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ANALYSE & KRITIK/306: Recht auf Stadt für alle!


ak - analyse & kritik - Ausgabe 540, 19.06.2009

Recht auf Stadt für alle!
In Hamburg regt sich Widerstand gegen städtische Umstrukturierungsprozesse

Von Sybille Bauriedl


Stadt ist ein komplexes Gebilde, in dem sich die Katalysatoren und NutznießerInnen von Gentrifizierungsprozessen nicht immer so leicht bestimmen lassen. Mittlerweile kursieren in der Stadtforschung Begriffe wie "family gentrification", "gay gentrification" oder "gold ager gentrification", um die, die von der so genannten Aufwertung profitieren, zu benennen. Vernachlässigt wird dabei jedoch die Gestaltungsmacht derjenigen, die vor allem politische und ökonomische Interessen verfolgen.

Der Widerstand gegen die negativen Folgen von Gentrifizierungsprozessen muss sich in diesem Feld sozialer, politischer und ökonomischer Dynamiken positionieren. Dabei sollte die aktuell starke Gentrifizierungsdebatte die Vielfalt sozialer Bewegungen in den Städten und deren Kämpfe gegen Sexismus, Homophobie, Rassismus, Vertreibung, Prekarisierung, Armut, Bildungsnotstand, Kontrollpolitik zusammenbringen. In Hamburg finden dazu aktuell zahlreiche Veranstaltungen und Aktionen statt.


Gentrifizierung und soziale Polarisierung

Die sozial differenzierte Gesellschaft drückt sich auch in einer sozial polarisierten Stadt aus. Es ist daher immer auch zu fragen: Wo bleiben die ehemaligen BewohnerInnen der gentrifizierten Quartiere? Die Suche nach einer Antwort würde Aufschluss geben über gesamtstädtische Zusammenhänge: In Folge innerstädtischer Aufwertungsprozesse erhöht sich auch der Druck auf Großwohnsiedlungen und dichtbebaute Quartiere am inneren Stadtrand. Die gestiegene Wohnraumnachfrage in diesen Quartieren führt zu einer weiteren Abwanderung in Stadtteile mit problematischer Sozial- und Infrastruktur, die die Stadt zunehmend sich selbst überlässt. Um Strategien des Widerstands gegen die Politik einer unternehmerischen Stadt entwickeln zu können, müssen geeignete Aktionsformen in den Randstadtteilen gefunden werden. Außerdem ist Gentrifizierung ein fortlaufender Prozess. Die Gentrifizierungspioniere bereiten schon an anderen Orten die zu gentrifizierenden Quartiere vor. Der Anspruch, urbane Quartiere zu erhalten, die vielfältige Lebensweisen nebeneinander ermöglichen, sollte auch mit dem Anspruch einer Aufwertung in diesem Sinne einer Urbanität in anderen Stadtteilen verbunden sein. Politische Interventionen gegen Gentrifizierung braucht daher Mobilisierung für alle Teile der Stadt.

Der Slogan "Recht auf Stadt" ist in den letzten Jahren zu einem Kampfruf sozialer Bewegungen gegen neoliberale Stadtpolitik geworden. Geprägt wurde er durch marxistische StadtforscherInnen wie Henri Lefebvre, David Harvey und Neil Smith, die sich mit den Machtstrukturen der Aneignung städtischer Ressourcen beschäftigen und die Stadt als Ausgangspunkt von Befreiungsbewegungen betrachten. Daher verstehen sie Stadtforschung auch als einen Interventionsbeitrag und als Aktivierungsaufgabe. Wer hat eigentlich derzeit das Recht zur Umgestaltung von Stadt und wie werden diese Umstrukturierungen politisch durchgesetzt? Und es geht darum, nicht bei einer wissenschaftlichen Machtanalyse stehen zu bleiben, sondern Proteste und Alternativen auf die Straße zu tragen.

Soziale Kämpfe und Orte, an denen sie sich etablieren können, beeinflussen Stadtentwicklungsprozesse. Dass es in Hamburg die Rote Flora, das Centro Sociale und andere selbstorganisierte Orte gibt, muss als Erfolg der sozialen Bewegungen gewertet werden. Hier werden Räume aufrechterhalten und politischen und Stadtteilgruppen als Treffpunkt für Vernetzung, Information, Interaktion verfügbar gemacht, von denen wiederum stadtpolitische Interventionen ausgehen.


Fight for your Right to the City

In Hamburg haben sich vor einigen Monaten zahlreiche Gruppen und Personen, die in verschiedenen Stadtteilen gegen Gentrifizierung aktiv sind, zu einem breiten Bündnis zusammengeschlossen und laden vom 19. bis zum 21. Juni zu den "Recht-auf-Stadt-Tagen" ein. "Recht auf Stadt" wurde als Veranstaltungstitel gewählt, um die verschiedenen sozialen Kämpfe und Interventionsformen gegen Gentrifizierung zusammenzubringen. Gentrifizierung beschreiben die VeranstalterInnen als Vertreibung von AnwohnerInnen und alteingesessenen Gewerbetreibenden durch steigende Mietpreise und Umwandlung von Mietwohnraum in Eigentumswohnungen. Beim Veranstaltungsauftakt werden die ReferentInnen jeweils schlaglichtartig Inputs liefern, um den Prozess der Gentrifizierung differenzierter verstehen zu können. Am Samstag gibt es Workshops, u.a. zum Leitbild "Wachsende Stadt", zu rassistischen Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt, zu städtischer Imagepolitik, zu Widerstandsformen, zu Stadtutopien, und Berichte aus einzelnen Quartieren. Reichlich Raum und Zeit für Austausch über Aktionen und gemeinsame Strategieentwicklungen ist ebenfalls eingeplant.

Und die Proteste gegen Gentrifizierung gehen weiter - nicht nur in Hamburg: Am 4. Juli findet das 20. Schanzenfest statt, das sich weiterhin dem Genehmigungsdruck von Bezirksamt und der Innenbehörde widersetzt. Der Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg setzt sich kritisch mit der Hamburger Stadtentwicklungspolitik auseinander und hat eine umfangreiche Broschüre unter dem Titel "Die Insel gehört denen, die da wohnen" verfasst. Für den Herbst plant der BUKO-Arbeitsschwerpunkt Stadt/Raum eine überregionale Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Unternehmen Stadt übernehmen", die durch Bremen, Hamburg, Berlin, Leipzig, Frankfurt a.M. und Bochum touren wird.


Weitere Infos:

www.rechtaufstadt.net

BUKO-Arbeitsschwerpunkt StadtRaum (ASSR):
www.buko.info/buko_projekte/as_stadt_raum

Dokumentarfilm und Texte zu Gentrifizierung in Hamburg:
www.empire-stpauli.de

Broschüre und Veranstaltungen des Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg:
http://aku-wilhelmsburg.blog.de

Allgemeiner Blog zu Gentrifizierung:
http://gentrificationblog.wordpress.com


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 540, 19.06.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2009