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AUFBAU/315: Happy LulzXmas @ Stratfor


aufbau Nr. 68, März / April 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

SICHERHEITSINDUSTRIE

Happy LulzXmas @ Stratfor



Mit dem Hack seiner Server rückte der private Nachrichtendienst Stratfor kurzfristig in das mediale Rampenlicht. Trotz der Publikation zehntausender Passwörter und Kreditkarteninformationen im Internet wurde über die Tätigkeit der Firma kaum etwas bekannt.


(az) In den Weihnachtstagen 2011 wurden mehrere Stratfor-Server in den USA gehackt, KundInnendaten veröffentlicht und die gehackten Server gelöscht. Die Stratfor-Webserver waren danach längere Zeit vom Netz und der Image-Schaden gross. Zum Hack bekannte sich das Anonymous-Netzwerk, welches zuvor schon mit verschiedenen Hacks und Netzblockaden politisch in Erscheinung getreten ist.

Doch bereits kurz nach der Veröffentlichung kam nicht nur das Dementi durch Anonymous, sondern auch die öffentliche Kritik an der Veröffentlichung der KundInnendaten und am Angriffsziel selbst. Ob es sich dabei um Widersprüche innerhalb des losen Anonymous-Netzwerks handelt, oder ob der Hack ausserhalb des Netzwerks durchgeführt wurde, ist für Aussenstehende kaum zu eruieren. Interessant ist jedoch die Argumentation derer, die das Angriffziel des Hacks kritisieren.

Stratfor sei eigentlich nichts anderes als eine Nachrichtenagentur und beliefere die Medien mit Auswertungen öffentlicher Daten, heisst es in der Argumentation der KritikerInnen. Der Angriff auf Stratfor sei damit ein Angriff auf die Pressefreiheit und diese müsse unantastbar bleiben. Andere bezeichnen Stratfor als Schatten-CIA(1) und weisen auf ihre Beratungsmandate für internationale Konzerne und Regierungen diverser Staaten hin. Als privater Geheimdienst sei die Firma ein legitimes Ziel. Sicher ist, dass Stratfor sein Geld mit qualitativen Auswertungen und Einschätzungen zur Geopolitik verdient und nicht einfach als weitere Depeschenagentur ihren KundInnen vorgefilterte Informationen bietet. Im Gegenteil.


Wer ist Stratfor?

Die Geschäftsidee des 1996 durch George Friedman gegründeten privatwirtschaftlichen Nachrichtendienstes steht promintent in seinem Firmennamen: Strategic Forecasting Inc. abgekürzt STRATFOR. Das Geschäftsfeld umfasst strategische Prognosen für private und staatliche Einrichtungen. Den Unterschied zwischen Intelligence(2) und Journalismus erklärt Friedman wie folgt: Im Gegensatz zum rückwärtsgewandten Journalismus, welcher nur über Geschehnisse berichte, liege die Aufgabe des Intelligence unter anderem darin Kräfteverhältnisse und wirtschaftliche Notwendigkeiten zu analysieren und daraus Prognosen zukünftiger Entwicklungen zu generieren. Diese Prognosen sollen private wie staatliche Akteure befähigen, vorausschauende Entscheidungen zu treffen. Die Nachfrage nach nachrichtendienstlichen Erkenntnissen ist jedenfalls vorhanden: ob nun im Finanzsektor, beim US-Militär oder bei der rohstoffausbeutenden Industrie. So bietet Stratfor neben kostenlosen und entgeltlichen Newslettern und Artikeln zur Entwicklung in der Welt auch Beratungen und Untersuchungen für Grosskunden an. Friedman selbst hat neben Beratungstätigkeiten für die US-Regierung, Lehrveranstaltungen an diversen US-Armeeausbildungsstätten und Thinktanks verschiedene Bücher und Artikel publiziert, in welchen er die zukünftige Entwicklung der Welt, vor allem aus Sicht der USA, untersucht. In dem zusammen mit seiner Frau Meredith Friedman 1996 publizierten Buch "The Fatare of War: Power; Technology and American World Dominance in the Twenty-First Century" etwa, beschreibt er die Vormachtsstellung der USA (z.B. gegenüber Europa), die sie dank ihrer technologischen Vorreiterrolle in der Entwicklung neuer Waffensysteme haben und weiter ausbauen werden. Neben den Friedmans ist der Vizepräsident der Firma Fred Burton ein weiteres wichtiges Aushängeschild Stratfors. Als ehemaliger Leiter des "U.S. Diplomatic Security Service" steht er für die Nähe zu. Geheimdienstkreisen und gilt als Experte für die "Terrorismusbekämpfung". Seine Erfahrungen in der Terrorismusabwehr aus den Jahren als Geheimdienstkader hat auch er in zwei Büchern(3) ergossen, welche sich im englischsprachigen Raum gut verkaufen.


Private Military Company?

