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ARBEITERSTIMME/356: Die willkommene "Hölle" von Hamburg


Arbeiterstimme Nr. 197 - Herbst 2017
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Die willkommene "Hölle" von Hamburg.

Protest und Widerstand gegen G20-Gipfel im Schatten einer Straßenschlacht mit der Polizei.


"Welcome to hell", so lautete das kaum einladend gemeinte Motto militanter Kräfte, die am späten Donnerstagnachmittag (6.7.) beim G20-Gipfel in Hamburg (7. und 8. Juli) ihre zentrale Auftakt-Demonstration angekündigt hatten. Sie folgte der am Mittwoch vorausgehenden unter der durchaus ironischen Parole "Lieber tanz ich, als G20", die mit Musik, Tanz, bunten Transparenten und sogar einer Reihe von Motivwagen wie ein Umzug aufwartete, um die eigene Sichtweise und Kritik am Spektakel der Mächtigen der Welt zum Ausdruck zu bringen. Beiden gemeinsam war die konsequente Ablehnung dieses Weltauftriebs in einer weltbekannten Millionenstadt der BRD, die diesmal mit Merkel zusammen die Gastgeberschaft innehatte und das Protokoll vergab. Gegen Kosten von ungefähr 130 Millionen Euro. Im Vorfeld des Ereignisses war schon viel über eine mögliche Gewaltkonfrontation zwischen Polizei und extremen Demonstrierenden berichtet und gesprochen worden, die man ja schon kennt und erwarten musste. Die Polizei hatte in den Tagen davor in einschlägigen Stadtteilen und Wohnvierteln immer wieder Razzien veranstaltet und dabei nach eigenem Bekunden jede Menge "Waffen" gefunden und sichergestellt, d. h. Gegenstände dingfest gemacht, die man zu Waffen machen könnte wie einen Stuhl, eine Latte, Besenstiel oder ein großes Küchenmesser im Besteck einer WG. Während die Polizei ihre scharfen Waffen, darunter die gefährlichen Tonfas und Panzerung ungeniert zur Schau stellte und ihrerseits Gewaltbereitschaft und Vermummung demonstrierte, zur Abschreckung und zum Schutz der Identität natürlich. Es ist nur eine Frage des Blickwinkels und Standpunktes. Die einen dürfen, die anderen nicht, wegen des Gewaltmonopols des Staates.

Es ist wohl dieses "Gewaltmonopol", über das die Staaten verfügen, das dazu beiträgt, dass die Welt so eingerichtet ist wie sie es derzeit ist. Ungerecht, mit Kriegen und Konflikten, ausbeuterischem Freihandel, militärischer Hochrüstung, hausgemachtem Klimakollaps, Hungerkatastrophen, Flüchtlingsabwehr, Terrorismuskonfrontation usw. Es gibt Menschen, die das nicht länger hinnehmen und dulden wollen, die sich bei solchen Gipfeln, heißen sie nun G7 oder G20, vermehrt vernehmlich zu Wort melden, doch wie es scheint weitgehend vergeblich. Schon im Voraus wollten die Herrschenden die Protestreihen spalten. Man ließe sich von einem friedfertigen Protest durchaus beeindrucken und fühle sich davon bestärkt, so appellierte Merkel in einer frühen, ans Zynische grenzenden Stellungnahme. Am Procedere ändert sich deshalb freilich nichts. Der letzte kleinere G7-Gipfel fand vor zwei Jahren in Schloss Ellmau in den bayerischen Alpen statt. Die erwartete Schlacht blieb damals auch wegen des Einschreitens höherer Naturgewalten wie Gewittersturm und Starkregen überwiegend aus. Die Campierenden ersoffen fast in den Wassermassen auf den Wiesen. Die Hauptprotestkundgebung fand weitab vom Almauftrieb in München mit über 30.000 Demonstrierenden statt. In Garmisch-Partenkirchen fanden sich dann immer noch etwa zehntausend Protestierende ein, die von einer doppelten Anzahl an PolizistInnen in Schach und vom Versammlungsort weiträumig ferngehalten wurden. Kanzlerin Merkel veranstaltete mit Präsident Obama zusammen demonstrativ im Freien ein folkloristisches Weißwurstfrühstück zur besten Weizenbierschoppenzeit am hellen Sonntagmorgen in einem nahegelegenen kleinen Ort. Massiv von Polizei zu Land und in der Luft begleitet und beschützt, die in den Medien dezent in den Hintergrund traten. Der bayerische Ministerpräsident Seehofer jubelte und verkündete stolz, wir können Gipfel! Das konnte der Hamburger Bürgermeister Scholz diesmal nicht. Das G20-Spektakel geriet unter massivem Polizeieingreifen gegen Gewaltexzesse ausufernd zum Debakel für die Herrschenden.

