Schattenblick →INFOPOOL →KUNST → REPORT

BERICHT/017: "Verlorene Moderne. Der Berliner Skulpturenfund" im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg - Teil 1 (SB)


Seit dem 22. April 2012 zeigt das Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) eine nicht nur für Museumsleute berührende und in ihrer geschichtlichen Komplexität und Aussagekraft besonders eindrückliche Ausstellung. In den neuen, zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentierten Sonderausstellungsräumen im Zentrum des Gebäudes stellen die MKG-Direktorin Prof. Dr. Sabine Schulze, der Archäologe und Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte Prof. Dr. Matthias Wemhoff und die Kuratorin Dr. Claudia Banz zusammen mit der Hermann Reemtsma Stiftung den Berliner Skulpturenfund von 2010 in Hamburg vor und eröffnen zu diesem Anlass im zweiten Schwerpunkt der Ausstellung einen differenzierten Blick auf die bewegende und erschreckende Geschichte des MKGs und seines Direktors Max Sauerlandt kurz vor und während der Herrschaft der Nationalsozialisten, die dem deutschen Kunst- und Museumsbetrieb mit der Beschlagnahmeaktion "Entartete Kunst" seit 1933, aber vor allem um 1937/38 tiefe Wunden zufügten.

Ein von Max Sauerlandt eingerichteter Ausstellungsraum im MKG - Foto by Schattenblick, © 2012 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Ein von Max Sauerlandt eingerichteter Ausstellungsraum im MKG
Foto by Schattenblick
© 2012 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg


Max Sauerlandt und das Museum für Kunst und Gewerbe
"Man muß das Werk beginnen, ohne Hoffnung auf Erfolg, und durchhalten, auch wenn das Gelingen ausbleibt."

Diesen Wahlspruch des Prinzen von Oranien stellte Max Sauerlandt, der von 1919 bis 1933 Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg war, seiner Vorlesung "Die Kunst der letzten 30 Jahre" voran, die er im Sommer '33, kurz nach seiner Amtsenthebung durch die NSDAP, vor Hamburger Studenten hielt.[1] Sauerlandt war durch seine progressive Sammlungspolitik, die Förderung junger zeitgenössischer Künstler und seine Leidenschaft für moderne Kunst in Ungnade gefallen, mehr noch, er vertrat die Ansicht, "geistige Krisen" würden dadurch erkennbar, "daß die führenden Mächte, daß die führenden Persönlichkeiten das Verständnis für die soziale und sittliche Notwendigkeit der zu ihrer Zeit entstehenden Kunstwerke nicht mehr aufzubringen vermögen".[2]

Der Expressionismus, der nach dem Ersten Weltkrieg als Kunst zur Bewältigung des Leids einer ganzen Kriegsgeneration große Popularität genoss, galt in den immer gewagter und moderner werdenden Ausführungen junger Künstler wie zum Beispiel Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff um '33 als nicht mehr zeitgemäß und wurde mit seinen abstrakten Wesensformen, die das körperliche wie seelische Drangsal des Menschen, aber auch seinen Wunsch nach Befreiung aus gesellschaftlicher Enge und sozialer Konvention zum Thema hatten, von bestimmten bürgerlichen Kreisen lange vor der nationalsozialistischen Beschlagnahmeaktion "Entartete Kunst" als "unsittlich", "provokativ" und "unnatürlich" verfemt.

Expressionistische Maske - Foto by Schattenblick - © 2012 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Expressionistische Maske
Foto by Schattenblick
© 2012 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Sauerlandt vertrat eine völlig andere Position. Zwar sah er den Expressionismus nicht nur als Idee, "sondern als vorhandene Leistung schon in den Jahren 1909-1914 ausgereift" und merkte an, dass "eine zweite, unmittelbar nach dem Krieg aufschwellende Woge die große Leistung der ersten Schöpfer erst in das Allgemeinbewusstsein gehoben, sie popularisiert, sie aber auch oft genug entwertet" hatte. Entscheidend war jedoch für ihn "die Tatsache, daß 'Expressionismus' von 1910 eine andere Blutfarbe hat, als 'Expressionismus' von 1920 oder 1930, daß wir uns also diese Linienzüge als in beständiger lebendiger Fortwandlung vorstellen müssen" und "daß jede einzelne Stilrichtung während ihres Verlaufs selbst eine Metamorphose der Form erlebt."[3]

