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BERICHT/026: Open Museum von Baltic Raw bis 30.9.2012 in Hamburg (SB)


Quo vadis museum? - Baltic Raw fragt Hamburg nach Kunst im öffentlichen Raum


© Hamburger Kunsthalle - Photo: Ralf Suerbaum

Baltic Raw
Open Museum auf dem Plateau der Galerie der Gegenwart
Eröffnung, 17.08.2012
© Hamburger Kunsthalle
Photo: Ralf Suerbaum

Der aus robusten Sperrholzplatten gezimmerte, frei zu betretende Holzkomplex "Open Museum" der Künstlergruppe Baltic Raw bildet seit kurzem auf dem großen Plateau zwischen der Galerie der Gegenwart und dem historischen Gebäude der Hamburger Kunsthalle am Glockengießerwall einen wohltuenden Kontrast zu den konsumträchtigen Einkaufsmeilen der Hamburger Innenstadt. Seine jederzeit offenen, nur von Tageslicht und vereinzelten Neonröhren beleuchteten Räume sind lose miteinander verbunden und stehen wie zufällig nebeneinander. Die naturfarbenen Würfel sind mit voller Absicht auf der sich über die Alster erhebenden und von lautem Straßenlärm betroffenen Edelbrache installiert worden, um als kunstvoller Transponder die Beschaffenheit der Stadt an jenem neutralen Nicht-Ort aufzunehmen und zu spiegeln.

Móka Farkas, Berndt Jasper und Christoph Janiesch, die als harter Kern von Baltic Raw teilweise seit 1989 im öffentlichen Raum verschiedener Städte aktiv sind, loten auf Einladung der Galerie der Gegenwart - deren 15-jähriges Bestehen am 7. und 8. September 2012 mit dem Symposium "Museum.Gegenwart.Jetzt" und einer Baltic Raw-Party im Open Museum gefeiert wird - spielerisch die Grenzen und Möglichkeiten nicht institutioneller Kunstvermittlung aus und schaffen die einmalige Option, gemeinsam mit Kunstinteressierten, Passanten und Freunden über das (un-)menschliche Leben in einer von Hektik, Verkehr und kostenpflichtiger Wirtlichkeit geprägten Stadt nachzudenken.

Die meisten Künstler des Open Museums befassen sich dabei spontan mit der von ihnen vorgefundenen Situation, die sich aus vielen Bedingungen zusammensetzt, seien es die Wetterverhältnisse und Tageszeiten, die Beschaffenheit des von Baltic Raw verwendeten Materials, die Zusammensetzung der Menschengruppen, die sich auf dem Plateau befinden, oder auch plötzliche Veränderungen an den Holzgebäuden, die jeder Gast künstlerisch bearbeiten und weiterentwickeln darf. Über kurz oder lang sind unter anderem die Skulptur "Never Forget - Always Remember" von Kenconsumer, die Gartenistallation "MAKE MY DAY!" von Móka Farkas, die Installation "DRECK AUF EIS" von Osorno, Brandt und Münchenhagen oder "DAS UTOPISCHE INSTITUT" von Christoph Ziegler zu sehen. Ein Videopanel namens "TIERE WIE WIR", das vom 20.9. bis zum 23.9. von Filomeno Fusco kuratiert wird, setzt sich aus Werken von Bruce Naumann, Peter Friedl, Corinna Schnitt, Fischli & Weiss und Berndt Jasper zusammen. Baltic Raw konnte sich in der Sammlung der Galerie der Gegenwart umsehen und dort gelagerte Videos für diese Arbeit verwenden.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Baltic Raw-Aktivisten Berndt Jasper, Móka Farkas
und Christoph Janiesch (v.l.)
Foto: © 2012 by Schattenblick

Das "Raw" im Namen von Baltic Raw, dessen erstes Wort sich auf den baltischen Raum bezieht, aus dem die meisten Künstler, Dramaturgen, Geisteswissenschaftler und Architekten der locker formierten Künstlergemeinschaft stammen, habe inhaltlich mit der Arbeitsweise der Gruppe zu tun, so Móka Farkas, Baltic Raw-Beteiligte der ersten Stunde. "Unsere Projekte werden immer sehr schnell gebaut und alles bleibt in Rohform", was auch das flexible Programm betrifft, das sich vom 17. August bis zum 30. September über das steinerne Plateau entfalten wird. So gebe es einen "open source-Raum" und Lücken im Ablauf. "Wir rechnen mit Überraschungen und wir haben auch noch Platz. Die Sonntage haben wir zwar komplett nicht bespielt, wir werden aber vor Ort sein, so dass Künstler und Besucher kommen und sagen können: 'Ich habe ein Stück, das ich gern zeigen würde.'"

