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AUFBAU/523: Zürcher Aufstände 1917 - Angetrieben von revolutionärer Dynamik


aufbau Nr. 91, Januar/Februar 2018
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Zürcher Aufstände 1917: Angetrieben von revolutionärer Dynamik


GESCHICHTE. Am 17. November 1917, nur wenige Tage nach Ausbruch der russischen Revolution, fanden in Zürich die sogenannten Novemberaufstände statt. Die revolutionäre Dynamik vollzog sich länderübergreifend - der schweizerische Landesstreik folgte ein Jahr später.


(az) Den Schwerpunkt unserer letzten Zeitung widmeten wir der russischen Oktoberrevolution. Um den internationalen Charakter dieser revolutionären Bewegung darzulegen, lohnt sich ein zweiter Blick in die Geschichtsbücher. Selbst die ganz lokale Stadtzürcher Quartiergeschichte - zwischen Zentralstrasse und Helvetiaplatz - ist für dieses Verständnis geeignet. Und für ZürcherInnen natürlich besonders anschaulich.

Die schweizerische ArbeiterInnenklasse sah sich um 1917 sehr widrigen Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Zwar blieb die Schweiz weitgehend kriegsverschont, doch Teuerung und Hunger machten den Menschen das Leben äusserst schwer. Gleichzeitig hatte die schweizerische ArbeiterInnenklasse in den Jahren zuvor einiges an Kampferfahrungen ansammeln können und sich in Parteien und Gewerkschaften organisiert. Die Sozialdemokratische Partei (und ihre Jugendbewegung SJO) stellte damals die wichtigste Kraft dar, verhielt sich jedoch zumeist sehr passiv.


Gruppe Forderung als radikaler Flügel

In verschiedenen Schweizer Städten fanden 1917 Demonstrationen gegen die Lebensmittelteuerung statt. Das Eintreffen der Neuigkeit der Oktoberrevolution beflügelte die Stimmung in der Arbeiterschaft in Zürich und vielen anderen schweizerischen Städten. Die Hoffnung auf ein besseres Leben erschien plötzlich als fassbar und konkret.

Die Bewegung fand einen seiner radikalen Flügel mit der Gruppe Forderung um die beiden GenossInnen Leonie Kascher und Joggi Herzog, welche später die Kommunistische Partei der Schweiz mitbegründen sollten. Gruppe "Forderung" wurde diese Fraktion innerhalb der sozialistischen Jugendbewegung (SJO) aufgrund des Namens ihrer Publikation genannt. Die Gruppe Forderung ihrerseits war zwar relativ klein, verstand es jedoch, mit ihren offensiven Forderungen und Aktionsvorschlägen, der Stimmung der ArbeiterInnen gerecht zu werden und die Initiative zu übernehmen. Mitunter aus diesen Erfahrungen und Widersprüchen gründeten die Leute der Forderung die Kommunistische Partei der Schweiz.


"Es gilt die Tat" - Chronologie des 17. November 1917

Am 15. November 1917 sollte eine Kundgebung zum Friedensdekret der Russischen Sowjets auf dem Helvetiaplatz abgehalten werden. Es tobte der 1. Weltkrieg, Europa glich einem Blutbad. Auf Weisung des Stadtrates durfte diese Kundgebung jedoch nur im Volkshaus stattfinden. Doch es kamen so viele ArbeiterInnen, dass die Kundgebung auf Druck der Anwesenden auf dem Helvetiaplatz durchgeführt wurde. Nach dieser Kundgebung zog man als Demonstrationszug über die Lang- und Badenerstrasse vor die Munitionsfabrik Scholer & Co an der Zentralstrasse 47. Dort setzte man kurzerhand einen Produktionsunterbruch durch. Gleiches wurde in der Munitionsfabrik Bamberger, Leroi & Cie. am Stauffacherquai 42/44 versucht, wo jedoch die Polizei die Firma abriegelte. Aufgrund des grossen Erfolges dieser Aktion fand am nächsten Tag eine weitere Kundgebung statt, zu der mit folgendem Text mobilisiert wurde: "... Internationale Aktion der Arbeiter gegen Krieg. Arbeiter, erscheint in Massen! Es gilt die Tat! Es gilt zu wirken, geredet ist genug!..."

Nun kam es erstmals zu Zusammenstössen mit den Bullen, nachdem verschiedene Exponenten der Bewegung verhaftet wurden. Am ereignisreichen Samstag, dem 17. November 1917 versammelten sich die ArbeiterInnen wieder auf dem Helvetiaplatz, wo Reden gehalten wurden. Nach den Reden setzte sich ein Demonstrationszug in Richtung NZZ in Bewegung. Dort wollte man gegen das bürgerliche Blatt und dessen Berichterstattung über den Vortag protestieren. Beim Bullenposten Kreis 4 versuchte jedoch ein Grossteil der Demonstration die Gefangenen zu befreien. Es kam zu heftigen Krawallen und zu Strassenschlachten, bei welchen auch das Militär eingesetzt wurde. Dabei gab es mehrere Tote und viele Verletzte.

Weniger als ein Jahr später sollte die revolutionäre Unruhe in den Landesstreik münden. Und auch in den Jahren nach dem Landesstreik kam es immer wieder zu Aufständen und revolutionären Unruhen. Die russische Revolution war also in der Lage, europaweit politische Orientierung zu verschaffen. Die Unmittelbarkeit der revolutionären Dynamik wird am Beispiel dieser Zürcher Lokalgeschichte besonders deutlich.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 91, Januar/Februar 2018, Seite 9
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2018

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