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INTERVIEW/041: documenta, Fragen und Kritik - gewünscht, gebraucht, verfügungsfrei ...    Reiner Diederich im Gespräch (SB)


Der emeritierte Professor für Soziologie und Politische Ökonomie Reiner Diederich ist Vorsitzender der KunstGesellschaft e.V. seit deren Gründung in Frankfurt/Main 1983. Die KunstGesellschaft verfolgt das Ziel einer emanzipatorischen und inklusiven Annäherung an Kunst und Kultur. Die Mitglieder des Vereins setzen "auf demokratische, diskursive, dialogische Aneignungsformen" [1] wie Ausstellungs- und Bildergespräche, Diskussionen, Matineen, kulturelle Rundgänge, Fahrten und Reisen. Zu diesem Zweck wird alle zwei Monate ein Programmangebot [2] veröffentlicht, das auch als gedruckter Flyer erhältlich ist.

Im Anschluß an sein Referat auf der Tagung der Marx-Engels-Stiftung zur documenta 14, die am 1. Juli 2017 im Café Buch-Oase in Kassel stattfand, beantwortete Reiner Diederich dem Schattenblick einige Fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Reiner Diederich
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Diederich, in Ihrem Vortrag haben Sie unter anderem über den Warencharakter von Kunst referiert. Gibt es in Ihren Augen dennoch einen essentiellen Unterschied zwischen Kunstwerken und anderen gehandelten Gütern?

Reiner Diederich (RD): Natürlich fällt sofort auf, daß ein Kunstwerk ein Einzelstück ist, das es so nirgends auf der Welt gibt, sieht man einmal von Multiples oder Grafiken gab, die reproduzierbar sind. Das ist etwas, was Kunstwerke von anderen Waren unterscheidet, die prinzipiell reproduzierbar sind. Damit ist der Seltenheitscharakter gegeben, der ja auch mit wertbestimmend ist. Ich habe zwar im Vortrag gesagt, daß der Tauschwert nach der Marxschen Warenanalyse letzten Endes rückführbar ist auf menschliche Arbeit, was jedoch die Preisbestimmung von Kunst nur teilweise erklärt, weil noch alle möglichen anderen Faktoren mit hineinspielen. Hinter dem einzigartigen Charakter eines Werkes steckt im allgemeinen viel mehr persönliche Arbeit des Künstlers als in jeder anderen Ware oder auch handwerklichen Produkten, die eher eine Zwischenform darstellen. Kunsthandwerkliche Erzeugnisse sind insofern Waren, als sie in Serien oder Reproduktionen vorliegen können.

Ich habe dies hervorgehoben, weil ich mich gegen den idealistischen Anspruch wende, daß Kunst damit überhaupt nichts zu tun habe, weil so getan wird, als ob die Frage der Ökonomie erst hinterher gestellt wird, also daß man die Kunst irgendwie vor dem Markt bewahren könnte. Das halte ich für eine idealistische Position, die nicht weiterführt. Statt dessen bin ich dafür, die Widersprüche in den Werken selbst aufzuspüren und in Betrachtungen und Auseinandersetzungen mit ihnen nachzuprüfen, wo der Tauschwertcharakter unter Umständen tatsächlich sichtbar wird. Darunter fallen das Schielen auf Marktgängigkeit ebenso wie die Betonung der persönlichen Handschrift, die dann als Marke mitverkauft werden kann.

SB: Letztlich ist ein Künstler oder eine Künstlerin nicht davor gefeit, vom Kunstmarkt als der ökonomischen Seite des Betriebs absorbiert zu werden.

RD: Er muß es sogar sein, wenn er von seiner Arbeit leben will, aber die meisten Künstler können nicht einmal das. Entweder leben sie mit jemandem zusammen, der das Geld verdient, oder sie können nur teilweise das Geld, das sie zum Leben brauchen, durch den Verkauf ihrer Werke erwerben, und müssen auf andere Quellen zurückgreifen. Aber sich vom Markt in der kapitalistischen Gesellschaft fernzuhalten, ist nicht wirklich möglich. Selbst wenn man in die Landkommune geht und dort künstlerisch tätig ist, muß auch eine Landkommune, weil sie nicht alles selber herstellen kann, auf irgendeinen Markt gehen und ökonomisch hergestellte Produkte wieder vertauschen oder verkaufen. Also raus kommt man da erst einmal nicht.

SB: Auf dem Kunstmarkt werden Kunstwerke als Anlageobjekte erstanden insbesondere in Hinsicht auf ihre Unverwechselbarkeit, die der Wechselbarkeit des abstrakten Geldwertes gegenüber den Vorteil haben kann, nicht auf gleiche Weise krisenanfällig zu sein. Wie beurteilen Sie das?