Der polarisierende Direktor, dessen Fortschrittlichkeit auch an seiner kulturübergreifenden Ausstellungspädagogik festzumachen ist - er scheute sich nicht, eine Katze vom modernen Künstler Naum Slutzky kommentierend in die Nähe einer altägyptischen Katze zu stellen - befasste sich vor allem mit jener unpopulären, sich aus dem Expressionismus transformierenden und gerade sichtbar gewordenen Kunst, die zu seiner Zeit sowohl intellektuell als auch handwerklich in der Entwicklung begriffen war. Sauerlandt appellierte sogar 1933: "Noch einmal: Es ist staatspolitische Notwendigkeit, daß die Allgemeinheit die Möglichkeit erhält, Anteil zu nehmen, diesen sich unter uns vollziehenden geistigen Entstehungsprozeß, dieses lebendige Wachsen der Zukunft mitzuerleben."[4]

Als kulturpolitisch handelnder Museumsleiter bemühte sich Max Sauerlandt insbesondere darum, produktive Künstler seiner Zeit zu unterstützen, die durch das allgemeine Unverständnis, das ihrer Kunst entgegengebracht wurde, oft am Existenzminimum lebten und aus Geld- und Materialmangel nicht mehr künstlerisch arbeiten konnten. So klagte der Schmuckkünstler und Bauhäusler Naum Slutzky, dessen "weibliche Büste" (vor 1931) zum spektakulären Berliner Fund von 2010 gehört und in der aktuellen Ausstellung des MKG betrachtet werden kann, in einem Brief an seinen Mäzen, nicht einmal mehr Geld für Armbandschließen zu haben und Rolf Nesch, einem heute weitgehend unbekannten Künstler der Moderne, der in den 30er Jahren verschiedene Drucktechniken konsequent zur Technik des Metalldrucks weiterentwickelt hatte, brachten erst die Hamburger Jahre den Durchbruch für sein druckgrafisches Werk.

Naum Slutzky (1894-1965) - Weibliche Büste, vor 1931, Zustand nach Reinigung 10/2010 - Bronze, Höhe: 15,5 cm - © Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin - Foto: Achim Kleuker, Berlin - Herkunftsort: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Naum Slutzky (1894-1965)
Weibliche Büste, vor 1931, Zustand nach Reinigung 10/2010
Bronze, Höhe: 15,5 cm
© Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin
Foto: Achim Kleuker, Berlin
Herkunftsort: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Die Gründe für die kritische Missbilligung Max Sauerlandts, der politisch deutschnational, aber nicht nationalsozialistisch eingestellt war, auch jüdische Künstler unterstützte und später Naum Slutzky und weiteren Freunden helfen sollte, dem Deutschen Reich zu entfliehen, lagen unter anderem in seiner Betrachtungsweise der Kunst an sich, die für ihn immer auch eine politische war. Obwohl er in einer Rede vor dem Deutschen Museumsbund versuchte, sich in seiner Not bei den Nazis anzudienen, indem er seinen Vortrag, und das müsse man sehr kritisch sehen, so Kuratorin Dr. Claudia Banz auf der Pressekonferenz zur Ausstellung, mit Zitaten aus Hitlers "Mein Kampf" spickte, missfiel seine Rede den Nazis, da er gleichzeitig den Expressionismus als genuin deutsche Kunstform pries.