Dass man mehr über die verübte Sach-Gewalt Demonstrierender und offensichtlich auch mutwilliger Hooligans als über die Gründe und zugute. Bis etwa Donnerstagabend waren die Medien und Presse noch "protestfreundlich", wurde in Tageszeitungen z. T. in täglichen Dossiers vor dem Gipfel fortlaufend über Hintergründe und Zusammenhänge berichtet und kritisch informiert. Dann kam die Höllendemo und das Desaster nahm seinen unvermeidlichen Verlauf. Das öffentliche mediale Interesse schlug bald um in die bekannte pauschale Verurteilung und Dramatisierung der sich dann fast stündlich bis weit in die Nacht und den folgenden Freitagmorgen hinein überschlagenden Ereignisse auf Straßen und Plätzen. Politik und Polizei hatten mit ungefähr 8 bis 10.000 sog. Gewaltbereiten bei insgesamt erwarteten 100.000 Demonstrierenden vorab schon gerechnet. Bis zu 21.000 PolizistInnen wurden dagegen von überall her zusammengezogen und zur allgemeinen Sicherung der Abläufe aufgeboten. Einer der bisher größten Polizeieinsätze bei Demos in der BRD. Schon das ist mit allem Drum und Dran von drastischen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch Absperrungen und Sicherheitszonen eine Art von Provokation, die an Polizeistaat und Bürgerkriegsübung erinnerte. Man befürchtete in der Bevölkerung z. T. Schlimmstes, was man von Hamburg in den einschlägigen Vierteln ja kennt, wo das Gewaltpotenzial auch der Polizei traditionell als hoch einzuschätzen ist. Denn das sog. Schanzenviertel in St. Pauli/Altona, wo sich auch das symbolträchtige Autonomenzentrum Rote Flora (CSU-Politiker Dobrindt: "linke Propagandahöhle") befindet, liegt unmittelbar neben dem feineren Karolinenviertel mit den Messehallen wo sich diesmal die "Weltauswahl" der Mächtigen und ihrer schwellenländischen Epigonen im innerstädtischen Hochsicherheitstrakt trafen. Schon das hätte die Gipfelorganisatoren samt Polizeiverantwortlichen höchst bedenklich stimmen müssen, dass daraus früher oder später unausweichlich eine Konfrontation werden würde. Weshalb sonst solch ein Zehntausender Polizeiaufgebot? Die Schanze "gehört" nun mal gefühlt den Leuten und dem Volk. Dort in der Nähe befindet sich zum Hafen hin das Vergnügungsviertel Reeperbahn und ist am Millerntor auch der Fußballverein St. Pauli beheimatet, dessen Verantwortliche und Teile der Fans aus ihrer kritischen linken Einstellung keinen Hehl machen.

