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INTERVIEW/040: documenta, Fragen und Kritik - Brüche, Resultate, Denkanstöße ...    Hans-Joachim Keller im Gespräch (SB)


Hans-Joachim Keller ist seit über 40 Jahren in Kulturpolitik und Kunstbetrieb aktiv. Nach Anfängen in der gewerkschaftlichen Kulturentwicklungsarbeit wurde er Leiter des Institutes für Publizistik und Kunst und hatte andere Positionen im Rahmen gewerkschaftlicher Arbeit inne. Zudem war er Intendant eines alternativen Theaters und nahm im Ruhestand eine Lehrtätigkeit an der Kunstakademie in Leipzig auf. Auch seine langjährigen Erfahrungen mit den documentas in Kassel mögen ein Grund dafür gewesen sein, daß Keller auf der Tagung der Marx-Engels-Stiftung am 1. Juli 2017 in Kassel zur documenta 14 referierte. Im Anschluß an seinen ausführlichen Vortrag beantwortete er dem Schattenblick einige ergänzende Fragen.



Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Hans-Joachim Keller
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Keller, in welchem Rahmen kann Kunst überhaupt politisch sein?

Joachim Keller (JK): Man kann nicht sagen, Kunst ist politisch, sondern daß ein Künstler generell ein sehr sensibler Mensch ist, der auf politische Vorgänge in der Gesellschaft reagiert und dann adäquat mit seinen Mitteln versucht, seinen Ärger, seine ästhetische Nuance oder was er daraus für sich selber als wichtig empfindet zu vermitteln. Viele Künstler interessiert es einen Dreck, was die Öffentlichkeit über ihre Kunst denkt. Sie müssen das machen, weil sie ein inneres Feuer haben. Nun müßte man diesen psychomorphen Vorgang, der im Inneren eines Künstlers stattfindet, um kreativ zu werden, näher definieren.

Das Politische wird immer so verstanden, daß Kunstwerken aufgrund dessen, wie Leute sie interpretieren, etwas zugeschrieben wird. Daraus ergibt sich ein Referenzraum, den ich entweder teile, weil ich ähnlich denke oder das Werk ähnlich sehe, oder ich teile ihn nicht. In jedem Fall würde ich eine Auseinandersetzung darüber führen, ob die Interpretation die richtige ist. Ein Kunstwerk ist für mich dann wichtig, wenn man sich über irgend etwas derart streitet, daß daraus eine neue Erkenntnisschwelle entsteht.

Umgekehrt formuliert gehe ich davon aus, daß Kunst einer der wenigen Bereiche ist, wo Zukunft visualisiert wird. Das heißt, für mich ist ein Künstler ein Mensch, der in der Lage ist, aufgrund seiner Disposition und weil er als Künstler ausgebildet wurde, mir einen Vorhang wegzureißen für eine Sicht auf zukünftige Dinge. Daran würde ich eine Ausstellung messen. Daher vertrete ich die Meinung, daß auf dieser documenta, wo Künstler in vielen Bereichen arbeiten, die für uns eine eminent wichtige Bedeutung über Lebenszusammenhänge und politische Strukturen haben, kein einziges Kunstwerk vorhanden ist, daß diesem Anspruch genügt. Ich kenne jedenfalls keines.


Schädelvorhang von hinten - Foto: © 2017 by Schattenblick

Máret Ánne Sara "Pile o´ Sápmi" in der Neuen Neuen Galerie von der Rückseite aus
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Was befähigt den Künstler im Verhältnis zu Menschen, die sich öffentlich äußern wie beispielsweise Medienvertreter, dazu, daß er dieses Moment in ihnen auslöst?

JK: Weil er keine Grenzen kennt. Jeder normale Mensch denkt in vorgegebenen Kategorien oder in den jeweiligen Bezugsrahmen, die er kennt. Ein Künstler ist aber in der Lage, über ganz viele Dinge hinwegzugehen, indem er einfach etwas behauptet. Die Frage ist dann, wie diese Behauptung von mir in der Realität wahrgenommen bzw. ob diese Behauptung mit meinem Bezugsraum in irgendeine Übereinstimmung gebracht wird. Das heißt, ich würde Kunstwerke immer aus sich selbst heraus beurteilen und danach fragen, was sie mir sagen und wie ich damit umgehe. Deshalb muß ich erst einen Zugang dazu finden, ich muß wissen, warum welches Kunstwerk wie produziert worden ist.