Kuratorin Dr. Claudia Banz vor dem als 'Höllentor' verfemten Eingang - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kuratorin Dr. Claudia Banz vor dem als 'Höllentor' verfemten Eingang
Foto: © 2012 by Schattenblick

Anfang 1933 hatte Sauerlandt für die Neugestaltung des Treppenhauses in der Rotunde des Museums für Kunst und Gewerbe moderne Holzplastiken von Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff gekauft und das Treppenhaus vom Architekten Karl Schneider vollkommen umgestalten lassen, "so dass dieser Raum mit seinem Inhalt nun wirklich ein Programm ausspricht"[5] für dessen Etablierung er auch Direktoren anderer Museen zu gewinnen suchte. Dieser entscheidende Eingriff in das Erscheinungsbild des Museums für Kunst und Gewerbe, der auf zwei großen Fotostellwänden auch in der aktuellen Ausstellung "Verlorene Moderne. Der Berliner Skulpturenfund" dokumentiert ist, brachte seine Feinde schließlich dazu, seine Amtsenthebung zu veranlassen, obwohl - das zumindest klingt in folgendem Artikel der Hamburger Nachrichten vom 13. April 1933‍ ‍leise an - ein breites Publikum hinter seiner Sammlungspolitik zu stehen schien:

Tragikkomischerweise ist die Öffentlichkeit dabei dem Direktor Sauerlandt gefolgt, dessen Charakter es entsprach, gerade demjenigen gesteigerte Wichtigkeit beizulegen, womit er am meisten Widerspruch erregte. Eben das hat nicht zuletzt Sauerlandt dahin gebracht, die ominöse 'moderne Sammlung' in unmittelbarer Nähe des Museumseingangs aufzustellen: Er verbaute damit eines der schönsten, reichsten und, dank ihm, bestgegliedertsten deutschen Museen durch eine Art 'Höllentor'.[6]

Unter dem Vorwand, die als unsittlich diffamierten Objekte vor gewalttätigen Übergriffen schützen zu wollen, beschlagnahmte eine NSDAP-Kommission im April '33 die Skulpturen aus dem Treppenhaus des Museums für Kunst und Gewerbe und enthob Direktor Sauerlandt einen Tag später unwiderruflich seines Amtes. Etwa 80 Prozent der "modernen Sammlung" wurden zur Magazinierung eingezogen und zum größten Teil in der Hamburger Kunsthalle eingelagert. Am 1. Januar 1934 erlag Max Sauerlandt seinem Krebsleiden im Alter von 53 Jahren.

Schmähendes Flugblatt der Nazi-Ausstellung 'Entartete Kunst' - Foto by Schattenblick - © 2012 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Schmähendes Flugblatt der Nazi-Ausstellung 'Entartete Kunst'
Foto by Schattenblick
© 2012 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg


Der Berliner Skulpturenfund im Museum für Kunst und Gewerbe

Im Januar 2010 wurde bei archäologischen Untersuchungen zum mittelalterlichen Stadtbild Berlins, die dem Tiefbau der neuen U-Bahnlinie vorausgingen, überraschend eine moderne Skulptur aus dem Brandschutt im Keller eines im Zweiten Weltkrieg vollständig verglühten Hauses geborgen. Ein Grabungshelfer hatte die Räumung des die ursprüngliche Fundamentschicht überlagernden Schutts aufmerksam beobachtet und dabei ein großes Stück Metall von der Baggerschaufel fallen sehen, welches kurz darauf von einem Expertenteam aus Archäologen und Kunsthistorikern als das von dem modernen Künstler Edwin Scharff aus Bronze gefertigte und verschollene "Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes" (1917/21) identifiziert werden konnte. Im Laufe des Jahres 2010 wurden 15 weitere Stein-, Terrakotta-, Keramik- und Metallskulpturen zutage gefördert, die seit der Aktion "Entartete Kunst" als verloren oder zerstört galten.

Edwin Scharff (1887-1955) - Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes, 1917/1921, Zustand nach Bergung 2010 - Bronze, Höhe: 37,5 cm - Landesdenkmalamt Berlin - Foto: Manuel Escobedo - © Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin - Foto: Manuel Escobedo Edwin Scharff (1887-1955) - Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes, 1917/1921, Zustand nach der Restaurierung 10/2010 - Bronze, Höhe: 37,5 cm - © Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin - Foto: Achim Kleuker, Berlin

links: Edwin Scharff (1887-1955)
Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes, 1917/1921, Zustand nach Bergung 2010
Bronze, Höhe: 37,5 cm
Landesdenkmalamt Berlin
© Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin
Foto: Manuel Escobedo


rechts: Edwin Scharff (1887-1955)
Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes, 1917/1921, Zustand nach der Restaurierung 10/2010
Bronze, Höhe: 37,5 cm
© Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin
Foto: Achim Kleuker, Berlin

