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INTERVIEW/006: Gefesselte Kunst - Maria Prada und Peter Hauschnik zur Friedensarbeit in Kolumbien (SB)


Interview mit Maria Prada und Peter Hauschnik am 9. Februar 2012 in Berlin


Im Rahmen der Konferenz "radius of art" war Peter Hauschnik Moderator des Forums "The role of visual and participatory arts in the empowerment of communities" sowie einer der Referenten des Forums "No change angels - Artists and social transformation" und Maria Prada eine der Referentinnen des Workshops "Evaluation criteria - How to measure art and culture projects".

Maria Prada und Peter Hauschnik - Foto: © 2012 by Schattenblick

Maria Prada und Peter Hauschnik
Foto: © 2012 by Schattenblick

Peter Hauschnik ist seit 1997 für die GIZ tätig. Von 1997 bis 2005 war er Berater der Mexikanischen Handelskammer für kleine und mittlere Unternehmen (CANACINTRA) für ökoeffiziente und sozial verantwortliche Unternehmensführung. Von 2005 bis 2007 arbeitete er auf denselben Gebieten mit Arbeitsgruppen für Industrie und Umwelt des MERCOSUR zusammen. Im Jahr 2007 wurde er nach Kolumbien berufen, um dort das bilaterale deutsch-kolumbianische Kooperationsprojekt "Friedensentwicklung durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft" zu leiten, in dessen Rahmen er auch Erfahrungen auf dem Feld künstlerischer Projekte zur Förderung des Friedensprozesses sammeln konnte.

Maria Prada arbeitet seit 2006 für die GIZ. Derzeit ist sie als lokale Beraterin für Frieden und Konflikttransformation, Organisationsentwicklung, Monitoring und Evaluation des Friedensprogramms CERCAPAZ in Kolumbien tätig. Zuvor hatte sie in Sri Lanka für eine Friedensstiftung gearbeitet, wo sie gemeinsam mit nationalen und internationalen NGOs, Forschungsinstituten und Universitäten den Entwurf und die Durchführung eines Programms für Konflikttransformation und Friedensprozesse koordinierte. Sie hat Wirtschaftswissenschaften und internationale Angelegenheiten in Frankreich und Deutschland studiert und einen an der Sorbonne-Universität erlangten akademischen Titel für humanitäre und Friedensberatung in Konfliktgebieten.

Das Programm CERCAPAZ (Cooperación entre Estado y Sociedad Civil para el Desarrollo de la Paz) dient der Stärkung zivilgesellschaftlicher und staatlicher Leistungsfähigkeit für eine friedliche Konfliktbeilegung. Es fördert vertrauensbildende Maßnahmen und Dialogprozesse und schafft neutrale Räume für die Erarbeitung von Konfliktlösungsstrategien. CERCAPAZ verfolgt einen Kooperationsansatz und unterstützt Reformprozesse, indem möglichst alle gesellschaftlich relevanten Akteure einbezogen und in ihren jeweiligen Rollen gestärkt werden sollen. Das Programm fördert die nachhaltige Entwicklung einer individuellen Friedenskultur, den zivilen Umgang im täglichen Miteinander. Dazu gehören Fortbildungsmaßnahmen zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung und die Unterstützung von Initiativen, die Versöhnung, Gleichberechtigung und Integration der vom Konflikt gefährdeten und betroffenen Bevölkerungsgruppen fördern. Durch viele künstlerische, kreative und innovative Initiativen werden gewaltfreie Methoden der Konflikttransformation als Beitrag zu einer Friedenskultur gefördert. [1]

Während der Konferenz "radius of art" beantworteten Maria Prada und Peter Hauschnik dem Schattenblick einige Fragen.

