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MUSEUM/089: Wer ist der Trainer der Nationalgalerie? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2011

Wer ist der Trainer der Nationalgalerie?
Zwischen Mängelverwaltung und Eventkultur: Wohin entwickeln sich die Museen?

Von Martin Tschechne


Wie weit muss sich die Institution Museum von den gewohnten Formen entfernen, um eine Generation Laptop vom Bildschirm weg zu locken? Wie bringt man dieser Generation nahe, was Ölgemälde oder antike Skulpturen oder Klassiker der Schwarzweiß-Fotografie zu erzählen haben, immer noch? Über ihre eigene Zeit und über deren Bedeutung für die Gegenwart. Vielleicht auch für die Zukunft.


Am Abend waren dem alten Sammler Zweifel gekommen. Es hatte zur Eröffnung der Ausstellung ein kleines Fest gegeben, ein paar Häppchen, einen Schluck zu trinken. Und weil es sich um Bilder der italienischen Romantik handelte, waren auch ein Mandolinen-Trio und ein Sänger engagiert worden. Die Gäste waren bester Stimmung, hatten sich mit einem Glas Chianti links und einem Teller Antipasti rechts durchs Gedränge geschoben. Und manchmal, wenn in dem lärmigen Rummel ein Kunstfreund mit seinem Rotweinglas einem der zarten Aquarelle gar zu nahe gekommen war, war dem alten Sammler etwas mulmig geworden.

Aber nichts war passiert, und die Museumsdirektorin hatte ihn schon vorher beruhigt: Das gehöre heutzutage dazu. Man müsse den Leuten etwas bieten, wenn sie denn schon ins Museum kommen. Und so eine italienische Nacht sei doch eine hübsche Abwechslung in ihrer ansonsten etwas verschlafenen Kleinstadt.

Und die Bilder? hatte der Sammler gefragt. Wer weist die Leute in all der Ablenkung auf die Bilder hin? Sie seien es doch, um die es hier gehe. In ihnen könne sich das Publikum wie auf einer Bühne in die Gedankenwelt einer anderen Zeit versetzen lassen - und dabei die verblüffenden Parallelen zur eigenen Gegenwart entdecken. Genau das sei doch der Zweck einer solchen Ausstellung.

Ach ja. Irgendwie hatte er sich das alles ganz anders vorgestellt, als er seine private Sammlung der Öffentlichkeit widmete und dazu auch noch das Museum renovieren ließ. Auf seine Kosten: mit Klimaanlage und Sicherheitstechnik, damit alles auf dem neuesten Stand sei, hell und großzügig, mit einem Museumsshop, in dem es einen Katalog oder ein paar Postkarten zu kaufen gibt. Und mit einer gemütlichen Ecke für eine Tasse Kaffee. Alles, um es dem Publikum bequem und unterhaltsam zu gestalten.

Man müsse den Leuten etwas bieten, wenn sie denn schon ins Museum kommen, hatte die Leiterin des Hauses gesagt. Als wäre es eine Zumutung, ins Museum zu gehen. Aber genau hier liegt die Herausforderung für die Kulturpolitik und ihre ausführenden Organe: Wie vermittelt man die Botschaften einer traditionsreichen Institution einem modernen Publikum? Daran schließt sich die Frage an, wie viel Vermittlung der Sache gut tut - und von welchem Punkt an die Verpackung beginnt, vom Inhalt abzulenken. Und natürlich auch die Frage, wie der Erfolg solcher Vermittlung überhaupt zu messen ist: rein quantitativ, also in Besucherzahlen und den Einnahmen aus Eintrittsgeld und Katalogverkauf? Oder auch qualitativ: Welche Erkenntnis vermittelt eine Ausstellung? Wie bedeutsam ist diese Erkenntnis? Und ist sie auch dann bedeutsam, wenn die Botschaft nur die eher kleine Gruppe derer erreicht, die Fragen stellen, und nicht die große Zahl jener, die lieber eine fertige Antwort abwarten?

Es müssen ja nicht immer alle angesprochen sein: Die Denkanstöße und Provokationen der zeitgenössischen Kunst etwa sind gewiss nicht jedermanns Sache. Die Elfenbeinschnitzereien des Barock sind es ebenso wenig. Und doch ist beides wichtig, und die Kulturvermittler - von den Ausstellungsmachern selbst bis zu einer unabhängigen Kritik - sind herzlich aufgefordert, den Erkenntnisgewinn und die Qualität der jeweiligen Ausstellung einerseits zu belegen und andererseits zu beurteilen.


Wie misst man Erfolg?

Die Frage nach quantitativem Erfolg ist leicht zu beantworten. 6.256 Museen in Deutschland befragte das Berliner Institut für Museumsforschung nach den Zahlen für das Jahr 2009. Sie meldeten rund 107 Millionen Besucher. Deutlich mehr, als das Land Einwohner hat. Tendenz: leicht steigend. Wobei neben einer Nationalgalerie oder den bedeutenden Kunstmuseen auch so etwas wie das Heimatmuseum in die Zählung einging, die naturkundliche Sammlung und die Kollektion zur Geschichte der Feuerwehr irgendwo in der Provinz. Denn Einrichtungen zur Vermittlung von Kultur und zur Schaffung von Identität sind sie alle - und so bleibt festzuhalten: Die ständigen Sammlungen einer Vielzahl von höchst unterschiedlichen Museen und ihre Sonderausstellungen haben weit mehr Besucher als die Fußballspiele der Bundesliga. Der ersten und der zweiten zusammen, versteht sich.