Wenn ich nur etwas dahinstelle, das einen ganz komplizierten Zusammenhang darstellt, dann kann ich den möglicherweise nicht erkennen. Selbst so etwas einfaches wie dieser Vorhang mit den Rentierschädeln wäre für mich nicht zugänglich, wenn ich nicht wüßte, daß es in Norwegen ein bestimmtes Gesetz gibt und was es damit auf sich hat. Ich brauche also Informationen. Denn sonst wären das ja nur Tierschädel, die ein Loch haben. Vielleicht wundere ich mich dann darüber, daß sie alle an der gleichen Stelle ein großes Loch haben und komme darauf, daß da etwas abgeschlachtet worden ist, aber mehr könnte ich daraus nicht lesen. Um aber mehr daraus lesen zu können, brauche ich Zugangsinformationen. Und dann kann dieses Kunstwerk plötzlich ein Eigenleben für mich bekommen, wo ich ganz viel drin sehe, und wenn ich dann mit anderen kommuniziere - und das ist die eigentliche Aufgabe -, kann Kunst durch diese Kommunikation erlebbar gemacht werden.

SB: Inwiefern kann sich ein Künstler, selbst wenn er keine Grenzen anerkennt, von der grundlegenden Form der Vergesellschaftung freimachen und verhindern, daß er deren Anschauungen möglicherweise affirmativ in seine Werke einbringt?

JK: Darauf vermag ich keine eindeutige Antwort zu geben, weil man sich grundsätzlich natürlich nicht von seinen gesellschaftlichen Einflüssen an Wissen und Erfahrung freimachen kann. Das kann auch ein Künstler nicht, aber ein Künstler produziert anders. Das heißt, er denkt anders als wir, sonst wäre er Journalist oder Buchhalter geworden. Er ist auch deshalb Künstler geworden, weil er eine Gefühls- und Denkstruktur hat, die mit dem, was wir machen, nicht übereinstimmt. Und deshalb ist er meines Erachtens in der Lage, sowohl sinnlich wie gefühlsmäßig aus den Widersprüchen der Gesellschaft ganz andere Assoziationsketten zu bilden, die wir so nie bilden würden.

Aber dieser kreative Akt ist nicht beschreibbar oder ableitbar aus irgendwelchen Verordnungen der Gesellschaft. Dennoch ist es nicht so, daß der Künstler außerhalb der Gesellschaft steht und einen Heiligenschein hat. Es gibt auch viele Künstler, die die neoliberale Politik gut finden. Ich würde sie daher nicht per se aus diesem Kontext herausnehmen wollen. Wenn sie richtig im Markt verankert sind, kann es auch sein, daß sie ganz anders produzieren.

Ich war total irritiert und auch nicht besonders gut zu sprechen auf die letzte documenta, als dieser Satz aufkam, daß Erdbeeren und Tomaten wählen dürfen. Nachdem ich die jetzige documenta gesehen habe, könnte ich die Kuratorin der documenta 13 sogar dafür knutschen, daß sie es nicht ernst gemeint hat. Da war etwas Spaßiges dran, womit sie die Bürgerlichen aufregen wollte, die wirklich so reagieren, als ob Kunst irgend etwas damit zu tun hat.

SB: Könnte man nicht auch sagen, daß, wenn an unangenehmen Dingen wie der persönlichen Teilhaberschaft an imperialistischen und kolonialistischen Strategien gerührt wird, dies eigentlich immer unangenehm und nicht unbedingt publikumsattraktiv wirkt?

JK: Ja, aber doch nicht bei einer Megaschau mit so vielen Leuten. Da muß ich auch die Ecke haben, wo ich etwas anderes zulasse. Ein Mensch kann nicht nur so leben. Das fände ich depressiv, um es mal so zu formulieren.

Der Philosoph Byung-Chul Han, der an der Universität der Künste Berlin unterrichtet, hat eine Arbeit über neoliberale Machtmechanismen verfaßt. Früher war es so gewesen, daß der Arbeiter durch die Machtmechanismen des Kapitalismus direkt ausgebeutet wurde und durch diese Erfahrung sozusagen zum Streit und Widerstand dagegen und für eine neue Gesellschaft organisierbar war. Er hat dagegen gekämpft, weil die direkte physische Macht, die ihn unterdrückt hat, erfahrbar war. Doch durch die neuen Machtmechanismen, die durch die Informationstechnologien oder das iPhone in die Person selber hineinverlagert werden, so daß sie selbst zum Produzenten der Abhängigkeit wird, spürt er das nicht mehr und kann daher keinen Klassenstandpunkt einnehmen oder ein revolutionäres Potential entwickeln. Seiner These nach führt das zur Depression.