Die sich bedrohlich steigernden gewaltsamen Ausschreitungen ab Donnerstagabend nahmen ihren Ausgang nach dem unverhältnismäßig harschen und plötzlichen Eingreifen von Polizeihundertschaften bei der Demonstration mit etwa 12.000 Beteiligten, wo die Ordnungskräfte am Kopf und Ende des Zugs 1 bis 2000 sich Vermummende ausmachten, die sich angeblich zum Krawall rüsteten. Sie wurden aufgefordert, ihre "Vermummung" (oft nur über den Kopf gezogene Jackenkapuzen zum Schutz gegen Wasserwerfer und Spraygas) aufzugeben, was viele zuerst taten. Man wollte dennoch diese Gruppen von den übrigen "friedlich" Demonstrierenden trennen und offenbar einkesseln, was gründlich misslang. Sogar die Friedlichen machten bald Front gegen drastisch vorrückende Polizei. Schließlich hören auch Militante den Polizeifunk ab und lenken ihre Bewegungen per Handykommunikation. Einzelne Stimmen meinen sogar, "die Bevölkerung" hätte sich am Donnerstagabend und in der Nacht gegen "brutale Riots" der Polizei die "Straße zurückerobert". Während dann die Geschehnisse am Freitag noch ein anderes Thema wären (siehe auch: "Der Gewalt widerstehen - ein Einspruch aus der Gruppe ChristInnen gegen G20", 11.7.2017). Es kam dann sich aufschaukelnd zum ganzen bekannten Besteck und Repertoire an Gewalt auf beiden Seiten: draufprügelnde Polizisten, Wasserwerfereinsätze, Reizgasspray, Tränengasbomben, Mehrzweck-Schlagstock - Steine- und Flaschenwürfe auf Seiten Demonstrierender, Brandsätze gegen Polizeiwagen und Autos und auch gegen Polizisten, Stahlkugelgeschosse, zertrümmerte Betonteile, die von Dächern in die Straßen geschleudert wurden. Große Müllcontainer und über 30 Autos, darunter ein Carport mit teuren Porsches, wurden in Brand gesetzt, marodierende und randalierende Gruppen zogen durch die engen Straßen, warfen Scheiben ein, plünderten Geschäfte, darunter einen Rewe City-Markt und Drogeriemarkt, errichteten Barrikaden und zündeten sie an, aus denen meterhohe Flammen schlugen und Bäume und Äste versengten. Große Feuer, die auf die Häuser überzugreifen drohten, ätzende Schwaden von giftigem brennendem Plastik usw. Die Feuerwehr war ständig im Einsatz und man muss sagen unter Lebensgefahr in einer solchen Lage. An den Straßen bildeten an markanten Stellen Viele unbeteiligte Schaulustige hinter Absperrungen zahlreiche Spaliere und verfolgten neugierig das Geschehen, knipsten sich dabei selbst vor brennenden Barrikaden und bei Plünderungen von Läden. Es gab bis zum Freitagmittag etwa 200 verletzte Polizisten, an die 80 Festgenommene, die in ein gesondertes Sammellager weitab im südlichen Stadtteil Harburg verbracht wurden. Eine zudem unbekannte Anzahl verletzter DemonstrantInnen, die oft eigene Sanitätskräfte hatten. Eine Gruppe von elf Demonstrierenden verletzte sich schwer auf der Flucht vor Polizisten über eine vier Meter hohe Mauer mit Gitterzaun, als das instabile Gemäuer unter der Last zusammenbrach. Das geschah im westlichen Stadtteil Bahrenfeld, der von den Messehallen viele km entfernt liegt. Das westliche Zentrum Hamburgs war faktisch im Ausnahmezustand.

