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ARBEITERSTIMME/263: Zum 130. Geburtstag von Karl Grönsfelder


Arbeiterstimme Nr. 178 - Winter 2012/2013
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Zum 130. Geburtstag von Karl Grönsfelder

von Hans Steiger



Die Bedeutung von Karl Grönsfelder für die Vorgeschichte unserer Gruppe

Der Ursprung der Gruppe Arbeiterstimme lag in der Nürnberger Gruppe Arbeiterpolitik, die nach dem II. Weltkrieg von Genossinnen und Genossen der ehemaligen Kommunistischen Partei Deutschland - Opposition (KPO) gegründet worden war. Entscheidend am Aufbau der GAP in Nürnberg war das Wirken Karl Grönsfelders, des einstigen Spartakusführers in Nürnberg. Er war in der Weimarer Zeit u. a. Landtagsabgeordneter in Bayern gewesen; 1926 wurde er Landessekretär der KPD und 1947 wurde er wieder Mitglied der KPD-Bezirksleitung Bayern, bis zum Ausschluss 1949 ("Verräter Karl Grönsfelder"). Nach dem ersten Ausschluss 1930 war er KPO-Leiter in Nordbayern gewesen.

Anfang der fünfziger Jahre zählte die Gruppe Arbeiterpolitik in Nürnberg noch etwa 50 Mitglieder, fast alle Arbeiter und Gewerkschafter. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg des Kapitalismus und die antikommunistische Stimmung machten im weiteren Verlauf nahezu alle revolutionären Hoffungen zunichte, was sich auch auf die sozialistischen Organisationen auswirkte.

Als ich im Alter von 28 Jahren 1956 zum ersten Mal mit Karl Grönsfelder zusammentraf, war er schon nicht mehr in den Triumph-Werken, sondern ein Rentner mit 74 Jahren. Er war aber nach wie vor entschlossen, soweit er dazu imstande war, politisch weiterzuarbeiten. Der Kreis der Mitstreiter war kleiner geworden. Als anlässlich eines IG Metall-Bundeskongresses der Betriebsratsvorsitzende aus Salzgitter, Erich Söchtig, mit Arpo-Redakteur Rudi Hanke in Nürnberg weilte, kamen zu unserer Hinterzimmer-Veranstaltung immerhin noch ca. 30 Teilnehmer.

Die anhaltende Konjunktur in Westdeutschland brachte auch der Arbeiterschaft soziale Verbesserungen, die das Klassenbewusstsein weiter schwinden ließen; aber auch das Schreckgespenst "Stalinismus" trug dazu bei. Politische und gewerkschaftliche Gegenpositionen waren immer schwerer durchzusetzen, was besondere Bedeutung in der IG Metall hatte, mit Rückwirkung auf die einst starke Arpo-Bastion Salzgitter-Werke. Die bundesweite Gruppe Arbeiterpolitik löste sich 1959, auf Beschluss ihrer Spitze und ohne Mitgliederbefragung, auf. In Bremen und anderswo, auch in Nürnberg, zeigte sich jedoch der Wille, trotz allem weiterzumachen, wenn auch in kleinerem Maßstab. Unterstützung kam dabei auch von Heinrich Brandler.

In Nürnberg hielt Karl Grönsfelder die Wenigen zusammen. Jahrelang war es ein winziger Kreis, zu dessen Kern Hans Kunz, Helmut Insinger, Erich Hansel und Hans Steiger zählten. Hin und wieder gelang es mir, Interessenten einzuladen, die uns jedoch nur wenig aktiv unterstützten. Auch der Kern war immer mehr von Resignation befallen und ohne Karl wäre er wohl auseinandergefallen. Ich war lange Zeit noch ein marxistisch nicht sehr Beschlagener Suchender. Dabei waren mir die Kenntnisse und die Geduld, die Karl aufbrachte, eine große Hilfe. So hat er letzten Endes den Stab weitergereicht. Er war kein Pädagoge und kein Intellektueller, hatte aber den Kern der marxistischen Theorie erfasst und verstand es, sie auf einfache Weise zu vermitteln. Er war menschlich ein Vorbild und von ruhiger Sachlichkeit, verbunden mit Festigkeit in seinen Prinzipien.