Dieses "flüchtige" künstlerische Arbeiten ohne ausdrücklich definierten Schlusspunkt hat für Baltic Raw, die zum Beispiel im Elektrohaus in St. Georg auch mit gemauerten Ausstellungsorten Erfahrungen sammelten, im open air-Museum "eine ganz andere Energie" als in institutionell geschirmten Kunsträumen. Die Dramaturgin Móka Farkas erklärt: "Man hält es vielleicht nur ein paar Wochen durch, aber es ist viel präsenter, man kann sich vollständig verausgaben und dann wieder gehen, um das Projekt an anderer Stelle neu zu starten. In einem festen Raum ist das nicht möglich. "

Obwohl sich Baltic Raw-Architekt Christoph Janiesch ein fest installiertes Open Museum durchaus vorstellen könnte, das in verschlossenen und abgegrenzten Stadträumen wie der HafenCity ein Ventil bilden könnte, durch das man mit Kunst direkt auf Stadt und Gesellschaft reagieren würde, ist für die Museumspraktikerin Brigitte Kölle, die sich stark mit alternativen Formen des Ausstellens befasst, eine solche Festinstallation ausgeschlossen, die Beschaffenheit des Flüchtigen zu fragil. Die Leiterin der Galerie der Gegenwart betrachtet das Konzept des Open Museums zwar als einzigartige Plattform für temporäre und prozesshafte Formen der zeitgenössischen Kunst, es sei aber

eine große Gefahr, wenn man nicht radikal bleibt, sondern denkt, man installiert jetzt etwas permanent. Denn dann ist man auf dem Weg der Institutionalisierung und auch der Musealisierung. Das möchte ich gar nicht werten, ich arbeite selbst in einem Museum und finde es fantastisch, eine Sammlung zu betreuen und ein festes Gebäude dafür zu haben. Man kann einfach kein open air-Gebäude benutzen, wenn man Kunstobjekte sichern möchte, das sind andere Bedürfnisse, aber beide Bedürfnislagen und Anforderungen ergänzen einander. Man darf nicht in Statik und Starre verfallen und das Museum nicht irgendwann nur noch als Mausoleum verstehen, deshalb finde ich das Open Museum und Baltic Raw so inspirierend, es ist ein Experiment mit offenem Ausgang, wir wissen nicht, was passieren wird.
Foto: © 2012 by Schattenblick

Brigitte Kölle, Leiterin der Galerie der Gegenwart
Foto: © 2012 by Schattenblick

Zeitgleich zur Museumsinstallation am Glockengießerwall findet sich auch ein Sperrholzbau am Pulverteich in St. Georg, der per Videoübertragung von Tim Kaiser und Julian Mühlenpfordt mit dem Bau neben der Galerie der Gegenwart korrespondiert. An diesem Standort sei es jedoch nicht möglich gewesen, das Gelände unbezäunt zu lassen, da sich eine sehr starke einseitige Nutzung, in der Regel aus Drogenszene und Prostitution, ereignet habe, die, wollte man das Projekt wie gehabt weiter führen, eine Betreuung erfordere, die nicht geleistet werden könne, so Berndt Jasper, bildender Künstler und Baltic Raw-Aktivist. Gerade an einem Brennpunkt wie dem Pulverteich, wo eine sehr divergente Mischung von unterschiedlichsten Gesellschaften zu finden sei, werde dennoch deutlich, dass sich der mit der baulich offenen Struktur des Open Museums angeregte Reflex "Was ist das?", "Was soll mir das sagen?" milieuübergreifend bei jeden einstelle, der an der Konstruktion vorbeikomme.

Auf den Einwand des Schattenblicks, ob die von Baltic Raw im Open Museum umrissene Frage, wie "soziale Teilhabe im öffentlichen Raum entstehen kann"[1], sich nicht ohnehin, auch ohne künstlerischen Impuls, im alltäglichen Miteinander für die Menschen ergebe, antwortet Móka Farkas: "Der städtische Raum ist sehr eingeschränkt, deswegen muss man leider tatsächlich künstlich herausstellen, dass jeder einzelne den öffentlichen Raum gestaltet. Natürlich kann man diesen Raum vor den Menschen, vor was auch immer, schützen, aber eigentlich müsste es einen freien Raum geben, wo die Leute aus freien Stücken freien Beschäftigungen nachgehen. So etwas findet man kaum noch." Und Berndt Jasper meint: "Ich glaube, es gibt immer noch sehr intakte Ordnungen. Das sehe ich beispielsweise auch an den schlüssigen Nachbarschaftsverhältnissen in Wilhelmsburg, wo man wegen der heruntergekommenen Fassaden zuerst denkt, dort sei es sozial sehr prekär. Eine Gesellschaft, eine Stadt aber, die sich dem Konsum und dem Eventtourismus, dem Individualismus verschrieben hat, dem reinen Moment des Konsumierens, kann nicht in die richtige Richtung gehen. Hier verwahrlost der Mensch."