Um es hier klar zu sagen: die Gewalt aller daran Beteiligten ist nicht hinzunehmen und mit nichts zu rechtfertigen oder zu decken, schon gar nicht politisch. Sie nimmt auf beiden Seiten mindestens Schwerverletzte in Kauf. Sie verrät und diskreditiert die Absichten und Ziele derer, die friedlich, aber durchaus auch gewaltfrei mit zivilem Ungehorsam protestieren wollten. Z. B. mit Straßen- und Wegeblockaden oder der Besetzung von Plätzen, wie es auf Protokollstrecken der Delegationen von den Hotels zur Messe auch geschah. Diese waren unter Demonstrationsverbot gestellt werden. Folgender Vorfall eines rigorosen Polizeigewalteinsatzes an einer Straße entlang der Alster ist verbürgt: Eine Gruppe von 20 bis 30 GipfelgegnerInnen war, wie Tausende andere anderswo auch, dort am Freitagmorgen zu Fuß unterwegs zu einem Blockadepunkt, als mehrere Polizeifahrzeuge heranfuhren und anhielten, aus denen vermummte und behelmte Polizisten sprangen und mit Tonfas (asiat. Schlag- und Hebelwaffe) und Reizgaskartusche auf die Gruppe zusteuerten, die, statt nach der Regel jetzt stehenzubleiben, zu flüchten begann und von der Polizei verfolgt wurde. Einem, der weglief, wurde auf einem Schotterweg von einem Polizisten von hinten in die Beine getreten, so dass er aus dem Lauf heftig zu Fall kam und sich an Ellenbogen, Hüfte und am Knie blutend verletzte, seine Hose zerrissen wurde. Zwei andere Beamte rissen den Verletzten am Rucksack hoch und drängten ihn auf die Straße. Anderen, die ergriffen wurden, wurden Androhungen gemacht der Art "Wenn ich dich richtig schubse, machst du gar nichts mehr"und man überschüttete sie mit Beschimpfungen wie "Verpisst euch aus der Stadt, ihr Scheiß-Zecken". Schließlich riefen ihnen Beamte hinterher "Und tut nicht so friedlich. Ihr tut immer so friedlich, aber ihr seid alle scheiße". Während der geschilderte Angriff als nur einer von vielen zeigt, welcher "demokratische" Ordnungsgeist und Feindbildjargon offenbar unter der Polizei herrscht und waltet, versicherte Bürgermeister Scholz im NDR in offensichtlicher Unkenntnis der Lage: "Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise" (siehe: "Gipfel der Gewalt? Protest und Polizei beim 620 in Hamburg". express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 7/2017, 55. Jg., S. 8).

Die Polizei bekommt mit ihrem eigenen scharfen Vorgehen und wenig zimperlichen Zugriff uneingeschränkt Recht und politische Rückendeckung, während die Motive und Anliegen der politischen Gegner Völlig aus dem Blick geraten, die pauschal alle zu gefährlichen Randalierern, Landstreichern und Dieben erklärt werden. Es war ein legitimes Ziel des Protests, den reibungslosen Ablauf dieses Gipfels zu stören und behindern. Man wird sehr genau zu prüfen haben und untersuchen müssen, von welcher Seite wann weshalb welche Gewalt ausging, wer die verantwortungslos Randalierenden und Brandschatzenden waren und woher sie kamen. In über 30 Fällen wurden auch gegen PolizistInnen Ermittlungen eingeleitet. Der rot-grüne Senat begegnete den Oppositionsrufen u. a. der Linken nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorsorglich schon mal mit der Einrichtung eines eigenen Sonderausschusses, was der Parteilichkeit wegen nicht ausreichen dürfte. Auch von einer innerhalb der Polizei Rechtsverstöße von Beamten ermittelnden Soko dürfte wenig zu erwarten sein. Man übt politische Schadensbegrenzung und den internen Schulterschluss, aber der Posten des SPD-Innensenators Andy Grote könnte am Ende womöglich wackeln, der nach Meinung von Kritikern im Vorfeld unnötig die Lage eskalierte, z. B. durch die sture Blockade bei der Unterkunftsfrage in Zeltcamps und Verhängen zeitweiliger weiträumiger Demonstrationsverbote.