Nach akribischer Forschungsarbeit und nicht wenigen glücklichen Zufällen, die den Kunsthistorikern wichtige Informationen offenbarten, stellte sich heraus, dass sich in den höheren Stockwerken des zerbombten Wohn- und Geschäftshauses in der Königsstraße 50 ein Magazin des Propagandaministeriums befunden haben muss, in dem außer den erhaltenen Figuren vermutlich zahlreiche weitere als "entartet" klassifizierte Kunstwerke eingelagert worden waren, die von den Nazis nicht ins Ausland verkauft werden konnten, um die Kriegskasse zu füllen. Diese Gemälde, Drucke und möglicherweise auch Holzskulpturen, darauf wiesen die Untersuchungen einzelner Aschepakete hin, sind bis auf wenige Leinwand- und Farbrückstände vollständig verbrannt und wohl für immer verloren. Um die spannende Geschichte der Bergung möglichst schnell einem großen Publikum zu präsentieren, ist der Fund innerhalb ungewöhnlich kurzer Zeit als Ausstellung mit 12 historisch identifizierten und teilrestaurierten Figuren in das Neue Museum in Berlin gebracht worden.

"Unter dem großen Schiefelbeinfries im Griechischen Hof des Neuen Museums, der den Untergang von Pompeji zeigt, sind die Objekte - eingeordnet in die großen Katastrophen der Weltgeschichte - letztlich als das, was nach diesen Unglücken bleibt, wahrnehmbar gewesen," erklärt der Berliner Landesarchäologe Prof. Dr. Wemhoff, "und gleichzeitig haben die Skulpturen der Moderne an dieser Stelle auch noch einmal eine andere Wahrnehmung von Archäologie bewirkt. Auf einen solchen historischen Vorgang, wie wir ihn mit der 'Entarteten Kunst' verbinden können würde man ja nie kommen. Die Wahrnehmung der Restespuren von Katastrophen ist also noch einmal geschärft worden."

Prof. Dr. Matthias Wemhoff zeigt 'Hagar', 1923, Bronze, des Bildhauers Karl Knappe - Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Dr. Matthias Wemhoff zeigt 'Hagar', 1923, Bronze, des Bildhauers Karl Knappe
Foto: © 2012 by Schattenblick

Nach großen Rechercheaufwänden konnten kürzlich auch die Namen und Schöpfer der vier bislang nicht zugeordneten Skulpturen geklärt werden, so dass der vollständige Berliner Fund mit 16 Figuren zum ersten Mal in Hamburg der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Besonders eindrücklich ist die Tatsache, dass das MKG in seiner aktuellen Ausstellung mit Naum Slutzkys "Weiblicher Büste" (Bronze, vor 1931), Gustav H. Wolffs "Stehender Gewandfigur" (Messingbronze, 1925)‍ ‍und seinem "Stehenden weiblichen Akt" (Marmor, o.J.), der "Figur" (Marmor, 1929) von Richard Haizmann und dem "Kopf" (Terrakotta, schwarz glasiert, 1925) von Otto Freundlich nach über 70 Jahren wieder fünf Werke ausstellen darf, die von Max Sauerlandt für die moderne Sammlung angekauft worden waren und dem MKG entwendet worden waren.

Die Präsentation der Skulpturen - "das war eine Sache, die für uns ganz wichtig war", so Matthias Wemhoff - steht im absoluten Kontrast zur respektlosen Objektdarstellung der Nazi-Ausstellung "Entartete Kunst", von der einige Fotos zu sehen sind, auf denen die dichte Hängung von Gemälden, die Schmähung von auf dem Boden stehenden und ohne jede Information zu bezuglosen Gruppen zusammengerümpelten Figuren deutlich werden. "Jede Skulptur bekommt jetzt die Chance zur Wirkung," so Wemhoff weiter,

