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AUFBAU/557: "Alleine werden wir nicht die Revolution machen können"


aufbau Nr. 95, Januar/Februar 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Alleine werden wir nicht die Revolution machen können"


ERINNERUNG Vor vier Monaten erreichte uns alle die traurige Nachricht, dass Genosse José Flores aus dem Punto d'Incontro verstorben sei. Der langjährige Mitarbeiter, seit den 80er Jahre dabei, starb Anfang dieses Jahres an Altersschwäche.


(agafz) In einem familiären Gespräch haben wir uns mit zwei der GründerInnen des Punto getroffen und einen Einblick die Geschichte des Lokals, ihren Mitgliedern und ihren Projekten erhalten. José sei fast Teil des Inventars gewesen, zu jeder Tages- und Nachtzeit präsent, erinnert sich C, eine langjährige Genossin von José.


Geschichte des "Punto"

Das "Punto d'Incontro" oder auch "Punto de Encuentro" wurde vor 44 Jahren gegründet und besteht noch immer, trotz starker Gentrifizierung, am gleichen Standort im Zürcher Kreis 5. Die Örtlichkeiten konnte vom "Centro del Emigrante" übernommen werden. Dieser Prozess war mit viel Energie, Kosten aber auch persönlichem Herzblut verbunden. Nach der Übernahme haben die Gründungsmitglieder einen Verein gegründet, die "Promoción Cultural Española" (beachte: Es sind die gleichen Anfangsbuchstaben wie die PCE, Partido Comunista de España, die in der Schweiz verboten war und dies wurde somit geschickt umgangen). "Damals wurden wir alle kontrolliert und fichiert. Sie wussten ja ganz genau, dass wir vom PCE sind. Sie haben aber nie etwas gemacht, ich denke sie sahen uns wohl als eine Art ErzieherInnen für die MigrantInnen: Solange sie bei uns waren haben sie kein Puff gemacht". Das Konsulat leitete MigrantInnen mit Problemen ans Punto weiter. Was C. besonders nervte: "Vieles in den Fichen war geschwärzt, aber das, was ich lesen konnte war "Ehefrau eines Mitglieds des PCI, Schwester vom Verantwortlichen der PCE in Schweiz", nichts aber über mich selbst".

C. erzählt, dass sie im Jahr 1971 in die Schweiz immigrierte, weil sie vor allem auf der Suche nach Arbeit war. Sie stamme aus Nordspanien, aus einer "sozialistischen Familie" und wuchs in einem kleineren Dorf auf. Vom Faschismus und der Repression habe sie selbst nicht viel miterlebt. Die Guardia Civil sei manchmal ins Dorf gekommen, sei dann aber ziemlich schnell wieder abgezogen, "nur in Covandonga (Pilgerort in Nordspanien) wurde ich mal abgeführt, weil ich gesagt habe, sie sollen den hier ausgestellten Schmuck doch besser den Armen geben". In Zürich war es damals einfacher gewesen als heute, unter den ArbeiterInnen Bewusstsein zu schaffen und diese zu organisieren, "viele haben z.B. die Comisiones Obreras (eine spanische Gewerkschaft) mit dem PCE verwechselt und ausserdem verband uns der Kampf gegen den Faschismus".

Wir werden unterbrochen, weil jemand C. ruft um abzuklären, wer das Essen für die kommende Geburtstagsparty kocht. Nach einem lauten Austausch über die Räume hinweg, erzählte sie weiter, dass viele "temporeros" (Saisonniers) damals im Punto günstig essen konnten. Die GenossInnen kochten gemeinsam und die Räume waren immer voll. Einerseits konnte so zumindest ein Teil der Kosten abgedeckt werden und gleichzeitig, dieser Punkt ist C. besonders wichtig, wurde ein Ort geschaffen, an dem sich MigrantInnen treffen konnten. Im "Promoción Cultural Española" fanden damals politische Veranstaltungen, Sitzungen der PCE und anderer Organisationen, aber auch kulturelle Aktivitäten wie Flamenco-Kurse, Tanzvorführungen und Poesieabende statt: "Unser Raum war immer offen für alle, also alle Linken natürlich!" sagt C. grinsend. Auch wurden Demos in Zürich organisiert. Die GenossInnen wechselten sich bei den Arbeitseinsätzen ab: "Früher arbeiteten wir einmal pro Monat, weil so viele Leute mit dabei waren." Allein vom PCE seien über 260 Leute in Zürich gewesen, es gab damals auch noch weitere Zentren, z.B. eines in Uster. Heute seien sie (zeigt auf ihren Genossen M., der sich inzwischen zu uns gesetzt hat) meist jeden Tag da, da viele von damals verstorben oder nach Spanien zurückgegangen seien, "aber nach wie vor ist das Punto eine Herzensangelegenheit und gibt einem viel Kraft!" sagt M.

Heutzutage treffen sich weiterhin viele verschiedene Gruppen "de izquierdas, esta claro" aus unterschiedlichen Nationen für Sitzungen im Punto. Es werden auch politische Veranstaltungen organisiert. z.B. vor den Wahlen in Spanien. Und natürlich bleibe es ein Ort, wo sich die "Alten" treffen können. Auch heute, während unserem Treffen, sind viele von ihnen da. Der Genosse M. setzt sich zu uns und sagt, C. sei schon immer die tragende Kraft vom Punto gewesen, sie sei die absolut richtige Person, um uns über die Geschichte des Lokals zu erzählen: "Ohne sie gäbe es kein Punto!". Ein Gast, der am Tisch nebenan sitzt, nickt vehement mit dem Kopf.


Das "Punto" heute
Die beiden Gründungsmitglieder, ehemals PCE, sind inzwischen bei Izquierda Unida organisiert. Der Genosse M. führt aus: "Der revolutionäre Gedanke, die Kraft, die findet sich vor allem bei der Jugend, diese wollen und müssen wir ansprechen. Viele junge GenossInnen, die hierher kommen sind bei Izquierda Unida oder Podemos. Sie sind politisch viel formierter als wir, sie wissen sehr viel und wissen auch wie man gut redet. Wir haben aber auch einen Rucksack, einen voller Praxiserfahrungen, und das ist eine sehr gute Mischung. Ich bin der Ansicht wir sollten uns nicht verkrachen und spalten. Alleine werden wir die Revolution nicht machen können" erklärt er. Sie selbst sehen sich vor allem als InternationalistInnen und "republicanos". "Menschen aus verschiedenen Nationen und Kulturen verkehren im Punto. Es ist und bleibt ein Ort für Linke, darum mussten wir auch schon gute Freunde, die sexistische, homophobe oder rassistische Äusserungen machten, aus dem Lokal werfen." Es sei für sie alle äusserst wichtig, dass das Punto ein Ort der Gleichheit und der Solidarität sei.

Auch für Flores sei das Punto immer wie ein Zuhause gewesen, ein bisschen Heimat ausserhalb Spaniens. "Er war zu allen immer herzlich, vor allem aber sei ihm die Jugend sehr am Herzen gelegen" meint C. abschliessend.

¡Hasta Siempre. compañero Flores!

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 95, Januar/Februar 2019, Seite 5
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2019

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