Die Studenten- und Jugendbewegung brachte auch der Gruppe Aufschwung, der freilich mit deren Niedergang wieder abebbte. Doch etwas von dem einstigen Zugang ist geblieben; er bildet den heutigen Kern der Gruppe Arbeiterstimme. Vor etwa 20 Jahren haben wir unser Nürnberger Domizil Karl Grönsfelder-Heim genannt und Karl hat es verdient, dass wir ihn in dieser Nummer mit einer Würdigung bedenken.

Der Text stammt vom Genossen Helmut Insinger aus der ARSTI vom 27.2.1974.

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Karl war als der Sohn einer Köchin und eines Dieners und Kutschers ein typisches Proletarierkind. Er wurde am 18. Januar 1882 in Frankfurt geboren, verbrachte jedoch seine Kindheit bei den Großeltern in Württemberg-Bartenstein. Karl hatte nach dem Besuch einer wenig qualifizierten 4-klassigen Landschule das Mechanikerhandwerk gelernt und arbeitete von 1900 - 1903 in Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Siegburg und Krefeld und übersiedelte danach nach Nürnberg. Hier hat er wohl in den harten Konfrontationen mit dem damaligen Erwerbsleben seine ersten ernsthaften Erfahrungen innerhalb der Arbeiterbewegung gesammelt und trat 1908 der SPD und dem Metallarbeiterverband bei.

Nürnberg als eine rasch aufstrebende Industriestadt, der damals größten in Bayern, war eine der Hochburgen der Arbeiterbewegung und für den jungen Karl Grönsfelder ein dankbares Arbeitsfeld, auf dem er sich zunächst in einem Zirkel junger Genossen als Anhänger Rosa Luxemburgs mit sozialistischer Literatur befaßte und innerhalb der Partei auf dem linken Flügel stehend, eine kritische Einstellung zum Bernsteinschen Revisionismus bezog. Dieser damaligen kritischen Einstellung zu allen offiziellen und mehrheitlich vertretenen Parteidoktrinen ist Karl Grönsfelder in seinem ganzen Leben treu geblieben und er hat niemals diese kritische Position gegenüber den verschiedenen ideologischen Strömungen innerhalb der Arbeiterbewegung aufgegeben, unabhängig davon, ob er persönlich dabei in die Reihe der Minderheitler gedrängt wurde.

Seine grundsätzliche Einstellung blieb in seinem ganzen Leben dem Gedanken der sozialistischen Revolution verhaftet und der Marxismus schien ihm die einzig mögliche Methode zu sein, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu analysieren und auch zu verändern. Im Jahre 1917 schloß er sich deshalb auch der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei an, die sich während des Ersten Weltkrieges im Gegensatz zu der kriegsbejahenden und reformistischen SPD gebildet hatte, und wurde 1919 einer der Mitbegründer der KPD (Spartakusbund) in Nürnberg.

Gen. Karl war ein hervorragender Betriebsfunktionär und ein ausgesprochener Spezialist für Gewerkschaftsfragen. Der Betrieb blieb trotz seiner vielseitigen Betätigungen und verschiedenen ihm gestellten Aufgaben seine eigentliche Domäne und die Betriebsarbeit, in der Agitation von Mann zu Mann, seine eigentliche Hauptaufgabe. Diese Aufgabe entsprach auch am besten seinem Naturell. Er besaß wie selten einer die Gabe, vollkommen sachlich und ruhig schwierige Fragen auch mit dem politischen Gegner zu diskutieren, ohne daß es dabei zu Auseinandersetzungen kam, die zu persönlichen Feindschaften geführt hätten. Wenn auch von politischen Gegnern viel geschmäht, blieb Gen. Karl jedoch meist ein respektierter und geschätzter Gewerkschaftskollege, dem man vertraute. So war es kein Zufall, daß er im Jahre 1920 von den MAN-Arbeitern in Nürnberg als Betriebsrat gewählt wurde.