Schattenblick: Ich hatte vor einiger Zeit Gelegenheit, mit dem bekannten norwegischen Friedensforscher Johan Galtung ein Interview zu führen. Er hat in vielen Konflikten vermittelt und vertritt die Position, daß man nur erfolgreich vermitteln könne, wenn man mit allen Beteiligten spricht. Entgegen der weithin vorherrschenden Auffassung beharrte er darauf, daß man beispielsweise in Palästina auch mit der Hamas und in Afghanistan mit den Taliban sprechen müsse, da andernfalls eine erfolgreiche Vermittlung von vornherein ausgeschlossen würde. Wenngleich Ihre Arbeit in Kolumbien nicht eine Vermittlung zwischen den Konfliktparteien zum Inhalt hat, könnte ich mir vorstellen, daß sie sich des öfteren in einer Art Gratwanderung zwischen diesen bewegen müssen. Gibt es Akteure, mit denen man nicht sprechen kann, weil diese es ablehnen oder es zu gefährlich wäre? Mit welchen Problemen sind Sie bei ihrer Tätigkeit in diesem Konfliktfeld konfrontiert und wie können Sie diese zugunsten der dort lebenden Menschen lösen?

Peter Hauschnik: Wir können die Auffassung Herrn Galtungs durchaus nachvollziehen und vertreten dieselbe Ansicht, daß man mit verschiedenen Akteuren zusammenkommen muß. Als Vertreter der GIZ, also der offiziellen deutschen Kooperation, sind uns natürlich Grenzen gesetzt. Wir arbeiten im kolumbianischen Kontext mit dem Schwerpunkt Friedensentwicklung und Krisenprävention. Maria Prada und ich sind Vertreter eines Projektes, das sich Förderung der Friedensentwicklung durch Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft nennt. Dadurch zeigt sich auch schon, mit wem wir zusammenarbeiten, nämlich mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen. Wir sind nicht, wie Sie das eben richtig gesagt haben, in der Vermittlung zwischen den klassischen Konfliktparteien tätig und haben nicht den Auftrag und das Mandat, auf irgendeine Art und Weise in einen Kontakt mit illegalen Gruppen zu treten. Insofern liegt das außerhalb unseres Arbeitsbereichs. Wir sind nicht in virulenten Konfliktgebieten wie etwa den Grenzregionen zu Ecuador im Süden oder im Norden an der Grenze zu Venezuela tätig, sondern arbeiten in geographischen Zonen, in denen es möglich ist, eine konstruktive Arbeit zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zu gewährleisten.

Dabei ist uns natürlich bewußt, daß wir uns in einem Gebiet befinden, in dem sich auch illegale Akteure aufhalten. Daher sind wir in unserem täglichen Risikomanagement im Rahmen unserer Aktivitäten darauf angewiesen und achten auch sehr darauf, daß wir von unseren Partnern vor Ort mitbekommen, was passiert. Wenngleich wir offiziell nicht mit illegalen Akteuren sprechen, müssen wir uns doch bewußt sein, daß man das nicht immer ausschließen kann, weil man die betreffenden Personen schlichtweg nicht kennt. Wenn wir eine Veranstaltung in irgendeinem Dorf durchführen, dann wissen die Leute, mit denen wir diese Veranstaltung machen, sehr gut, wer daran teilnimmt. Beispielsweise wurde uns einmal auf diesem Weg mitgeteilt, daß wir aufpassen sollten, weil Fremde anwesend seien. Daraufhin haben wir dann die Veranstaltung beendet.

SB: Sie erhalten also in solchen Fällen eine Rückmeldung aus der lokalen Bevölkerung, indem sie beispielsweise erfahren, welche Akteure bei einem Treffen anwesend sind. Sind Sie persönlich in Gefahr geraten oder bedroht worden?

