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AUFBAU/604: Linke Filme - Bewegt inszeniert für die Sache


aufbau Nr. 100, März/April 2020
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

LINKE FILME
Bewegt inszeniert für die Sache


Einen Film zu machen, bedeutet viel Aufwand und hohe Kosten. Entsprechend ist Film ein Medium mit schwierigen Produktionsbedingungen. Diese erscheinen, zumindest von aussen betrachtet, als undurchsichtiges und abgekartetes Spiel, das wenig Raum lässt für jene Filme, die die Leserschaft des Aufbaus interessieren könnten. Es ist entsprechend schwierig als revolutionäre Filmemacherin einen Film nach den eigenen Vorstellungen herzustellen, dennoch hat der Aufbau zwei Filmmacherinnen befragt, wie ihre Idealvorstellungen wären.


(az): Lasst uns über die Entstehung eines linken Films sprechen.

A: Was verstehst du unter linkem Film? Mich interessiert das nicht, ich will Propaganda-Filme machen.


(az): Aber du meinst damit linke, revolutionäre Propaganda.

A: Klar. Im Gegensatz zu einem Dokumentarfilm, will ich mit einem dokumentarischen Propagandafilm Politik machen. Ich versuche also eine positive Antwort auf die Frage zu geben, wie Widerstand aussehen kann. Ein "linker Film" entsteht dort, wo gekämpft wird. Die aktuellen Produktionsbedingungen legen uns allerdings Steine in den Weg.

B: Sprechen wir darüber, wie wir als revolutionäre Aktivistinnen durch das Filmschaffen unserem Aktivismus einen Ausdruck verleihen. Form und Inhalt von Filmen werden vom Markt geprägt. Es stellt sich deshalb die Frage, welche Kompromisse ich eingehen muss, wenn ich Film als Massenmedium nutze.

Wenn ich hingegen im Rahmen einer unserer Kampagneneinen Film drehe, dann will ich damit aufklären und Ideologie vermitteln. Und ich will noch mehr. Ich kann die Zuschauenden an den Punkt bringen, dass sie sich unserer Sache anschliessen, denn wenn ich sie auf der Gefühlsebene abhole, kann ich manipulieren.

A: Manipulieren? Das sehe ich aber anders, wir machen doch keine "Werbefilme". Wir sollten nicht Methoden anwenden, die im Widerspruch zu denen stehen, die wir im revolutionären Kampf anstreben.

B: So formuliert hast du natürlich recht. Aber ich meine nicht falsche Informationen oder Irreführungen, ich meine die emotionale Heranführung an den Inhalt. Das ist für mich Film. Jeder Schnitt, den ich entscheide, der Einsatz von Musik, der Winkel, mit dem ich filme, alles ist Manipulation.

A: Ok, dann würd ich aber nicht von Manipulation sprechen. Klar nehmen wir unser Publikum mit. Oder frei nach Marx: Wir schaffen nicht nur einen Film fürs Publikum, sondern auch ein Publikum für den Film.


(az): Praktisch gesprochen: Wie nähert ihr euch der Gestalt eures Films?

A: Ich beginne zu filmen und versuche während des Filmens genau zu verstehen, wer mit welchen Mitteln kämpft. Auf dieser Basis kann ich mir Form und Inhalt des Films erarbeiten. Anfänglich definiere ich Ziele. Der Film entsteht aber beim Schneiden. Das sind langwierige Prozesse.

B: Das ist spannend. Ich gehe das anders an, vielleicht weil ich vom Spielfilm komme. Ich beginne erst zu filmen, wenn ich für mich selber klar habe, was ich wie vermitteln kann, dafür recherchiere ich im Vorfeld und schreibe eine Dramaturgie. So weiss ich genau welche Bilder ich suche. Darum muss ich schon auch eingreifen. Wenn ich diese oder jene Bilder strategisch gesehen als beste Möglichkeit sehe, den Inhalt zu vermitteln, dann leite ich an. Ich bringe die Handlung in eine Form, die ins Drehbuch passt.

A: Auch im Schnitt kann ich einer Szene einen komplett neuen Charakter, eine andere Bedeutung verleihen. Ich drücke der Szene meinen politischen Inhalt auf und kann das auch noch prima verstecken. Wenn ich nicht instrumentalisieren möchte, muss ich Transparenz schaffen, indem ich meine Arbeit am Film sichtbar mache, oder durch eine formale Differenz eine andere Ebene finden, beispielsweise durch Animationen oder stilistische Brüche.

B: Im Rahmen einer Bewegung kommt schnell das Problem dazu, dass ich eine tragende, emotionale Bindung zu meiner Hauptperson herstellen könnte, aber aus Gründen der Repression und Rücksichtnahme nicht sollte. Ich brauche also Distanz, kann sie nicht so persönlich zeigen, wie ich das gerne würde - dafür brauchen wir gute Lösungen.