SB: Das würde sich mit den empirischen Befunden über die Ausbreitung von Depression in den letzten Jahrzehnten decken.

JK: Und das wird auf dieser documenta zum Teil noch gefördert.


Bilderwand mit Fotografien und Betrachterin - Foto: © 2017 by Schattenblick

Piotr Uklanski "Real Nazis" in der Neuen Galerie mit Joseph Beuys rechts unten mit Fliegerkappe
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Ein Großteil der Werke, die ich gesehen habe, beschäftigt sich mit historischen Ereignissen. Wie läßt sich der Bezug zu heute herstellen, zumal Geschichte immer aus Sicht der Gegenwart interpretiert wird, selbst dann, wenn es sich um ein altes Kunstwerk handelt? Besteht nicht die Gefahr, daß auf konsensuell verankerte Auffassungen aufgesetzt wird? Natürlich sind fast alle Menschen der Ansicht, daß das NS-Regime verbrecherisch und eine Diktatur war, aber was sagt einem eine Bildwand mit einem rot durchgestrichenen Hitler darüber hinaus?

JK: Ich denke, daß es hierbei um etwas anderes geht und diese Bildwand, die den Titel "Real Nazis" trägt, eine Auseinandersetzung ist. Meine Assoziation dazu war, daß darauf relativ wenig Frauen zu sehen sind. Deshalb war meine erste Überlegung: Gab es in der faschistischen Struktur nicht mehr Frauen, die darin tätig waren? Unabhängig davon sieht man darin ganz viele Gesichter, die auch heute als Alltagsgesichter durchgehen würden. Das wäre für mich eher der Assoziationsraum. Der durchgestrichene Hitler wiederum symbolisiert für mich das Kreuz, um das sich alles dreht. Ich habe es eher nicht als durchgestrichen gesehen, sondern als Dreh- und Angelpunkt. Hitler hat sich selbst ermordet, und drumherum sind all diejenigen Leute mit ihren Alltagsgesichtern einschließlich Joseph Beuys zu sehen.


Installation mit zwei Zuschauerinnen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Joseph Beuys "Das Rudel" - Dauerexponat in der Neuen Galerie
Foto: © 2017 by Schattenblick

Das alles vor dem Raum, wo Beuys ausstellt, da gibt es auch Assoziationsketten, aber die sind total wild. Ich gehe einmal davon aus, daß auch die Kuratoren, denen ich nicht zu nahe treten will, sehr wilde Assoziationsketten haben, die nicht auf so einer einfachen Struktur laufen. So hängt auf der anderen Seite des Raumes dieses indische Gemälde, wo Bäume gepflanzt werden, in Assoziation zu Beuys, und dann auf der anderen Seite die Veredelung der Eiche durch den Künstler, der sie abschneidet und aufpropft.


Betrachter vor Gemälde - Foto: © 2017 by Schattenblick

Edi Hila "Planting of Trees" (1971)
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Sie haben auch das System des Kuratierens kritisiert. Halten Sie es nicht für legitim, daß jemand, der in einer organisatorischen Funktion tätig ist, die Ausstellung in einen bestimmten politischen Rahmen stellt?

JK: Ja doch, das finde ich alles in Ordnung. Ich finde es nur falsch, wenn der Kurator so tut, als ob er der Hohe Künstler wäre. Denn es sind künstlerische Werke, und die kommen von Künstlern. Problematisch wird das Ganze bei dieser documenta, wenn der Kurator die Kunstwerke zum Teil auch inhaltlich auf seine eigenen philosophischen Versatzstücke, die er überall verbreitet hat, hinbiegt.

SB: Sie kritisieren also, daß er aufgrund seines publizistischen Einflußes einen bestimmten Interpretationsrahmen vorgibt, der dann auch in den Köpfen der Besucher wirkt?