Die Nähe Stratfors zu den Sicherheitsbehörden ist also kein Zufall. Dennoch hat Stratfor keinen Söldnerruf im Unterschied zu anderen privaten Dienstleistern des Sicherheitssektors. Ein Grund dafür ist, dass das Schema der vordergründig geächteten Private Military Companies (PMC) zu eng ist, um die Dienstleistungen eines Nachrichtendienstes zu fassen, welcher sich vor allem auf strategische Beratung spezialisiert hat. Taktische Aufklärung (wie das Lokalisieren feindlicher KämpferInnen oder Überwachung von Pipelines), welche andere PMC wie AirScan anbieten oder Schulung in Strategie und Taktik der Kriegsführung - das Repertoire von MPRI - sind nicht Bestandteil des Stratfor-Geschäftsmodells. Wer aber wissen möchte, welche ökonomischen und politischen Veränderungen in einer Region vor sich gehen und welche Auswirkungen diese auf die Entwicklung der Sicherheitslage haben kann, welche Investitionen wo wie sicher sind und welche Optionen für einen Truppenabzug in Afghanistan bestehen, gehört zu den klassischen StratforkundInnen. Auch Einschätzungen über die Gefährlichkeit bewaffneter Organisationen und deren Verbindungen und Vorgehensweisen gehören zum Kerngeschäft des Nachrichtendienstes genauso wie Studien zum Potential taktischer Atomwaffen für die US-Armee. Die Dialektik des Militärischen und Ökonomischen in ihren Analysen ist kein Zufall, ist doch Expansion in Zeiten der Kapitalüberproduktion nur noch mit Verdrängungskämpfen und Sicherung einer Vormachtsstellung zu erreichen. Wenn die Politik im Dienste der Sicherung ökonomischer Interessen des Kapitals steht und Krieg nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln darstellt, ist der Bedarf an sicherheitspolitischen Einschätzungen aus dem Stratfor-Portfolio für Staat und Wirtschaft nur verständlich. Dabei nutzt Stratfor - wie die staatlichen Nachrichtendienste auch - zum allergrössten Teil öffentlich zugängliche Quellen sowie das Wissen und Einschätzungen von Mitarbeitern vor Ort.

Ein weiterer Grund dafür, dass der Ruf von Stratfor nicht mit dem der PMC zu vergleichen ist, liegt wohl an der breiten Kundschaft ihrer Newsletter und Artikel. Die öffentlichen Analysen sind nicht nur bei Wirtschaftsbossen und staatlichen Nachrichtendiensten beliebt. Sie bieten für beinahe sämtliche Medien interessante Hintergrundinformationen, die direkt oder indirekt in Zeitungsartikel und Fernsehberichte einfliessen. So bezieht sich zum Beispiel die deutsche taz bei Artikeln zu Afghanistan oder Mexico auf Aussagen von Stratfor-Mitarbeitern oder zitiert aus deren Berichten über die Einschätzungen zu Bombenanschlägen in Indien. Aber auch Schweizer Medien wie die NZZ oder das Schweizer Fernsehen gehören zu den Kunden des Nachrichtendienstes, genauso wie Institute der Hochschulen und internationale Organisationen. Trotz aller Nähe zu militärischen Kreisen konnte sich Stratfor anlässlich des Kriegs im Kosovo 1999 einen gewissen Schein der Unabhängigkeit geben. Schliesslich konnte sie anhand eigener Auswertungen von Karten und Satellitenaufnahmen nachweisen, dass die NATO-Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad kein Unfall war, wie von der NATO dargestellt, sondern ein äusserst präzis ausgeführter Angriff gegen einen Verbündeten Jugoslawiens. Insgesamt kann der Jugoslawienkrieg als Meilenstein der Stratfor-Erfolgsgeschichte angesehen werden. Während Infraworks - eine von Friedmans Firmen - für die US-Armee Datenschutzlösungen gegen die Weiterverbreitung vertraulicher Satellitenbilder entwickelte (um sie dann in geänderter Form der Musik- und Filmindustrie zu verkaufen), konnte Stratfor sich mit einem gewaltigen Informationsvorsprung einen Namen als Lieferant von Analysen und Hintergrundinformationen schaffen.

Angesichts ihres Geschäftsfelds erscheint die Argumentation, Stratfor sei nur eine weitere Depeschenagentur und deshalb kein legitimes Angriffsziel. als Augenwischerei. Ob der Hack in dieser Weise Sinn machte, kann aber zur Debatte stehen. Denn die wirklich interessanten Informationen über die Tätigkeiten des Nachrichtendienstes finden sich in den publizierten Mailadressen und Kreditkarteninformationen leider nicht.


Anmerkungen:

(1)‍ ‍Der Artikel The Shadow CIA in der Zeitschrift Barron's (15.10.2001) konnotiert den Begriff der Schatten-CIA übrigens durchaus positiv.

(2)‍ ‍Global Intelligence ist der Untertitel im Namen der Stratfor

(3)‍ ‍Ghost: Confessions of a Counterterrorism Agent, im Random House Verlag und Chasing Shadows: A Special Agent>s Lifelong Hunt to Bring A Cold War Assassin to Justice, im Palgrave Macmillan Verlag

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 68, März / April 2012, Seite 13
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2012