RD: Ja, das ist natürlich eine Entwicklung, die immer interessanter wurde mit der zunehmenden Überakkumulation von Kapital. Weil das Kapital nicht mehr genügend profitable Anlagemöglichkeiten findet, wird verstärkt nach eher spekulativen Anlageformen gesucht. Kunst kann so gesehen ein Aufbewahrungsmittel für Tauschwert sein. Ob man sich verspekuliert, wenn man zum Beispiel Werke von Damien Hirst kauft, die in 50 Jahren kein Mensch mehr haben will, was ich hoffe bzw. auch vermute, ist dann eine andere Sache. Im Moment klettern Kunstwerke als Anlageobjekte zum Teil in irrsinnige Höhen. Man muß sich dazu nur anschauen, was auf internationalen Börsen für Werke bestimmter Kunstmarktkünstler gezahlt wird. Die Idee dahinter ist die Aufbewahrung von Tauschwert, weil dies sicherer ist als Geld.

SB: Wäre es dann nicht notwendig, den Warencharakter zum Thema der Kunst selbst zu machen, um dieser Vereinnahmung entgegenzuwirken und damit eine grundlegende Kritik am vermeintlichen Zusammenhang zwischen der Qualität von Kunst und ihrer monetären Bewertung zu üben?

RD: Das geschieht bei bestimmten Künstlern auf die eine oder andere Weise durchaus. Ein Beispiel dafür ist Hans Haacke, der sich in seinen Arbeiten immer mit dem Verhältnis von Kunst und Kapital beschäftigt hat. Auch Beuys hat anläßlich seiner Installation Wirtschaftswerte gesagt, eine Kunst, die sich nicht mit der Kapitalfrage auseinandersetzt, ist keine Kunst. Das einmal als Schlagwort von Beuys. Da gibt es sicherlich verschiedenste Wege, aber aus den Widersprüchen kommen sie damit nicht raus. Sie können sie irgendwie benennen oder das Thema im Werk selber verarbeiten, aber dennoch denke ich, wenn das Werk selber einen hohen Gebrauchswertcharakter hat, um jetzt einmal in diesen Begriffen zu sprechen, dann ist es bereits eine immanente Kritik am Tauschwertsystem oder am Kapitalismus.


Installation aus Holz und Stoffen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Ciudad Abierta "Amereida Phaleatin South Ame" in der Karlsaue
Foto: © 2017 by Schattenblick


Bank mit Holztafel und Gravuren - Foto: © 2017 by Schattenblick

Sitzgelegenheit im "Pavilion of Hospitality" des chilenischen Künstler- und Architektenkollektivs Ciudad Abierta im Auepark
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Künstler gelten meist als besonders individualistisch, auch weil sie ihre eigenen Arbeiten anfertigen. Auf der anderen Seite gibt es heute Kunstfabriken, wo 200 Angestellte nach den Ideen eines bekannten Künstlers im Grunde Markenproduktion betreiben. Könnten Sie sich auch kollektive Zusammenhänge vorstellen, wo Kunst mit einem antikapitalistischen Anspruch gemacht wird?

RD: Ja, das kann ich mir natürlich vorstellen, und solche Kollektive gibt es sicher auch. Hier auf der Documenta wird zum Beispiel das Projekt Ciudad Abierta (Offene Stadt) eines lateinamerikanischen Künstlerkollektivs in der Karlsaue präsentiert, das ich leider noch nicht besuchen konnte. Dem liegt ein reales Projekt an der südpazifischen Küste in Chile zugrunde, das von der Kontextdefinition her ein kollektive Kunstwerk ist. Sicher gibt es auf der documenta auch andere Kollektivarbeiten. Nun ist es so, daß die Konzentration bzw. Verdichtung, die für ein Kunstwerk eigentlich notwendig ist - wir reden jetzt von Bildender Kunst und nicht von Kunstformen wie Film oder Theater, wo von vornherein kollektiv gearbeitet wird -, meistens doch die Sache von einzelnen Künstlern ist, die sich intensivst mit etwas beschäftigen, um es produzieren zu können.

SB: Künstler leben häufig im Prekariat, weswegen der Anspruch auf öffentliche Förderung immer wieder erhoben wird, damit Kunst überhaupt möglich gemacht wird. Ist es vorstellbar, daß eine öffentliche Kunstförderung in einer kapitalistischen Gesellschaft Künstlern wirklich alle Freiheiten läßt für eine kreative Gestaltung auch mit Blick auf eine politische Intention?

RD: Na ja, vollkommene Freiheit widerspricht erst einmal den Verwertungsprinzipien. In Holland gab es teilweise eine Künstlerförderung. Daraus ist eine riesige Sammlung von Werken entstanden. Auch in der DDR gab es so etwas in Form der gesellschaftlichen Aufträge, aber das war, wie immer man es definieren will, kein kapitalistisches System wie unser gegenwärtiges hier. Selbst in einer kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft ist vorstellbar, daß so etwas verwirklicht werden könnte, aber ich sehe keine politische Kraft, die das auch nur fordert.

SB: Diese Forderung kommt teilweise von Künstlern selbst, aber nicht unbedingt von Parteien.