JK: Ja, und der zum Teil den Künstlern zuwiderläuft, was sie Ihnen auch bestätigen werden. Darüber zu diskutieren, ist eigentlich müßig, denn solange es kein Ausstellungshonorar gibt, sind Künstler auf Marktmechanismen angewiesen. Ein Ausstellungshonorar bedeutet, daß die jeweilige Institution dem Künstler ein Honorar für seine dort gezeigte Kunst zahlt, wie es üblicherweise auch bei Schriftstellern der Fall ist. Aus diesem Grund werden Sie kaum einen Künstler finden, der sich mit einem Betrieb wie diesem kritisch auseinandersetzt, weil Betriebe dieser Art notwendig sind, damit sich Künstler am Markt reproduzieren und ihre Kunst finanzieren können.

SB: Bedeutet dies, daß die Künstler von der jeweiligen Institution kein Honorar bekommen und im Falle der documenta froh sein können, wenn ihre Werke ausgestellt werden?

JK: Sie kriegen höchstens, wenn das Werk in Auftrag gegeben wird, eine Finanzierung und auch eine Kostenerstattung. Aber wenn die documenta vorbei ist und die Werke in einem normalen Galeriebetrieb oder Kunstverein ausgestellt werden, bekommen die Künstler kein Ausstellungshonorar. Es gibt zwar auf EU-Ebene ein Gesetz, das gewährleistet, daß Künstler Ausstellungshonorare erhalten sollen, aber es wurde nie ratifiziert.

SB: Demnach profitieren die Veranstalter von Kunstevents davon, daß Künstler darauf angewiesen sind, ihre Produkte auszustellen, um sich einen Namen zu machen.

JK: Ja. Die documenta stellt in diesem Sinne etwas Besonderes dar, weil sie viele Werke in Auftrag gibt. Dafür kriegen die Künstler auch Projektgelder, aber die Werke gehen dann in den Besitz der documenta über. Es kommt auch vor, daß die documenta Werke zum Schluß aufkauft. Üblich ist, daß die Transportkosten übernommen werden. Aber wenn Künstler normalerweise irgendwo ausstellen, bekommen sie dafür kein Geld, weil man sagt, daß das Werk erst durch das Ausstellen verkaufbar wird. Diese Umkehrung setzt darauf, daß der Marktmechanismus funktioniert und der Künstler froh sein muß, wenn ihm sozusagen eine Schaufensterfläche geboten wird.

SB: Der Kunstmarkt, auf dem Kunstwerke als Anlageobjekte gehandelt werden, ist inzwischen ungeheuer aufgebläht. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der documenta mit ihrem eher ideell-politischen Anspruch und dem umsatzorientierten Kunstmarkt?

JK: Die documenta arbeitet im Gegensatz zu anderen Großevents im Kunstbetrieb nicht mit Galerien zusammen. Üblicherweise präsentieren Galerien ihre Künstler etwa auf einer Biennale, um deren Kunstwerke anschließend zu verkaufen. Künstler, die nicht auf ihre Galerie angewiesen sind, lassen das gar nicht zu. Hans Haacke zum Beispiel ließ seine Werke nicht auf der Art Basel ausstellen, weil er sie nicht auf einer Kunstmesse vermarkten wollte. Er kann sich das erlauben, andere Künstler können das nicht. Sie werden kaum Künstler, die von der Kunstakademie abgehen, finden, die nicht überall sofort dabei sein wollen, weil sie das Geld brauchen.


Titel des Vortrages von Hans-Joachim Keller - Foto: 2017 by Schattenblick

Vortrag bei der Marx-Engels-Stiftung
Foto: 2017 by Schattenblick

SB: Im Fridericianum, die eine Sammlung des Athener Nationalen Museums für Zeitgenössische Kunst (EMST) beherbergt, müßte eigentlich das Verhältnis Deutschland-Griechenland im Mittelpunkt stehen, zumal unter dem Titel "Von Athen lernen". Wird das große Ausmaß an neokolonialistischer Okkupation überhaupt thematisiert?

JK: Nein. Die Frage, die auch in Athen gestellt wurde, warum das Event dort und nicht beispielsweise in Barcelona stattfindet, wird an keiner Stelle thematisiert. Warum benötigt man überhaupt einen anderen Standpunkt? Man könnte argumentieren, daß die Deutschen versucht haben, einen Konflikt in den Vordergrund zu bringen, der sich eigentlich nur dadurch lösen ließe, daß die Politik von Schäuble und anderen aufgegeben wird. Er wird nicht dadurch gelöst, daß man einen Teil der documenta von Kassel nach Athen verlagert. Den griechischen Künstlern gegenüber ist argumentiert worden, daß sie nicht ausgestellt werden, weil es eine internationale Kunstausstellung wäre. Wenn dem so ist und deshalb viele Künstler von überall hergeholt werden, die dort unter dem Gesichtspunkt ausstellen, welche Sicht sie auf die neoliberale Politik in Europa haben, dann könnte dies trotzdem an jedem anderen Ort passieren. Für mich gibt es keinen direkten und logischen Zusammenhang zwischen Athen und Kassel.