Maria Prada: Wir haben bislang keine Situationen erlebt, in denen die Teilnehmer oder wir selbst in Gefahr waren. In einem Fall gaben uns die Teilnehmer eines Workshops zu verstehen, daß sie nicht so viel erzählen wollten, weil sie nicht alle Leute kannten, die anwesend waren. Deswegen brachen wir das Treffen wie gesagt ab. Wesentlich ist an unserer Tätigkeit, daß wir nicht direkt in dem bewaffneten Konflikt, also mit legalen oder illegalen bewaffneten Akteuren arbeiten. Uns geht es um eine andere Art von Gewalt, die gemessen an ihrem Prozentsatz viel gravierender als die bewaffneten Konflikte ist. In diesem Zusammenhang sprechen wir mit allen beteiligten Akteuren wie etwa den Jugendlichen und den Verwaltungen auf lokaler Ebene. Da geht es um Kriminalität und andere Arten von Gewalt, die teilweise diesen Orten alltäglich mehr Schaden zufügen als der bewaffnete Konflikt. Um noch einmal auf Galtungs These zurückzukommen: Ja, wir sprechen mit allen beteiligten Akteuren, doch sind das nicht die Guerilleros, Paramilitärs oder andere bewaffneten Gruppierungen.

PH: Glücklicherweise waren wir noch nicht damit konfrontiert, daß einer unserer Mitarbeiter direkt auf irgendeine Art und Weise bedroht wurde. Es kam allerdings vor, daß Organisationen wie NGOs, mit denen wir vor Ort zusammenarbeiten, bedroht worden sind. Derartige Vorfälle melden wir immer an die Botschaft weiter, die eine Liste darüber führt. Vor etwa drei Jahren wurde häufig bei NGOs eingebrochen, weil man offenbar Zugriff auf ihre Informationen bekommen wollte. Seit diesem Zeitpunkt sind wir angewiesen, die Botschaft immer darüber zu informieren, wenn einem unserer Partner etwas derartiges widerfährt. In einem anderen Fall bekamen drei GIZ-Mitarbeiter eine merkwürdige Mail, worauf wir unsere Tätigkeit in dieser Region aus Sicherheitsgründen vorübergehend eingestellt haben. Unsere Partner in dieser Region wie insbesondere die Gemeinden, in denen wir gearbeitet hatten, schlossen sich daraufhin mit der Forderung zusammen, daß man eine derartige Entwicklung keinesfalls eskalieren lassen dürfe, weil dadurch die Arbeit gefährdet würde. Wir haben den Vorfall natürlich auch den Behörden gemeldet, doch ist in dieser Hinsicht nicht allzuviel passiert. Nachdem wir unsere Aktivitäten ein oder zwei Monate heruntergefahren hatten, arbeiteten wir in der Folge wieder normal weiter.

SB: Sie haben vorhin im Workshop als eine Art Generalthema Ihrer Arbeit in Kolumbien die Frage genannt, wie Menschen zusammenleben können. Welche Möglichkeiten der Intervention sehen Sie in diesem Zusammenhang, von Ihnen gewünschte Entwicklungen anzustoßen?

MP: Wie arbeiten überwiegend auf lokaler Ebene der Gemeinden, in denen wir beispielsweise die Verwaltung beraten, auf welche Weise sie partizipative Projekte entwickeln kann, die die Bedürfnisse etwa von Jugendlichen berücksichtigen. Auf der anderen Seite beraten und unterstützen wir die Jugendlichen, damit sie wissen, wieviel Teilhabe ihnen beim Entwerfen und Gestalten der Projekte ermöglicht wird. In diesem Sinne geht es darum, auf beiden Seiten Verständnis für die jeweils andere zu fördern. Die Jugendlichen verstehen, wie die Verwaltung funktioniert und welche Möglichkeiten sie hat, während andererseits die Verwaltung transparenter und inklusiver arbeitet als zuvor.

PH: Ein aktuelles Beispiel aus unserer Arbeit ist die Unterstützung der neuen Bürgermeister, die im Oktober letzten Jahres gewählt wurden. Sie sind inzwischen ins Amt eingeführt worden und haben nun drei Monate Zeit, ihren Gemeindeentwicklungsplan für die nächsten vier Jahre vorzulegen. Gemeinsam mit unseren Partnern bis hinauf zur Nationalregierung, die für die Bürgermeister Guide-Lines zur Orientierung herausgegeben hat, informieren und beraten wir die neugewählten Amtsinhaber, wie ein Gemeindeentwicklungsplan nicht nur auszusehen hat, sondern möglichst auch in partizipativer Art und Weise erstellt wird. Leider gibt es auch Fälle, in denen irgendeine private Consultingfirma beauftragt wird, die ihnen dann vorgibt, was sie tun sollten. Das möchten wir natürlich nicht, weil uns daran liegt, daß alle Gruppen der betreffenden Gemeinde einbezogen werden und ihre spezifischen Interessen einbringen können. Wir arbeiten also sowohl auf der zentralen Ebene als auch direkt in der Gemeinde.

