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CORREOS/153: El Salvador, Wahlniederlage - Rückschläge und Hoffnung


Correos des las Américas - Nr. 170, 26. Juni 2012

EL SALVADOR
Wahlniederlage - Rückschläge und Hoffnung
Eine bedrängte Linke kommt wieder hoch, wenn sie ihre Inhalte sozialisiert.

von Lisa Tobler



Bei den Parlaments- und Gemeindewahlen vom 11. März verlor der Frente Farabundo Martí (FMLN) wichtige Gemeinden an die rechte ARENA-Partei. Drei Jahre zuvor hatte er zum ersten Mal die Präsidentenwahl gewonnen. Eine Compañera des Frente sagte uns: «Mit diesen für den Frente so wichtigen und gleichzeitig wegen all der gegen uns arbeitenden Kräfte so komplexen Wahlen haben wir eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren.Wir sind etwas traurig, aber nicht entmutigt:Wir wissen, dass wir weiter und besser arbeiten müssen, es ist der Moment, genau auf das Volk zu hören. ARENA hat an Stimmen nur wenig hinzugewonnen, viele potenzielle FMLN-WählerInnen, vor allem aus der Mittelklasse, gingen nicht zur Wahl. Es ist eine wichtige Botschaft, es gibt Unzufriedenheit mit dem Frente und auch mit der Regierung

Mit Bestimmtheit liegt einer der Gründe für die Wahlschwierigkeiten des FMLN in der beschränkten Relevanz der nach unten orientierten Regierungsreformen für die Mittelschichten, die aber in der öffentlichen Meinung ein grosses Gewicht haben und von denen manche Sektoren Opfer des NGO-Diskurses gegen die Parteien insgesamt und generell die Politik wurden. Ein Diskurs, der sich real gegen den FMLN richtete und primär auf verlogenen Behauptungen (Korruption etc.) basierte. Andererseits gab es in manchen traditionell «roten» Gemeinden im Grossraum San Salvador wie Soyapango, Mejicanos, Apopa eine Unzufriedenheit entweder mit Bürgermeistern, die nicht mehr den Erwartungen der Leute entsprachen, oder mit den neuen KandidatInnen. Viele Leute gingen einfach nicht zur Wahl, ohne sich der Folgen dieses Handelns bewusst zu sein - niemand dachte, dass deswegen ARENA hier gewinnen könne.

Andererseits haben in Gebieten, wo der FMLN nie gewonnen hat, sehr arme Sektoren zum ersten Mal für den Frente gestimmt, Orte, an denen dank die Kinder heute dank der Regierung zur Schule gehen können, mit Schuhen und Uniformen, mit Gratisschulutensilien, einem Glas Milch und einem warmen Essen am Mittag. Dies war in armen ländlichen, oft wertkonservativen Gemeinden spürbar, während der Frente bei der unteren Mittelschicht und auch der im formellen Sektor beschäftigten ArbeiterInnenklasse an Unterstützung verloren hat, ohne dass diese nach rechts gegangen wäre.

Bestimmt waren diese Wahlen die schwierigsten für den Frente. Er bezahlte für die Abnutzung einer Regierung, die nie die seine war, sondern eine breite Allianz reflektierte. Es ist kein Geheimnis, dass die USA den Staatspräsidenten weich geklopft haben. Auf ihren Druck wurden die FMLN-Mitgliedern an den entscheidenden Stellen im Sicherheitskabinett durch der Rechten näher stehende Militärs ersetzt. Elemente, die ARENA halfen, sich wieder aufzurappeln, ihre AktivistInnen neu zu bündeln und einen quasi «linken» Diskurs in der Opposition zu führen.

Nach dem ersten Kater betrieb der FMLN einen Auswertungsprozess an der Basis mit der Bevölkerung und all seinen AktivistInnen. Es war der Moment, einen Halt einzulegen und eine neue Strategie zu entwickeln. Der FMLN rief dazu auf, die errungenen Fortschritte wertzuschätzen, die Veränderungen zu stärken, sie sichtbar zu machen, keinen Katzenjammer aufkommen zu lassen.

Und hier kam das Thema auf: «Pare de quejarse!» - «Hören Sie auf, sich zu beklagen!»

Als Verkehrsschild machte der Slogan die Runde auf den Strassen und im Internet.

