in Kunstkreisen. Darüber hinaus gelingt es neugierigen Menschen, die sich ernsthaft auf meine Arbeit einlassen, zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Sie begreifen, dass die Setzungen von Formen und Inhalten nicht beliebig sind. Vielleicht verschiebt sich in ihnen die Bewusstheit über den eigenen Körper, und die Wahrnehmung ihrer Umwelt wird aufmerksamer. Allerdings neigen einige Menschen dazu, in Bezug auf Kunst voreilig Kommentare abzugeben. In der Wissenschaft dagegen verbietet dies der Respekt. Die Urteile sind oft sehr radikal und direkt, ohne dass begriffen wird, wie viel Lebenszeit in einer Arbeit steckt.

mundo: Ein Physiker braucht seine Messgeräte, um Forschung zu betreiben. Wie gehen Sie in Ihrem Erkenntnisprozess vor? Gibt es Dinge, die für ihre Forschung unerlässlich sind?

van Haaren: Das Zentrum meiner Bilder ist die menschliche Figur. Es sind Selbstbilder, weil ich über mich und meine Körpererfahrungen am meisten sagen kann. Ich erkunde mich schonungslos offen, dinghaft-distanziert, fragmentiert. Dies geschieht aus einem Zweifel am Idealen, aus fehlender Identität mit dem Körper, aus einem Gefühl des Un-Heilen. Raum schaffe ich über Dinge, die kompositorisch mit der Figur verknüpft werden. Diese formalen Übersprünge ergeben gedankliche Verschiebungen und neue Bedeutungen von Figur und Ding. In diesen Systemen findet sich meine Weltsicht. Sie haben mich nach meinen Notwendigkeiten gefragt: es ist die Präsenz all dieser Bildobjekte. Ich muss mich selbst und alle Dinge direkt erschauen, mich an ihnen reiben. Dazu nutze ich sehr viele Requisiten. Fotos würden mir die Oberflächenqualitäten nicht genügend erklären. Forschung bedeutet für mich deshalb auch, die notwendigen Gegenstände zu beschaffen, wie beispielsweise eine menschliche Lunge aus der Anatomie der Ruhruniversität Bochum. Die brauchte ich unbedingt für eine Arbeit.

mundo: Welchen Einfluss haben diese Erfahrungen auf Ihre Lehrtätigkeit?

van Haaren: Ich empfinde die Forschung als essenziell für die Lehre. Der Zweifel an der eigenen Arbeit wirkt einer Gefahr der Erstarrung der Lehre entgegen. Ich glaube, dass ich nur dann, wenn ich die Maßstäbe und Anliegen meiner eigenen Arbeit in die Lehre einbringe, wirklich engagiert und somit überzeugend sein kann. Ich biete nicht nur Identifikations-, sondern auch Reibungsfläche. Allerdings sollen sich die Studierenden nicht an meiner Position orientieren. In den vielen Einzelgesprächen gebe ich eher Auskunft über Suchprozesse.

mundo: Den Forschungsprozess kommunizieren Sie nicht nur in Ihren Seminaren. Im Jahr 2008 haben Sie an der Veranstaltung »Neubewerten von Vorhandenem« teilgenommen, auf der Hochschullehrende ein Kaleidoskop der Forschung an der TU dargeboten haben. Konnten Sie Ihren besonderen künstlerischen Ansatz dort vermittelt?

van Haaren: Da ist sicher bei einigen Irritation und Befremden entstanden, weil meine Bilder nicht an der idealen, klassischen Schönheit haften, meine Ergebnisse nicht dekorieren, sondern den Betrachter auffordern, sich der Realität zu stellen. Es fällt vielen schwer, dorthin zu sehen, wo ich hinsehe, und da entsteht keine Heiterkeit. Bei der Veranstaltung habe ich fünf große Leinwände ausgestellt. Die Sinnlichkeit und handwerkliche Qualität haben dann tatsächlich den einen oder anderen überzeugt.

mundo: In diesem Jahr findet die Veranstaltung zum Thema »Für eine Stunde nach Kyoto« statt. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Notwendigkeit des Reisens im digitalen Zeitalter. Welche Rolle nimmt das Reisen in Ihrer Arbeit ein?

van Haaren: Ich bin ständig auf der Suche nach Objekten. Das gelingt mir wunderbar auf Reisen, indem ich dort die Umgebung intensiv wahrnehme. Es entstehen sehr viele Zeichnungen, die dann die Ideengeber für meine Arbeit im Atelier sind. In diesen Zeichnungen arbeite ich mit dem Vorgefundenen. Zuletzt hat mich eine gigantische Pool-Landschaft zu Rhythmen bewegt, die ich in Figuren überführt habe. Gleichzeitig ist das Reisen wichtig, um sehr viel zeitgenössische und klassische Kunst im Original zu sehen. Außerdem brauche ich die Gespräche mit Künstlerkollegen und -kolleginnen in ihren Ateliers. Eine weitere Notwendigkeit des Reisens ist das neugierige Aufnehmen von gebauter Umwelt. Seit über 20 Jahren verbringe ich im Sommer einige Wochen in südlichen Städten, um Gebäude und Orts-Möblierung fragmenthaft in zeichnerische Strukturen zu überführen.

mundo: Was erwarten Sie sich vom Austausch mit den anderen Wissenschaftlern?

van Haaren: Ich finde es sehr wichtig, dass die Kunst anderen Wissenschaftlern als spezifische Form der Erkenntnis bewusst wird und damit auch Gemeinsamkeiten mit dem wissenschaftlichen Forschen aufgezeigt werden. Natürlich bin ich sehr neugierig auf die Notwendigkeit des Reisens in anderen Disziplinen. So habe ich mir erzählen lassen, dass es im Maschinenbau notwendig ist, eine Versuchsanordnung nicht nur gefilmt zu erleben, sondern auch unmittelbar und sinnlich. Solch ein Vorgehen ist mir als Künstlerin sehr nahe.

Interview: Theresa Krupp


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Quelle:
mundo - das Magazin der Universität Dortmund, Nr. 10/09, Seite 57-59
Herausgeber: Referat für Öffentlichkeitsarbeit
Universität Dortmund, 44221 Dortmund
Redaktion: Angelika Willers (Chefredakteurin)
E-Mail: redaktion.mundo@uni-dortmund.de
mundo erscheint zwei Mal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2009