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BERICHT/145: Interview mit Kurator Dr. Konrad Scheurmann (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 16 vom 13. Oktober 2009

Man darf die Leute nicht unterfordern
Ein Interview mit dem Kurator Dr. Konrad Scheurmann

Von Martin Morgenstern


Am 23. Oktober öffnet die neue Ausstellung »color continuo - System und Kunst der Farbe« der Universitätssammlungen Kunst + Technik.


UJ: Konrad Scheurmann, Sie sind Kunsthistoriker, haben Kunstgeschichte, Archäologie und mittelalterliche Geschichte studiert. Wollten Sie schon immer Kurator werden?

DR. KONRAD SCHEURMANN: Das war eher das Ergebnis eines verschlungenen Weges, der über Jura, Geschichte, aber auch politische Wissenschaften ging. Während des Studiums habe ich immer auch in andere Fächer hineingehört, wie z.B. auch forensische Medizin oder Kriminologie. Beruflich habe ich meist den Spagat zwischen historischen und ganz aktuellen Bereichen der Kunst gesucht, das meint, aus der Begegnung dieser Pole Gewinn für die Arbeit gezogen.

UJ: Wenn Sie mit Ihrer heutigen Erfahrung noch einmal studieren müssten ...

DR. KONRAD SCHEURMANN: ... würde ich wieder Kunstgeschichte wählen; aber ausdrücklich kombiniert mit Naturwissenschaft. Alles, was z.B. mit Gentechnologie, Hirnforschung, Astronomie und Weltraumforschung zu tun hat, verfolge ich interessiert. Und daraus haben sich dann immer Überschneidungen und Grenzwanderungen für meine praktische Arbeit ergeben.

UJ: In ihrer letzten großen Ausstellung im thüringischen Ilmenau, in der es auch um Farbe ging, kommt Johann Wolfgang Goethe überraschend gut weg, meine ich. Aus naturwissenschaftlicher Sicht waren seine Theorien, etwa die, dass sich Farben aus Anteilen von Licht und Finsternis ergeben, nicht gerade »das Gelbe vom Ei«, oder?

DR. KONRAD SCHEURMANN: Ich glaube, diese Bewertung Goethes ist immer auch eine Zeitfrage, von welcher Epoche aus wird er betrachtet. Goethe ist ein genialer Mensch gewesen, in manchem ein Visionär. Er war aber auch jemand, der an einer Zeitenschwelle stand, in der die Spezialisierung der Wissenschaften immer stärker zunahm. Er hat daran mitgearbeitet, aber selber noch ein universales Weltverständnis gepflegt. Was er uns heute voraus hat, ist: in seiner Art, Dinge zu erforschen und zu beschreiben, ging er dezidiert von der Anschauung aus. Er beschrieb genau das, was er sah, und nicht das, was er zu wissen glaubte oder zu erfahren hoffte. Seine Farbenlehre - sie ist immer wieder umstritten gewesen, schon zu seinen Lebzeiten. Auf der anderen Seite hat er in seinen naturwissenschaftlichen Versuchen, und gerade denen, die sich mit Newton kritisch auseinandersetzen, viele Phänomene entdeckt, die Newton nicht gesehen hat. Insofern ist er jemand, auf den man sich, mit Blick auf die Farbe, immer auch beruft, oder den man zumindest in die Diskussion einbezieht. So auch in der Biologie (Forschung am Mittelkieferknochen, Urpflanze), in der Klimaforschung (Wolken- und Wetterstudien), auf dem Gebiet der Elektrizität und vieles mehr. Zu all dem hat er Sammlungen angelegt. Aus denen schöpfen wir heute, auch für diese Ausstellung.

UJ: Womit würde sich Goethe heute beschäftigen?

DR. KONRAD SCHEURMANN: Sicherlich mit Klimaforschung, vielleicht mit Nanotechnologie. Auf jeden Fall stünde er mit den führenden Wissenschaftlern in Kontakt. Sicherlich, Goethe ist in manchem umstritten, manche seiner Erkenntnisse sind heute als falsch oder überholt zu bezeichnen - aber die Wissenschaft hat sich ihm zunehmend wieder angenähert. Und was die Farbe betrifft: besonders in den Bereichen, wo es um das Psychologische der Farben geht, da hat er Wegweisendes geleistet. Ob die Farbenlehre nun wichtiger ist als seine Dramen, wie er selbst meinte - darüber könnte man diskutieren ...

UJ: Mit ihm teilen Sie jedenfalls die Universalität, die Breite der Interessen, oder?

DR. KONRAD SCHEURMANN: Ich will mich mit dem alten Herrn Geheimrat nicht vergleichen. Ich habe aber im Rahmen meiner Tätigkeit als Ausstellungsmacher und als Leiter des Arbeitskreises selbständiger Kulturinstitute das interdisziplinäre Betrachten von Dingen sehr schätzen gelernt. Ich würde heute nie eine Ausstellung z.B. von Picasso-Gemälden machen, ohne immer auch die Kontexte zu zeigen - weil man die Kunst und den Künstler erst dann versteht.