SB: Dieser wurde doch in gewisser Weise dadurch nahegelegt, daß der Arbeitstitel "Von Athen lernen" eine scheinbare Umkehrung des okkupatorischen Verhältnisses darstellt?

JK: Lustig daran ist, daß zuerst Plakate in Athen mit dem Titel "Von Athen lernen" angebracht wurden. Als die documenta-Leitung mitgekriegt hat, wie schwierig und konfliktbeladen dieser Titel ist, hat sie einen kleinen Aufkleber hergestellt. So waren in Athen viele Plakate mit der Aufschrift "Arbeitstitel" überklebt. Vom Gefühl her hieß das, wir hätten gerne wieder einen anderen Titel, weil das, worauf sie insistiert hatten, nicht funktioniert.

SB: In Athen läuft auch eine Biennale.

JK: Aber die ist nicht einbezogen worden. Deshalb gab es einen riesengroßen Konflikt.

SB: Deren Leiter Poka-Yio scheint auch ein Kritiker der documenta zu sein.

JK: Ja, das trifft eigentlich auf alle dort zu. Es gibt auch alternative Galerien, die eine tolle Kulturpolitik machen. Szymczyk war vorher in Athen und hat mit allen geredet. Dann hieß es, wir arbeiten mit euch zusammen. Alles wurde realisiert, aber was ist letzten Endes übriggeblieben? Er hat alle großen Läden in Athen für sich in Anspruch genommen, aber das ist nicht das, was man dort braucht. Man wird kaum Athener finden, die in die Kunstakademie oder ins EMST fahren. Wenn man es ernst gemeint hätte, hätte man es anders aufbauen müssen.

SB: Wie bewerten Sie das Verhältnis der griechischen Künstlerinnen und Künstler gegenüber ihrem eigenen Kunstbetrieb, der stark durch Stiftungen bemittelt wird, die Reeder wie Niarchos oder Onassis eingerichtet haben?

JK: In diese Räume, die die Benaki-Stiftung und andere zur Verfügung gestellt haben, ist Szymczyk ja gegangen. Aber dann braucht man den Künstler gar nicht mehr zu fragen, was er davon hält. Ich habe das im Vortrag auch als vermeintliche Okkupation beschrieben, die deutschen Interessen genügt. Griechische Künstler haben das auch so gedeutet, daß Deutschland dies braucht, weil Schäuble mit seiner Politik überall so schlecht wegkommen ist. Nachdem er selbst die Forderung des IWF nach einem Schuldenschnitt nicht akzeptiert hat, wurde starke Kritik laut. Um diese Stimmen zu überspielen und das Ansehen Deutschlands international wieder zu verbessern, hat man gesagt, seht her, die documenta macht etwas mit Griechenland zusammen.

SB: Das wäre dann das klassische kulturindustrielle Motiv der Beschwichtigung bzw. Befriedung.

JK: So wird das in Griechenland gesehen. Varoufakis hat mehrere Interviews gegeben, in denen er noch viel weitergegangen ist.

SB: Herr Keller, vielen Dank für das Gespräch.

Bisherige Beiträge zur documenta 14 im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → KUNST → REPORT:

BERICHT/053: documenta, Fragen und Kritik - zähflüssig ... (SB)
BERICHT/054: documenta, Fragen und Kritik - zwiebetracht ... (1) (SB)
BERICHT/055: documenta, Fragen und Kritik - Untiefen rechts ... (2) (SB)
BERICHT/056: documenta, Fragen und Kritik - Januskopf läßt grüßen ... (3) (SB)
BERICHT/057: documenta, Fragen und Kritik - Pfad der Künste, Weg der Zweifel (4) (SB)
BERICHT/058: documenta, Fragen und Kritik - notästhetisch ausgewichen ... (5) (SB)
BERICHT/059: documenta, Fragen und Kritik - von der Kunst gegen die Kunst leben (SB)
INTERVIEW/039: documenta, Fragen und Kritik - politisches Vakuum ...    Marlis Wilde-Stockmeyer im Gespräch (SB)


29. August 2017


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