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AUFBAU/386: Massenmilitanz für den IWF? Nicht in Bosnien!


aufbau Nr. 77, mai / juni 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Massenmilitanz für den IWF? Nicht in Bosnien!



BOSNIEN - Gerade in Momenten der imperialistischen Machtspiele und der reaktionären Mobilisierung ist das kurze Aufflammen des Klassenkampfs von unten in Bosnien-Herzegowina nicht zu unterschätzen.


(az) Regierungsgebäude brennen und Bullen rennen. Nicht erst jetzt, aber besonders in den letzten Monaten zeigt sich, dass relevante politische Veränderungen über den militanten Kampf der Massen erreicht werden - sowohl in der Ukraine als auch in der Bundesrepublik Bosnien-Herzegowina (BiH). Damit hat es sich aber schon mit der Ähnlichkeit. Denn wo in Kiew die IWF-Abhängigkeit und EU-Freihandelsabkommen ins Recht und die Rechte an die Macht geputscht wird, bekämpft eine Bewegung in BiH die Folgen eben solcher ökonomischer und politischer Entwicklungen. Hier ist eine Sozialrevolte von unten entflammt, die zumindest quer zur Spaltung in "ethnische Gruppen" verläuft, die seit dem Jugoslawienkrieg von den Regierungen, der EU und dem IWF betrieben wurde. Und diese Bewegung hat das Potenzial, diese Spaltung aufzuheben.


Aufkaufen und Schliessen

Neben der Absetzung korrupter PolitikerInnen und dem Aufbau einer ExpertInnen-Regierung, ist die Hauptforderung der Revoltierenden die Rücknahme der Privatisierungen und die Wiederaufnahme der Produktion. So entwickelten sich die militanten Proteste im Februar aus der Solidarisierung vieler Jugendlicher mit den monatlichen Demonstrationen von Chemie-ArbeiterInnen gegen die Privatisierung ihrer Betriebe in der Industriestadt Tuzla. Denn in BiH führen die vom IWF diktierten Privatisierungen dazu, dass staatliche Betriebe aufgekauft und dann sofort geschlossen werden. Auf diese Weise entledigen sich EU-Unternehmen ihrer Konkurrenz. Überhaupt dient die BiH - wie auch Griechenland - der EU eher als Absatz- denn als Investitionsmarkt, weshalb auch der Fakt, dass 90% des Bankensektors schon jetzt in Hand österreichischen Kapitals ist, kein Erhalt der Produktion bedeutet. Natürlich war das heutige BiH schon zu Titos Zeiten eine ärmere Region. Doch konnte diese Situation durch solidarische Transferleistungen aus reicheren Regionen wie dem heutigen Serbien ausgeglichen werden. Mit dem IWF wurden solche regionalen Ausgleichszahlungen seit 1989 unterbunden. Zusammen mit den forcierten Importen, dafür nötiger Kreditaufnahme und gleichzeitiger Zerstörung der heimischen Produktion haben diese IWF-Instrumente das Land nun in die Schuldenkrise getrieben.

Es wundert also nicht, dass gerade ArbeiterInnen, die noch eine Tradition der betrieblichen Selbstverwaltung kennen, die Zerstörung ihrer Fabriken nicht einfach so hinnehmen. Sie erleben den Zynismus des Kapitalismus in seiner klarsten Ausprägung: Hier die Bedürfnisse der Bevölkerung und ihre Fähigkeit diese über gesellschaftliche Arbeit und Produktionsmittel abzudecken. Dort die Zerstörung von funktionierenden Fabriken - fixem Kapital -, für eine absurde Profitlogik.

Und es wundert auch nicht, dass die proletarische Jugend, die auf eine Gesellschaft mit einer offiziellen Arbeitslosenrate von über 40% blickt, einen solchen Arbeitskampf gegen Privatisierung als konkreten Bezugspunkt für ihre Wut auf die allgemeine Lage versteht.


Schnell droht die UNO

Am 5. Februar entfachte schliesslich ein Angriff der Repressionsorgane auf besagte Demonstration militante Proteste. Innerhalb von wenigen Tagen weiteten sie sich in verschiedene Städte der BiH aus. In verschiedenen Regionen wurden Regierungsgebäude angezündet und Lokal- und Kantonalregierungen mussten zurücktreten. Auch wenn sich die Aufstände auf den "bosnischen" Teil der BIH beschränkten - Solidaritätskundgebungen im "serbischen" Teil konnten nicht die gleiche Dynamik entfalten -, drohte sogar ein österreichischer UN-Repräsentant mit dem militärischen Einsatz der im Land stationierten EUFOR-Truppen. Dies zeigt nicht nur die Aggressivität mit welcher die EU-ImperialistInnen ihre Pfründe auch im Balkan zu verteidigen gewillt sind, sondern auch ein gewisses Mass an historischem Bewusstsein. Denn Bosnien galt schon seit dem Zweiten Weltkrieg als klassenkämpferische Hochburg und während in der ökonomische Krise der 80er Jahre im Rest von Jugoslawien der Nationalismus Erfolge feierte, blieb das Proletariat in Bosnien relativ resistent. Stoisch streikte die Bevölkerung hier gegen die IWF-Sparprogramme. Erst der Bürgerkrieg vermochte den Widerstand gegen den IWF zu brechen. In diesem Zusammenhang schlägt denn auch die neuerliche Drohung der UN in die gleiche schmerzhafte Kerbe.