"zum Zweiten war es uns wichtig, dass die Spuren der historischen Vorgänge, des Feuers, der Zerstörung auch erhalten bleiben, wir wollten also nicht die Objekte in den Zustand vor der Zerstörung zurücksetzen, was auch gar nicht geht, sondern man soll sehen, was mit ihnen passiert ist, weil sie auch eine ganz neue Bedeutungsebene dazu gewonnen haben, weil sie noch einmal ganz anders faszinieren, weil sie uns vor Augen führen, was herauskommen kann, wenn man solche Aktionen macht, wie 'Entartete Kunst', und dadurch gewinnen sie heute eine ganz hohe Bedeutung."
Dr. Sebastian Giesen, Hermann Reemtsma Stiftung, Prof. Dr. Sabine Schulze, Prof. Dr. Matthias Wemhoff auf der Pressekonferenz - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Sebastian Giesen, Hermann Reemtsma Stiftung, Prof. Dr. Sabine Schulze, Prof. Dr. Matthias Wemhoff auf der Pressekonferenz
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die "Verlorene Moderne" und nicht zuletzt die beeindruckende Museumsarbeit Max Sauerlandts hat mit diesem Fund und mit dieser Ausstellung wahrlich den Sprung in unsere Gegenwart geschafft. Auch wenn oder gerade weil sich der eine oder andere Besucher sicherlich umfassendere Informationen zum allgemeinen Verständnis der expressionistischen Moderne und dem kulturpolitischen Wirken Max Sauerlandts gewünscht hätte und außer dem groben handwerklichen und akademischen Lebenslauf der wiedergefundenen Künstler, deren Kunstwerke damals nicht im MKG ausgestellt worden sind, weitere Erläuterungen zu ihrer kunst-philosophischen und politischen Einstellungen fehlen, um die "Verlorene Moderne" als ein dunkles Kapitel der deutschen Kunstgeschichte für das Publikum vollends befriedigend auszuleuchten, wirft die kleine, aber feine Sonderausstellung fernab von den ausgetretenen Pfaden der Blockbusterpräsentationen Fragen auf, die das lebendige Interesse für eine mit dem Alltag jedes einzelnen verbundene Vergangenheit wecken.

Max Sauerlandt jedenfalls formulierte seine Überzeugung am Schluss seiner Vorlesung mit den am 1. März 1801 niedergeschriebenen Worten Carolines an Wilhelm August Schlegel:

Oh mein Freund, wiederhole es dir unaufhörlich, wie kurz das Leben ist, und daß nichts so wahrhaft existiert als ein Kunstwerk. Kritik geht unter, leibliche Geschlechter verlöschen, Systeme wechseln, aber wenn die Welt einmal aufbrennt wie ein Papierschnitzel, so werden die Kunstwerke die letzten lebendigen Funken seyn, die in das Haus Gottes gehen - dann erst kommt Finsternis.[7]

Wenn er wüsste.


Fußnoten:

[1]‍ ‍Max Sauerlandt: Die Kunst der letzten 30 Jahre. Eine Vorlesung aus dem Jahre 1933. Hermann Laatzen Verlag, Hamburg 1948, S. 7

[2]‍ ‍ebd., S. 170

[3]‍ ‍ebd., S. 14

[4]‍ ‍ebd., S. 171

[5]‍ ‍Hamburger Nachrichten vom 13. April 1933, Artikel "Der Fall Sauerlandt". Pressematerial "Verlorene Moderne. Der Berliner Skulpturenfund", MKG 2012

[6]‍ ‍Max Sauerlandt in einem Brief an Otto Freundlich, 1930. Pressematerial "Verlorene Moderne. Der Berliner Skulpturenfund", MKG 2012

[7]‍ ‍Max Sauerlandt: Die Kunst der letzten 30 Jahre. Eine Vorlesung aus dem Jahre 1933. Hermann Laatzen Verlag, Hamburg 1948, S. 173

Museum für Kunst und Gewerbe am Steintorplatz in Hamburg - Foto: © 2012 by Schattenblick

Museum für Kunst und Gewerbe am Steintorplatz in Hamburg
Foto: © 2012 by Schattenblick

24.‍ ‍April 2012