UJ: Verständnis ist ein gutes Stichwort. Ich bin ja ein großer Befürworter der »leichten Überforderung« des Lesers oder Hörers; man kann ja ruhig mal ein Wort nachschlagen, wenn es nicht gleich präsent ist. Aber Sie fordern ihr Publikum schon sehr. Der letzte Ausstellungskatalog: die ersten drei Sätze haben 150 Wörter. Muss das sein?

DR. KONRAD SCHEURMANN: Man hört ja oft: »Die Leute lesen nicht mehr«, also fasse dich kürzer - das finde ich Quatsch. Man merkt ja, wie lange die Besucher etwa vor Erklärungstafeln einer Ausstellung stehen. Man muss ihnen auch den Kontext liefern und darf sie nicht unterfordern, man muss sie ernst nehmen! Wie entsteht eigentlich eine künstlerische Perspektive, wie arbeitet jener Künstler mit Farben? Erst durch geeignete Informationen entsteht eigentlich eine stimmige Ausstellung. Und die Besucher in Ilmenau haben jedenfalls so reagiert, dass keiner unter zwei Stunden in der Ausstellung gewesen ist. Sie haben sich mit wirklich schwierigen Dingen befasst. Es war jeder auf seine Weise angesprochen. Das wollen wir hier in Dresden auch anbieten: durch ein Netzwerk in der TUD mit anderen Instituten, und über die Stadt verbreitet, mit Partnern, die ihren Blickwinkel auf die Farbe zeigen.

UJ: Dresden wird also ein halbes Jahr lang richtig farbig. Müssen Sie bei der Verwirklichung Ihrer Vorstellungen auf finanzielle Grenzen Rücksicht nehmen?

DR. KONRAD SCHEURMANN: Man muss das immer im Auge behalten. Ich würde gerne manche Dinge ausstellen, von denen ich weiß, dass der Transport allein schon zu teuer ist - das kann ich dann nicht machen. Vielleicht später einmal, mit einem anderen Partner? Man kann, man sollte eine Universität nicht überfordern.

UJ: Sie leben zwischen Bonn und Dresden, pendeln also ständig durch die ganze Republik?

DR. KONRAD SCHEURMANN: Das ist für mich seit zehn Jahren das übliche Leben, ja. Ich habe u.a. 2004 die zweite Thüringer Landesausstellung gemacht: »Neu entdeckt - Thüringen, Land der Residenzen«. Sie ist auch ein bisschen mit daran schuld, dass ich mich mit dem Thema Farbe befasse. Vorher, in meiner Bonner Zeit, habe ich das Goethe-Museum in Rom mit aufgebaut. Da kommt man zwangsläufig zur Farbe ...

UJ: Ihre Arbeitsweise wäre eigentlich im Goetheschen Sinne: sich seine eigene Systematik aufbauen und ihr folgen.

DR. KONRAD SCHEURMANN: In Kassel habe ich zehn Jahre lang das documenta-Archiv geleitet. Da habe ich zum Beispiel die Meinung verfochten, dass moderne Kunst sich auch die Freiheit nehmen kann, Dinge zu wählen, die viele Besucher gar nicht als Materialien für Kunst akzeptiert haben. »Diese schreckliche moderne Kunst, die man nicht versteht ...« Die Besucher erst einmal da hinzuführen, dass es Begriffe wie hässlich oder schön nicht gibt - dass man genauer hinsehen muss, ohne Vorurteile im Kopf: das ist äußerst schwierig, aber lohnend. Und ich hab mich immer bemüht, das den Besuchern zu vermitteln.

UJ: Was kommt nach Dresden? Ziehen Sie weiter, verwirklichen Sie Ihre nächsten Träume?

DR. KONRAD SCHEURMANN: Bis April 2010 bin ich hier gebunden. Ich versuche auch, bei einem »Kompetenzzentrum Farbe« mitzuhelfen, dass die Universität gute Nachlässe hierher bekommt, sich Materialien für Lehre und Ausbildung stiften oder schenken lässt. Und dass man die Kompetenz, die in so einer Wissenschaftssammlung drinsteckt, auch aktualisiert, um nicht in die Gefahr zu geraten, im Historischen zu verharren.

UJ: Unlängst war der Direktorenposten der Gemäldegalerie »Alte Meister« ausgeschrieben - hätte Sie so etwas gereizt, wären Sie dafür vielleicht sogar sesshaft geworden?

DR. KONRAD SCHEURMANN: Unbedingt, aber Sie müssen wissen: da falle ich leider schon unter die »Altersdiskriminierung«. Nein, ich will lieber versuchen, ein anderes Projekt zu verwirklichen, das ich schon seit langem im Kopf habe: ein Ausstellungskonzept zur »Terra incognita«. Wir wissen so unendlich viel über die Welt, über den Kosmos und über den Menschen, bis hinein in sein Inneres. Wir glauben, zu wissen. Aber wir verlieren in dieser Fülle zunehmend auch die Orientierung, die Bodenhaftung. Es kommen andere Erfahrungswelten hinzu, das Web, der virtuelle Raum, die Simultaneität des Weltgeschehens. Wie gelingt es da, sich zu orientieren? Wie erfährt man die Welt und bildet sich Bilder von ihr? In diesen Fragen sind traumhafte Themen zu entdecken.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 20. Jg., Nr. 16 vom 13.10.2009, S. 12
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2009