Nach dieser kurzen aber heftigen Bewegung wurden in Volksversammlungen Plenen aufgebaut. Solche tagen noch immer regelmässig mit teilweise um die hundert Personen. Sie finden inzwischen in Städten im ganzen Land statt - auch im "serbischen" Teil der BiH -, scheinen effizient und gut strukturiert und koordinieren sich untereinander; Noch immer werden in 13 Städten täglich Proteste organisiert, so zum Beispiel in Sarajevo unter dem Motto "Freiheit ist unsere Nation - Unsere Einheit ist euer Untergang". Zwar nimmt die Beteiligung mit im Moment weniger als 1000 DemonstrantInnen stetig ab, doch immer noch scheint der Druck der Strasse den Plenen eine solche Legitimation zu verleihen, dass RegierungsvertreterInnen diesen eine gewisse Anerkennung zukommen lassen müssen.


Widersprüchliche Plenen

Diese Verlagerung des Druckes von der Strasse hin zu den Plenen birgt aber auch Gefahren. So scheint sich deren Charakter und Zusammensetzung zu verändern. Noch lehnen sie eine Beteiligung an der Regierung bewusst ab und stellen vielmehr Forderungskataloge zuhanden der Regierungen. Doch wittern aufstrebende PolitikerInnen in den Plenen schon eine Legitimationsbasis und es bleibt zu hoffen, dass der integrative Anspruch an konstruktive Vorschläge - und damit eben auch an Beteiligung am bürgerlichen Spiel - nicht stärker wird. Problematisch erscheint schliesslich auch, dass die Plenen weniger anknüpfungsfähig an die proletarische Jugend sind, weshalb sie eher aus älteren und akademischen Leuten bestehen.

Diese Entwicklung verstärkt gewisse inhaltliche Aspekte, die mit der Zeit die Bewegung hemmen könnten. Die Forderung nach einer technischen ExpertInnenregierung ist zweischneidig. Natürlich kann sie zum einen als Reaktion auf die Korruption verstanden werden. So verdienen Verwaltungs- und Regierungsmitglieder tatsächlich rund das Zehnfache des bei 380 Euro liegenden Durchschnittslohnes, dies bei Lebenshaltungskosten, die vergleichbar mit denen in Deutschland sind. Zum anderen kann der Wunsch nach einer technischen Regierung auch als Absage an ethnisierte Politik interpretiert werden. Denn mit dem Dayton-Vertrag 1995 wurde die nationalistische Spaltung, welche der Krieg forciert hatte, institutionalisiert und vertieft. Und so müssen Ämter nach ethnischen - statt politischen - Kriterien, jeweils mit KroatInnen, SerbInnen und BosniakInnen besetzt werden. Die ablehnende Haltung an eine "politische" Regierung der Plenen hat also doppelt gute Gründe. Doch bleibt die Frage, ob die anti-politische Einstellung, die hier als vorsichtige oder defensive Reaktion gegenüber der bürgerlichen Politik verstanden werden kann, in eine politische Offensive von unten umgemünzt werden kann. Mit der Forderung nach Rücknahme der Privatisierung - also einer politischen Forderung, die an die ökonomischen Interessen anknüpft - ist eine solche Offensive in der Bewegung angelegt. Nur konnte eine solche Forderung noch nicht durchgesetzt werden.

Und da ist der springende Punkt. Wenn die Plenen keine Verbesserung der Lage herbeiführen können, werden nationalistische Kräfte vielleicht Alternativen präsentieren. Damit die Bewegung einen klassenkämpferischen Charakter behält, muss sie sich also auf ihre Stärken rückbeziehen. Und das ist die Bewegung auf der Strasse. Dazu steht aber die Forderung nach friedlichen Protesten - wie sie von den Plenen gestellt wurden - im Widerspruch. Insbesondere die proletarische Jugend wird sich an die erfolgreiche Erfahrung militanter und massenhafter Protestformen erinnern. Und hier spielt auch die erwähnte Fokussierung auf korrupte, kriminelle und ethnisierte Eliten eine Rolle. Diese Kritik bleibt auf einer moralischen Ebene stehen und kann damit zu einem hilflosen Appell an die Rechtsstaatlichkeit gegenüber Staat und Kapital verkommen. Hilflos, weil von diesen Instanzen nichts zu erwarten ist. Es müsste also um die Frage gehen, wie denn die Forderungen wirklich umgesetzt werden können, also darum, wie "eigenes" Recht über Gegenmacht durchgesetzt wird. Dies sind auch die Fragen um Formen des Klassenkampfs und diese Formen gilt es gerade gegenüber reaktionären Kräften zu verteidigen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 77, mai / juni 2014, Seite 9
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2014