Der Hamburger Polizeipräsident Meyer, Bundesjustizminister Maas und der Sprecher der Polizeigewerkschaft stellten sich am Freitag einmütig voll hinter die teils martialisch auftretenden und einschreitenden Ordnungskräfte, die ihrer Ansicht nach richtig gehandelt hätten. Auch Trump lobte auf seinem Rückflug das Auftreten von deutscher Polizei und wie er annahm auch Militär. Am Freitag war noch Verstärkung durch schwer bewaffnete Sondereinsatz-Kommandos (SEK) hinzugezogen worden, die in der Nacht mit Sturmgewehren im Anschlag dann das Schanzenviertel räumten und zahlreiche Festnahmen vornahmen. Auch die zermürbende verwaltungsgerichtliche Auseinandersetzung um genügend Platz für Zeltcamps (Yes, wie camp!, war eine gegen das Zeltverbot gerichtete Parole) hat die Situation unnötig verschärft und angeheizt. Erst am Mittwoch hatte nach Einsprüchen das Oberverwaltungsgericht dann an zwei "zentralen" Orten Camps (Altonaer Volkspark in Lurup und Elbpark Entenwerder im Osten), beide abgelegen und von Polizei belagert und kontrolliert, mit je 300 Zelten à drei Personen genehmigt. Das Angebot wurde nur wenig angenommen, zum Schlafen kam man wegen ständig tief fliegender Hubschrauber sowieso kaum. Viele wählten einstweilen jedoch spontan wilde, nicht genehmigte Orte, um Zelte zu errichten, die immer wieder von patrouillierenden Polizeieinheiten abgeräumt wurden. Der Fußballverein St. Pauli und einige Kirchengemeinden hatten das Stadion und Kirchengärten zum Ausruhen und Übernachten in Zelten geöffnet. Wenn sich dann abends in der mondänen neuen Elbphilharmonie in der anderen Sicherheitszone im Hafen die Mächtigen zum feierlichen musikalischen Bankett einfanden zu den Klängen von Beethovens 9. Sinfonie (Freude schöner Götterfunken!), während in den Straßen die Schlacht tobte, weckte das zusätzlich den Unmut und Zorn der Menschen.

Vom alternativen "Gipfel" zum offiziellen zwei Tage vor Beginn in der Altonaer Kulturfabrik Kampnagel war in den bürgerlichen Medien kaum die Rede. Dort wurden auf Foren und in Arbeitsgruppen ganz ähnliche Themen behandelt und diskutiert wie auf dem regulären. Nur war die Perspektive auf die Fragen und Probleme der Welt eine ganz andere, aus der Sicht der Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgeschlossenen, die nach Hamburg gekommen waren. Daran schlossen sich am Samstag mehrere Demonstrationen an, die größte gegen Armut und Krieg war vom Vertreter der Linkspartei van Arken angemeldet werden, der auch den SPD-Innensenator scharf kritisierte, er habe auf der ganzen Linie versagt. An ihr nahmen mehrere Zehntausend Menschen teil, die überwiegend friedlich auftraten. Aber auch die Krawalle zwischen Polizei und GewaltdemonstrantInnen setzten sich an vielen anderen Stellen fort, sowohl am Samstag als auch noch am Sonntag, als der Gipfel bereits vorüber war, die Delegationen sich auf dem Heimweg befanden. Insgesamt wurden nach Polizeiangaben ca. 500 Beamte verletzt und 144 DemonstrantInnen vorübergehend festgenommen, etwa eine gleiche Anzahl in Gewahrsam genommen. Gegen 37 wurden, wie es in den Nachrichten hieß, zudem Strafverfahren eingeleitet. Die Verletztenzahl bei den Demonstrierenden blieb unbekannt, sie dürfte ähnlich hoch oder sogar höher sein. Die Zahl bei der Polizei wurde dann nach unten korrigiert auf etwa nur die Hälfte, man hatte jede/n noch lange vor den Demos "verletzte/n" Polizistin/Polizisten oder solche mit Schwächeanfällen mitgezählt. Die bürgerlichen PolitikerInnen, allen voran Merkel, Bürgermeister Scholz, Gabriel, Steinmeier, Altmaier, de Maiziére bis hin zum Katholischen Erzbischof von Hamburg, zeigten sich höchst entsetzt von Qualität und Ausmaß der Gewaltausschreitungen, die sie natürlich nur einseitig von den militanten Demonstrierenden ausgehen sahen. Die Polizei verfolgte und hielt kein erkennbares Konzept zur Zurückhaltung oder Deeskalation durch, sie schritt ab Donnerstagabend stets mit allen ihren Mitteln, darunter Pferde- und Hundestaffeln und gepanzerte Fahrzeuge, früh ein und haute in den Straßen rücksichtslos drauf, was ging. Das traf auch viele Unbeteiligte. Es werden jetzt Forderungen laut nach Einrichtung einer europaweiten Linksextremistendatei (eine nationale existiert bereits) und weitere Vorschläge nach verschärften Sicherheitsmaßnahmen wie Grenzkontrollen usw. geäußert. PolitikerInnen fordern die Schließung der Roten Flora. Die Blöd(Bild)Zeitung schürte danach prangerartig die aufgebrachte Stimmung noch und veröffentlichte in ihrer Hamburger Sonntagsausgabe als Titel ein großes Foto schwarz vermummter Demonstrierender, einer von ihnen hält eine lange Stange, darunter das Wort "Verbrecher". Skandal-Verkehrsminister Dobrindt, einst CSU-Generalsekretär, wetterte pauschal gegen "durch Hamburg wütende linke Sauhunde".

