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INTERNATIONAL/003: Das neue Kunstmuseum in Kapstadt - eine Herausforderung (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2018

Das neue Kunstmuseum in Kapstadt - eine Herausforderung

von Jürgen Langen


Das Zeitz MOCAA - Zeitz-Museum für Zeitgenössische Afrikanische Kunst wurde am 22. September 2017 in Kapstadt eröffnet, in dem Jahr, in dem weitere neue und prestigeträchtige Museen eröffnet wurden: Abu Dhabi, Boston, Potsdam, London, Washington D.C. Wie kaum anders zu erwarten, äußern sich dazu Befürworter und Kritiker.

Kapstadt ist zunächst eine Stadt der Eliten, die von meist nur oberflächlich interessierten Touristen stark frequentiert wird und auch zunehmende Kriminalität erfährt. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird an vielen Stellen deutlich sichtbar. Einerseits die Slums der Cape Flats, andererseits die Villen von Oranjezicht, Constantia, Llandudno und Bishopscourt.

Das neue Museum steht an der Waterfront, einer der schönsten und teuersten Einkaufszentren Afrikas mit Luxusgeschäften, Flagship-Stores der großen internationalen Marken, teuren Hotels und Restaurants. Für viele Südafrikaner dürfte es eine besondere Herausforderung sein, dass ein passionierter Sammler moderner afrikanischer Kunst, ein weißer, erfolgreicher und wohlhabender Ausländer mittleren Alters, das Kunstmuseum initiiert hat. Für derartige Skeptiker ist es dabei fast bezeichnend, dass der Chefkurator des Museums burischer Abstammung ist.

Ihm gilt daher der Vorwurf, das Museum habe "weiße Flecken", der Einkauf der privaten Sammlung sei nicht mit afrikanischen Künstlern erörtert worden. Es fielen Begriffe wie eine neue Form des Imperialismus und Paternalismus, oder gar Kolonialismus. In dem Zusammenhang wird auch die korrekte Tatsache angesprochen, dass traditionelle afrikanische Kunst über Jahrhunderte hinweg geraubt und jetzt in ethnologischen Museen weltweit ausgestellt wird. Zu diesem Thema hat sich Ende November in einer großen Rede in Ouagadougou der französische Präsident Emmanuel Macron geäußert. Er hat angekündigt, dass Frankreich in den nächsten Jahren die geraubte afrikanische Kunst wieder restituieren wird.

Eine besondere Herausforderung liegt auch darin, ob das neue Museum den Zeitgeist, oder besser Zeit(z)geist eines ganzen Kontinents einfangen kann und somit die Vielfalt der modernen Kunst in 55 Ländern definiert und zeigt, worüber sich trefflich streiten lässt.

Der Bau des Zeitz MOCAA, wie das "Zeitz Museum of Contemporary Art Africa" kurz heißt, hat 500 Mio. Rand (ca. 33 Mio. Euro) verschlungen. Kaum verwunderlich, dass die Eintrittspreise angesichts der riesigen Investition hoch sind. Nicht jeder Einwohner Kapstadts kann das Museum ohne Weiteres mit Bus oder Bahn erreichen. Muss man das neue Museum jetzt meiden und sich dem Chor der Kritiker anschließen und das Engagement eines reichen Freundes moderner Kunst und einer privaten Investmentgesellschaft verurteilen? Im Gegenteil: Man sollte es besuchen! Das Zeitz MOCAA verändert viel, es inspiriert, es verwirrt, ja provoziert vielleicht sogar. In jedem Falle ist es erstaunlich. Zudem dürften die Besucher auch noch Spaß haben.


Ein Glücksfall

Das Museum versteht sich als panafrikanische Institution. So wurde die Sammlung Zeitz seit der Jahrtausendwende mit führenden Kuratoren und Vordenkern aufgebaut. Die Ausstellungen bestehen zu Dreivierteln aus Werken der Sammlung Zeitz und zu einem Viertel aus afrikanischem Leihgut.

Das Zeitz MOCAA ist ein Glücksfall für junge Künstler des gesamten Kontinents. Das MOCAA wird in den kommenden Monaten und Jahren zu einer Schnittstelle zwischen jungen Kreativen und auch bereits etablierten Künstlern aus Afrika und denjenigen werden, die es sich leisten können, die Kunst zu erwerben. Es wird Kuratoren aus den westlichen Ländern anlocken und sie davon überzeugen, dass ihre bisherigen Ausstellungen eher eurozentrisch sind und man andere Schwerpunkte setzen muss. Die Zeitz-Sammlung wird neue Trends setzen und Sichtweisen und Angebote möglich machen.