Bei aller Überzeugung von der Notwendigkeit der revolutionären Gewerkschaftsarbeit im Betrieb, war er zutiefst durchdrungen von der Idee der revolutionären Umgestaltung der bürgerlichen Macht- und Besitzverhältnisse und der Schaffung eines sozialistischen Staates als der Grundlage einer besseren Gesellschaft. Seine vielseitige Tätigkeit innerhalb der Partei verschaffte ihm deshalb auch den nötigen Rückhalt und das Vertrauen der Mitglieder, um als Delegierter auf dem III. Parteitag der KPD im Jahre 1920 auftreten zu können. Nach der Vereinigung mit der USPD wurde er ein Mitglied der Bezirksleitung der KPD in Nordbayern und von 1921-1924 auch deren Vorsitzender.

Gen. Karl sah in der revolutionären Gewerkschaftsarbeit den Schlüssel zur Verwirklichung der aktiven Einheitsfrontpolitik, einer der Kardinalfragen für die damalige Kommunistische Partei, in der Thalheimer und Brandler in entscheidender Verantwortung agierten. Karl Grönsfelder war einer der aktivsten Vertreter dieser Politik, die darauf abzielte, mit den besten Gewerkschaftskollegen der SPD in den entscheidenden Tagesfragen der Gewerkschaftspolitik eine gemeinsame Kampfplattform zu bilden. Seine Arbeit in dieser Hinsicht war so erfolgreich und nachhaltig, daß er auf dem VIII. Parteitag im Jahre 1923 in die Gewerkschaftskommission der Partei delegiert und gleichzeitig auch in den Zentralausschuß gewählt wurde.

Sein stärkstes politisches Erlebnis in dieser Zeitperiode war zweifellos die Delegierung zum III. Weltkongreß der Komintern 1921 in Moskau. Hier lernte er die hervorragenden Führer der kommunistischen Weltbewegung kennen, die unter der souveränen Leitung Lenins die Fragen der Weltrevolution offen und freimütig diskutierten und als auch noch Hoffnung bestand, daß der Sieg der deutschen Revolution die entscheidende Wende auf dem Vormarsch zum Sozialismus auch in Westeuropa bringen könnte.

In der Aktivierung des deutschen Proletariats lag der Schlüssel zu dieser entscheidenden Wendung, und zweifellos hat Gen. Karl versucht, diese Überzeugung durch gesteigerte gewerkschaftliche Aktivität zum Tragen zu bringen. Noch war die kommunistische Bewegung in Deutschland zu schwach, um die alleinige Führung im Kampf um die politische Macht und die Durchführung der sozialistischen Revolution zu übernehmen; allein ein Einbruch in die Reihen der fortschrittlichsten Elemente der Sozialdemokratie konnte die Voraussetzungen dafür schaffen. Die Einheitsfrontpolitik lieferte die Basis hierzu.

Der Tod Lenins 1924, der Führungswechsel in der Sowjetunion, die inneren Schwierigkeiten in der SU, bedingt durch die hoffnungslose wirtschaftliche Situation, schuf neue Bedingungen auch für die Internationale. Sinowjew als deren Vorsitzender drängte die Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands, damals noch Brandler und Thalheimer, in das Abenteuer eines Umsturzversuches, der wegen der fehlenden Voraussetzungen und mangelhaften Vorbereitungen scheitern mußte. Mit der Absetzung Brandlers und Thalheimers kam auch die bisher so erfolgreich betriebene Einheitsfrontpolitik zum Erliegen und der Aufwärtstrend der KPD in Deutschland zum Stillstand. Stalins Politik des "Aufbaus des Sozialismus in einem Land" wurden alle internationalen Fragen untergeordnet; das Scheitern der Revolution in Westeuropa aber konsolidierte die Isolation der SU und blockierte die Entwicklung des Weltsozialismus über Jahrzehnte hinaus. Der revolutionäre Höhenflug machte einer Politik der Stagnation Platz und auch unser Gen. Karl, nunmehr schon in kritischer Einstellung zur offiziellen Parteipolitik, versuchte der neuen Situation gerecht zu werden.