Alles in schönster Ordnung also? Nicht, wenn man die Debatten um die Etats für Kultur verfolgt. Nicht, wenn man erlebt, wie gnadenlos und dabei oft unvernünftig um Stellen für fachkundiges Personal gefeilscht wird. Und nicht, wenn man beobachtet, welches Schattendasein Kultur in der öffentlichen Debatte dann fristet, wenn sie einmal nicht spektakulär ist, sondern das tut, was ihr, dem lateinischen Wortstamm folgend, vorgegeben ist: nämlich pflegen, bewahren und Schritt für Schritt aufbauen. Wenn der Hamburger SV seinen Trainer wechselt und endlich - endlich! - mal wieder ein Spiel in der Bundesliga gewinnt, dann läuft das in der Tagesschau. Prime time. Aber läuft dort auch, wenn ein kluger und ideenreicher Ausstellungsmacher oder Museumsleiter ein neues Amt antritt? Wer war noch schnell der Trainer der Nationalgalerie?

Pflegen, bewahren und aufbauen sind ihrem Wesen nach ruhige Tätigkeiten. Das macht es schwer, sie im allgemeinen Lärm und Gerenne wahrzunehmen. Was also tun Museumsleute? Oder was glauben sie, tun zu müssen, um ihre Häuser zu verteidigen und ihre Zukunft strategisch zu sichern? Sie organisieren Block-Buster-Ausstellungen. Sie geben sich den Habitus eines Unternehmers, und sie denken auch so: analysieren ihre Zielgruppe und deren Bedürfnisse und investieren in eine Kultur, die zählbaren Erfolg verspricht. Impressionismus geht immer, die Rätsel des Surrealismus verwirren bis heute. Max Beckmann in Frankfurt, Leipzig und Basel, Leonardo in London oder die Kunst der Entschleunigung in der Autostadt Wolfsburg: lauter Bestseller. Und um einen Blick in die Gesichter der Renaissance werfen zu können, standen die Menschen vor dem Berliner Bode-Museum klaglos Schlange. Stundenlang. Für solch ergreifende Begegnung mit der eigenen Geschichte ist das Publikum dankbar. Und dankbar sind auch die Unternehmen, die auf die Versicherung von Kunstwerken spezialisiert sind oder auf deren Transport.


Wahl zwischen Pest und Cholera

Und weil das alles großen Aufwand erfordert, tun sich die erfolgsgetriebenen Museums-Manager mit Sponsoren zusammen und hoffen, eine Schnittstelle zu finden zwischen den Interessen eines Geldgebers aus der Wirtschaft und dem eigenen Auftrag. Kein Problem, wenn ein Firmen-Logo im Katalog abgedruckt ist und die Herren aus dem Vorstand eine Sonder-Eröffnung vor der eigentlichen Eröffnung bekommen, meinen die einen. Da breche doch Keinem ein Zacken aus der Krone.

Schwierig, sagen die anderen, wenn sich Kultur benutzen lässt, um ein bisschen vom Glanz und von der Ernsthaftigkeit der Institution leuchten zu lassen auf das, womit im wirklichen Leben das Geld verdient wird. Autos zum Beispiel, Finanzdienstleistungen oder Energiewirtschaft - das alles zeigt sich ausgesprochen gern in der Nachbarschaft von Kunst und Kultur. Es macht sich ja auch gut dort.

Der Künstler Hans Haacke legt in seinen Installationen immer wieder den Finger auf die sensible Nahtstelle: Was nämlich auf der einen Seite als Good Corporate Citizenship zu loben ist, als Engagement von Unternehmen für die Interessen der Gemeinschaft - das wird auf der anderen Seite ganz nüchtern aus dem Etat für Werbung bezahlt. Aus welchem auch sonst?

Jedenfalls nicht aus dem der öffentlichen Hand. Die hat sich schon lange und sehr weit zurückgezogen. Museumsleute dürfen seither wählen, so scheint es, zwischen Pest und Cholera: Präsentieren entweder die Bestände aus ihrem Depot auf knarzendem Fußboden in staubigen Vitrinen. Oder müssen tingeln gehen - bei der Wirtschaft, für die sich eine Investition in die Kultur irgendwie auszahlen muss. Oder bei privaten Stiftern, die sich nur allzu gerne einmischen, als hätten sie nicht eine Sammlung hergegeben, sondern ein Museum erworben.

Nein, das Altonaer Museum in Hamburg wurde vorerst nicht geschlossen. Aber seit nicht mehr nur Ankaufsetats gegen Null gekürzt und Restauratorenstellen gestrichen werden, sondern ganze Häuser und ihre Sammlungen zur Disposition stehen, seit Werke aus dem Museum auf dem Kunstmarkt angeboten werden, um Schulden und Personal bezahlen zu können, ist die Museumslandschaft bundesweit in Unruhe geraten.

Kultur ist kein Luxusgut, sondern ein Rohstoff. Und weder deprimierende Mängelverwaltung noch vordergründige Eventkultur sind ein geeignetes Modell für die Zukunft. Die Museen müssen ihr Profil schärfen und die Bedürfnisse und geänderten Sehgewohnheiten ihres Publikums zur Kenntnis nehmen. Manche müssen vielleicht mit Nachdruck darauf hingewiesen werden. Aber sie müssen auch Herr im eigenen Hause bleiben.

Der alte Sammler jedenfalls ging lieber nach Hause. Das kleine Divertimento vor seinen italienischen Landschaften war ihm einfach zu bunt geworden.


Martin Tschechne (* 1954) ist Journalist und lebt in Hamburg. 2010 erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern (bei Ellert & Richter), der den Intelligenzquotienten IQ erfunden hat.


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2011, S. 63-66
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2012