Als erster direkter Effekt ist im benachbarten Stadtteil Woodstock zu beobachten, dass die Zahl der Galerien sprunghaft gestiegen und die Zahl der Andenkenshops zurückgegangen ist.

Geändert hat sich auf jeden Fall die Silhouette des Hafenviertels. Der alte Beton-Getreidesilo aus den 1920er-Jahren sah in den letzten Dekaden immer so aus, als käme morgen ein Sprengkommando, um den Abriss abzuschließen. Manche Besucher der Victoria & Albert Waterfront empfanden das über 50 Meter hohe Gebäude als architektonische Zumutung inmitten der auf chic getrimmten Einkaufsmeile.


Thomas Heatherwicks Meisterwerk

Seit dem Abbau der Kräne und Gerüste wurde deutlich, dass dem Londoner Architekten Thomas Heatherwick ein Meisterwerk gelungen ist. Von weitem mutet der Silo jetzt wie ein gigantisches Insekt an. Die großen konvexen Glasfenster erinnern an riesige Libellenaugen. Je nach Lichteinfall wirkt der Silo aber auch wie ein Raumfahrzeug von einem fremden Planeten. Der Hollywood-Streifen "District 9" lässt grüßen.

Betritt man das Gebäude, so erinnern Raumform und Höhe an eine lichtdurchflutete Kathedrale. Eine gewisse Andacht stellt sich bei vielen ein. Hat man den Raum durchschritten und mit Blicken gescannt, so erkennt man die Form eines gigantischen Getreidekorns, das der Architekt in die Röhrenkonstruktion geschnitten hat.

Das Dach beherbergt einen Skulpturengarten, darunter ein exklusives Boutique-Hotel mit entsprechend hohen Preisen - jedoch mit einer traumhaften Aussicht - auch auf die Kunst im jeweiligen Hotelzimmer.


Fußläufig

Museum und Boutique-Hotel liegen fußläufig zur Waterfront, nur wenige Schritte von der Robben Island-Fähre entfernt, fünf Minuten zu Fuß zum V & A Einkaufszentrum am Ufer der Tafelbucht. Die Waterfront gilt als Prestigeimmobilie und wies bereits vor Eröffnung des Museums rund 24 Millionen Besucher pro Jahr aus. Auch die Umgebung des Museums, der Silo District, soll mit dem Museum als Zentrum weiterentwickelt werden.

Das Hotel mit Museum oder Museum mit Hotel ist mit 57 Metern das bei weitem höchste Gebäude im Hafen; die Aussicht ist beeindruckend. Die Gesamtfläche des neunstöckigen Museums beträgt 9.500 Quadratmeter, von denen 6.000 Quadratmeter als Ausstellungsfläche ("Cubes") dienen. Gezeigt werden aktuell Werke der afrikanischen Gegenwartskunst u.a. von Chris Ofili, Kudzanai Chiurai, Kehinde Wiley, Glenn Ligon, Marlene Dumas, Wangechi Mutu und Julie Mehretu.


"Aus Afrika, für Afrika, von Afrika"

Damit die Kunst nicht nur für Touristen aus aller Welt, sondern auch für die Einkommensschwächeren zugänglich ist, ist der Eintritt für alle afrikanischen Staatsangehörigen mittwochvormittags kostenlos. Darüber hinaus steht beim Zeitz MOCAA auch Weiterbildung auf der Agenda. In diesem Sinne ist für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren der Eintritt grundsätzlich frei.

Will das neue Museum junge afrikanische Kunst weltweit, vor allem aber auf dem afrikanischen Kontinent bekannt machen, müssen Künstler, Museumseigentümer, Sammler und der Kurator jetzt Konzepte entwickeln und passende Sponsoren ansprechen. Durch die sozialen Medien und dank virtueller Realitäten könnte man sehr bald viel mehr jungen Afrikanerinnen und Afrikanern einen Einblick in das Museum und die Kunst bieten. Auch Web-Seminare und andere Formen der digitalen Partizipation sind denkbar. Hier liegt eine riesige Chance für alle - nur allzu lange warten sollte man nicht.

Aber schon jetzt ist es dem Kunstsammler Jochen Zeitz und seinem Kurator Mark Coetzee gelungen, den Blick neu zu fokussieren. Ein Anfang ist gemacht. "Aus Afrika, für Afrika, von Afrika" lautet das Credo der beiden Enthusiasten. Es geht um neue Ideen und neue Chancen. Es geht um den Blick nach vorn.


Der Autor ist Publizist und Experte für das südliche Afrika. Zuletzt lebte und arbeitete er von 2012 bis 2016 in Harare, Simbabwe.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
46. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2018, S. 37-38
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2018

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