Sein neues Arbeitsfeld war nunmehr die Politik auf Landesebene. Er wurde 1924 als Abgeordneter in den Bayerischen Landtag gewählt und hatte diese Funktion bis 1928 inne. Wegen des Verbots der Kommunistischen Partei war deren Wirken in die Illegalität gedrängt. In diesem Zusammenhang wurde auch Karl im Juni 1924 verhaftet und mußte einige Zeit in Schutzhaft verbringen. Während der Reichstagswahlen war er Wahlleiter der Kommunistischen Partei und führte neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter als Partei-Instrukteur den Unterbezirk Augsburg. Noch einmal schien die politische Laufbahn Karl Grönsfelders einem Höhepunkt zuzustreben, als er 1926 Landessekretär der KPD wurde und nach Ablauf der Legislaturperiode Sekretär für Gewerkschaftsfragen bei der Bezirksleitung Nordbayerns.

Wegen seines Widerstandes gegen den RGO-Kurs in den Gewerkschaften und gegen die These vom "Sozialfaschismus" wurde er 1930 aus der KPD ausgeschlossen und er trat der von Brandler und Thalheimer geführten KPO bei, für die er bis 1933 aktiv war. Wie viele seiner Genossen in dieser Organisation, erkannte Karl Grönsfelder, der ja auf dem gewerkschaftlichen Sektor seine größte Stärke besaß, ganz klar, daß der neue politische Kurs der Partei die Gewerkschaften zu spalten, und die Sozialdemokraten als Faschisten zu bezeichnen, zur Katastrophe führen mußte, deren Nutznießer nur die militante Bourgeoisie unter der Führung der Nationalsozialisten sein konnte. Die zur Besinnung mahnende Politik der KPO, die proletarische Einheitsfront nicht zu unterlaufen, und die Warnung vor der faschistischen Gefahr, konnte den Lauf der Geschichte nicht hemmen, und die einst so mächtige Arbeiterbewegung Deutschlands kapitulierte kampflos vor den braunen Horden der Nazis.

Auch dem Gen. Karl blieb das bittere Los der Schmach und Demütigungen nicht erspart, das so viele Seinesgleichen auf sich nehmen mußten, Gefangenschaft und Tod in den Konzentrationslagern des neuen Deutschen Reiches. Er wurde schon 1933 von der GeStaPo verhaftet und bis 1935 im KZ Dachau festgehalten. Vielleicht hat seine schon hier einsetzende Taubheit ihn vor dem Schlimmsten bewahrt. Arbeitslos nach seiner Entlassung 1935 bis 37, wurde er unter strenger Beaufsichtigung als Mechaniker in der Schreibmaschinen-Abteilung der Triumph-Werke beschäftigt.

Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft 1945 war Karl einer der Ersten, die wieder daran gingen, politisch neu zu beginnen, sowohl in gewerkschaftlicher als auch in politischer Hinsicht. 1946 wurde er in den Betriebsrat gewählt und behielt diese Funktion bis zu seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben 1955 inne. Der Kreis hatte sich wieder geschlossen; im Betrieb hatte die politische Laufbahn Karl Grönsfelders begonnen, im Betrieb hatte sie auch ihr Ende gefunden. Seine Erfahrung mit den Gewerkschaftskollegen aller Schattierungen ermöglichte es ihm, ohne nennenswerten politischen Anhang im Betrieb, die ihm notwendig erscheinende Politik zu betreiben, entsprechend den gegebenen Bedingungen, d.h. also, einer Arbeiterschaft, die durch den verlorenen Krieg deprimiert und ohne Klassenbewußtsein war. Mit dem Aufnehmen der mühevollen Kleinarbeit im Betrieb schuf sich Karl eine, wenn auch kleine politische Basis und erlangte das Vertrauen der Belegschaft, die ihn trotz seiner politischen Vergangenheit und seiner ungebrochenen kommunistischen Einstellung mit großer Mehrheit immer wieder in den Betriebsrat wählte.