A: Über solche Fragen spreche ich mit den Beteiligten. Als Filmemacherin von der Bewegung für die Bewegung werde ich nichts tun, was diese gefährdet. Die subjektiven Erfahrungen sind wichtig, doch möchte ich damit nicht Politik machen.

Beim Filmen greife ich nicht ins Geschehen ein und beim Schneiden muss ich meinen eigenen Blick, den Kamerastandpunkt reflektieren. Dadurch lerne ich viel und komme der politischen Bewegung sehr nahe. Später ist es dann aber wichtig, das Subjektive und das Objektive wieder zusammenzubringen.


(az): Wieso überhaupt Film und nicht einen Text schreiben, das wäre günstiger und schneller?

B: Film vermittelt Inhalte emotional zugänglich, involviert.


(az): Liegt der Wert eines Films also in den Emotionen?

B: In den Emotionen, die er wecken kann. Empathie zur Hauptperson ist ein üblicher Weg dahin. Es gibt natürlich andere Möglichkeiten, wie z.B. überzeugende Fakten. Ich denke, die Rolle des Films verschiebt sich gerade durch die neuen Medien, dadurch, dass die Leute weniger lesen. Noch vor 10 Jahren hätte ich wohl gesagt, dass Film für mich ein Medium ist, das politische Inhalte emotional zugänglich vermittelt. In der Zwischenzeit denke ich, dass auch Informationen über bewegte Bilder vermittelt werden müssen.

A: Ich glaube, Film kann mehr. Unter anderem kann in der Montage auch Poesie und Dialektik stecken - das lässt uns über das hinausdenken, was gezeigt wird. Das kann auch eine emotionale Erfahrung sein.

B: Die Leute emotional abzuholen funktioniert nur, wenn mich das Bild betrifft oder mir wichtig ist. Wieso soll meine Nachbarin, mit der ich mich ja in einem Kampf gegen Gentrifizierung befinde, ein brennendes Auto gut finden? Das finden möglicherweise nur wir gut. Wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht Filme für die Szene machen.


(az): Ist nicht genau das die Arbeit, das brennende Auto so zu bringen, dass es auch deine Nachbarin gut findet?

B: Das lässt sich schon machen, aber es gibt auch Leute, die wir nicht erreichen wollen, da ist es ja dann auch gut, wenn die sehen, dass sie nicht gemeint sind. Die Frage ist, wo ziehen wir da die Grenze?

A: Ich will niemandem brennende Autos verkaufen. Anders als bei einem Werbefilm zur Mobilisierung habe ich bei einem dokumentarischen Propagandafilm einen künstlerischen Anspruch. Die Gestaltung muss mit der politischen Überzeugung zusammengebracht werden. Wenn mir das nicht gelingt, lass ich es bleiben. Doch im besten Fall gelingt es mir, etwas von der Komplexität der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Kämpfe darzustellen.


(az): Du sagst, du willst mit Beteiligten diskutieren. Wer entscheidet am Ende?

A: Natürlich ich, aber es ist auch ein gemeinsamer Prozess, stückweit zumindest. Ich bin als Filmerin auch Teil der Bewegung.

B: Ich habe auch schon Filmprojekte aufgegeben. Die Doppelrolle als Aktivistin und Filmerin kann dir da auch in die Quere kommen, der Spagat ist gross.

A: In welchem Rahmen ist dir das passiert?

B: Ich bin vor einigen Jahren regelmässig nach Calais gefahren und habe dort gefilmt. Das war mit mehreren Problemen verbunden. Einerseits war ich die privilegierte, weisse Aktivistin aus Zürich unter den Sans Papiers, ausserdem traf ich jedes Mal auf andere Personen, so dass es schwierig war, eine kontinuierliche Diskussion zu führen. Ich habe gemerkt, dass ich so nur einen voyeuristischen Dokfilm über die schlimmen Zustände von Calais hinbekomme, das wollte ich als Aktivistin nicht.

A: Das heisst also, dass du nicht verankert warst in der Bewegung und es deshalb nicht möglich war.

B: Genau, ich hätte vor Ort bleiben müssen. Und ich hätte mehr Unterstützung gebraucht. Ausserdem spielte die Skepsis gegenüber der Kamera eine überraschend grosse Rolle. Es ist zwar nicht lange her, aber vor einigen Jahren war diese noch viel grösser. Niemand von uns wäre auf die Idee gekommen, eine Demo zu filmen. Selbst von denen, die uns kennen, wären wir verjagt worden. Heute gehört die Kamera schon fast dazu.

A: Heute haben wir im dokumentarischen Propagandafilm auch die Schwierigkeit, dass die Aktualität nicht rosig ist, die will ich oft gar nicht zeigen. Darin herauszuarbeiten, was die positiven, bestärkenden Momente sind, ist komplex, aber im Film ist es möglich.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 100, März/April 2020, Seite 16
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz:
aufbau, Postfach 8224, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2020

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