Die Situation ist nicht einfach, aber es kommt wieder Stimmung auf: «Wir werden nicht zulassen, dass sie uns bei den Präsidentschaftswahlen 2014 den Sieg klauen!», «Es kann nicht sein, dass wir uns nach rückwärts bewegen». Plötzlich haben sich Militante aktiviert, die eher auf Privatisierung gemacht haben, Ex-KämpferInnen der Guerilla, auch relativ gut situierte darunter. Viele von ihnen sagen: «Wir haben zwar eine Kritik am Frente und seiner Führung, aber jetzt können wir sie nicht im Regen stehen lassen». Sie versuchen, sich wieder einzubringen, alte Beziehungsnetze zu reaktivieren, sie wollen gehört werden und eine Entwicklung verhindern, die sie nach dem Wahlsieg vor drei Jahren kaum für möglich gehalten haben.

Nachdem Funes am 1. Juni den Bericht zu seinen ersten drei Jahren Regierung vorgelegt hatte, begann eine Kampagne, die heute zu wirken beginnt ... Salvador Sánchez Cerén, Vizepräsident und Erziehungsminister ad honorem, forderte die Frente-Basis, die SympathisantInnen und generell die Bevölkerung auf, die bisher entwickelten Veränderungen zu verteidigen und zu propagieren. «Wenn wir in das das Projekt des FMLN und des Volkes verliebt sind, müssen wir als erste die Desinformation der Medien mit direkter Kommunikation mit den Leuten besiegen», betonte er.

Nun, die Zweifel beginnen zu weichen. Auch wenn die Änderungen nicht genügen, kommt man nicht umhin zu würdigen, dass wir zum ersten Mal Leute in der Regierung haben, die versuchen, dem Volk zu dienen, nicht sich selber. Früher verschwand die Hälfte der staatlichen Gelder in Privatkonti, dieses Jahr trat ein Gesetz für transparente Information in Kraft. Gerson Martínez, Infrastrukturminister und FMLN-Kader, sagt: «Unser Kampf gilt der Korruption». Dieses budgetstarke Ministerium kam früher für die Wahlkampagnen von ARENA auf, heute sind die Abläufe transparent und der Öffentlichkeit zugänglich.

Diese Regierung hat die historisch grössten Sozialinvestitionen getätigt. Das neue «System für allgemeinen Sozialschutz» richtet sich an arme Haushalte, die Gesundheitsreform eliminierte u. a. die «freiwilligen Beiträge» (real Zwangsabgaben) im Gesundheitswesen, versorgte die Gesundheitsposten mit Medikamenten und baute die zerstörte Infrastruktur neu auf. 1.3 Mio. SchülerInnen erhalten das Schulpaket (Unterrichtsmaterialien, Schuhe, Uniform, Essen), 13'429 Computer wurden in 380 öffentlichen Schulen verteilt, 130.000 Personen wurden vom Analphabetismus befreit.

Mitten in der Weltwirtschaftskrise wurde das Wachstum von minus 3 Prozent auf plus 2 Prozent gehoben. Die «Tradition», Vermögende steuerlich zu beschenken und den Mehrheiten zu nehmen, wurde aufgegeben, neu wird die Produktion und nicht einfach wie früher der Konsum gefördert. 40.000 verlorene Arbeitsplätze wurden zurückgewonnen und 23.000 neue geschaffen. Heute erhalten die LandwirtInnen Kredite und Saatgut für die Aussaat, so dass auf dem Markt kein Mangel an Grundnahrungsmitteln wie Bohnen oder Mais mehr herrscht. Und das Saatgut wird in salvadorianischen Kooperativen hergestellt. Unter ARENA war es der Ex-Staats- und heutige Parteipräsident Alfredo Cristiani, der alles Saatgut importierte, welches die Regierung teuer kaufte und nur Parteigängerinnen übergab; ein gutes Wahlerpressungsmittel. Unter dieser Regierung geht es den Viehzüchtern wieder besser, denn sie können der Regierung die Milch für eine halbe Million Kinder liefern. Die Schulpakete tragen in gleicher Weise zur Reaktivierung der sie herstellenden KMU und Handwerker bei.

Für Infrastrukturminister Gerson Martínez ist klar: «Wenn wir nicht wollen, dass diese Veränderungen abgeschafft werden, ist es fundamental, dass der FMLN, das Volk, die sozialen Organisationen und auch die fortschrittlichen Sozialen Netzwerke geeint sind wie eine Faust». Es liegt an uns, unsere Anstrengungen zu vertiefen. In dem Mass, wie es uns gelingt, dass sich das Volk diese Veränderungen aneignet, wird es schwieriger werden, sie zurück zu drehen. Das Volk selbst wird die Verantwortung für ihre Verteidigung übernehmen und eine zukünftige Regierung dabei unterstützen, sie in Richtung einer echten Transformation von El Salvador zu vertiefen.

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 170, 26. Juni 2012, S. 20-21
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2012