Nicht zuletzt knüpfen Baltic Raw mit ihrem Open Museum erstmals wieder an das von der Stadt Hamburg in den 80er und 90er Jahren stark geförderte Projekt "Kunst im öffentlichen Raum"[2] an. Nach der ambitionierten Aktion "AUSSENDIENST" (2000/2001), bei der Künstler wie Monica Bonvicini, Peter Dittmer, Bogomir Ecker oder Ulrike und David Gabriel sich an der Frage "Können Künstler in gesellschaftliche Prozesse eingreifen und mit ihren Interventionen zu einem demokratischen Gemeinwesen beitragen?" abarbeiteten, wurden keine Projekte mehr finanziert - möglicherweise haben die hier gefundenen Antworten der Stadt Hamburg nicht gefallen. Dass Berndt Jasper mit dem von 2000 bis 2003 selbstorganisierten Kultur- und Kunsttreffpunkt BLOCKBAU ein nicht öffentlich gefördertes "Gegenmodell zum Großprojekt ,Aussendienst' initiierte"[3], um sich damit in ausdrücklicher Distanz zur Hamburger Kulturbehörde zu positionieren, wirkt bis heute beinahe rebellisch und weckt Mut, eigene Projekte möglichst nicht von Geldgebern abhängig zu machen.

© Hamburger Kunsthalle - Photo: Wolfgang Ernst

Baltic Raw
Open Museum auf dem Plateau der Galerie der Gegenwart
07.08.2012, während der Aufbauphase
© Hamburger Kunsthalle
Photo: Wolfgang Ernst

Es bleibt nur zu hoffen, dass Baltic Raw mit ihrem gut ausgebauten Künstlernetzwerk in der zunehmenden Enge des Kulturbetriebs nicht doch dazu gezwungen sind, sich so kompromissbereit mit der Hamburger Kulturbehörde zu arrangieren, dass sie eine finanziell gepolsterte "Interessengemeinschaft" mit der Stadt formieren, die kaum in ihrem Interesse sein kann. Einstmals autonome Gedankengebilde wie das Open Museum würden dann wohl eher als öffentlichkeitswirksame Fliegenfänger im Dienste stadtbürokratischer und städtebaulicher Belange fungieren, denn als ernst gemeintes Angebot, im künstlerischen Nachdenken über die städtische Heimat ein Gespräch über das Leben zu beginnen. Das Open Museum auf dem Plateau der Kunsthalle jedenfalls wird von verschiedenen Stiftungen und der Hamburger Kulturbehörde nur so knapp gefördert, dass einige der engagierten mitwirkenden Künstler wie gewohnt fast "ehrenamtlich" arbeiten müssen. Berndt Jasper betont:

Im Open Museum steckt nicht nur dieses friedliche "Wir laden ein, wir machen Programm und das wird ganz toll". Darin ist auch eine Provokation versteckt. Die Stadt ist im Umgang mit Kunst sehr zögerlich und sehr verschlossen. Wenn man sich mit öffentlichem Raum auseinandersetzt, und das tun wir ja nun wirklich deutlich, dann wird man sich irgendwann natürlich daran erinnern, zu fragen, was sollen diese Institutionen, was sagen sie uns heute noch?

Anmerkungen:

[1] "Die flüchtigen, durchlässigen Produktionsformen bieten die Möglichkeit zur Reflexion darüber, was ein Museum ist oder sein sollte, und zugleich sind sie künstlerischer Ausdruck eines Nachdenkens und Erforschens, wie soziale Teilhabe im öffentlichen Raum entstehen kann." (Presseinformation der Hamburger Kunsthalle zu Baltic Raw - Open Museum vom 16.8.2012)

[2] http://www.hamburg.de/kioer/ (22.8.2012); http://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/welcome.htm (22.8.2012)

[3] Berndt Jasper/Móka Farkas: BALTICRAW: Hamburg 2009, S. 7-8

Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

23. August 2012