Mit letzten Endes nutzlosen, kopflosen Gewaltakten und blindwütigen Ausschreitungen gegen wie Festungen geschützte Veranstaltungen wie die G-Gipfel wird man sie weder verhindern noch nennenswert behindern. Allenfalls ihren Preis so in die Höhe treiben, dass sie sich nicht mehr "rechnen". Der bisher festgestellte, gemeldete Versicherungsschaden an Gebäuden, Geschäften und Autos soll sich auf 12 Mio. Euro belaufen. Überholt haben sie sich ohnehin. Sie sind kein adäquater Ersatz für die Beratungen und Beschlüsse der UNO, zu deren teilweisen Umgehung sie auch einmal gebildet wurden. Um quasi im rechtsfreien Raum Absprachen und Vereinbarungen unter den Großen unkomplizierter zu treffen. Um den Welthandel reibungslos als Freihandel zu organisieren. Nur in der UNO sitzen alle gleichberechtigt mit Stimme am gemeinsamen Tisch und werden nicht selektiv ausgeschlossen. Existiert trotz Mängeln und Schwächen und einer längst fälligen Reform ein rechtliches Rahmen- und Regelwerk, das verbindlich für alle gilt. Denn die Ärmsten und Bedürftigsten haben in Hamburg gefehlt, auch wenn man sich mit der Einladung von Delegationen aus Afrika das Mäntelchen der Offenheit und Wohltätigkeit überstreifte und am Samstag als Alibi extra einen Afrikatag angesetzt hatte, der aber gar nicht stattfand, da man im Verzug noch mit anderen Themen befasst war. Man brauchte unbedingt ein irgendwie vorzeigbares Ergebnis, was den gewaltigen Aufwand rechtfertigen sollte.

Sogar der CSU-Entwicklungsminister Müller spricht davon, dass die reichen Industrienationen Afrika arm gemacht hätten und fordert schon lange einen europäischen Marshallplan für die Unterentwickelten. Nur Herren wie Trump und Putin demonstrierten durch ihr Verhalten, sich eigenmächtig zu absentieren, während die anderen am Freitag über Welthandel und Klimaschutz berieten, dass sie weiterhin gewillt sind zu tun, was sie wollen. Und Herr Erdogan will es ihnen gleich tun, der jetzt wie Trump die gemeinsame Klimaerklärung von Paris, ohnehin nur unzureichendes Stückwerk, in Frage stellt. Da sind auch der zwischen Putin und Trump doch noch kurzfristig vereinbarte Waffenstillstand für den Südwesten von Syrien und die Rückeroberung Mossuls durch irakisch-alliierte Truppen nicht mehr als ein vages Signal. Die schließlich verabschiedeten Kommuniques waren äußerst dünn an aussagekräftigen Inhalten. Der Journalist Hans-Ulrich Brandt vom Weser-Kurier formulierte es in seinem Leitartikel so: "In der Klimapolitik sind die USA relativ isoliert vom Rest der Welt, zum Freihandel einigte man sich auf einen faulen Kompromiss, zu Armutsbekämpfung und Migration auf wohlfeile Erklärungen" (WK vom 10.7.). Aufwand und Ertrag stünden in keinem Verhältnis. Er schlägt deshalb eine Verschlankung und Effektivierung solcher Megaveranstaltungen vor. Wie wär's mit gleich abschaffen?!

© EK/HB. 11./31.7.2017


Hinweis zum Weiterlesen: Neuerscheinung: isw-report 109: Krise des globalen Kapitalismus - und jetzt wohin? Versch. AutorInnen. 76 S., 6.- EUR Bezug: isw_muenchen@t-online.de .

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 197 - Herbst 2017, Seite 12 bis 16
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2017

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