SB: Ich hatte in einem vorangegangenen Interview mit meiner Gesprächspartnerin die Frage aufgeworfen, wer im Rahmen ihrer Projektarbeitarbeit darüber entscheidet, was konkret gemacht werden soll. Es ging dabei um Jugendliche in einem palästinensischen Flüchtlingslager, die Filme drehten. Dabei habe ich erfahren, daß die Jugendlichen selber bestimmen, welchen Film sie herstellen, und dies von den Projektleitern ausdrücklich so gewünscht wird. Diese unterstützen die Teilnehmer nach besten Kräften mit der erforderlichen Ausrüstung und Schulung, nehmen aber keinen inhaltlichen Einfluß auf die Resultate. Könnten Sie aus Ihrer Arbeit berichten, welche Probleme Sie dabei zu lösen haben und ob Sie ähnlich vorgehen wie in dem genannten Beispiel?

MP: Wie bei der Arbeit im Beispiel der Palästinenser geht es auch uns darum, im ersten Schritt Kontakt mit den beteiligten Akteuren aufzunehmen. Als wir vor fünf Jahren angefangen haben, erstellten wir zunächst eine Analyse, welche Institutionen und Organisationen vor Ort vertreten sind und welcher Art ihre Tätigkeit ist. Wir haben dann vor allem jene ausgewählt, die in ihrer Arbeit etwas mit Friedensentwicklung zu tun haben, damit wir dieses Thema nicht nur von uns aus vorgeben, sondern auf Leute treffen, die bereits daran arbeiten. Die meisten wissen schon, daß die GIZ auf technische Kooperation angewiesen ist. Wir finanzieren nicht die Projekte als solche, sondern begleiten und beraten die Beteiligten im jeweiligen Prozeß. Wir fragen daher, was sie machen und wie wir das unterstützen können, um gemeinsam die Ergebnisse zu verbessern. Aufgrund dieser Vorgehensweise sind ihre Ziele gleichzeitig auch unsere Ziele.

PH: Da es unser Anliegen ist, möglichst viele Akteure zusammenzubringen, richten wir in der Gemeinde einen runden Tisch zur guten Regierungsführung ein. Die Gemeinde selbst erstellt ihre eigene Konfliktanalyse und legt die Themen fest, die bearbeitet werden sollen. In einem Fall kam dabei ein religiöser Konflikt zur Sprache, da der katholische Pfarrer und ein evangelisierender Priester derart verfeindet waren, daß sie einander sogar tätlich angriffen und durch ihren Streit die Gemeinde spalteten. Mit Hilfe des runden Tisches konnte dieser Konflikt aufgegriffen und bearbeitet werden. Ich hatte das Vergnügen, diese Gemeinde besuchen zu können, wo ich dann erfuhr, wie genial diese Methode funktioniert hatte. Hätte mich zuvor jemand gefragt, ob wir auch religiöse Konflikte bearbeiten, hätte ich das sicher verneint. Wie dieses Beispiel zeigt, ging es letztlich um die Methode, die wir eingebracht haben. Welche Themen wir bearbeiten, hängt von den Leuten ab.

SB: Im Workshop zum Thema Evaluation konnte Antanas Mockus, der früher Bürgermeister von Bogotá war, vergleichsweise harte Fakten wie etwa die Reduzierung der Mordrate, den Rückgang von Verkehrsunfällen oder einen verringerten Wasserverbrauch präsentieren. Andererseits wurde deutlich, daß Entwicklungen im sozialen Bereich oftmals sehr viel schwerer greifbar zu machen sind. Wie können Sie in ihrer Arbeit die erzielten Veränderungen konkretisieren und gibt es in diesem Zusammenhang womöglich Bereiche, die sich der Bemessung entziehen?