Politisch hatte Karl 1946 mit seinem Wiedereintritt in die KPD versucht, die Fehler der Vergangenheit dieser Partei zu überwinden, und er wurde sogar 1947 in die Bezirksleitung Bayerns gewählt. Jedoch die Unselbständigkeit der zentralen politischen Führung, ihre Abhängigkeit von der Politik der Sowjetunion, die Ermangelung jeglicher innerparteilicher Demokratie, ließ die alten Gegensätze wieder aufbrechen, und so wurde Karl Grönsfelder 1949 als "Titoist" und Anhänger Heinrich Brandlers erneut mit einigen anderen Genossen aus der Partei ausgeschlossen.

Die politische Aktivität Karls war jedoch davon nicht betroffen. Die Gruppe "Arbeiterpolitik", als eine Nachfolgeorganisation der KPD-O sah ihn in ihren ersten Reihen. Als die zentrale Figur in Nürnberg vereinte er in sich alle Qualitäten des Arbeiterführers und Funktionärs der alten Garde, von denen leider nur zu wenige den Nazi-Terror ungebrochen überlebt haben. Seine Erfahrung und politische Aktivität überwand auch die verschiedenen Krisen innerhalb dieser Gruppe und durch seine politische Beharrlichkeit ist die Substanz dieser Gruppe in Nürnberg erhalten geblieben. Als unbestechlicher Marxist zeigte er sich niemals entmutigt, und vertrat seine politischen Positionen auch unbeeindruckt durch jahrzehntelange Friedhofsstille in den Reihen der Arbeiterbewegung, welche nach dem Zweiten Weltkrieg symptomatisch war. Niemand sollte jedoch vergessen, daß Karl Grönsfelder durch sein Wirken nicht wenige der Voraussetzungen für einen Neuanfang mitgeschaffen hat. Politiker seines Formats sind heute notwendiger denn je. Karl Grönsfelder wußte wie selten einer, daß große Politik nur möglich ist durch unablässige und mühevolle Kleinarbeit. Seine selbstlose Lebensaufgabe und sein Wirken haben immer dieser Vorstellung entsprochen.

*

Brief von Karl Grönsfelder an KarI B.:

Nürnberg, 17. Januar 1960

Lieber Karl!

Besten Dank für Deinen Brief vom 15.12. Wie ich daraus ersehen konnte, hast Du Dir als Folge der illegalen Arbeit und der Emigration ein schweres Herzleiden zugezogen. Ja, von den alten Genossen ist wohl keiner da, der nicht gesundheitlichen Schaden erlitten hat. Das ist die Rechnung, die man uns nun im Alter für unsere politische Arbeit präsentiert. Es wäre aber für uns immerhin eine Befriedigung, wenn junge Funktionäre unter den veränderten Bedingungen unsere frühere Funktion einnehmen würden. So bleibt für uns Alte das Vergangene immer noch ein politischer Höhepunkt in der Arbeiterbewegung und ist auch das Bindeglied unter uns, gleich welche Meinungsverschiedenheiten wir in bestimmten Fragen hatten.