RD: Nun ist die Grundsicherung auch eine sehr schwierige Debatte, aber dadurch wären Künstler in gewisser Weise auf einem Minimalstand abgesichert. Unter Verzicht auf einen hohen Lebensstandard hätte man dann Zeit, die frei stünde für solche Produktionen. Tatsächlich gibt es Überlegungen, daß durch die Industrie 4.0 und die weitere Digitalisierung so viel Arbeitskraft eingespart wird, daß es nicht ausbleibt, sich Gedanken über andere Formen der Finanzierung zu machen. Eventuell könnten dadurch auch andere Formen der Produktion gesellschaftlich ermöglicht werden, ohne daß das unbedingt das Ende des Kapitalismus voraussetzte.

SB: Private Unternehmen und deren Stiftungen sind im Bereich der Kunstförderung aktiv, Banken bieten Ausstellungen in ihren Foyers an. Hat dieser Trend zugenommen und wie beurteilen Sie diese Entwicklung generell?

RD: Er hat schon deshalb zugenommen, weil immer weniger öffentliches Geld zur Verfügung steht. So leben zum Beispiel die Museen davon, daß sie ständig Sponsoring einwerben, um irgendwelche Ausstellungsprojekte zu finanzieren. Manchmal fällt dabei auch etwas für die Künstler ab. Insofern weitet sich der Bereich immer weiter aus unter dem Stichwort Öffentliche Armut, die natürlich eine gemachte Armut ist, weil auf Steuereinnahmen verzichtet wird. Privater Reichtum wird in den USA seit langem viel stärker als bei uns dafür herangezogen, aber auch in der Bundesrepublik werden Formen bestimmter Förderungen zunehmend genutzt, seien es karikative Projekte oder kulturelles Sponsoring. Natürlich fördert dies das Image derer, die das finanziell unterstützen. Die Banken können sich dann zugute halten, den Kunstbetrieb zu fördern. Die Deutsche Bank hat sich zum Beispiel eine riesige Kunstsammlung durch Ankäufe bei Künstlern zugelegt, die zum Teil in den Türmen des Bankhauses zu sehen ist oder als Schenkung oder Leihgabe bereits ans Städel gegangen ist und dort gezeigt werden kann. Das weitet sich sicherlich aus. Ich würde einmal sagen, das ist nicht die schlechteste Verwendung von überschüssigem Geld oder Kapital.

SB: Wie haben Sie die diesjährige documenta empfunden und wie bewerten Sie sie im Vergleich zu den vorangegangenen Ausstellungen?

RD: Eine Bewertung ist natürlich schwierig, aber aus meiner ganz subjektiven Sicht ist diese irgendwie schwächer als die vorherige, die ja viel gescholten wurde wegen der etwas esoterischen Anwandlung von Frau Christov-Bakargiev. Ein Referent hat das heute ins Positive gewendet, als er sagte, eine Utopie der Tomaten ist auf jeden Fall besser als ein Deprifazit, das Szymczyk gezogen haben soll. Dem kritischen Einwand, daß die diesjährige documenta nicht so benutzer- und besucherfreundlich ist wie die frühere, kann ich mich nur anschließen. Man kommt in Kassel-Hauptbahnhof an, findet keine Hinweistafeln, keinen Stand, wo man Karten kaufen kann, und das, obwohl auf dem Vorplatz bereits die erste Station beginnt. Das finde ich schon sehr merkwürdig.

Die Info-Systeme lassen viel zu wünschen übrig, man erfährt nicht, wie man in der Stadt von einem Ausstellungsort zum anderen kommt. Auch die Information in den Ausstellungen ist sehr unterschiedlich, zu sporadisch, da hätte man sicher mehr machen können. Einzelne Sachen leuchten mir überhaupt nicht ein wie zum Beispiel der Transport des Athener Museums EMST nach Kassel ins Fridericianum, zumal die Sammlung zugegebenermaßen zum größeren Teil eher aus Mainstream-Kunst besteht, die man in Athen angekauft hat. Das leuchtet mir überhaupt nicht ein.

So steht der zentrale Ort der documenta nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wie noch bei der letzten documenta, wo mir gefiel, daß die Aue wirklich benutzt wurde mit vielen Pavillons und einer unterschiedlichen Angebotspalette. Diesmal ist da fast nichts außer dieser merkwürdigen Blutmühle. Insgesamt würde ich immer vertreten, daß man die documenta nutzen kann, auch wenn sie für mich ein riesiger Jahrmarkt ist, und dabei stelle ich jetzt nicht unbedingt die höchsten Qualitätsansprüche. Es kommen viele Leute, so daß ich immer noch vertreten würde, daß sie genutzt werden sollte, aber im Sinne einer aktiven Auseinandersetzung mit Werken und dem Konzept insgesamt.

SB: Herr Diederich, vielen Dank für das Gespräch.


Auf dem Podium Herrmann Kopp, Reiner Diederich und Hans-Joachim Keller - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tagung der Marx-Engels-Stiftung zur documenta 14
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.kunstgesellschaft.de/selbstverstaendnis/ziele-und-praxis/

[2] http://www.kunstgesellschaft.de/programm/

Beiträge zur documenta 14 im Schattenblick unter

www.schattenblick.de → INFOPOOL → KUNST → REPORT:

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30. August 2017


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