MP: Wir arbeiten jetzt seit knapp fünf Jahren an unserem Projekt und haben vor kurzem festgestellt, daß beispielsweise dank unserer Begleitung der Prozesse in einer Region inzwischen vier Akteure zusammenarbeiten. Eine Universität, zwei NGOs und die Regierung auf regionaler Ebene, deren Vertreter einander zuvor nicht kannten, arbeiten heute im Friedensprozeß zusammen. Sie arbeiten nicht mehr vereinzelt, sondern in einem Netzwerk zusammen und beraten gemeinsam die Regierung hinsichtlich des Designs von Entwicklungsplänen. Wir als GIZ haben die Regierung vor vier Jahren beraten, und heute machen das die Leute vor Ort als Netzwerk. Zahlreiche Studien in Kolumbien legen nahe, daß die Friedensbewegung im Grunde viel größer als die bewaffnete Bewegung, jedoch sehr zersplittert ist, da jeder für sich arbeitet. Daher freuen wir uns darüber, daß es vier große Institutionen gibt, die uns dafür danken, wesentliche Anstöße zu diesem Prozeß der Zusammenarbeit gegeben zu haben. Sie haben unsere Leute vor Ort kennen und schätzen gelernt, und heute arbeiten wie komplementär zusammen und beraten die Regierung. Wenn wir nach Ende unserer Projektarbeit nicht mehr da sind, wird diese Arbeit auch ohne uns vor Ort fortgesetzt. Wir können also sagen, daß sich auf vielen Ebenen etwas verändert hat, das man zeigen und messen kann. Wir haben natürlich auch andere, eher technische Indikatoren, anhand derer wir messen können, wie viele Vorschläge etwa von Frauen eingebracht wurden, um Projekte zu implentieren, um einmal ein Beipiel zu nennen.

PH: Veränderungen des Verhaltens und der sozialen Beziehungen sind zwangsläufig schwerer meßbar. Man kann natürlich Befragungen durchführen und derartige Entwicklungen zumindest ansatzweise quantifizieren, doch gibt es in unserer Arbeit sehr viele Indikatoren oder Ziele, die eher qualitativ als quantitativ sind. Das ist ein Problem, wenn man Resultate greifbar machen möchte. In diesem Zusammenhang muß man berücksichtigen, daß in Kolumbien sehr viele Statistiken kursieren, deren sogenannte harte Fakten sehr oft in Frage gestellt werden. Beispielsweise gibt es laut offiziellen Zahlen der Regierung um die zwei Millionen intern vertriebene Personen, während Vertreter von NGOs auf Grundlage ihrer inoffizielle Zahlen von drei bis vier Millionen ausgehen. Bei den Mordraten gehen die Zahlen insgesamt gesehen zurück, wobei bestimmte Städten wie Medellín oftmals als positives Beispiel hervorgehoben werden, was es ja auch war. Leider muß man heute sagen, daß die Tendenz wieder gegenläufig ist. Diese Statistiken werden häufig auseinandergenommen, je nachdem, wer sie genauer unter die Lupe nimmt und wissen will, was genau Eingang gefunden hat oder ausgeklammert wurde. Deshalb glaube ich, daß manchmal auch diese sogenannten harten Fakten nur eine vermeintliche Sicherheit vortäuschen. Richtig ist, daß wir natürlich den Anspruch haben, auch qualitative Veränderungen greifbar zu machen, was nicht immer ganz einfach ist. Wenn man beispielsweise dokumentiert, daß soundso viele Menschen irgendeine Fortbildung durchlaufen haben, bleibt ja völlig öffen, was sie später mit dem Gelernten angefangen haben.