Geschichtliche Entscheidungen richten sich nicht nach dem Wollen einer organisierten Gruppe oder Partei, sondern darnach, inwieweit eine grundsätzliche politische Beurteilung der jeweiligen Lage den zu ergreifenden Kampfmaßnahmen entspricht, um mühsam den Weg freizumachen für das gesteckte Ziel des Sozialismus. Wir wären heute in der Arbeiterbewegung notwendiger denn je, doch für diese großen Aufgaben reicht es nicht mehr bei uns.

Wir können bei Beurteilung unserer Arbeit - von der Linken in der SPD vor 1914 bis zur KPO - wohl politische Fehler in mancher Beurteilung feststellen, doch in der praktischen Arbeit haben wir immer wieder eine feste politische Stellung bezogen. Das, was 1933 geschehen ist, hat mit der Vereinigung der Kommunisten mit der USP 1920 begonnen. In allen führenden Gremien im Reich, von der Spitze bis zu den Zellen, waren die Usepeter fast durchwegs an der Mehrheit. Im Jahr 1919 haben wir die Radikalinskis der KAP-Leute hinausgedrängt und sind erst langsam fortgeschritten zu einer stabilen Organisation, die aber laufend von anderen linken Radikalinskis bedroht war. Es fehlte uns an politischen Funktionären im Reich, soweit führende Funktionen zu besetzen waren. In der KPD (Spartakus) verblieben noch einige angeblich linke Revolutionäre, die, von den USP-Leuten unterstützt, zum Ruth-Fischer-Kurs führten (mit Unterbrechung der Phase von Heinz und August), der, als die USPler in Führung kamen, bis 1933 fortgesetzt wurde. Der erste Schritt war, die wirklichen Revolutionäre aus den Funktionen mit Einfluß zu verdrängen. Die verhängnisvolle politische Linie der Fischer-Maslow nahm ihren Fortgang und Thälmann (nur vorgeschoben) krönte den ultralinken Kurs. Unser Vorstoß gegen den falschen Parteikurs kam aber erst zur Geltung, als August und Heinz nach Deutschland zurückgekommen waren.

Wir mußten auf eine Entscheidung drängen: entweder Änderung des politischen Kurses oder Trennung. Man hat uns rausgeworfen, aber zu einer allgemeinen Spaltung kam es nicht. So formierten wir uns als KPO. Die politische Arbeit, die wir 1923-33 geleistet haben, wiegt die Fehler weit auf, auch wenn wir Hitlers Machtantritt nicht verhindern konnten. Funktionärsapparat und Mitgliederzahl standen im Reich in keinem Verhältnis zu SPD-KPD und Gewerkschaften, um einen größeren Einfluß ausüben zu können, und damit auch nicht eine nennenswerte Kraft in dem Kampf gegen Hitler führend in der Arbeiterbewegung zu sein.

Unsere Plattform hatte so viele treffende Formulierungen, wie z. B. über das Wesen und die Aufgaben des Faschismus im Zeitalter der Konzerne und Trusts, die uns bei den Pannen, die die Nazis 1933-35 außenpolitisch erlebten, bei politischen Unterhaltungen im KZ erlaubten, eine Antwort zu geben, die sich später als richtig erwiesen hat, vorher aber von den KP- als auch den SP-Funktionären als lächerlich abgetan wurde.

Was ist schon alles über persönliche Dinge von 1933-35 zu schreiben: Am 30.1.33 schickte ich ein Schreiben mit Kurieren an die Arbeiterorganisationen, das kurz auf die damalige Situation hingewiesen hat, und forderte - noch am selben Abend - zu einer Zusammenkunft der Beauftragten der Organisationen auf, um einen Beschluß zum Generalstreik für den nächsten Tag zu fassen. Es genügt, die Antwort der drei großen Arbeiterorganisationen zu erwähnen:

  • Schneppenhorst, SPD, erklärte auf einer Mitgliederversammlung: ein Herr Grönsfelder will uns belehren, was wir tun müssen ... unser Vorstand wird eine klare Entscheidung treffen ...
  • Die KPD sagte: ... mit Verrätern, wie Gr. gibt es kein Zusammengehen ­... wir stehen dauernd mit der Zentrale in Verbindung ...
  • und der Vorsitzende des ADGB: ... er halte das Schreiben für angebracht, doch ohne den Vorstand könne er nichts unternehmen; sobald eine Nachricht einträfe, würde er uns unterrichten.

