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ARBEITERSTIMME/235: Leben in der Big Society


Arbeiterstimme, Frühjahr 2011, Nr. 171
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Leben in der Big Society


Den drastischen Kürzungen im Fürsorgebereich, die von der Regierung aus Tories und Liberaldemokraten vorgeschlagen wurden, die im Mai 2010 gebildet wurde, folgten noch mehr nach einer Durchsicht der Ausgaben später im Jahr. Insgesamt beliefen sie sich auf 20 Milliarden Pfund. Die Privatisierung des Nationalen Gesundheitsdienstes und ihre Überführung in die Marktwirtschaft, die von New Labour begonnen worden war, werden weitergehen. Gruppen von Bürgern (d.h. die Mittelklasse) und privaten Gesellschaften wird es erlaubt werden, Schulen zu übernehmen und sie so der Kontrolle lokaler Behörden zu entziehen. Auch damit hatte New Labour schon begonnen. Lokale Ärzte werden ihre eigenen Budgets kontrollieren. Eine halbe Million Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst sollen bis 2015 verschwinden. Die Geldmittel, die die Regierung den Kommunen zukommen läßt, sollen in diesen vier Jahren um 25% gekürzt werden. Beschäftigte im Öffentlichen Dienst werden 3,2% mehr für ihre Pensionsversorgung einzuzahlen haben. Der Gipfel ist, daß ein Zahlungsstop und ein höheres Renteneintrittsalter eingeführt werden wird. Den Universitäten wurde erlaubt, bis zu 9.000 Pfund von den Studenten zu verlangen. Das sind nur einige der bekannteren Maßnahmen, die die Regierung in die Tat umsetzen will.

Davon abgesehen, daß Premierminister David Cameron und sein Stellvertreter Nick Clegg von den Liberaldemokraten Millionäre sind und in Privatschulen erzogen wurden, die der englischen Herrschenden Klasse immer zur Verfügung standen, sind sie Klone von Tony Blair - ein Produkt der modernen Politik, geformt von den Methoden der Werbebranche. Während die neoliberale Clique, die die Liberaldemokraten übernommen hat, in den letzten Jahren vom schlanken Staat spricht, wie die Republikanische Partei in den USA, hat Cameron den Slogan der "big society" aufgebracht. Ähnlich war Tony Blairs Politik des "big tent" (Großes Zelt, alle zusammen ungeachtet ihrer Klasseninteressen). Es bedeutet vermutlich, jedermann wird seine eigenen Angelegenheiten betreiben, weil der Zentralstaat und die kommunalen Einrichtungen zusammengestrichen werden. Der Slogans entkleidet, stellt das eine Rückkehr in die 1920er und 30er dar.

In dieser big society (Große Gesellschaft) werden nach und nach Almosen die Rolle der Einrichtungen des Zentralstaats und der kommunalen Ebene ersetzen. Die wichtigsten Wohlfahrtsverbände haben ausgeführt, daß sie einen großen Teil der Geldmittel, über die sie verfügen können, von lokalen Einrichtungen erhalten; in harten Zeiten versiegen die Spenden aus der Bevölkerung. Manche Stadträte, die, wie etwa der von Liverpool, sagten, sie würden die Idee der big society unterstützen, traten den Rückzug an; sie sagten, aufgrund der Kürzungen fehlten ihnen die nötigen Geldmittel. Politische Kommentatoren erklärten, die Räder des big society-Projekts blockierten. Gemeinderäte aus dem ganzen Land haben angekündigt, daß 1.500 Stellen abgebaut werden. Manchester streicht 2.000 Stellen. Dienstleistungen, die von Gemeinden zur Verfügung gestellt oder von ihnen finanziert werden, wie z.B. Beratungsstellen für Rentner oder Behinderte, Jugendzentren in Wohngebieten, wo es viel antisoziales Verhalten und Kriminalität gibt usw., kurz gesagt, die Schwächsten und die Ärmsten in der Gesellschaft wird es treffen.