SB: In den Forschungsmethoden der Sozialwissenschaften ist bekannt, wenngleich es nicht immer offen eingeräumt wird, daß die vorgebliche Datensicherheit der Ergebnisse zumeist zu Lasten der inhaltlichen Qualität geht. Unter Umständen sagen drei qualitative Interviews mehr als 100 ausgefüllte Fragebogen aus, deren Resultate man auf eine Weise eindampft, daß sie aussagelos werden. Andererseits werden oftmals quantifizierbare Erfolge eingefordert, die zu erbringen gerade im Kontext von Projekten mit künstlerischen Elementen nicht immer leicht sein dürfte. Inwieweit sind künstlerische Ansätze Teil ihrer Arbeit und auf welche Weise befördern sie den von Ihnen angestrebten Prozeß?

MP: Sehr, würde ich sagen, da es uns um Friedensentwicklung geht, worunter wir mehr als die Abwesenheit von bewaffnetem Konflikten verstehen. Wir konnten immer wieder feststellen, das es bei weitem nicht ausreicht, neue Gesetze zu erlassen. Meine Hypothese als Kolumbianerin ist, daß wir vieles verlernen müssen. Ich bin in Kolumbien geboren und aufgewachsen und kenne durch die Medien und die alltäglichen Erfahrungen nur Gewalt in unterschiedlicher Art und Weise. Die schnellste Lösung eines Problems ist in unserer Kultur illegal oder gewalttätig, Ich glaube, das müssen wir verlernen. Und um das zu bewerkstelligen, ist Kunst der richtig Weg. Mit ihrer Hilfe schaffen wir andere Ebenen, die Menschen zu erreichen. Wir haben Theater benutzt, Musik, Fotografie, Erzählungen, Malerei. Es gibt viele Menschen, die nicht sagen können, was sie bewegt. Sie können sich aber etwas vorstellen und es malen oder singen. Auf diese Art und Weise lernen wir sie zu verstehen und erfahren, wie wir sie beraten und womit wir sie unterstützen können. Die eine Hälfte unserer Arbeit bezieht sich auf strukturelle Veränderungen, die andere auf Emotionen, Verhalten und Werte. Ich glaube, daran müssen wir sehr viel arbeiten. Für mich hängt die Nachhaltigkeit aller Veränderungen von solchen Veränderungen des Verhaltens ab. Da bin ich mit Galtung einer Meinung. Wir können zwar neue Gesetze bekommen, doch ihre Implementierung hängt letztendlich von den Menschen ab.

SB: Ich möchte unser Gespräch mit einer persönlichen Frage beschließen. Sie haben bereits in Sri Lanka und anderen Ländern gearbeitet. Welche Bedeutung hat es für Sie als Kolumbianerin, nun in ihrer Heimat tätig zu sein?

MP: Eine große, eine sehr große Bedeutung, die manchmal auch süß-sauer ist. Ich könnte mir in meinem Leben nichts Sinnvolleres vorstellen als das, was ich mache. Es ist einfach wunderschön für mich, aufzustehen und zu wissen, was ich tue. Andererseits bin ich eine Kolumbianerin, die Optionen hat, die vielen anderen nicht offenstehen. Daher fühle ich mich auch sehr verantwortlich dafür, meine Arbeit gut zu machen. Man muß sich immer wieder Mut machen, da man häufig keine langfristigen Veränderungen erkennen kann. Dann muß man sich täglich sagen: Bleib trotzdem dran, denn wenn du nichts machst oder wenn viele andere es nicht machen, dann wird sich auch nichts ändern. Ich bin der festen Überzeugung, daß sich etwas in unserer Kultur verändern muß, und diese Veränderung dauert lange. Sieht man aber kleine Erfolge, dann ist man sehr glücklich. Wie Sie schon sagten, habe ich früher an derselben Thematik in Sri Lanka gearbeitet. Bei der Arbeit in Kolumbien war für mich persönlich eine Lernerfahrung zu sehen, daß das Team auch aus Kolumbianern und Kolumbianerinnen besteht und daß die Probleme, die wir draußen lösen möchten, auch innerhalb unseres Teams auftreten und auf dem Weg, Vertrauen zu schaffen, am schnellsten gelöst werden können. Das war für mich ein wichtiger und ermutigender Lernprozeß.

SB: Vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.


Fußnote:
[1] http://www.gtz.de/de/praxis/21621.htm


18. März 2012