So verhielten sich die Führungen der Arbeiterorganisationen in entscheidender Stunde. Für mich war es der letzte politische Akt 1933. Wir nahmen noch mit der SAP Verbindung auf und wollten gemeinsam Material herausgeben, das der Lage entsprach. Die KPD berichtete ja nur Siege über die Polizei. Zwei Tage später ging aber das Ganze hoch, das ganze Viertel war von Polizei und SA besetzt. Lange dauerte unsere illegale Arbeit nicht mehr. Das Letzte war ein Lagebericht nach Straßburg, den ich (Kopie) so gut versteckte, daß er 1935 noch am gleichen Platz war. Am 12.4.33 wurden Emma und ich verhaftet. Am nächsten Tag kam Emma nach Aichach (Zuchthaus) und ich nach Dachau. Die Methoden, die von den Kommunisten im KZ angewandt wurden, hätten eigentlich das Geschäft der SA sein sollen, doch merkten das die Kommunisten nicht und ihr Verhalten bedürfte besonderer Erwähnung. In Dachau hatten SPD- und KPD-Funktionäre geschworen, nie mehr allein zu marschieren. Schumacher gehörte auch dazu! Im Jahre 1945 haben die beiden Parteien den Versuch in München mit Ministern gemacht. Nach 5-6 Monaten war der Spuk zu Ende. Von den Foltern im KZ ist genug geschrieben worden, aber von dem Innenleben der Gefangenen unter sich, ihren politischen Unterhaltungen oder den mit den SA-Leuten, hat man kein Wort geschrieben.

Nach meiner Entlassung aus dem KZ im Frühjahr 1935 hatte ich die schriftliche Verpflichtung unterschreiben müssen, mich 3/4 Jahr jeden 2. Tag auf der Polizei zu melden. An eine Arbeit war nicht zu denken. "Selbsthilfe" wurde - bis ich eine Arbeit bekam - groß geschrieben. Unter besonderen Umständen bekam ich 1937 eine Stelle als Mechaniker bei den Triumph Werken Nürnberg im Schreibmaschinenbau. Ludwig Sch. (der Dir sicher aus der Zeit der KPD Jena bekannt sein wird - er kandidierte zu den Landtagswahlen für die KPD und war dann bei der KPO; ich kannte ihn von der KPO her) ermöglichte meine Einstellung. Er war aus ehelichen Gründen zu den Nazis gegangen und hier Betriebsassistent. Er übernahm die politische Verantwortung für mich und so wurde ich eingestellt. Der Kontakt mit den Arbeitskollegen vollzog sich zu meinem Vorteil. Wenn sich irgend etwas im "Vertrauensrat" gegen mich bewegte, verständigten mich Nazi-Mitglieder, Vorsicht zu üben. Die Frankfurter Zeitung und Das Reich von Goebbels waren meine Unterhaltungsgrundlage mit ihnen. Bis zum Ausbruch des Krieges war ich bis auf die üblichen Schikanen von Polizeiaktionen verschont. Am 1. September wurde ich erneut verhaftet. Emma setzte Sch. und den ersten Direktor der Firma in Bewegung, um mich frei zu bekommen. Zufällig kannte letzterer den zuständigen Polizeirat den er persönlich aufsuchte, und erreichte, daß ich freigelassen wurde nach 5-tägiger Haft. Wäre ich nur einen Tag länger in Haft geblieben, wäre ich mit dem Transport nach Buchenwald gekommen. Die nachfolgenden Kriegsjahre habe ich den Umständen entsprechend, schlecht und recht überstanden. Von der Kriegsproduktion 1944 war ich als unsicher ausgeschaltet (V1-Waffe). Bei Kriegsende war ich krank in einem Landort, in dem meine Tochter mit ihrem Kinde evakuiert war, da ich zu Hause ja keine Ruhe vor den dauernden Angriffen hatte.