Im ganzen Land sind tausende von Kampagnen im Gange, die sich der Schließung einer Schule, einer öffentlichen Bibliothek oder eines Jugendzentrums widersetzen. In vielen Gegenden sind die Kampagnen in einem Anti-Kürzungs-Kommitte zusammengefaßt, oft mit Verbindungen zum örtlichen Gewerkschaftsrat. Dort können die Gewerkschaftsmitglieder, die im Abwehrkampf engagiert sind, vereint werden. Das erste Zeichen des Abwehrkampfs war die Demonstration in London am 10. November, die von der NUS (Studentengewerkschaft) und der UCL (Gewerkschaft der Lehrpersonen an Universitäten und Colleges) organisiert wurde. Es kamen 50.000 Teilnehmer, von denen eine Minderheit die Parteizentrale der Tones angriff und kaputtschlug. Die Wut und Militanz überraschte einen jeden, einschließlich der Polizei. Gewerkschaftsführer, auch die Spitze des TUC, gratulierten den Studenten, deren Aktion die Moral der Gewerkschaftsführer gestärkt hatte. Auch 14-und 15-jährige Schüler nahmen teil. Nichtsdestoweniger, worauf wir alle warten, ist, daß der TUC die Führung übernimmt. Während in den Provinzen Demonstrationen stattgefunden haben, findet die nationale Demonstration des TUC in London erst am 26. März statt.

Schon hat Widerstand gegen einige Maßnahmen der Regierung, wie etwa der Verkauf der Wälder, die in öffentlicher Hand sind, der sofort eine große und sehr breite Opposition hervorrief, zu einem Rückzieher geführt. Der Vorsitzende des nationalen Zusammenschlusses der kommunalen Körperschaften, ein Tory, protestierte gegen die vorgesehene Anhebung der Pensionsaufwendungen für Gemeindearbeiter um 3,2%, da dies dazu führen wird, daß viele aus dem System herausfallen und in die staatliche Rentenversicherung übergehen. Dies wird die Staatsschulden weiter erhöhen. Auch bei Kürzungen von Zuschüssen gibt es einige Rückzieher.

Die Regierung hat kein Mandat für diese Streichprogramme und ist sehr schwach, es gibt Spannungen zwischen den Bestandteilen der Koalition und innerhalb von ihnen, eine koordinierte Welle von Streiks kann dazu führen, daß sie zusammenbricht. Der heutige Independent (vom 22.2.11) berichtet, daß die verschiedenen Abteilungen der Regierung Pläne entworfen haben für einen koordinierte Welle von Streiks durch Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes im Sommer. Es wird davon gesprochen, Streikbrecher zu organisieren und davon, neue Gesetze zu erlassen, die es noch schwerer machen sollen, Streiks zu. organisieren, als es jetzt schon der Fall ist. Arbeitgeberverbände im privaten Sektor haben neue Gesetze gefordert, die einige Monate lang Streiks verhindern sollen. Ende Januar traf sich der TUC, um zu besprechen, wie der Kampf gegen die Kürzungen koordiniert werden könnte, aber zuletzt wurde kein Beschluß gefaßt. Die militanteren Gewerkschaften wollen kämpfen, aber bis jetzt ist es ihnen nicht gelungen, die größeren in den Kampf mitzuziehen. Wenn sich die Regierung auf eine Streikwelle im Sommer vorbereitet, dann sind sie vielleicht besser informiert als der Rest von uns. Sie haben an die Gewerkschaften appelliert, mit ihnen zu sprechen und sich nicht auf Kämpfe einzulassen, aber der sich entwickelnde Widerstand gegen die Privatisierung der Wälder, der sehr schnell zu einem Rückzieher führte, zeigt, daß Kämpfen die Kürzungsprogramme verhindern wird, die das Leben von Millionen vernichten werden, nicht aber Reden.

M.J., 22. 2. 2011


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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 171, Frühjahr 2011, S. 17-18
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2011