Nach meiner Rückkehr bildeten die KPD-SPD und ein indifferenter Kollege - von den Amerikanern eingesetzt - den Betriebsrat. Bei den Betriebsratswahlen 1946 wurde ich mit der höchsten Stimmenzahl gewählt und freigestellt. Diese Position behielt ich bis 1953, wo ich wegen meines Alters von 72 Jahren ausscheiden mußte.

Der politische Werdegang in der Nachkriegszeit ist Dir bekannt, so auch meine Zugehörigkeit zur Gruppe Arbeiterpolitik. Das politisch Erlebte in den letzten Jahren übertrifft alles bisherige. Abgefunden habe ich mich damit nicht, aber über das "Wie ändern" bedarf es noch ernstlicher Arbeit, um noch etwas für die Zukunft zu schaffen. Das Argument, daß die Masse der Arbeiter von Politik nichts wissen will, ist Tatsache. Sind nun diese Arbeiter daran schuld? Was hat die Führung aller Arbeiterorganisationen in all den Jahren getan, um den Arbeitern eine politische Konzeption zu reichen, um damit wenigstens einen kleineren Teil für die politischen Aufgaben zu gewinnen? Man ist mit der Entwicklung gelaufen, um die Massen, so gut wie möglich, an der Grenze eines ruhigen Verlaufes im Tagesgeschehen zu halten. Und wir aus der KPO? Man hat nun den Laden zugemacht und die "Kunden" waren erstaunt über diesen Akt, ohne Näheres darüber zu erfahren. Du wirst die Begründung, die nach langer Zeit erschienen ist, kennen. Wenn der "Kopf" sagt, die Leute wollen vom Sozialismus wegen der barbarischen Maßnahmen der Russen und der Ulbrichts nichts wissen, so muß man die Gegenfrage stellen, was habt ihr getan, um einen Kreis von aufnahmefähigen Genossen um euch zu sammeln, um den Leuten verständlich zu machen, warum wir Kritik üben an den verhängnisvollen Methoden, ihnen aber auch aufzuzeigen, daß die sozialistische Gesellschaftsgrundlage von uns verteidigt werden und wo der Hebel in der Praxis angesetzt werden muß, um die Methoden in der Richtung zum Sozialismus anzuwenden. Wir haben das Falsche in der Arpo verurteilt, aber nichts Positives dem gegenüber gestellt. So sind wir schließlich bei Ulbricht als Objekt hängen geblieben. Kritik am sozialistischen Aufbau, wenn sie im eigenen Lager geschieht, muß davon ausgehen, als ob der Kritiker die Funktion selber ausüben würde. Das ist schwer. In Bezug auf SPD und Gewerkschaften war die Arpo im Gegensatz zur DDR sehr zurückhaltend.

Was jetzt? Mithelfen, oder besser gesagt, mit gleichgesinnten Genossen den Versuch machen, einen Kreis von Genossen zusammenzubringen, die sich mit einer politischen Konzeption befassen, die der Lage entspricht, ohne zu vergessen, daß man unten auf einem höheren politischen Niveau für Westdeutschland anfangen muß. Was wir tun können dazu, wird geschehen. Viel wird es wohl nicht mehr sein.

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Karl Grönsfelder auf dem III. Weltkongress der Komintern 1921 in Moskau

- Der innere Zirkel der Nürnberger Gruppe Arbeiterpolitik 1963 in der Wohnung von Hans Kunz. Von links nach rechts: Karl Grönsfelder, Hans Steiger, Hans Kunz und Helmut Insinger.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 178 - Winter 2012/2013, Seite 26 bis 31
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2013